Radikalismus – Extremismus – Terrorismus – Islamismus

Von Jürgen Fritz, Mo. 06. Jul 2020, Titelbild: Screenshot Hamburger Verfassungsschutzbericht 2019

In Teil eins wurde dargelegt, warum eine freiheitliche Demokratie wehrhaft sein muss. Nach den Erfahrungen mit dem Untergang der Weimarer Republik hat das Grundgesetz Schutzmechanismen eingebaut, die unserer liberalen Demokratie Wehrhaftigkeit verleihen. Die Handhabung der wehrhaften Demokratie kann eine Einschränkung von Grundrechten bedingen. Dadurch soll verhindert werden, dass eine Mehrheit eine legalisierte, antiliberale, menschenrechtsfeindliche Diktatur errichten kann. Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg benennt, wer oder was die Wertentscheidungen unserer Verfassung beseitigen will.

A. Hamburger Verfassungsschutzbericht 2019: Grundlegende Schutzmechanismen der wehrhaften Demokratie

»Nach den Erfahrungen mit der von Extremisten verschiedener politischer Lager bekämpften Weimarer Demokratie enthält das Grundgesetz (GG) der am 23. Mai 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland – dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend – grundlegende Schutzmechanismen gegen Gefährdungen der Verfassung und ihre wesentlichen System- und Werteentscheidungen. Dazu gehören:

  • die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten,
  • die Volkssouveränität,
  • die Gewaltenteilung,
  • die Verantwortlichkeit der Regierung,
  • die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
  • die Unabhängigkeit der Gerichte,
  • das Mehrparteienprinzip,
  • die Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

Zu den Schutzmechanismen gehören im Wesentlichen:

  • die Unabänderlichkeit der in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten elementaren Verfassungsgrundsätze,
  • das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Artikel 21 Absatz 2 GG und Artikel 9 Absatz 2 GG),
  • Ausschluss von der Parteienfinanzierung (Artikel 21 Absatz 3 GG),
  • die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Artikel 18 GG),
  • die Pflicht der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 33 Absatz 5 GG in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Vorschriften),
  • die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates, seine verfassungsmäßigen Einrichtungen, das Funktionieren des Staatsapparates und andere lebenswichtige Staatsinteressen richten (Staatsschutzdelikte).

Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten, die die Werteentscheidungen der Verfassung beseitigen wollen oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen beabsichtigen.«

Schlüsselbegriffe bei der Bekämpfung der Demokratie- und Verfassungsfeinde sind extremistische Bestrebungen, Radikalismus, Extremismus und Terrorismus sowie Islamismus und Salafismus, welche die Verfassungsschützer auch selbst erläutern:

B. Begriffe: Extremistische Bestrebungen – Radikalismus – Extremismus – Terrorismus

 I. Extremistische Bestrebungen

Unter Bestrebungen verstehen die Verfassungsschützer »zielgerichtete Aktivitäten von Einzelpersonen und Personenzusammenschlüssen. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören:

  • Vorbereitungshandlungen,
  • Agitationen und
  • Gewaltakte.

II. Radikalismus

Das Wort „Radikalismus“ leitet sich von der lateinischen Bezeichnung „radix“ = „Wurzel“ ab und bezeichnet politische Richtungen, welche die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung grundlegend („bis an die Wurzel gehen“) verändern, aber nicht beseitigen möchten. Anwendung von Gewalt wird dabei in der Regel ausgeschlossen.

Eine radikale Einstellung kollidiert insofern nicht zwangsläufig mit einer demokratischen Einstellung. Gruppierungen mit lediglich radikalen Einstellungen
werden daher, im Gegensatz zu Extremisten, nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.

III. Extremismus

Der Begriff „Extremismus“ basiert auf den Begriffen „extremus“ = „entferntest, ärgste, gefährlichste“ und „extremitas“ = „äußerster Punkt, Rand“. Als extremistisch gelten Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und diese beseitigen wollen.

Extremismus ist oft mit exklusivem Wahrheitsanspruch, Dogmatismus, Streben nach gesellschaftlicher Kontrolle, Freund-Feind-Denken sowie der fundamentalen Umwälzung der bestehenden Verhältnisse verbunden. Extremisten befürworten oder benutzen häufig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele. Extremistische Bestrebungen werden daher vom Verfassungsschutz beobachtet.

IV. Terrorismus

Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129 a Absatz 1 Strafgesetzbuch (Bildung terroristischer Vereinigungen) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.

C. Islamismus

Zu unterscheiden sind die Begriffe „Islam“ und „Islamismus“:

  • Der Islam als Religion und dessen Ausübung ist durch Artikel 4 (Religionsfreiheit) Grundgesetz geschützt und wird somit nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet.
  • Der Begriff „Islamismus“ kennzeichnet hingegen eine verfassungsfeindliche politische Ideologie (Weltanschauung).

Wie jede andere Ideologie geht auch der Islamismus davon aus, dass er allein für alle gesellschaftlichen Probleme die richtige Lösung bietet. Vom Verfassungsschutz beobachtet werden deshalb alle islamistischen Formen, die sich zwar auf die Religion des Islam berufen, sich aber durch ihre Herrschaftsideologie gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung richten.

Insbesondere davon betroffen sind:

  • die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und
    Religion,
  • der Volkssouveränität,
  • der freien Meinungsäußerung,
  • der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung und das Grundrecht auf
    körperliche Unversehrtheit.

Der Islamismus ist keine homogene Ideologie. Er lässt sich idealtypisch in zwei Obergruppen unterscheiden:

  1. gewaltorientiert (jihadistische) und
  2. reformorientiert (politische).

Generell wird Islamismus vor allem durch folgende Merkmale geprägt:

  • Etablierung einer vermeintlich gottgewollten Gesellschaft ohne Trennung von Staat und Religion,
  • Gottessouveränität steht über Volkssouveränität,
  • Ausgeprägter Antisemitismus,
  • Ablehnung wesentlicher Grund- und Menschenrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit und Gleichberechtigung,
  • Homogene Glaubensgemeinschaft, Abschaffung von Individualinteressen sowie Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates,
  • Potenzielle Akzeptanz von Fanatismus und Gewalt.

D. Salafismus

Der Salafismus stellt eine radikale und kompromisslose Ausrichtung innerhalb des sunnitisch-islamistischen Spektrums dar. Salafisten wollen den Islam von allen vermeintlich „unerlaubten“ Neuerungen reinigen, wie sie vor allem im Volksislam verbreitet sind.

Der Volksislam ist eine Form des islamischen Glaubens, der an Überlieferungen anknüpft, die im Koran zwar vorhanden sind (beispielsweise der Geisterglaube), ihre Wurzeln jedoch in vorislamischer Zeit haben. Eine wichtige Rolle im Volksislam spielt die Verehrung von Heiligen. Die in dieser Glaubensrichtung gebräuchlichen Zauberformeln, Tätowierungen, Amulette und Talismane dienen als Mittel zur Abwehr von Krankheiten und anderen Gefahren. Verbreitet ist der Volksislam unter anderem in afrikanischen Ländern.

Den Salafisten gelten dabei die ersten drei Generationen der Muslime als vorbildlich, die sogenannten „as-Salaf as-Salih“ („die frommen Altvorderen“), wovon sich die Bezeichnung der Salafisten ableitet. Der Salafismus bewegt sich außerhalb der etablierten Rechtsschulen des Islam und akzeptiert deren Meinungen lediglich, wenn sie mit den eigenen Anschauungen vereinbar sind.

Innerhalb des Salafismus existieren verschiedene Strömungen, die sich in ideologischer Hinsicht unterscheiden, aber dennoch Überschneidungen aufweisen. Die vom Verfassungsschutz beobachteten Hauptrichtungen werden als

bezeichnet. Beide Richtungen propagieren aktiv die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und treten für die Etablierung eines Staatswesens ein, in dem vermeintlich von Gott gegebene Gesetze gelten sollen.

Grundsätzlich lehnen auch politische Salafisten Gewalt als ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Ideologie nicht ab, versuchen jedoch, ihre Ziele mit Mitteln der Mission und fortwährender Überzeugungsarbeit zu verwirklichen. Jihadisten befürworten und unterstützen in einem stärkeren und radikaleren Maße die Anwendung von Gewalt. Zwischen diesen beiden Ausprägungen des Salafismus existieren fließende Übergänge und Wechselbeziehungen. Sie stützen sich beispielsweise auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker.

Der Salafismus ist die islamistische Strömung, die in den vergangenen Jahren am schnellsten gewachsen ist. Nach wie vor ist das Personenpotenzial bundesweit auf hohem Niveau, und die Anziehungskraft der salafistischen Ideologie ist ungebrochen. Wie in den Vorjahren stieg auch im Jahr 2019 das Personenpotenzial im gesamten Bundesgebiet von 11.300 (2018) auf 11.950 (Stand: 31. Dezember 2019) an.

In Hamburg sind die Zahlen dagegen leicht gesunken, von 776 (2018) auf 740 (2019). Der Rückgang des salafistischen Personenpotenzials in Hamburg resultiert vor allem aus dem Fehlen von Führungspersonen innerhalb der Szene und aus dem weiteren Rückgang von Themen und Aktionsmöglichkeiten (Stopp der Ausreisen nach Syrien und Irak, Verbot der Koranverteilungsstände). Darüber hinaus zeigt auch die konsequente strafrechtliche Verfolgung Wirkung. So wurden 2019 führende Anhänger der Szene auch
aufgrund von Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes festgenommen und vor Gericht gestellt.«

E. Ausblick

Lesen Sie im dritten Teil die konkreten verfassungsfeindlichen und -gefährdenden Personenpotenziale in Hamburg: Auf einen Rechtsextremisten kommen in Hamburg vier linke Extremisten und fünf Islamisten.

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