Zehntausendster Corona-Toter, neue Rekordzahlen bei den Infizierten

Von Jürgen Fritz, Fr. 23. Okt 2020, Titelbild: ntv-Screenshot

Die Zahl der in Deutschland nachgewiesenen Corona-Neuinfektionen steigt von Woche zu Woche. Am Mittwoch wurde erstmals überhaupt der Wert von 10.000 Neuinfektionen an einem Tag überschritten. Dabei sind dies die Infektionen von vor ca. zehn Tagen. Worldometer registrierte bereits den zehntausendsten Todesfall. Doch in anderen Ländern sieht es noch viel schlimmer aus.

Die Schlinge um Deutschland herum zieht sich immer mehr zu und die Zahl der Todesfälle erreicht zehntausend

Zwei Drittel der Franzosen dürfen ihr Haus nach 21 Uhr nur noch mit triftigem Grund verlassen. Das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat haben inzwischen gesamt Irland als Risikogebiet eingestuft. Ebenso gesamt Liechtenstein, Polen, die gesamte Schweiz, das gesamte Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie Gibraltar.

In Tschechien ist gestern ein Lockdown in Kraft getreten. Innerhalb von 24 Stunden waren 15.000 neue Fälle registriert worden (!) und das in dem kleinen Land mit kaum mehr als 10 Millionen Einwohnern. Das Gesundheitssystem droht dort bereits zu kollabieren. Dänemark entscheidet über Einstufung Deutschlands als Risikogebiet. Die Schlinge um Deutschland herum zieht sich immer mehr zu.

Und in Deutschland selbst haben sich nach Angaben des Robert Koch Instituts (RKI) seit Beginn der Corona-Krise bis gestern mindestens 403.291 Menschen nachweislich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert. In Hamburg sind so viele Corona-Neuinfektionen registriert worden wie noch nie seit Ausbruch der Pandemie. Dabei schwankt die Zahl der Corona-Tests pro Woche seit Anfang September zwischen 1,1 und 1,2 Millionen – mit leicht steigender Tendenz. Die Positivenrate ist in der Zeit jedoch von 0,75 auf 3,63 Prozent gestiegen. Das heißt, die enorm steigenden Fallzahlen sind nicht auf mehr Tests zurückzuführen, wie manche noch immer gerne glauben machen wollen, sondern zeigen das tatsächliche Geschehen auf.

Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion lag am Donnerstag laut RKI bei 9.954. Gestern kamen laut RKI 49 neue Todesfälle hinzu. Worldometer, das außer den RKI-Zahlen noch andere Daten auswertet, registrierte bereits gestern den zehntausendsten Todesfall in Deutschland.

Dabei steigen inzwischen auch die Todesfallzahlen wieder massiv an und erreichen diese Woche laut RKI mit 165 bereits jetzt das stark angestiegene Niveau der Vorwoche. Und die Woche ist ja erst gut zur Hälfte um.

WELT-Screenshot

RKI-Präsident beurteilt die Lage als „sehr ernst“

Am Mittwoch lagen knapp ein Drittel aller vom RKI erfassten Kreise und Städte über dem Schwellenwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, ab dem vielerorts verschärfte Infektionsschutzmaßnahmen greifen. Bei rund 30 Kreisen und Städten lag der Wert sogar über 100.

WELT-Screenshot

Lothar Wieler, der Präsident des RKI, hat angesichts des rasanten Infektionsgeschehens an die Bürger appelliert, unbedingt die Corona-Regeln einzuhalten. Wieler sagte am Donnerstag, es sei inzwischen möglich, dass sich das Coronavirus regional unkontrolliert ausbreiten könne. Die Lage in Deutschland sei „sehr ernst“. Um die Ausbreitung zu verlangsamen, seien Abstandhalten, Hygienemaßnahmen und wo nötig das Tragen von Mund-Nase-Masken sowie Lüften, unbedingt zu beherzigen.

Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, hat vor einem flächendeckenden Lockdown in Deutschland gewarnt. Der Wirtschaftswissenschaftler sprach sich auf NDR Info stattdessen für regionale Maßnahmen aus. Damit sei besser umzugehen. Bei einem bundesweiten Lockdown befürchtet Fuest hingegen einen wirtschaftlichen Einbruch wie im Frühjahr. Das dürfe nicht passieren.

Merkels Warnung dürfte weit übertroffen werden

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende September in einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums davor warnte, dass wir bis Weihnachten 19.200 Neuinfektionen pro Tag sehen würden, wenn es so weiter ginge, wie die Wochen zuvor, regten sich viele auf, Merkel würde Panik verbreiten, als dies publik wurde. Nur wenige Wochen später hat die Realität Merkels Warnung bereits bei weitem (!) übertroffen. Wenn wir bis Weihnachten „nur“ 19.200 Neuinfektionen pro Tag haben, können wir uns wahrscheinlich mehr als glücklich schätzen.

Merkel ging am 28. September von einer täglichen Zunahme der Fallzahlen (Neuinfektionen) von ca. 2,7 Prozent aus. Seit dem 28. September bis zum 22. Oktober sehen wir aber keine tägliche Zunahme von 2,7 Prozent, sondern eine tatsächliche von über 6,17 Prozent und zwar mit weiter steigender Tendenz. Wenn es bei diesem Wachstum von über 6,17 Prozent pro Tag bliebe, hätten wir zu Weihnachten nicht 19.200 Fälle am Tag, sondern über 360.000.

WELT-Graphik

Und wohlgemerkt: Wir blicken immer in die Vergangenheit, was vor ca. zehn Tagen passierte. Die Wirklichkeit ist uns immer um diese Zeitspanne voraus, bis wir sehen, was vor ein, zwei Wochen tatsächlich schon passierte. Insofern wird vielleicht verständlich, warum alle Staaten bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet haben. Es gilt, diese Wachstumskurve so früh wie nur irgend möglich zu brechen.

Die Dunkelziffer ist bei den Infizierten noch weit höher, die Letalität entsprechend geringer

Bei den tatsächlich mit SARS-CoV-2 Infizierten kommt die weitaus höhere Dunkelziffer hinzu, die natürlich nicht genau angegeben, sondern nur geschätzt werden kann. Es ist aber damit zu rechnen, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten mindestens vier- bis sechsmal so hoch ist wie die Zahl der detektierten Fälle. Das heißt, die meisten Infizierten  wurden überhaupt nicht entdeckt und diese Leute wissen gar nicht, a) dass sie selbst infiziert sind und b) dass sie andere anstecken oder schon angesteckt haben.

Das bedeutet auch, dass die Letalität (Verhältnis der Todesfälle zur Anzahl der tatsächlich  Infizierten insgesamt) entsprechend geringer ist. Diese läge bei einer viermal so hohen Infiziertenzahl nicht bei 2,47 Prozent (9.954 Todesfälle durch 403.291 detektierte COVID-19-Fälle), sondern bei ca. 0,62 Prozent.

Sollte die Dunkelziffer der Infizierten höher sein und die Zahl der tatsächlich Infizierten sogar sechsmal so hoch wie die der registrierten Fälle (der Nenner also noch größer), so wäre die Letalität bei 1/6 von 2,47 Prozent = 0,41 Prozent. Von 100 tatsächlich mit SARS-Cov-2 Infizierten sterben in Deutschland daran also nicht ca. 2,47, sondern eher 0,41 bis 0,62, sprich von 10.000 nicht 247, sondern eher 41 bis 62 – bisher zumindest, wenn die Zahl der tatsächlich Infizierten vier- bis sechsmal so hoch ist wie die Zahl der detektierten Infektionen. Wenn es tatsächlich sogar achtmal so viele Infizierte sind wie registriert, dann wäre die Letalität bisher bei ca. 0,31 Prozent.

Das heißt im Umkehrschluss, dass bisher etwa 99,5 Prozent der Infizierten nicht an COVID-19 sterben. Bei über 80 Prozent der Angesteckten zeigt sich ein milder Verlauf der Erkrankung, manche spüren sogar gar nichts (asymptomatischer Verlauf). Bei etwa 14 Prozent der Infizierten kommt es zu einen schwereren und bei etwa 5 Prozent zu einem kritischen Krankheitsverlauf, so dass ein Klinikaufenthalt notwendig wird. Allerdings leiden einige, die als genesen geführt werden, monatelang, womöglich dauerhaft unter den Folgen der Infektion (irreversible Schädigungen von Organen bzw. Gewebe). Das neuartige Coronavirus befällt nämlich etliche Organe, nicht nur die Lunge, auch die Nieren, Leber, Herz, Haut usw.

Die Letalität hängt stark vom Alter der Bevölkerung ab

Die Letalität, also die Sterblichkeit von SARS-CoV-2, kann auch weiter ansteigen, wenn ältere Personen und solche mit relevanten Vorerkrankungen wieder stärker angesteckt werden. In den letzten Wochen und Monaten waren es wohl verstärkt jüngere, gesündere Personen, die sich infizierten und für die dieses neue Virus weniger gefährlich ist. Das erklärt wohl auch, warum Afrika bislang ausgesprochen glimpflich davon kam.

Die afrikanische Bevölkerung ist im Schnitt extrem jung. Das Medianalter liegt in Afrika bei ca. 18 Jahren. Im Niger liegt das Medianalter sogar bei ca. 15,2 Jahren. Das heißt, die Hälfte der Bevölkerung ist dort unter 15,2 Jahre alt. Weltweit liegt das Medianalter, das die Gesamtgruppe in zwei Hälften teilt, bei ca. 30 Jahre, in China bei etwa, den USA und Australien aber bei etwa 38 Jahren.

Besonders alt sind die europäischen und ostasiatischen Bevölkerungen. In Russland liegt das Medianalter der Bevölkerung bereits bei 39, in Polen bei 40, in Großbritannien, Frankreich und Schweden bei ca. 41 Jahren, in Spanien, der Schweiz, der Niederlande sogar über 42 Jahre, in Hongkong, Österreich und Griechenland bei fast 44 und in Italien bei ca. 45 Jahren. Extrem alt sind die Bevölkerungen in Deutschland und Japan mit einem Medianalter von über 46,5 Jahre, Japan inzwischen sogar schon bei 48,6 Jahre. Die Hälfte der Deutschen und Japaner ist also über 46,5 bzw. über 48,6 Jahre alt. Und je älter die Bevölkerung, desto anfälliger ist sie für COVID-19.

Selbst eine Letalität von nur 0,5 Prozent würde bei einer Zwei-Drittel-Durchseuchung 277.000 Todesfälle in Deutschland bedeuten

Daher kann die Letalität deutlich ansteigen, je mehr auch wieder ältere Menschen, besonders die Über-60-, ganz besonders die Über-70- und die Über-80-Jährigen infiziert werden. Natürlich bedeutet eine Letalität von 1 Prozent, dass 99 Prozent der Infizierten, gar keine schwere Erkrankung entwickeln (über 80 Prozent) oder die schwere Erkrankung überleben. Wenn sich aber zwei Drittel der deutschen Bevölkerung von ca. 83 Millionen anstecken würden, so wären das über 55,3 Millionen. Und ein Prozent davon wären 553.000 Todesfälle. Über eine halbe Million, also mehr als 55 mal so viele Tote wie bisher.

Das Konzept einer Durchseuchung der Bevölkerung, um so eine sogenannte Herdenimmunität zu erzeugen, ist also völlig absurd. Selbst wenn die Letalität nicht ein sondern nur 0,5 Prozent betragen würde, wären es bei einer Zwei-Drittel-Durchseuchung alleine in Deutschland ca. 277.000 Todesfälle. Das könnte kein verantwortlicher Politiker vor der Bevölkerung rechtfertigen.

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