Von Jürgen Fritz, Do. 28. Jan 2021, Titelbild: YouTube-Screenshots von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen und EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides
Deutschland verzeichnet inzwischen fast 55.000 COVID-19-Tote, hat Spanien auf Platz zehn weltweit fast eingeholt. Beim Impfen sind wir jedoch völlig abgeschlagen, liegen 87 Prozent hinter dem Soll zurück. Und das Sterben geht munter weiter. Nun beginnt das Schwarze Peter-Spiel. Spahn flüchtet sich in blinden Aktionismus und die EU geht auf die Impfstoffhersteller los, denen wir überhaupt erst zu verdanken haben, dass es einen Ausweg aus der Pandemie gibt.
Deutschland bei den Corona-Toten seit Beginn der Pandemie inzwischen weltweit auf Platz 11, hat Spanien fast eingeholt
Bei den seit Beginn der Pandemie kumulierten COVID-19-Todesfällen ist Deutschland mit nun ca. 54.500 zum Stand 27.01.2021 auf dem Sprung in die Top-Ten, hat Spanien (57.300) auf Platz 10 fast eingeholt. Dabei hatte Spanien Anfang November noch dreieinhalb mal so viele COVID-19-Todesfälle wie Deutschland.
Beim Sterben haben wir Italien aktuell überholt und sind in Relation zur Bevölkerung auf einem Niveau mit den USA
Beim Sterben an COVID-19, den täglichen und wöchentlichen Todesfallzahlen normiert auf die Bevölkerungsgröße, hat Deutschland Anfang Januar Italien überholt, zeitweise sogar die USA.
Beim Impfen dagegen ist Deutschland abgeschlagen und liegt 87 Prozent hinter dem Soll zurück
Beim Impfen dagegen gehört Deutschland nicht zur Weltspitze. 31 Tage nach dem ohnehin eher schon späten Impfstart am 27.12.2020 liegen wir mehr als 87 Prozent hinter dem Soll zurück, wenn wir bis Ende Sommer (21.09.2021) bzw. Herbstanfang wenigstens 80 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft haben wollen, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und die Bundeskanzlerin Angela Merkel das mehrfach in Aussicht stellten. Eigentlich müssten wir nach 31 Tagen bereits 18,44 Dosen pro 100 Einwohner verimpft haben. Tatsächlich sind es aber erst 2,38 pro 100 Einwohner, nur 1,99 Millionen statt 15,33 Millionen (87 Prozent zu wenig).
Damit liegt Deutschland beim Impffortschritt hinter Polen, Italien, Portugal, Spanien, Irland und Slowenien, weit hinter Dänemark und Island, ganz weit hinter den USA, Bahrain und Großbritannien und ganz, ganz weit hinter den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel.
Bundesländer wie Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und NRW liegen noch weiter zurück
In einigen Bundesländern werden nicht einmal diese 2,38 Impfungen pro 100 Einwohner annähernd erreicht, so insbesondere dem neuen Impf-Schlusslicht NRW, das mit 1,6 nochmal 33 Prozent unter dem Bundesschnitt liegt und pro Einwohner bisher nicht mal halb so viel geschafft hat wie Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Das Laschet-Land wurde nun sogar von Baden-Württemberg (Kretschmer-Land) überholt.
Damit stellt sich die Frage: Wie konnte es zu diesen desaströsen Zuständen sowohl bezüglich der Infektionen, schweren Erkrankungen und Todesfälle als auch bezüglich der Impfungen kommen?
Das Versagen von Merkel und Spahn
Zuständig für die Impfstoffbeschaffung war eigentlich der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Dieser war auch schon dabei, sich zusammen mit drei Ministern anderer europäischer Länder um diese Beschaffung zu kümmern. Doch dann bekam er im Frühsommer 2020 von der Bundeskanzlerin die Bitte oder Anweisung, dies an die EU abzutreten respektive diese womöglich wichtigste Aufgabe seit Jahrzehnten der Europäischen Union zu überlassen. Was dabei herauskam, wissen wir. Und nun beginnt das Schwarze Peter-Spiel.
Fakt ist: Die deutsche Regierung, namentlich Angela Merkel als Regierungschefin und Jens Spahn als zuständiger Minister, haben bei der Impfstoffbeschaffung völlig versagt, indem sie die vielleicht wichtigste aller Kompetenzen in dieser Pandemie ausgerechnet an die EU abtraten, die das Ganze völlig verbockte. Es fehlt fast überall in der EU, ganz besonders aber in Deutschland hinten und vorne. Und die Behörden versagen bei der Organisation der Verimpfung des wenigen, was da ist. Selbst die Kanzlerin spricht inzwischen intern von „Behördenversagen“. Von 90-, 95-jährigen verlangt man, dass sie sich im Internet in komplizierten Systemen anmelden, die zudem häufig abstürzen.
Spahn versucht, durch Aktionismus von seinem Versagen abzulenken, die EU in dem sie auf die Impfstoffhersteller losgeht
Israel hat schon vor Tagen mit der Impfung von Jugendlichen begonnen. In Deutschland, das ohnehin deutlich später startete als einige andere Länder, sind nach 31 Tagen nicht mal alle Über-90-Jährigen geimpft. Millionen Menschen sind nicht nur impfbereit, sie warten sehnsüchtig darauf, endlich einen Termin zu bekommen. Viele bekommen nicht einmal Informationen, wann sie denn endlich dran sind.
Und was machen Jens Spahn, der verantwortliche Minister in Deutschland, und die EU nun, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Spahn macht auf Aktionismus, zündet eine Nebelkerze nach der anderen mit zum Teil sehr fragwürdigen Maßnahmen, um dauernd Schlagzeilen zu produzieren und so von seinem Versagen abzulenken.
Und die EU geht nun auf die Impfstofflieferanten los, denen wir es überhaupt zu verdanken haben, dass wir in absoluter Rekordzeit mehrere Impfstoffe zur Verfügung haben, was in so kurzer Zeit kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die EU, die wieder einmal kaum etwas hinbekommt, wenn es drauf ankommt, greift also ausgerechnet die an, die als Einzige ihren Job wirklich gut machen, ja alle Erwartungen weit übertroffen haben.
Handelsblatt schreibt „dummes Zeug“
Und dabei wird die EU teilweise von deutschen M-Medien unterstützt, die geschäftsschädigende Falschmeldungen verbreiten. Insbesondere das Handelsblatt fiel hierbei sehr negativ auf, als es schrieb:
„PANDEMIE-BEKÄMPFUNG: Rückschlag bei Corona-Impfstoff: Astra-Zeneca-Vakzin wirkt bei Senioren offenbar kaum. Die Bundesregierung befürchtet, dass das Mittel des britisch-schwedischen Konzerns nur eine geringe Wirksamkeit hat. (…) Doch der Impfstoff von Astra-Zeneca … könnte ausgerechnet für die Corona-gefährdeten Senioren ungeeignet sein: Nach Informationen des Handelsblatts aus Koalitionskreisen rechnet die Bundesregierung nur mit einer Wirksamkeit von acht Prozent bei den über 65-Jährigen. Dass dieser Impfstoff … nicht an die über 90 Prozent liegende Wirksamkeit der RNA-Vakzine heranreicht, war befürchtet worden. Die extrem geringe Wirksamkeit bei Senioren stellt indes einen Rückschlag für die Berliner Impfstrategie dar.“
Dies scheint eine eindeutige Falschmeldung (Fake-News) zu sein. Zuerst behauptet das Handelsblatt, das Astra-Zeneca-Vakzin würde bei Senioren offenbar kaum wirken. Dann bezieht es sich auf „Informationen aus Koalitionskreisen“, ohne diese konkret zu benennen. Und dann behauptet es wieder selbst Astra-Zeneca habe eine „extrem geringe Wirksamkeit bei Senioren“.
Diese Zahl „acht Prozent Wirksamkeit bei über 65-Jährigen“ dürfte vollkommen aus der Luft gegriffen respektive vollkommen falsch sein. Der Chief Executive Officer (Geschäftsführer) von Astra-Zeneca, Pascal Soriot, wies solche Falschbehautpungen scharf zurück:
„Ich habe keine Ahnung, woher diese Zahl kommt. Sie stimmt nicht. Wie kann man annehmen, dass Prüfbehörden rund um den Globus ein Mittel zulassen, das nur acht Prozent Wirksamkeit hat? Wie gesagt, die Nerven liegen blank. Es wird über alles Mögliche dummes Zeug geredet.“
Auch das Bundesgesundheitsministerium hat am Dienstag die Berichte über eine geringere Wirksamkeit des Astra-Zeneca-Impfstoffs bei Senioren dementiert. Es sprach von einer möglichen Verwechslung von Zahlen. Richtig sei, „dass in den ersten eingereichten Studien von Astra-Zeneca weniger Ältere beteiligt waren als bei den Studien anderer Hersteller“. Aus den genannten Daten lasse sich aber keine geringe Wirksamkeit bei Älteren herleiten, erklärte das Ministerium.
EU: Als Letzte kommen und sich dann vordrängeln und als Erste beliefert werden wollen
Auch zu den Vorwürfen der EU äußerte sich Pascal Soriot dezidiert. Die EU habe überhaupt keinen Grund, über Lieferengpässe zu klagen. Brüssel habe erst spät unterschrieben, es gebe keine Pflicht für eine bestimme Menge. Die Behauptung, Astra Zeneca liefere eigentlich für die EU bestimmte Impfdosen an andere Länder, wies Soriot ebenfalls zurück. Astra-Zeneca verkaufe das Vakzin „nicht anderswo für Profit“, versicherte der Geschäftsführer des Unternehmens in einem Interview mit einem Verbund europäischer Zeitungen, zu dem aus Deutschland DIE WELT gehört. Astra-Zeneca habe den Impfstoff sogar gemeinnützig entwickelt. „Wir verdienen damit kein Geld“, betonte Soriot und fügte hinzu: „Ich denke, wir behandeln Europa wirklich fair.“
Warum die EU-Länder deutlich weniger Impfstoffe geliefert bekommen als sie dringend bräuchten, hat wohl ganz andere Gründe, die der Firmenchef wie folgt erklärt:
„Wir sind in Europa jetzt zwei Monate hinter unserem ursprünglichen Plan. Wir hatten auch Anfangsprobleme in Großbritannien. Aber der Vertrag mit den Briten wurde drei Monate vor dem mit Brüssel geschlossen. Wir hatten dort drei Monate mehr Zeit, um Pannen zu beheben.“
Was wir hier also sehen, ist folgendes: Die EU hat die Impfstoffbeschaffung 2020 vollkommen verpennt. Dann kam sie irgendwann mehrere Monate nach anderen, wollte sich dann aber nicht hinten anstellen, sondern sich ganz nach vorne in die erste Reihe vordrängeln, um ihr komplettes Versagen zu kaschieren.
Der Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel, Mitglied des FDP-Bundesvorstandes und Generalsekretär der FDP Nordrhein-Westfalen, kommentiert dies wie folgt:
Nun versucht die EU, ihre Macht auszunutzen und Daumenschrauben anzusetzen, um ihre eigenen Versäumnisse zu kaschieren
Und weil die Firmen, die der EU teilweise sogar großzügige Angebote unterbreiteten, welche die EU ablehnte oder nicht wahrnahm, dieses Spiel des Sich-vordrängelns nicht mitzumachen bereit sind, versucht die EU mit ihrer Marktmacht nun die Daumenschrauben anzusetzen und die Firmen unter Druck zu setzen.
Auch dazu äußerte sich Soriot: Astra-Zeneca sei nicht zur Lieferung bestimmter Mengen Impfstoff verpflichtet, weil derartige Verträge niemals geschlossen wurden. Sein Unternehmen habe mit der EU vielmehr eine „Best effort“-Vereinbarung abgeschlossen. „Der Grund war, dass Brüssel mehr oder minder zum selben Zeitpunkt beliefert werden wollte wie die Briten – obwohl die drei Monate früher unterzeichnet hatten. Darum haben wir zugesagt, es zu versuchen, uns aber nicht vertraglich verpflichtet“, so Soriot.
Die EU-Versager und auch Merkel und Spahn, die die Beschaffung ausgerechnet an die EU abtraten, von der jeder weiß, wie wenig diese in solchen Dingen auf die Reihe bekommt, suchen jetzt also einen Sündenbock, auf den sie in der Öffentlichkeit ihre eigene Unfähigkeit wegschieben können.
Experte: Die EU-Impfstoffbeschaffung ist eine „Vollkatastrophe – in Schulnoten eine Sechs!“
Der Beschaffungsexperte Gerd Kerkhoff sagt in BILD-Life in Bezug auf die Impfstoff-Besteller der EU:
„Grundsätzlich muss man sagen, dass das eine Vollkatastrophe ist – und in Schulnoten betrachtet eigentlich eine Sechs!“
Der EU-Kommission habe von vornherein offenbar überhaupt nicht verstanden habe, wie Verhandlungen in der Wirtschaft mit Monopolisten, also Unternehmen die eine Alleinstellung auf dem Markt haben, ablaufen, welche Gesetzmäßigkeiten hier gelten. Man habe nicht einmal verstanden, dass der Hersteller, der die erste Zulassung erhält, ein Monopolist sei: „In der Beschaffung ist es etwas anderes, ob ich mit einem Monopolisten verhandle oder mit einem funktionierenden Markt, wo man etwa eine öffentliche Ausschreibung machen kann“, so Kerkhoff.
Bei einem Monopolisten gehe es nicht um die Frage des Preises, sondern vor allem um zwei Faktoren: zum einen die Zeit, zum anderen die Verfügbarkeit. AstraZeneca verhalte sich einfach nur „marktwirtschaftlich“. Insofern stellt sich die Frage, ob die EU-Kommission die Grundsätze der Marktwirtschaft womöglich überhaupt nicht verstanden hat. Man müsse sich ja vorstellen, dass die Produzenten einen ganz bestimmten Produktionsprozess planen, erläutert Kerkhoff. So baue sich dann eine Lieferkette mit Versprechen auf, die am Ende des Tages dazu führe, dass alle Verträge, die vorher abgeschlossen wurden, in der Priorisierung abzuarbeiten sind. Und wer am Ende kommt, kann eben wohl nicht verlangen, dass ihm die höchste Priorität eingeräumt wird (Vordrängler).
„Je mehr wir eine Durchimpfung der Republik hätten, desto weniger Tote hätten wir!“
Auch den „Best Effort“-Vertrag (beste Lieferung je nachdem, was möglich ist) hält Kerkhoff in diesem Fall für vollkommen ungeeignet. „Ich sage bewusst epochaler Beschaffungsprozess, denn es war ja der bedeutendste Beschaffungsprozess, den die Politik seit dem Zweiten Weltkrieg zu organisieren hatte“so Kerkhoff. Es gehe ja um wirtschaftliche Aufwendungen von immenser Größe und von immenser Bedeutung: „Je mehr wir eine Durchimpfung der Republik hätten, desto weniger Tote hätten wir!“
Bei einem vergleichbaren Fehler in der Wirtschaft wären längst personelle Konsequenzen gezogen worden, konstatiert der Experte abschließend. In der Politik dagegen blieben diese Entscheidungen bislang aus.
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