Paris: Jahrhundertprozess gegen die Allah-Terroristen vom 13.11.2015

Von Jürgen Fritz, Mi. 08. Sept 2021, Titelbild: WELT-Screenshot

Heute beginnt in Paris der größte Strafprozess, den Frankreich jemals gesehen hat. Verhandelt wird der mörderischste Terroranschlag der französischen Geschichte. Am 13. November 2015 wurden dort 130 Menschen brutal getötet, teilweise massakriert. Ermordet von radikalmuslimischen Terroristen in einer beispiellosen Attentatsserie. Eine konzertierte Aktion an mehreren Orten im Osten der französischen Hauptstadt.

Es sollte eigentlich ein schöner Fußball- und ganz normaler Freitagausgehabend werden, doch dann kam alles ganz anders

Es begann am Freitagabend, während des Fußball-Länderspiels Frankreich gegen Deutschland. Um 21:20 Uhr erfolgte eine erste Explosion direkt am Stade de France, wo das Fußballspiel läuft. Fünf Minuten später, um 21:25 Uhr, beginnt das Massaker in dem beliebten Ausgehviertel Le Carillon und im Le Petite Cambodge. 15 Menschen wurden dort wahllos erschossen. Um 21:30 Uhr erfolgt eine zweite Detonation am Stade de France. Um 21:32 Uhr werden in der Rue du Faubourg-du-Temple und der Rue de la Fontaine-au-Roi weitere Schüsse abgefeuert. Auf den Terrassen des Café Bonne Bière und in der Pizzeria La Casa Nostra sterben weitere fünf Menschen. Um 21:36 Uhr wird minutenlang auf die Bar La Belle Équipe geschossen. 19 Menschen sterben dort im Kugelhagel. Doch das Schlimmste sollte noch folgen.

Um 21:40 Uhr sprengt sich ein islamistischer Terrorist auf dem Boulevard Voltaire, auf der der Place de la République gegenüberliegenden Seite, in die Luft. Und dann die größte Katastrophe von allen: Im Bataclan-Theater am Boulevard Voltaire 50 im 11. Arrondissement gibt die US-amerikanische Rockband Eagles of Death Metal gerade ein Konzert vor etwa 1.500 Konzertbesuchern. 

Das Massaker im Bataclan

Gegen 21:50 Uhr steigen drei schwerbewaffnete DschihadistenSamy Amimour (Kampfname: Abu Qital al-Faransi), Ismaël Omar Mostefaï (Kampfname: Abu Rayyan al-Faransi) und Fouad Mohamed Aggad (Kampfname: Abu Fu’ad al-Faransi) – vor dem Theater aus einem VW Polo. Sofort beschießen sie völlig unvermittelt zwei junge Männer auf Leihfahrrädern. Dann dringen sie durch die Bar und den Merchandisingstand in das Theater- und Konzert-Gebäude ein. Alle drei sind in Frankreich geboren und alle drei besitzen die französische Staatsbürgerschaft.

Polo-2

WELT-Screenshot

Im Innern des Bataclan angekommen feuern die drei radikalen Muslime ca. zehn Minuten lang mit Kalaschnikow-Sturmgewehren in das Publikum. Sie werfen sogar Handgranaten in die Menge. Ihr Ziel ist klar: So viele Menschen wir nur irgend möglich umbringen. Es ereignete sich ein unvorstellbares Gemetzel. Und die Menschen im Bataclan haben nicht einmal die Möglichkeit zur Flucht. Sie sind in diesem Theater eingeschlossen, ihren Mördern und Schlächtern hilflos ausgeliefert. Diese wüten unter den Kāfir („Ungläubigen“ bzw. „Allahleugnern“), wie zivilisierte Menschen sich das überhaupt nicht vorstellen können. 

Um 21:53 Uhr erfolgt die dritte Detonation am Stade de France. Wieder jagt sich ein Dschihadist mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft. Im Bataclan versuchen die Besucher, sich in den Räumen der Halle und auf den Balkonen zu verstecken. Einigen gelingt die Flucht ins Freie. Manche springen aus den Fenstern.

Bataclan

Le Monde-Screenshot

Gegen 22:15 Uhr, eine knappe halbe Stunde nach Beginn des Massakers, treffen zwei Polizisten der Brigade anti-criminalité (BAC) vor Ort ein, denen es gelingt, Aggad zu erschießen. Doch dann müssen sie sich zurückziehen und auf eintreffende Verstärkung der RAID (eine Spezialeinheit der französischen Police nationale zur Bekämpfung des Terrorismus) und der BRI (eine weitere Spezialeinheit der französischen Polizei, die auf schweren Raub und Geiselnahmen spezialisiert ist) warten.

Die beiden Attentäter Amimour und Mostefaï begeben sich nun auf die oberen Ränge. Dort nehmen sie Geiseln und  verbarrikadieren sich. Schließlich dringen die Spezialkräfte der Polizei immer weiter vor. Sie suchen die Räume ab und befreiten nach und nach die Gäste. Ein Unterhändler der Polizei versuchte vergeblich, mit den beiden noch lebenden Attentätern zu verhandeln. Diese Männer wollen aber nicht verhandeln. Für sie gibt es nichts zu verhandeln mit Kāfir. Als es dann um 0:20 Uhr, zweieinhalb Stunden nach Beginn des Massakers, zur Stürmung der Polizeikräfte kommt, töten sich die beiden radikalen Muslime durch Auslösen ihrer Sprengstoffwesten. Gegen 0:50 Uhr ist die Aktion beendet.

Der Islamische Staat bekennt sich sofort zu dem Anschlag

Allein im Bataclan haben 89 Menschen den Tod gefunden. 683 Personen wurden verletzt, 97 davon schwer. Sie gelten offiziell als kriegsversehrt. Insgesamt starben 130 Menschen plus mehrere der Dschihadisten. Durch die Anschlagsserie wurden mehr Personen getötet als bei jedem anderen Terrorakt in Europa seit den Madrider Zuganschlägen vom 11. März 2004. 

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YouTube-Screenshot

Bereits am nächsten Tag, am 14. November 2015, bekannte sich der Islamische Staat (IS, Dāʿiš) in einer im Internet auf Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlichten Erklärung zu den Anschlägen. In dieser Erklärung werden die Anschläge als „gesegneter Raubzug“ (ġazwa mubāraka) gegen das „kreuzzüglerische Frankreich“ (Firansā aṣ-ṣalībīya) bezeichnet. Der Erklärung ist ein Zitat aus dem Koran, aus der Sure 59:2, vorangestellt, das sich auf die Vertreibung des jüdischen Stamms der Banū n-Nadīr im Jahr 627 durch Mohammed bezieht. Paris wird in der Erklärung als „Hauptstadt der Unzucht und des Lasters“ bezeichnet, die Attentäter dagegen als „gläubige Gruppe der Armee des Kalifats“ gepriesen. Der Islamische Staat begründete das Attentat auf das Konzert im Bataclan damit, dass sich dort „hunderte Götzendiener in einer perversen Feier versammelt“ hätten. Das Theater, das bis vor Kurzem jüdische Eigentümer hatte, war schon früher massiv bedroht worden. 

Auffällig war auch, dass die Anschlagsziele keine touristisch relevanten Symbole Frankreichs waren, sondern eher Kleine-Leute-Viertel, die mittlerweile zum Ausgehviertel der bourgeoisen Bohémiens geworden sind. Die Anschläge galten offenbar gezielt der Mitte der französischen Gesellschaft. Die Attentäter von Paris waren französische, belgische und irakische Staatsbürger. Sieben kamen direkt während der Taten am 13. November 2015 ums Leben, drei weitere bei einer Razzia am 18. November in Saint-Denis. Einzig der Belgier Salah Abdeslam überlebte.

Frankreich beantragt als erstes Land den EU-Beistand im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Nach den Attentaten verhing die französische Regierung Valls den Ausnahmezustand und rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Präsident François Hollande sprach von einem kriegerischen Akt. Er kündigte einen entschiedenen „Kampf gegen den Terror“ an. Vier Tage nach dem Anschlag, am 17. November 2015, beantragte Frankreich als erstes Land in der Geschichte der Europäischen Union den Beistand der anderen EU-Staaten im Rahmen der Regelungen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Art. 42 Abs. 7 des EU-Vertrags). Die europäischen Staaten sicherten ihre Solidarität zu.

Schon am 18. November konnte dann bei einer Razzia im Pariser Vorort Saint-Denis der mutmaßliche Planer der Anschläge, Abdelhamid Abaaoud, ein in Belgien geborener belgischer Staatsangehöriger, geschnappt werden, der bei dem Zugriff erschossen wurde. Da damit sowohl der Drahtzieher als auch die die Attentäter alle tot sind, kann nun nur noch gegen 20 Personen, zumeist Komplizen, Anklage erhoben werden. Unter den Angeklagten ist auch Salah Abdeslam.

Salah Abdeslam, 1989 in Brüssel geboren, hat eine marokkanische Abstammung. Er soll in Belgien den schwarzen VW Polo angemietet haben, der während der Terroranschläge vor der Konzerthalle Bataclan gesehen wurde. Zudem soll er die Attentäter am Stade de France mit einem Renault Clio zum Tatort gefahren haben. Nach den Anschlägen wurde er per internationalem Haftbefehl gesucht. Am 18. März 2016 wurde er in der Brüsseler Gemeinde Molenbeek gefasst. Am 27. April 2016 wurde er von Belgien nach Frankreich ausgeliefert. Bei einer Polizeirazzia drei Tage vor seiner Festnahme war er einer von drei Terrorverdächtigen, die auf Polizisten schossen, wofür er am 23. April 2018 in Brüssel wegen versuchten terroristischen Mordes zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. 

Salah Abdeslam

Salah Abdeslam, WELT-Screenshot

Der Prozess

Im Pariser Justizpalast wurde ein neuer Saal mit 550 Sitzplätzen eingezogen. Bildschirme stellen die Übertragung der Verhandlung in alle Bereiche des Saals sicher. Während des gesamten Prozesses steht für die Betroffenen eine psychologische Betreuung bereit.

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Gerichtssaal, WELT-Screenshot

Über fünf Wochen hinweg sollen rund 300 Opfer und Angehörige das Erlebte schildern, je eine halbe Stunde wird jedem eingeräumt. Geplant sind 14 solcher Aussagen pro Verhandlungstag. Anschließend sollen die ersten Befragungen der Angeklagten stattfinden.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es 1.765 Nebenkläger. Beim Prozessauftakt sind alleine zwei Tage dafür reserviert, jeden namentlich aufzurufen. Erst am dritten Tag will das Gericht inhaltlich breiter auf die Vorwürfe eingehen, die sich auf 500 Aktenordner voll Ermittlungsergebnisse stützen. Hunderte Zeugen sind vorgeladen worden, darunter Ermittler aus Frankreich und Belgien. Zwölf der 20 Angeklagten droht lebenslange Haft, gegen sechs wird der Prozess in Abwesenheit geführt.

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Christophe Naudin, einer der Zeugen und Überlebenden, WELT-Screenshot

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