Von Jürgen Fritz, Fr. 01. Okt 2021, Titelbild: Grüne Stuttgart-Screenshot
Zehn Personen haben die Grünen in ihr Team berufen, das die Sondierungsgespräche führen wird, um eine neue Bundesregierung zu bilden. Und wer im Sondierungsteam ist, dürfte auch gute Karten haben, wenn es um die Verteilung der Ministerposten geht. Nicht dabei im diesem zehnköpfigen Team ist Habecks und Baerbocks Vorgänger als Grünenvorsitzender Cem Özdemir. Warum wohl?
Die Grünen berufen zehn Personen in ihre Sondierungsteam, nicht dabei: Cem Özdemir, der die Partei bis Anfang 2018 mehr als neun Jahre anführte
Mehr als neun Jahre war Cem Özdemir von Ende 2008 bis Anfang 2018 Bundesvorsitzender der Grünen. Gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt war er bei der Bundestagswahl 2017 grüner Spitzenkandidat. Bei den Jamaika-Verhandlungen war er einer der führenden Köpfe und viele sagten ihm vor vier Jahren Ambitionen auf das Amt des Außenministers nach. Genau hierfür soll sich im Jahr 2021 nun auch Annalena Baerbock interessieren. Und siehe da, Cem Özdemir gehört nun nicht einmal zum zehnköpfigen Team, das für die Grünen in die Sondierungsgespräche mit FDP, SPD und CDU/CSU ziehen soll.
Für dieses wurden neben den beiden Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vielmehr folgende Personen nominiert: die beiden Bundestagsfraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag Britta Haßelmann, der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die bisherige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, und dann schließlich der „Aktivist“ und Mitbegründer von Attac Deutschland, der Europaabgeordnete Sven Giegold sowie die stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Ricarda Lang. Selbstverständlich, ganz wichtig!, fünf Frauen.
Nicht dabei ist Cem Özdemir. Zusammen mit dem ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin und zwölf weiteren Grünen ist er für ein Resonanzteam vorgesehen, das die Gespräche vorbereiten und begleiten soll. Dabei gilt Özdemir in Fragen der Außenpolitik als ausgesprochen qualifiziert. Sollte der Deutsche Bundestag über alle Parteien hinweg in einer Abstimmung den künftigen Außenminister wählen, kein anderer grüner Politiker hätte wohl auch nur annähernd so gute Chancen gewählt zu werden wie Özdemir.
Kein anderer grüner Politiker in ganz Deutschland gewann seinen Wahkreis derart überragend wie Özdemir
Aber vielleicht ist ja genau das der Grund, warum er nicht zum zehnköpfigen grünen Sondierungsteam gehört. Denn just die Parlamentarier, die hier in den Sondierungs- und späteren Koalitionsverhandlungen mit dabei sind, sind nicht selten auch die ersten Anwärter für die Ministerposten. Und das Außenministerium, das dürfen wir mutmaßen, hätte Baerbock, die die Bundestagswahl für die Grünen letztlich verbockt hat, schon sehr gerne, wenn sie schon an dem Vorhaben, die erste grüne Bundeskanzlerin zu werden, kläglich scheiterte und ihre Partei die letzten viereinhalb Monate vor der Wahl von über 26 auf 14,8 Prozent, von Platz eins auf Platz drei beförderte. Und wenn sie dieses Amt für sich ins Auge gefasst haben sollte – selbstverständlich rein hypothetisch -, dann könnte kein anderer in der eigenen Partei ihr hier so gefährlich werden wie Cem Özdemir.
Zumal dieser über die eigene Partei hinaus beliebt und angesehen ist, wie kaum sonst einer, in diesem Punkt wohl vergleichbar mit Robert Habeck. Özdemir gewann bei der Bundestagswahl seinen Wahlkreis 258 Stuttgart I mit exzellenten 40,0 Prozent der Erststimmen – 11,6 Punkte mehr als seine Partei bei den Zweitstimmen (28,6)! Und das wohlgemerkt nicht in einem ohnehin extrem den Grünen zugeneigten Berliner Stadtteil, sondern in Stuttgart. Mehr als 40 Prozent der Erststimmen erzielten bundesweit über alle Parteien hinweg nur ganz wenige Kandidaten. Özdemirs holte den höchsten Stimmanteil von allen 16 direkt gewählten Grünen-Politikern in ganz Deutschland und das beste Erststimmenergebnis in ganz Baden-Württemberg – über alle Parteien hinweg!
Zum Vergleich: Robert Habeck gewann seinen Wahlkreis 001: Flensburg – Schleswig in Schleswig-Holstein mit überschaubaren 28,1 Prozent der Erststimmen, lag nur 4,7 Punkte vor der CDU-Kandidatin. Allerdings muss man hier dazusagen, dass dieser Wahlkreis kein einfacher ist für die Grünen. Habecks Erststimmen-, also Personenergebnis war hier immerhin 9,5 Punkte besser als das Zweitstimmenergebnis der Partei.
Claudia Roth schaffte im Wahlkreis 253: Augsburg Stadt mit 20,6 Prozent nur 1,6 Punkte mehr als ihre Partei (19,0) und nur gut halb so viel wie Özdemir. Die Studien- und Promotionsabberecherin sowie hundertfach überführte Plagiatorin Baerbock unterlag dagegen in ihrem Wahlkreis 61: Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II (Brandenburg) sogar deutlich gegen den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz mit 18,8 Prozent zu 34,0 Prozent. Baerbock blieb mit ihren 18,8 Prozent dabei sogar unter dem Parteiergebnis in ihrem Wahlkreis (19,0 Prozent). Sie schaffte nicht einmal halb so viele Stimmanteile wie Cem Özdemir.
Özdemir hat aber einen großen Nachteil: Er könnte Baerbock bei der Verteilung der Ministerposten gefährlich werden
Katrin Göring-Eckardt, welche die Grünen sehr gerne zur kommenden Bundespräsidentin machen würden, holte in ihrem Wahlkreis 193: Erfurt – Weimar – Weimarer Land II in Thüringen sogar nur 11,8 Prozent der Erststimmen (1,4 Punkte weniger als ihre Partei). Ein geradezu unterirdisches Ergebnis für eine Spitzenpolitikerin! 11,8 Prozent, das ist nicht einmal ein Drittel, nicht einmal 3/10 von dem, was Özdemir in Stuttgart holte.
Im Sondierungsteam der Grünen ist aber nicht Özdemir, sondern Göring-Eckardt. Von Sven Giegold und Ricarda Lang ganz zu schweigen. Diese haben aber (teilweise neben dem Geschlecht) einen großen Vorteil: Sie alle können Baerbock bei der Vergabe der Ministerposten nicht gefährlich werden.
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