Steinmeier wurde von Kiew nicht „ausgeladen“ und seine 71 Prozent waren nicht einmalig

Von Jürgen Fritz, Di. 03. Mai 2022, Titelbild: ZDF-Screenshot

Bei „Was nun, Herr Scholz?“ machte der Kanzler am Montagabend gleich mehrere falsche Angaben. Schlimmer noch: Erneut schadete Scholz der Ukraine, indem er, wie auch schon zuvor Steinmeier, Ressentiments gegen sie schürte. Ist Scholz in dem Amt nur maßlos überfordert oder steckt etwas anderes dahinter?

Steinmeier wurde nicht mit großer Mehrheit „nominiert“, sondern gewählt

Olaf Scholz gestern Abend auf die Frage, wann er nach Kiew fahre:

„Ich finde, dass es doch immerhin ein ganz bemerkenswerter Vorgang ist, dass der Präsident der Bundesrepublik Deutschland, der mit einer Mehrheit wie glaube ich niemand vor ihm in der Bundesversammlung wenige Wochen vorher für eine zweite Amtszeit nominiert worden ist, ausgeladen worden ist, das steht der Sache im Weg.“

Scholz spielt hier also die beleidigte Leberwurst. Dazu folgendes: Erstens wurde Steinmeier nicht nur nominiert, sondern gewählt. Nominiert wurden auch Max Otte (von der AfD) und andere. Aber geschenkt. Eigentlich sollte ein gewählter Bundeskanzler den Unterschied zwischen nominiert und gewählt kennen, aber das ist wohl einfach ein falsch gewählter Ausdruck, ohne tiefere Bedeutung.

Steinmeier wurde von Kiew nicht „ausgeladen“

Zweitens, und jetzt wird es wesentlich wichtiger, das hat Bedeutung!, wurde Steinmeier nicht „ausgeladen“, weil er von der Ukraine gar nicht eingeladen worden war. Das Gerücht, das Scholz gestern Abend in „Was nun, Herr Scholz“, und auch andere immer wieder verbreiten, Steinmeier wäre von Kiew „ausgeladen worden“, stimmt nicht. Ausladen kann man nur jemanden, den man zuvor eingeladen hat. Steinmeier wurde von Kiew aber gar nicht eingeladen – aus Gründen. Steinmeier wollte sich vielmehr selbst einladen und an die Präsidenten aus Polen und den drei baltischen Staaten von sich aus einfach mit dran hängen, sei es aus schlechtem Gewissen der Ukraine gegenüber, sei es um PR für sich selbst und seinen schlechten Ruf zu betreiben.

Daraufhin gab es vertrauliche, nicht offizielle Signale aus Kiew, dass er dort im Moment nicht willkommen sei. Und Steinmeier hatte dann nichts Besseres zu tun, als diese vertrauliche Mitteilung sofort öffentlich zu machen, die beleidigte Leberwurst zu spielen und damit der Ukraine weiter zu schaden, wie er das die 23 Jahre zuvor schon getan hat. Dies wiederum greift Scholz jetzt auf, um zu begründen, warum er weiterhin die Ukraine nicht besuchen will. Auch Scholz spielt also nun die beleidigte Leberwurst, um selbst zehn Wochen nach Kriegsbeginn nicht in die Ukraine reisen zu müssen.

Hier verbreitet Scholz ein der Ukraine massiv schadendes Gerücht weiter und stellt den Sachverhalt nicht richtig dar. Steinmeier wurde vertraulich mitgeteilt, dass sein Besuch derzeit nicht gewünscht sei. Steinmeier, der gar nicht eingeladen worden war, machte das dann überhaupt erst öffentlich, womit er der Ukraine Schaden zufügte, indem er Ressentiments gegen sie schürte, da das viele erzürnte. Dabei war diese vertrauliche Mitteilung gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Der Affront entstand erst durch das Publikmachen von Steinmeier.

Panik in der Ampel, weil der CDU-Oppositionsführer nach Kiew reist und nicht der SPD-Bundespräsident, nicht der SPD-Kanzler und nicht die SPD-Bundestagspräsidentin

Und jetzt bekommt man in der Ampel Panik, weil der CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer im Deutschen Bundestag Friedrich Merz als erster deutscher Spitzenpolitiker nach Kiew reist, er und nicht der SPD-Bundespräsident Steinmeier, nicht der SPD-Bundeskanzler Scholz und nicht die SPD-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, also keiner der drei höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland.

Die 71 Prozent, mit denen Steinmeier im Februar gewählt wurde, waren bei weitem nicht das beste Ergebnis einer Bundespräsidentenwahl

Nun zum dritten Punkt: „… mit einer Mehrheit wie glaube ich niemand vor ihm …“. Glauben kann Herr Scholz ja alles Mögliche, die Frage ist, ob das von ihm Geglaubte den objektiven Tatsachen entspricht (und auch ob man Scholz generell sehr viel Glauben resp. Vertrauen entgegenbringen kann bei all den Dingen, die er immer wieder sagt und behauptet, denn diese Falschdarstellungen sind beileibe kein Einzelfall bei ihm). Hier nun die Fakten zu diesem dritten Punkt:

Steinmeier wurde am 13.02.2022, elf Tage vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, in der Bundesversammlung mit 71 Prozent zum Bundespräsidenten gewählt, unter anderem auch deswegen, weil zum Einen zu dem Zeitpunkt Steinmeiers wirklich üble Rolle in der Russlandpolitik der letzten 23 Jahre noch nicht öffentlich thematisiert worden war, zum anderen deswegen weil die Union keinen eigenen Kandidaten nominierte und damit überhaupt kein halbwegs ernst zu nehmender Gegenkandidat zur Wahl stand. Der von der AfD nominierte Max Otte landete mit unter zehn Prozent auf Platz zwei. Unter diesen zwei Bedingungen erhielt Steinmeier dann 71 Prozent.

Es gab übrigens Hintergrundgespräche zwischen der Union und den Grünen. Die Union bot den Grünen an, wenn sie eine Kandidatin, eine Frau, nominieren würden, die nicht mehr selbst in der Parteipolitik aktiv sei, z.B. die Osteuropaexpertin Marieluise Beck vom Zentrum Liberale Moderne, die seit vielen, vielen Jahren vor Russland gewarnt hatte (und die eine wunderbare Präsidentin wäre, wie ich persönlich finde), dann könnte man sich vorstellen, diese mit zu wählen. Die Grünen wollten aber nicht so richtig, wohl auch um die SPD nicht zu verärgern, die wie die FDP Steinmeier wollte, und da man keine Spannungen in die Ampel hineintragen wollte. Und die Union war zu dem Zeitpunkt, kurz nach dem Abgang von Laschet und der Übernahme des CDU-Bundesvorsitzes durch Friedrich Merz, der zu dem Zeitpunkt noch kein Fraktionsvorsitzender im Bundestag war, noch nicht gut genug sortiert, um das konsequent weiter zu verfolgen. So war Steinmeier also ohne einen wirklich relevanten Gegenkandidaten. Unter diesen Bedingungen kamen diese 71 Prozent zustande.

Waren diese 71 Prozent nun, wie Scholz suggerierte, eine Mehrheit die kein anderer zuvor so erhalten hat? Antwort: Nein, das waren sie nicht. Die folgenden Prozentangaben sind jeweils auf ganze Zahlen gerundet:

  • 1954 wurde Theodor Heuss mit 86 Prozent gewählt.
  • 1984 wurde Richard von Weizsäcker mit 80 Prozent gewählt.
  • 1989 wurde Richard von Weizsäcker mit 85 Prozent gewählt.
  • 2012 wurde Joachim Gauck mit 80 Prozent gewählt.
  • 2017 wurde Steinmeier mit 74 Prozent gewählt.

Scholz und Steinmeier schüren immer wieder gezielt Ressentiments gegen die Ukraine

Und nun das Wichtigste: Was Scholz (SPD) hier abgesehen von all den falschen Darstellungen, falschen Angaben und falschen Formulierungen macht, ist das Gleiche, was zuvor schon Steinmeier (SPD) machte, der sich Ende April sogar weigerte, auf den Bundespresseball zu gehen, der dieses Jahr zum Solidaritätsball für die Ukraine erklärt wurde: Er schürt Ressentiments gegen die von Russland überfallene, in ihrer gesamten Existenz bedrohte und jeden Tag ums nackte Überleben kämpfende Ukraine, was übrigens besonders ganz weit rechts außen (AfD) und ganz weit links außen (Die Linke) gut ankommt.

Steinmeier und Scholz schaden damit wiederholt dem Zusammenhalt der nationalen und internationalen Allianz gegen Russland. Und das sind – genau wie das bewusste und gezielte Schüren von Angst vor einem Atomkrieg – mit Sicherheit weder Zufälle noch spontane, unüberlegte Dummheiten. Scholz und Steinmeier wissen, was sie tun (Janusköpfigkeit).

Die Frage ist, warum Die Grünen und die FDP das immer weiter mitmachen. Vielleicht hängt man einfach zu sehr an der Macht und ist froh, endlich wieder in der Bundesregierung zu sein, will das auf keinen Fall gefährden. Oder man hat zu tief sitzende Aversionen gegen die Union. Vielleicht durchschaut man auch das Spiel, das Scholz treibt, nicht oder will es aus den genannten Gründen nicht sehen.

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