Scholz am Ende? Hofreiter-Kritik geht ins Mark

Von Jürgen Fritz, Mi. 28. Feb 2024, Titelbild: ZDF-Screenshot

Wenn ein Spitzenpolitiker des größten Koalitionspartners so über den Regierungschef redet, ist dessen Autorität fast vollständig dahin. Anton Hofreiter gab dem ZDF ein Interview, in welchem er kein Blatt vor den Mund nahm und scharfe Kritik an Scholz übte. Ein besseres Politikerinterview habe ich selten gesehen.

Hofreiter: Scholz und Macron handeln unverantwortlich

Toni Hofreiter (2013 bis 2021 einer von zwei Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion, seit 2021 Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union) äußerte sich gestern Abend im ZDF-Interview wie folgt über Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD):

Scholz und Macron handelten mit ihren Aussagen zu Taurus und dem Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine unverantwortlich. Auch die Politikwissenschaftlerin und Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik Dr. Claudia Major hatte Kritik an den beiden geübt, da diese sich offensichtlich überhaupt nicht abstimmen, sich öffentlich widersprechen, damit ein desaströses Bild nach außen abgeben, was natürlich Putin geradezu in die Hände spielt. Der französische Präsident schließt nicht mehr aus, französische (westliche) Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, der deutsche Bundeskanzler weigert sich gegen den Willen der SPD-Koalitionspartner Die Grünen und FDP und gegen den Willen der größten Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag, der Union, seit Monaten beharrlich Taurus-Marschflugkörper zu liefern, obschon die Ukraine diese seit Wochen und Monaten dringend bräuchte, um sich gegen die russische Gegenoffensive behaupten zu können und nicht immer weiter zurückgedrängt zu werden.

Scholz‘ Begründung, die er nun nach über vier Monaten endlich lieferte, vermag dabei alles andere zu überzeugen. Sie wirkt fadenscheinig, teilweise an den Haaren herbeigezogen und stieß auf heftige Kritik von Seiten der Wissenschaft, der Publizistik, der beiden Koalitionspartner Die Grünen und FDP und der größten und wichtigsten Oppositionsfraktion CDU/CSU, die fast genau so viele Bundestagsabgeordnete hat wie die SPD. Teilweise begann man schon fast, sich über den deutschen Kanzler lustig zu machen. So schrieb Jana PuglierinHead of European Council on Foreign Relations: „Fasse zusammen: Kanzler schließt Lieferung von Taurus aus mit der Begründung, die Deutschen können nicht das machen, was Briten und Franzosen machen, worauf Briten und Franzosen sagen, sie machen gar nicht, was der Kanzler sagt, das sie machen.“ Doch zurück zum Hofreiter-Interview.

Scholz‘ Begründung der Weigerung, Taurus zu liefern, ist ein Geste der Schwäche, genau das, was man gegenüber Putin nicht zeigen darf

Der Zustand des Verhältnisses von Scholz und Macron sei „offensichtlich zutiefst zerrüttet“, sagt Hofreiter. Das sei ein „Riesenproblem für die Europäische Union“ und es sei „ein Riesenproblem für unsere Sicherheit“. „Beide handeln unverantwortlich“, so der EU-Ausschuss-Vorsitzende weiter. „Macron mit seinem fahrlässigen Gerede über die Bodentruppen. Das verunsichert die Bevölkerung. Und Scholz mit seiner völlig unverantwortlichen Begründung für die Taurus-Absage.“ Das sei ja „eine Geste der Schwäche“ gegenüber Putin, „die ganz krass ist“, ja geradezu eine Einladung an Putin, andere Länder anzugreifen, nach dem Motto, wir können eh nichts tun, wir sind eh schwach“.

Hofreiter machte deutlich, er würde vom französischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler erwarten, dass diese „angesichts dieser schwierigen Lage ernsthaft vorgehen und sich einigen“. Man dürfe natürlich bestimmte Waffensysteme nicht ausschließen, man müsse diese liefern, denn: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man Putin mit Härte und Klarheit gegenüber treten muss.“ Erst dann bestehe eine Chance auf Frieden.

Wieder einmal hat der Kanzler keine Führungskraft gezeigt

Scholz warf Hofreiter auch vor, dass man nicht so mit Partnern umgehe, indem man sie öffentlich bloß stelle, noch dazu im französisch-deutschen Verhältnis, „noch dazu, wenn man selbst so große Schwächen zeigt wie Scholz“, so dass die andere Seite dann eben zurück feuere. In der Auseinandersetzung mit Putin „brauchen wir nicht solche kindischen Streitigkeiten“, so Hofreiter wörtlich, „sondern Führungskraft. Die hat der Kanzler mal wieder nicht gezeigt, mit seiner Entscheidung Nein zu Taurus zu sagen.“ Das „noch viel Schlimmere“als die Entscheidung selbst sei aber die Begründung, weil diese Begründung Schwäche ausstrahle. Und Schwäche wird von Putin gnadenlos ausgenutzt. Wenn wir Schwäche zeigen, dann ermuntert das Putin, den Krieg auszuweiten und nicht ihn zu beenden.“

Scholz sagt aus Schwäche erkennbar die Unwahrheit, was ein Sicherheitsrisiko für ganz Europa ist

Die Aussage des Bundeskanzlers, dass man Bundeswehrsoldaten bräuchte für die Taurus-Marschflugkörper, sei offensichtlich falsch. „Südkorea hat 260 Taurus und braucht für ihren Einsatz auch keine Bundeswehrsoldaten. Es wäre ja absurd, dass die darauf warten, bis die (Bundeswehrsoldaten) in Südkorea ankommen.“ Das sei in der Tat ein Riesenproblem, dass Scholz hier für alle, die sich auskennen, erkennbar die Unwahrheit sage. Das noch größere Problem sieht Hofreiter aber in dem Signal der Schwäche gegenüber Putin, weil „diese Aussagen zum Sicherheitsrisiko für ganz Europa und damit auch für Deutschland werden.“

Die haltlosen Ängste des Kanzlers bringen die Ukraine weiter in Schwierigkeiten

Falls Scholz‘ Weigerung damit zusammenhänge, dass er kein Vertrauen in die Ukrainer haben sollte, was diese dann mit Taurus machen, so sei auch dies „völlig haltlos“. Denn: Die ukrainischen Streitkräfte haben sich bis jetzt an alle Vorgaben gehalten, bei allen Waffen, die Deutschland bisher geliefert hat. Sie attackieren mit den westlichen Waffen die russischen Truppen nur auf ihrem eigenen Territorium, was völkerrechtlich überhaupt nicht notwendig ist und eigentlich eine fast absurde Bedingung ist“, so Hofreiter. Aber selbst an diese absurde Bedingung „halten sich die Ukrainer“ und daher gäbe es überhaupt keinen Hinweis, warum sie das bei Taurus nicht tun sollten. Und dann wird der Abgeordnete nochmals besonders deutlich: „Das heißt, das sind einfach nur die haltlosen Ängste des Kanzlers, die die Ukraine da einfach weiter in Schwierigkeiten bringen und Putin stärken.“

Scholz fällt immer wieder auf das aggressive Narrativ Putins herein und hält an 20 Jahren falscher SPD-Politik fest

Noch schlimmer mache es, dass Scholz immer wieder mit der Atomfrage spiele und damit „genau auf das aggressive Narrativ von Putin hereinfällt. Putin ist ein Verbrecher, Putin ist ein Imperialist, aber Putin ist kein Selbstmordattentäter, so Hofreiter wörtlich. Die ganzen letzten 20 Jahre und auch jetzt während des Russisch-Ukrainischen Krieges sei es immer so gewesen, „wenn wir Schwäche gezeigt haben, wenn wir zurückgewichen sind, ist er aggressiv vorangegangen“ und „wenn man Klarheit und Stärke gezeigt hat, ist er zurückgewichen“. Scholz aber halte an 20 Jahren falscher SPD-Politik fest und das könne „uns alle in große Schwierigkeiten bringen, wenn es Putin ermuntert, weitere Länder anzugreifen.“

Das Interview

Sehen und hören Sie hier das komplette gut sechsminütige Interview:

Röttgen: eine präzise Explikation der Lage durch Hofreiter mit welchen Konsequenzen?

Norbert Röttgen, CDU-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, kommentiert Hofreiters Analyse wie folgt: „Anton Hofreiter erklärt hier präzise die Lage. Die Frage ist: Was folgt daraus, wenn der Kanzler die Öffentlichkeit täuscht, seine Koalitionspartner vorführt und unsere engsten Verbündeten brüskiert?“

Möglich wäre ein konstruktives Misstrauensvotum, mit dem Scholz auch ohne Neuwahlen sofort abgewählt und ein neuer Kanzler gewählt werden könnte. Näheres dazu siehe hier.

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