Nicht in meinem Namen, Herr Steinmeier!

Von Jürgen Fritz, Do. 28. Feb 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte vorgestern ins Schloss Bellevue eingeladen zum Thema „Alles Glaubenssache?“. Hamed Abdel-Samad, ein profilierter Islamkritiker, der permanent unter Polizeischutz steht, ergriff hierbei das Wort und übte unter anderem scharf Kritik an Steinmeier, welcher der Islamischen Republik, einer präsidentiellen Theokratie (Gottesstaat), erneut ein Glückwunschtelegramm zur Islamischen Revolution geschickt hatte und dabei wörtlich schrieb „auch im Namen meiner Landsleute … herzliche Glückwünsche“„Nein, nicht in meinem Namen“ entgegnete Abdel-Samad und stellte Steinmeier damit vor 170 geladenen Gästen im Großen Saal des Schlosses bloß. JFB beleuchtet das Ganze umfassend.

Die Islamische Revolution

Der schiitische Klerus hatte im Iran stets großen Einfluss auf den religiösen und konservativen Teil der Bevölkerung, der westliche Einflüsse ablehnte. 1905 bis 1911 kam es zur Konstitutionelle Revolution. Getragen wurde diese liberale Revolution von westlich orientierten Kaufleuten, Handwerkern, Aristokraten und einigen Geistlichen. Die absolute Monarchie wurde durch ein parlamentarisches Regierungssystem abgelöst. Mit der Verabschiedung einer Verfassung mit bürgerlichen Grundrechten wurde eine konstitutionelle Monarchie eingeführt.

Reza Schah Pahlavi (1878 – 1944) ließ 1927 bis dahin gültige islamische Gesetze und Gerichte durch eine moderne Rechtsordnung westlicher Prägung ersetzen verbot das Tragen des Hidschāb und führte die koedukative Erziehung in den Schulen ein. Schon während der Konstitutionellen Revolution war es zu heftigen Diskussionen zwischen der Geistlichkeit und den bürgerlichen Kräften gekommen, welche Rolle der Islam in der Verfassung spielen solle. Später plädierte Chomeini (1902 – 1989) in seinen Schriften für die Vorherrschaft der Religion im politischen System des Iran. Eine Kommission schiitischer Geistlicher müsse jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz daraufhin überprüfen, dass es nicht den Gesetzen des Islam widerspreche, ansonsten sei es nichtig.

Der Sohn des Schahs von Persien, Mohammad Reza Pahlavi (1919 – 1980), suchte die Aussöhnung mit der Geistlichkeit und lud die in den Irak geflüchteten Ajatollahs ein, nach Iran zurückzukehren. Diese, vor allem der schiitische Geistliche Ruhollah Chomeini, setzten sich vehement gegen das Reformprogramm des Schahs, gegen die Weiße Revolution ein, die vor allem aus einer Landreform, der Stärkung der Rechte der Frauen und einer Alphabetisierungskampagne bestanden.

Chomeini sah darin einen Angriff auf den Islam und brandmarkte das Reformprogramm als „gegen Allah gerichtet“. Gleichwohl sprachen sich im Januar 1963 in einem Referendum über 99,9 Prozent für die Reformen aus. Daraufhin griff Chomeini im Juni 1963 den Schah in einer Rede persönlich an und betrieb Agitation gegen Israel, wobei er insinuierte Israel würde im Hintergrund gegen die iranische Geistlichkeit arbeiten, um die Herrschaft des Korans zu bekämpfen. Zwei Tage später wurde er verhaftet.

Nun kam es zu gewalttätigen Demonstrationen. Mehr als 10.000 Demonstranten zogen durch die Straßen Teherans, um gegen die Verhaftung Chomeinis zu protestieren. Der Premierminister musste die Armee zu Hilfe rufen, nachdem er nur noch mit einem gepanzerten Fahrzeug den Regierungssitz verlassen konnte. Im Ausnahmezustand marschierten Truppen in den Straßen auf und schossen auf Demonstranten. Tausende wurden verletzt, 32 kamen ums Leben. Chomeini und seine Anhänger verbreiteten aber das Gerücht, es seien 15.000 Demonstranten getötet worden, um die Stimmung noch mehr anzuheizen. Nach acht Monaten Hausarrest kam Chomeini wieder frei, begann aber sofort von neuem, gegen den Schah und seine Regierung zu agitieren. Im November 1964 wurde er ein weiteres Mal verhaftet und schließlich in die Türkei abgeschoben.

Im Oktober 1965 konnte er auf sein Drängen hin in den Irak reisen, wo er die nächsten 13 Jahre ungestört und frei leben konnte. Bis Anfang 1977 war er zwar zunehmend in Vergessenheit geraten, aber hier entstand sei wichtigstes Werk: Der Islamische Staat (1970). Chomeini gelang es allmählich, die Idee des gesellschaftlichen Fortschritts durch die Ausrichtung am Westen – eine der Grundlagen des Reformprogramms des Schahs – zu diskreditieren und eine eigene, islamische Fortschrittsideologie zu entwickeln. Die Verwestlichung sei eine Plage, die die iranische Gesellschaft vergifte. Immer mehr gelang es ihm, den als rückwärtsgewandt geltenden schiitischen Islam als fortschrittsorientiert erscheinen zu lassen. Der Islam würde den Weg weisen zur Befreiung der Dritten Welt vom Joch des Kolonialismus, Neokolonialismus und Kapitalismus.

Eines der zentralen Themen Chomeinis war, dass die Revolte und besonders der Kampf des Märtyrers gegen Ungerechtigkeit und Tyrannei zentraler Bestandteil des schiitischen Islam sei und dass Muslime dem Islam folgen sollten und nicht dem westlichen Weg (Liberalismus und Kapitalismus) oder dem östlichen Weg (Kommunismus). Mit diesen Gedanken fand er großen Anklang bei den Neuen Linken und Linksfaschisten, vor allem auch bei Intellektuellen, insbesondere in Frankreich. Nun kam es quasi zur Verbrüderung von Neuen Linken und radikalen schiitischen Muslimen.

Im Oktober 1978 wurde Chomeini von Saddam Hussein des Landes verwiesen und nach Frankreich abgeschoben. Erst hier war es für Chomeini möglich, mit den Möglichkeiten der internationalen Presse und dank der Unterstützung der Neuen Linken Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Verbreitung seiner Reden mittels Tonbandmitschnitten im Iran zu forcieren. Im Iran hatten sich in der Zwischenzeit drei Oppositionsbewegungen gebildet: a) eine militante maoistisch-marxistisch geprägte Volksmudschahedin, b) eine Nationale (Mitte-links) Front, vor allem aber c) die 1977 gegründeteVereinigung der kämpfenden Geistlichkeit, die später die Macht an sich reißen sollte.

Ab November 1977 begannen nach dem Tod des Sohnes Chomeinis die ersten militanten Anti-Schah-Demonstrationen. Gefordert wurden unter anderem: die Rückkehr Chomeinis aus dem Exil, die Freilassung aller politischer Gefangenen, die Wiedereröffnung aller Religionsschulen, die wegen ihrer politischen Aktivitäten geschlossen worden waren, Verbot der Pornographie, das Recht der Frauen, den Tschador zu tragen, Unabhängigkeit vom internationalen Kapitalismus und Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel, die Abschaffung der neuen, nach der 2500-Jahr-Feier eingeführten Jahreszählung und Rückkehr zum islamischen Kalender.

Ab Januar 1978 kam es zu Straßenschlachten, bei denen fünf bis sieben Menschen zu Tode kamen. Die Muslime verbreiteten jedoch Gerüchte, es seien mindestens 100 Menschen getötet worden. Später sprachen sie gar von 300 Toten. Im August 1978 steckten Islamisten in ganz Iran 28 Kinosäle in Brand. Dabei kamen mindestens 400 bis 600 Menschen ums Leben. Chomeini ließ aber das Gerücht verbreiten, der Geheimdienst des Schahs sei für die Kinobrände verantwortlich. Wieder gingen Tausende auf die Straße und demonstrierten gegen den Schah. Die Massendemonstrationen hörten jetzt nicht mehr auf, so dass der Schah im September 1978 unter Berufung auf das Kriegsrecht ein allgemeines Demonstrationsverbot ausrief. Jetzt kam es zusätzlich zu den Demonstrationen zu Massenstreiks, so dass die iranische Wirtschaft fast völlig einbrach.

Anfang Dezember 1978 kam es zu einer Massendemonstration mit über zwei Millionen Teilnehmern. Die aufgebrachte Menge forderte den Rückzug des Schahs und die Rückkehr von Ajatollah Chomeini. Im Januar 1979 trafen auf der Konferenz von Guadeloupe der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing, US-Präsident Jimmy Carter, der britische Premierminister James Callaghan und Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zusammen und beschlossen, den Schah nicht weiter zu unterstützen, stattdessen das Gespräch mit Ajatollah Ruhollah Chomeini zu suchen. Daraufhin verließ der Schah am 16. Januar 1979 sein Land und kehrte nie wieder zurück.

Am 1. Februar 1979 kam Chomeini mit dreißig bis vierzig hochtrainierten Libyern, die er als Bodyguards engagiert hatte, an Bord einer Air France-Maschine in Teheran an und wurde von Millionen Iranern begeistert empfangen. In den Augen vieler Schiiten war er bereits zu einem Messias geworden, zu einem von Allah gesandten Retter der Nation. Sofort nach seiner Ankunft erklärte Chomeini die konstitutionelle Monarchie, die Regierung und das Parlament für illegal und erläuterte, wie es weitergehen solle:

Ich werde die neue Regierung bestimmen. Ich werde (mit meiner Faust) auf den Mund der bestehenden Regierung schlagen. Ich werde eine Regierung ernennen. Mit der Unterstützung dieser Nation werde ich eine Regierung ernennen. Ich, aufgrund der Tatsache, dass diese Nation an mich glaubt …“ (Es ertönte Beifall und Allah u Akbar-Rufe.) … „Zusätzlich, dass Ihr Euer materielles Leben im Wohlstand führt, möchten wir, dass Euer spirituelles Leben zufriedenstellend ist. Ihr braucht Spiritualität. Gebt Euch nicht damit zufrieden, dass wir für Euch Häuser bauen. Wasser und Elektrizität werden auch kostenlos sein. Auch das Busfahren wird kostenlos sein.“

Es kam zu letzten Straßenkämpfen mit schahtreuen Truppen, doch es wurden alle Ministerien, Behörden, Kasernen und die Medien in Teheran von den Revolutionsgarden eingenommen. Am 11. Februar 1979 war die bisherige Ordnung völlig zusammengebrochen. Dieses Datum sollte später zum iranischen Nationalfeiertag werden.

Nur vier Tage später begannen bereits die ersten Hinrichtungen. Vier hohe Generäle waren die ersten Opfer der neuen islamischen Justiz. Chomeini persönlich hatte ihre Exekution angeordnet, weil sich das Militär neutral verhalten hatte. Zum ersten Mal in der neueren Geschichte des Irans wurde jemand zum Tode verurteilt, weil er der Korruption auf Erden Vorschub geleistet und sich gegen Allah gewandt habe. Fünf Tage später wurden vier weitere Generäle mit denselben Anschuldigungen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Am 22. Februar wurden 215 hochrangige Offiziere aus der Armee entlassen.

Chomeini war eigentlich nur ein Ajatollah unter vielen und hier auch nicht der ranghöchste. Über ihm stand insbesondere Großajatollah Kasem Schariatmadari, der erklärte, dass das von Chomeini vertretene politische Modell einer „Regierung der geistlichen Führer“ keine Basis in der schiitischen Theologie hätte. Aber Chomeini konnte sich durch geschickte taktische Züge gegen alle anderen Ajatollahs durchsetzen. Bei der Durchsetzung seiner Vorstellungen wandte Chomeini zwei Strategien an: die Strategie des Dschihad (Anstrengung/Kampf auf dem Weg Allahs) und die des Idschtihād (Findung von Normen durch eigenständige Urteilsbemühung).

Der Dschihad richtete sich hierbei gegen die eigene Bevölkerung. Dadurch sollte die Islamisierung der Politik und der Gesellschaft mit Gewalt durchgesetzt werden. Mit der Ausrufung des Dschihad stellte er ein für alle Mal klar, dass die von der säkularen Opposition als „iranische Revolution“ betrachtete revolutionäre Bewegung eine islamische Bewegung war, weswegen nicht von der „iranischen“, sondern von der „Islamischen Revolution“ zu sprechen sei.

Ende März 1979 ließ Chomeini die Islamische Republik per Referendum bestätigen. Noch bevor die Stimmen vollständig ausgezählt waren, rief Khomeini die Islamische Republik  aus. Später wurden vom Innenministerium in mehrfacher Hinsicht falsche Zahlen bezüglich des Referendums bekanntgegeben. Damit war der Jahrzehnte zuvor säkularisierte Iran zum Gottesstaat unter der Herrschaft einer Minderheit der höchsten geistlichen Autorität des schiitischen Islams geworden. Diese zögerte keine Minute, ihre Herrschaft mit brutalst möglicher Gewalt durchzusetzen.

Erstes Ziel des von Chomeini ausgerufenen Dschihad war es, die wichtigsten Militärs, Politiker, Ideologen und Unterstützer des Schahs zu eliminieren. Chomeini teilte die Bevölkerung des Irans in zwei Gruppen ein, a) die Armen bzw. Unterdrückten und b) die Reichen oder Unterdrücker. (Wenn sie das an die Ideologie der Neuen Linken erinnert, Stichwort „strukturelle Gewalt“, so ist das sicherlich nicht abwegig.) Alle, die in irgendeiner Weise mit der früheren Regierung in Verbindung gebracht werden konnten, waren „Unterdrücker“. Damit hatten sie sich am iranischen Volk und am Islam schuldig gemacht und dies musste sanktioniert werden.

Chomeini erklärte noch am selben Abend des Referendums, dass die verhafteten Repräsentanten des Pahlavi-Regimes keine „Angeklagten“ seien, deren Schuld man beweisen müsse. Sie seien vielmehr „Kriminelle“, deren Schuld zweifelsfrei feststehe. Es folgte die nächste Hinrichtungswelle. Am 7. April 1979 wurde der frühere Premierminister erschossen, zwei Tage später zwei weitere Generäle. Am 10. April 1979 wurden die früheren Leiter des Geheimdienstes und der Befehlshaber der kaiserlichen Garde exekutiert. Noch am selben Tag wurden der frühere Außenminister Abbas-Ali Chalatbari, der Präsident des Parlaments Abdollah Riazi, der Landwirtschaftsminister Mansur Rowhani und weitere Personen hingerichtet.

Am 13. Mai 1979 erklärte ein Revolutionsrichter den Schah, seine Frau Farah Pahlavi, Prinzessin Aschraf Pahlavi, den Bruder des Schahs Prinz Gholam Reza, den iranischen Botschafter in den USA, den ehemaligen Premierminister Dschafar Scharif-Emami, und weitere Generäle, die sich alle im Ausland befanden, für vogelfrei. Jeder, der diese Personen töte, handle im Auftrag des islamischen Revolutionsgerichts. Im August 1979 war ein neues Pressegesetz erlassen worden, das die Berichterstattung der ausländischen Medien einschränkte und das Meinungsmonopol der Regierung festigte. Bereits einige Tage zuvor war die größte Oppositionszeitung geschlossen und mehrere oppositionelle Journalisten verhaftet worden.

Das zweite Ziel des von Chomeini ausgerufenen Dschihad war es, die Oppositionsbewegung gegen den Schah zu einer rein islamischen Bewegung unter seiner Führung zu machen. Zum einen sollten Gegner in den Reihen der Ajatollahs wie Großajatollah Schariatmadari ausgeschaltet, zum anderen sollten auch die bürgerliche und die linke Opposition sowie die Guerillagruppierungen eliminiert werden.  Oppositionelle Geistliche sowie jegliche linker Opposition sahen sich einer brutalen Verfolgung ausgesetzt. Auch die bürgerliche Opposition der Nationalen Front wurde Opfer von Inhaftierungen, Folterungen und Hinrichtungen. Mitglieder der Volksmudschahedin wurden verhaftet und ermordet.

Anfang November 1979 kam es zur Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran durch radikale Studenten und zum Beginn der mehr als einjährigen Geiselnahme von Teheran, für die Chomeini zuvor in einer Erklärung indirekt aufgerufen hatte: „Es ist deshalb Sache der lieben Schüler, Studenten und Theologiestudenten, mit all ihrer Kraft die Angriffe gegen die USA und Israel zu verstärken, so dass sie die USA zwingen können, den abgesetzten und kriminellen Schah auszuliefern …“

Das dritte Ziel des von Chomeini mit der Besetzung der amerikanischen Botschaft ausgerufenen Dschihad war der Aufbau einer islamischen Ordnung mit einem Präsidialsystem bestehend aus einer Exekutive, Legislative und Jurisprudenz, die sowohl ihm, dem obersten Führer, wie dem iranischen Volk verantwortlich waren. Das tägliche Leben der Bevölkerung sollte durch einen moralischen Kodex für jedermann und Bekleidungsvorschriften für Frauen in eine islamische Konformität gezwungen werden. Die Revolutionswächter wurden gegründet, um die Einhaltung der islamischen Ordnung zu überwachen.

Neben dem Dschihad gab es immer auch eine Dimension des Idschtihād, der schöpferischen Auslegung und Anwendung des Islams. Chomeini ließ neben den Dschihadis auch eine islamische Oppositionsbewegung zu, die sich selbst als Reformer betrachteten. Damit war eine systemimmanente politische Diskussion zwischen den Hardlinern und den Reformern eröffnet, die das islamische System als Ganzes nicht in Frage stellen, sondern politisch stabilisieren würde.

Hamed Abdel-Samad: Nicht in meinem Namen

Soweit also die Vorgeschichte. Nun ließ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) auch zum 11. Februar 2019, wie schon im Jahr zuvor und wie sein Vorgänger Joachim Gauck und viele andere Bundespräsidenten, ein Glückwunschtelegramm zur gelungenen Islamischen Revolution 1979 gen Teheran schicken und zwar „auch im Namen meiner Landsleute“, ohne diese natürlich zuvor zu befragen. Wozu auch? Ein Präsident weiß ja schließlich, was sein Volk will und was es denkt, sonst wäre er ja nicht Präsident, nicht wahr? Dem widersprach vorgestern aber Hamed Abdel-Samad:

Steinmeier: Das sind jahrzehntelange diplomatische Gepflogenheiten

Steinmeier (seine komplette Rede von vorgestern ist hier nachlesbar) ist dagegen der Auffassung, wenn Deutschland gehört werden wolle, brauche es das Bemühen, „den Gesprächsfaden nie völlig abreißen zu lassen“. Das sei keine neue Erkenntnis, sondern spiegele „sich in jahrzehntelangen diplomatischen Gepflogenheiten wider“.

JFB hat nun auf der Website des Bundespräsidenten nachgeschaut, wo seit vorgestern fast alle Telegramme der Bundespräsidenten an den Iran angeführt sind, wie genau es Steinmeiers Vorgänger gemacht haben, ob hier vielleicht Unterschiede festzustellen sind, und fand dabei folgendes heraus:

„Zwischen Staaten, die diplomatische Beziehungen unterhalten, werden üblicherweise Schreiben zum jeweiligen Nationalfeiertag versandt. So hat der Bundespräsident im Jahr 2018 an 187 Staatsoberhäupter entsprechende Schreiben verschickt…“

Sodann sind fast alle Telegramme an die sogenannte „Islamische Republik Iran“ zu deren Nationalfeiertag aus den Jahren 1980 bis 2019 angeführt. Hier eine kleine Auswahl der Telegramme, die jeweils an den iranischen Staatspräsidenten (zunächst Bani Sadr, dann Khamenei, Rafsanjani, Chatami und zuletzt Ruhani) versendet wurden:

  • Carl Carstens (CDU) 1980: „Zum Nationalfeiertag der Islamischen Republik Iran übermittle ich Ihnen, zugleich im Namen des deutschen Volkes, herzliche Glückwünsche. Ich verbinde damit die Hoffnung auf eine baldige Wiederherstellung des Friedens für Ihr Land, auf eine glückliche Zukunft des iranischen Volkes sowie auf gute Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern und Völkern.“
  • Ab 1982 ließ Carstens das „herzliche“ vor „Glückwünsche“ weg, 1984 schrieb er „meine besten Wünsche“. Der Text war ansonsten (fast) identisch.
  • Richard von Weizsäcker (CDU) versendete ab 1985 den nahezu gleichen Text, kehrte wieder zu „meine Glückwünsche“ zurück.
  • Ab 1987 veränderte sich unter Weizsäcker der Mittelteil wie folgt: „Ich verbinde damit meine besten Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen, für die baldige Wiederherstellung des Friedens und eine glückliche Zukunft des befreundeten iranischen Volkes…“
  • Das „befreundet“ blieb bis 1996 im Text erhalten. Erst unter Roman Herzog (CDU) fiel es weg.
  • Ab 1999 übermittelt Roman Herzog dann wieder herzliche Glückwünsche.
  • Johannes Rau (SPD) spricht 2000 zusätzlich von hohe(r) Wertschätzung„.
  • 2001 erwähnt Rau die „Belebung des Kulturaustauschs und die Wiederaufnahme wissenschaftlicher Zusammenarbeit“. Der Rau-Telegramme werden auch immer länger.
  • 2002 spricht Rau von vertrauensvolle(r) Zusammenarbeit.
  • 2004 wird das Rau-Telegramm noch länger. Rau schreibt jetzt unter anderem: „Die Beziehungen zwischen unseren Ländern sind durch gegenseitigen Respekt und eine große Vielfalt politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Kontakte zwischen unseren Gesellschaften gekennzeichnet. Die vertrauensvolle politische Zusammenarbeit zwischen unseren Nationen trägt zur Sicherung von Frieden und Stabilität bei. Auf ihrer Grundlage konnten wir auch im vergangenen Jahr unsere Beziehungen weiter ausbauen…“
  • Unter Horst Köhler (CDU) wird das Telegramm 2005 sofort deutlich kürzer (11 statt 18 Zeilen), 2006 noch kürzer (4 Zeilen). Jetzt heißt es nur noch: „Herr Präsident!
    Zum Jahrestag der Islamischen Republik Iran übermittle ich Ihnen und dem iranischen Volk meine guten Wünsche. Mit meinem Glückwunsch verbinde ich die Hoffnung, dass es Ihnen gelingen möge, Frieden und Entwicklung für Ihr Land zu bewahren.“ Das auch im Namen meiner Landsleute“ fehlt jetzt.
  • Ab 2007 wird unter Köhler gar kein Telegramm mehr versendet zum iranischen Nationalfeiertag.
  • Auch unter Christian Wulff (CDU) wird keines versendet.
  • Ab 2014 versendete dann der parteilose Joachim Gauck wieder ein Glückwunschtelegramm, das mit folgenden Worten begann: „Herr Präsident,
    zum Nationalfeiertag der Islamischen Republik Iran übermittle ich Ihnen, auch im Namen meiner Landsleute, meine herzlichen Glückwünsche …“ 
  • Frank-Walter Steinmeier (SPD) setzt dies ab 2018 fort. Der Text wird wieder deutlich länger (17 bis 19 Zeilen) und beides kommt vor „auch im Namen meiner Landsleute“ und „herzlichen Glückwünsche. Was man Steinmeier wohl zu Gute halten muss, ist, dass er auch die Opposition im Iran anspricht. „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie in Ihrem Ansatz zu bestärken, mit den Menschen, die zum Jahreswechsel in Iran protestierten, in einen echten Dialog über ihre Anliegen zu treten und auf ihre legitimen Sorgen und Forderungen einzugehen.“

Insgesamt fällt auf, dass inbesondere die SPD-Bundespräsidenten eine noch größere Nähe zum Iran gesucht haben. Die Absetzung des Schahs und die Vollendung der islamischen Revolution kam ja 1979 auch zustande unter Mithilfe der damaligen SPD-FDP-Regierung unter Helmut Schmidt. Doch geben wir Hamed Abdel-Samad nochmal das Wort.

Hamed Abdel-Samad schreibt dazu auf seiner Facebook-Seite:

„Heute war ich im Rahmen einer Diskussion zum Thema ‚Religion und Demokratie‘ im Schloss Bellevue zum ersten Mal eingeladen. Vermutlich auch zum letzten Mal. Ich hätte die Gelegenheit nutzen können, um mich beim Bundespräsidenten zu bedanken, dass er nun doch auch Kritikern wie mir eine Bühne bietet. Doch ich bin kein Untertan von Herrn Steinmeier, sondern ein Staatsbürger und ein kritischer Schriftsteller. Es war kein Eklat wie die Bildzeitung titelt, sondern ein Stück gelebte Demokratie. Ich habe dem Bundespräsidenten wegen seiner Glückwünsche an das iranische Regime anlässlich des Jahrestages der iranischen Revolution kritisiert. Ich war nicht das erste das der tat, doch vermutlich der erste der es dem Bundespräsidenten ins Gesicht sagte. Ich habe ihm gesagt:

Sie haben im Namen aller Deutschen dem iranischen Regime gratuliert, doch das dürfen Sie nicht tun. Als Deutscher Staatsbürger sage ich Ihnen: Nicht in meinem Namen! Sie haben die falschen Signale sowohl an das Regime im Iran, an die demokratischen Opposition im Land und im Exil, an die zehntausenden Opfer dieses Regimes und ihre Angehörigen, als auch an die deutsche Bevölkerung gesendet. Ans Regime schickten Sie das Signal ‚Weiter so‘, an die Opposition ‚Ihre Mühe interessieren mich nicht‘ und an die deutsche Bevölkerung ‚Wir nehmen unsere eigenen Werte nicht wirklich ernst.‘ Deshalb wiederhole ich: Nicht in meinem Namen!“

Das haben wir schon immer so gemacht

Julian Reichelt, der Bild-Chefredakteur fand zu der Begründung und Rechtfertigung Steinmeiers folgenden, wie ich meine, sehr treffenden Kommentar:

„Die schlechteste Begründung der Welt lautet: ‚Das haben wir schon immer so gemacht.‘ … Genau damit rechtfertigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine absurd freundliche Glückwunschdepesche an das islamistische Mullah-Regime anlässlich seiner mörderischen Revolution im Iran – ‚im Namen meiner Landsleute‘.

Müssen solche Glückwünsche wirklich sein, weil sie den Gepflogenheiten der Diplomatie entsprechen? Nein, müssen sie nicht. Menschen, die Homosexuelle an Kränen aufhängen und vergewaltigte Frauen als Ehebrecherinnen hinrichten, haben keine Höflichkeiten verdient und schon gar keine Gratulation zum Gründungstag ihrer abscheulichen Tyrannei.“

Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen.

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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