Der tiefste Grund für die Degeneration der westlichen Welt

Von Jürgen Fritz, Mi. 26. Nov 2019, Titelbild: Screenshot aus The Tree of Life

„Ich glaube, dass es heutzutage kein interessanteres Thema gibt als die Bildung, als die Frage: Wie erziehen wir unsere Kinder? Welche Werte vermitteln wir Ihnen? Die Bildung ist das höchste Gut, das wir unseren Kindern bieten können.“ (Cat Stevens) – „Kinder werden als asoziale und egoistische Wesen geboren. Die Werte der Zivilisation, die des Menschen Gemeinschaft von der Horde unterscheidet, müssen ihnen erst nach und nach vermittelt werden. Das ist Aufgabe der Erziehung.“ (Ulrich Wickert) „Es kann keine Revolution ohne radikale Veränderungen im Erziehungswesen geben.“ (H.G. Wells) – „Erziehung ist Erziehung zur Freiheit.“ (Ludwig Börne)

Vom Gleichheitsfetisch zur Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit

Ist es nicht verrückt? Der Teil der Welt, der geistig und sittlich (moralisch, menschlich, charakterlich) am höchsten entwickelt ist, lehnt seit geraumer Zeit ein dreidimensionales Weltbild ab, frönt stattdessen einem kulturellen und ethischen Relativismus und Gleichheitsfetisch. Das heißt, dort kennt man immer weniger ein Oben und ein Unten. Alles sei auf einer Ebene, reden insbesondere die Ethnologen, Kultur- und Sozialwissenschaftler, denen es aus meiner Sicht an philosophischer Bildung mangelt, den Menschen seit vielen Jahrzehnten, teilweise seit Jahrhunderten ein (z.B. Johann Gottfried Herder, 1744 – 1803). Die Menschen und Kulturen wären nicht unterschiedlich gut und unterschiedlich wertvoll, nicht besser oder schlechter, sondern nur „anders“.

Damit wird aber letztlich alles beliebig, wenn es kein besser und kein schlechter gibt. Und Beliebigkeit führt in die Orientierungslosigkeit, erzeugt oft auch das Gefühl der Sinnlosigkeit. Und noch etwas kommt hinzu, das mir der Schlüssel zum Verständnis des Ganzen zu sein scheint.

Ziel der Erziehung ist es, die Fähigkeit zur Selbsterziehung zu vermitteln

Die Bedingung der Möglichkeit von Erziehung geht verloren. Daher sprechen Neue Linke seit Jahrzehnten konsequenterweise immer weniger von Erziehung stattdessen von Sozialisation, was nicht dasselbe ist. Erziehung ist ein planvolles Handeln, Sozialisation ein Geschehen ohne planenden Akteur, ohne eine Zielrichtung. „Ich sträube mich ja immer gegen Pädagogik. Ich glaube ja, dass die Kinder die Eltern erziehen“, so Bernadette La Hengst vor elf Jahren (Sonntag Aktuell Nr. 19/2008 vom 11.Mai 2008, S.7).

Der Erziehungsprozess beruht auf einem hierarchischen Verhältnis der Reife, des Wissens und Könnens: der Erzieher ist dem zu Erziehenden überlegen. Sie stehen nicht auf einer Stufe. Und die Erzieher entwerfen Pläne, Erziehungs- und Bildungspläne, wie die Kinder sukzessive auf immer höhere Stufen gehoben werden können, bis sie endlich die gleiche Stufe erreicht haben wie die Erzieher (oder sogar höhere). Nun sind sie im Idealfall mündig und emanzipiert, können selbstständig ihr Leben bestreiten, sich in die Gemeinschaft einbringen, diese mittragen und mitgestalten. Der Fremd-Erziehungsprozess endet, nicht aber der Erziehungsprozess.

Denn Ziel der Erziehung zur Mündigkeit, zur Freiheit, zur Selbstbestimmung ist, dass der zu Erziehende in die Lage versetzt wird, sich selbst weiter zu erziehen. Dazu müssen diese höheren Kräfte in ihm (der große Bruder in sich selbst, den manche nach außen projizieren und dann für Gott halten, was vielen offenbar hilft) zunächst entwickelt werden, damit er dazu fähig wird, damit er diesen inneren Dialog mit sich führen kann, damit er diese Stimme von oben vernehmen und ihr, damit sich selbst und anderen Rechenschaft ablegen kann.

Ohne Vertikalität kein Nach-oben-Ziehen, keine Erziehung

Indem also die Hierarchien abgebaut, zerstört, negiert werden, wird gleichsam die Bedingung der Möglichkeit von Erziehung torpediert, sowohl der Fremd- wie auch der Selbsterziehung, weil es ja kein Oben mehr gibt, das dorthin, zu sich hinauf ziehen könnte. Da die Erwachsenen – natürlich nicht alle, aber doch sehr viele – seit vielen Jahrzehnten zunehmend diese vertikale Orientierung verloren haben, siehe Bernadette La Hengst, teilweise schon gar nicht mehr kennen, können sie natürlich auch keine echten Erzieher mehr sein, weil sie selbst keine Orientierung mehr haben. So begegnen sie dann auch ihren Kindern, Schülern und Studenten, denen sie somit ebenfalls keine Orientierung zu geben vermögen, was bei diesen wiederum bewirkt, dass sie wenig Respekt haben vor diesen Erwachsenen. Warum sollten sie den dann auch noch haben?

Fremdsteuerung oder Manipulation sei das Gegenteil von Erziehung, sagt die promovierte Philosophin Caroline Sommerfeld, eine der Vordenkerinnen der Neuen Rechten, nicht ganz richtig. Fremdsteuerung ist bei den ganz Kleinen natürlich noch notwendig, darf aber – insofern ist es auch nicht ganz falsch, was sie sagt – nicht zum Selbstzweck werden und muss ab einem bestimmten Zeitpunkt die Würde des anderen achten, immer aber, von Anfang an auf das langfristige Wohl des Kindes selbst ausgerichtet sein (Wohlwollen, Liebe). Denn sonst artet es aus zur Dressur, wie wir das aus anderen Kulturkreisen kennen, die ich hier lieber nicht namentlich erwähne.

Die Fremdsteuerung muss aber, wenn es echte Erziehung und nicht nur Dressur und Abrichtung sein soll, die Befähigung zur Mündigkeit, zur Emanzipation (Befreiung von Fremdbestimmung) und die Befähigung zur Selbsterziehung zum Ziel haben. Es muss also tatsächlich ein nach oben ziehen und kein nach unten drücken sein. Dies setzt wiederum ein Oben und ein Unten, eine Hierarchie voraus. Nur wer schon oben ist, kann einen anderen dorthin ziehen, was wiederum eine Vertikalität voraussetzt. Ohne diese gibt es kein nach oben ziehen. Es setzt voraus, dass die Erzieher das selbst können, also selbst mündige Menschen und Bürger, emanzipiert und zur Selbsterziehung fähig sind. Ansonsten fehlt ihnen die Voraussetzung, die Bedingung der Möglichkeit ein echter Erzieher sein zu können, das heißt nicht auf der gleichen Stufe zu stehen, sondern auf einer deutlich höheren.

Erziehung, nicht Manipulation und Gewalt ist der Schlüssel für eine bessere Welt

Vor diesem Hintergrund kann man dann mit Caroline Sommerfeld wiederum sagen: „Erziehung ist souveränes Balancieren über dem offenen Abgrund im Menschen.“ Der Abgrund oder die Abgründe sind immer da. Sie sind in uns, in jedem Einzelnen. Und der Kampf gegen diese muss jeden Tag aufs Neue geführt werden. Erziehung ist also immer auch ein Sich-selbst-Erziehen. Oder wie Helmut Schmidt zu sagen pflegte: Wir können alle noch ein bisschen besser werden.

Und jetzt wird vielleicht auch verständlich, warum ich gegen die Massenimmigration Kulturfremder bin. Nicht weil sie „anders“ sind, sondern weil sie oftmals völlig anders erzogen wurden. Genauer: weil sie diese Erziehung zur Freiheit, zur Mündigkeit, zur Emanzipation nicht mitbringen, wie sie auch viel Wissen und Können nicht mitbringen. Und weil man Jugendliche und Erwachsene, die bereits völlig anders geformt wurden, nicht mal einfach so umerziehen kann, zumal man dies nicht erzwingen darf, wie es die kommunistischen Chinesen gerade mit den Uiguren in ihren Umerziehungslagern praktizieren.

Eine liberale Gesellschaft, die die Würde (Selbstbestimmung) des anderen achtet, kann nur Angebote unterbreiten, kann aufklären, appellieren, aufzeigen, im Idealfall vorleben. Dies bewirkt aber erfahrungsgemäß bei Menschen, die regelrecht abgerichtet wurden, meist eher wenig, weil der Dressierte sich in seinem andressierten Konstrukt sicher fühlt. Warum sollte er dieses Gefühl der Sicherheit aufgeben? Dazu sind – und da müssen wir uns ehrlich machen, auch wenn es eine bittere Erkenntnis ist – die wenigsten Menschen fähig. Eine auf Freiheit beruhende Umerziehung gelingt in den allerwenigsten Fällen, im Grunde, bis auf wenige Ausnahmen, fast nie. Dies muss vielmehr von klein auf erlernt werden. Daher ist Erziehung und nicht Manipulation und Gewalt so wichtig, ja ist der Schlüssel für die Gesellschaft von morgen, der Schlüssel für eine bessere Welt.

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