Von Jürgen Fritz, Sa. 08. Feb 2020, Titelbild: phoenix-Screenshot Christian Hirte
Ich möchte hiermit ein öffentliches Geständnis ablegen und eine Selbstanzeige machen: Ich habe Thomas Kemmerich nach seiner Wahl zwar nicht persönlich gratuliert, habe aber zuhause – ich war alleine, insofern gibt es keine Zeugen – laut gelacht und mehrfach in die Hände geklatscht.
Einmal „falsch“ gratuliert und schon den Job los
Er hat es gewagt, Thomas Kemmerich, dem Kollegen von der FDP, unmittelbar nach seiner Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten, als noch nicht klar war, was diese Wahl alles nach sich ziehen würde, zu gratulieren. Dies waren die wahrscheinlich folgenreichsten Glückwünsche, die Christian Hirte (CDU) je ausgesprochen hat. Denn er hat etwas Ungeheuerliches getan: Jemandem gratulieren, der demokratisch und völlig ordnungsgemäß von einem wiederum regulär gewählten Landtag gewählt wurde, das aber mit den Stimmen der AfD, ohne die es für den Wahlsieg nicht gereicht hätte.
Zu diesem Zeitpunkt war der 43-Jährige noch Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie (Peter Altmaier, CDU) im Kabinett Merkel IV. In diesem Amt war er gleichzeitig Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Doch keine drei Tage später ist Christian Hirte diesen Job los, wie er heute vormittag verkündete:
„Frau Bundeskanzlerin Merkel hat mir in einem Gespräch mitgeteilt, dass ich nicht mehr Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Länder sein kann. Ihrer Anregung folgend, habe ich daher um meine Entlassung gebeten.“
Was war geschehen?
Noch am Mittwoch, dem 5. Februar, brach ein wahrer Shitstorm über Christian Hirte herein:
Christian Dulig, SPD-Vorsitzender Sachsen, Ostbeauftragter der SPD, stellv. Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr:
„Ein von Björn Höcke und der AfD gewählter MP einer 5-Prozent Partei ist kein Kandidat der Mitte. Es ist beschämend!“
Derya Türk-Nachbaur, SPD:
„Sie machen sich zur Marionette eines amtlich bestätigten Faschisten und feiern sich noch dafür. An Ihrer Stelle würde ich in Sack und Asche gehen. Shame on you!“
Marina Weisband, ehemaliges Mitglied des Bundesvorstands der Piratenpartei
„Schämen Sie sich.“
Kerstin Griese, SPD-Bundestagsabgeordnete, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales. EKD-Ratsmitglied:
„Wie bitte? Man paktiert nicht mit Nazis. Punkt.“
Ruprecht Polenz, CDU, die graue Eminenz, ehemaliger Generalsekretär unter Merkel:
„Wie können Sie die Umstände der Wahl ignorieren? Die Kandidatur von Kemmerich war ein Fehler, dass die CDU ihn angesichts des vorhersehbaren Verhaltens der AfD mitgewählt hat, war ein Riesenfehler. Und Sie gratulieren.“
Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen:
„Sie sollten sich schämen, die Zusammenarbeit mit Faschisten als Koalition der Mitte zu bezeichnen. Widerlich.“
Sven Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen:
„Paktieren mit Nazis und dazu auch noch Gratulieren, was für eine Schande.“
Tanja Bültmann, Professorin für Geschichte an der Northumbria University, spezialisiert auf die Geschichte der Migration und der Diaspora, Bürgerrechtlerin und Gründerin der EU Citizens ‚Champion-Kampagne:
„Ein Kandidat der Mitte lässt sich nicht von Nazis wählen. Und in diesem Zusammenhang vom „Wohle“ eines Bundeslandes zu sprechen ist unfassbar. Glauben Sie diesen Mist wirklich … oder freuen Sie sich, dass es nun diesen Dammbruch gab und Ihre CDU direkt neben den Nazis steht?“
Heute teilte ihm die Kanzlerin dann mit, dass er nicht mehr Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Länder sein könne.
Kommentare auf diese Abberufung
Die AfD-Heidelberg kommentierte dies wie folgt:
„Seine Glückwünsche waren ‚unverzeihlich‘, sie mussten ‚korrigiert‘ werden. Die Anregung von Frau #Merkel kam auf Anregung von Frau #Esken.“
In der Tat hatte wohl die SPD-Spitze, die permanent droht, aus der „GroKo“ auszusteigen, wodurch Merkels Kanzlerschaft wohl beendet wäre, diese unter Druck gesetzt.
Luisa Neubauer, Klimafanatikerin, Fridays For Future:
„Gut.“
Julia:
„Sein ‚Vergehen‘: Er hat sich über die Wahl von #Kemmerich gefreut.“
Derya Türk-Nachbaur, SPD:
„Ein richtiger Schritt, der auch hätte 48 Stunden vorher passieren können/müssen.“
Christian Storch, politischer Berater im Bundestag, vorher stellvertretender Landesgeschäftsführer und stellvertretender Pressesprecher in die Parteizentrale von Bündnis 90/Die Grünen Sachsen direkt an Christian Hirte gewandt:
„Hier auch nochmal zum Verständnis für Sie: Sie werden ENTLASSEN!“
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken „begrüßte die Entlassung Hirtes“, wie es so schön hieß. Ein Verbleib im Amt wäre für ihre Partei nicht tragbar gewesen. Soll heißen: Esken und Walter-Borjans dürften Christian Hirtes Entlassung regelrecht gefordert haben – sie wollen Köpfe rollen sehen – und Merkel hat exekutiert.
Christian Hirte „werden viele folgen müssen“
Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, der Strippenzieher der SPD im Hintergrund, meinte auf Twitter, der erste „Trittbrettfahrer der blau-schwarz-gelben Schande“ müsse gehen: „Ihm werden viele folgen müssen.“ Auf Nachfrage nannte er unter anderem die Namen von Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring und Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP).
Roland Tichy, Wirtschaftsjournalist, Herausgeber TichysEinblick, Vorsitzender Ludwig-Erhard-Stiftung, kommentiert die ganzen Vorgänge wie folgt:
„Nicht nur eine demokratische Wahl wird ‚rückgängig‘ gemacht – auch Gratulanten werden für ihre Höflichkeit bestraft. Das System Merkel dreht durch.“
Und Hans-Peter Friedrich (CSU), Vizepräsident des Deutschen Bundestages repliziert:
„Mensch @RolandTichy, was heißt hier ‚demokratische Wahl‘. Sie können doch nicht einfach die Mehrheit entscheiden lassen, wenn eine moralisch höherwertige Minderheit anderer Meinung ist. Wir müssen Demokratie völlig neu denken.“
Endlich richtig aufräumen und alles bis in die letzten Ecken säubern
Und apropos CSU: Frau Merkel, gucken Sie mal, da ist noch eine, die Thomas Kemmerich gratuliert hat: Dorothee Bär, Ihre Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung (die sich freilich bereits öffentlich dafür entschuldigt hat, einem Kollegen von der FDP für seine Wahl zum Regierungschef gratuliert zu haben):
Die müssen Sie jetzt auch – Entschuldigung hin oder her – rausschmeißen. Markus Söder, der CSU-Vorsitzende wird da sicher zustimmen. Mal sehen, vielleicht finden wir zusammen noch mehr Menschen, die Kemmerich gratuliert haben und die wir absägen können. Kevin Kühnert und Saskia Esken helfen bestimmt auch bei der Suche. Jetzt können Sie mit den beiden zusammen endlich richtig aufräumen und den ganzen Politikbetrieb in Deutschland bin in die hintersten Ecken säubern.
P.S.
„Winston … rannte nicht mehr und schrie nicht mehr Hurra. Er war wieder im Ministerium für Liebe, alles war vergessen, seine Seele schneeweiß. Er saß auf der öffentlichen Anklagebank, gestand alles, belastete jedermann. Er schritt den mit weißen Fliesen belegten Gang hinunter mit dem Gefühl, im Sonnenschein zu wandeln, und ein bewaffneter Wachposten ging hinter ihm drein. Das langerhoffte Geschoß drang ihm in sein Gehirn. Er blickte hinauf zu dem riesigen Gesicht. Vierzig Jahre hatte er gebraucht, um zu erfassen, was für ein Lächeln sich unter dem dunklen Schnurrbart verbarg. O grausames, unnötiges Mißverstehen! O eigensinniges, selbst auferlegtes Verbanntsein von der liebenden Brust! Zwei nach Gin duftende Tränen rannen an den Seiten seiner Nase herab. Aber nun war es gut, war alles gut, der Kampf beendet. Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.“ (George Orwell: 1984, Schlussszene)
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