Warum nahm Hessens Finanzminister Thomas Schäfer sich selbst das Leben?

Von Jürgen Fritz, Mo. 30. Mär 2020, Titelbild: hr-Screenshot

Am Samstag wurde die Leiche des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer an den Bahngleisen der ICE-Bahnstrecke in der Gemarkung Hochheim, Südhessen, gefunden. Offenbar nahm er sich aus Verzweiflung selbst das Leben. Es gibt einen Abschiedsbrief, in welchem er gewisse Andeutungen macht. Auch in seiner Landtagsrede vom letzten Dienstag sagte er einige dramatische Dinge voraus.

Vor den ICE geworfen

Am Samstagvormittag gegen 10:20 Uhr wurde nach Auskunft der Polizei der Rettungsleitstelle eine leblose Person im Bereich der Bahngleise der ICE-Strecke in der Gemarkung Hochheim gemeldet. Nachdem die alarmierten Einsatzkräfte dort ankamen, fanden sie eine männliche Leiche vor. „Aufgrund der Verletzungen konnte die Identität des Mannes nicht unmittelbar festgestellt werden“, heißt es in der Polizeimeldung weiter. „Kriminalbeamte des Polizeipräsidiums Westhessen leiteten umgehend ein Todesermittlungsverfahren ein. Dabei wurde festgestellt, dass es sich bei dem Toten um den 54-jährigen Hessischen Finanzminister Dr. Thomas Schäfer handelt“, so das Polizeipräsidium Westhessen.

In einer weiteren Polizeimeldung hieß es dann: „Aufgrund der Gesamtumstände, der umfangreichen Tatortarbeit, der Befragung zahlreicher Zeugen, der Auffindesituation vor Ort sowie technischer und kriminalwissenschaftlicher Auswertungen und Untersuchungen, ist von einem Freitod von Herrn Dr. Schäfer auszugehen.“

Laut BILD hatte der Fahrer eines ICE in Richtung Köln die Leiche an der Bahnstrecke entdeckt und sofort die Rettungsleitstelle informiert. Wie sich herausstellte, hatte der vorausgefahrene ICE 103 Thomas Schäfer zuvor erfasst. Auf Grund der hohen Geschwindigkeit hatte der Fahrer des ICE 103 den Zusammenstoß mit dem Körper gar nicht bemerkt. Später wurden aber Spuren an diesem Zug gesichert. Schäfer hinterlässt eine Frau und zwei Kinder im Alter von 9 und 12 Jahre.

Schäfer hielt am Dienstag noch eine dramatische Landtagsrede

Thomas Schäfer war seit 2010 hessischer Finanzminister. Im letzten Jahr hatte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU, 68) in einem Interview angedeutet, dass er vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit im Herbst 2023 die hessische Staatskanzlei räumen und Platz für einen Nachfolger machen könnte. Thomas Schäfer galt vielen als Kandidat auf dessen Nachfolge. Am Dienstag, den 24.03.2020, hatte Schäfer im Hessischen Landtag noch eine Rede zur Coronakrise gehalten und darin folgendes gesagt:

»Jetzt stehen wir am Anfang einer Entwicklung unbekannter Dimension. Ja ich sage, das ist mindestens mal eine Jahrhundertaufgabe, vor der wir stehen, und wo wir keineswegs wissen, mit welcher Dynamik es weitergeht. (…) Jeder hat so sein persönliches Erlebnis, was war so vor zwei Wochen. (…) Wahrscheinlich wird der gemeinsame Rotwein die Erinnerung an den letzten einigermaßen fröhlichen Abend für eine ganz lange Zeit an der Stelle sein. Das hätten wir vor zwei Wochen kaum ahnen können.

Und stellen wir uns gemeinsam vor, dass die Dynamik dieser Entwicklung der letzten zwei Wochen so weitergeht. Das Problem ist, dass das epidemiologische Grundgeschehen, das dahinter liegt, exponentiellen Charakter hat, so dass nicht auszuschließen ist, dass die Folgewirkungen genauso exponentielle Wirkungen haben werden. So dass wir alle aufgerufen sind, allen Menschen in diesem Land zu versichern, dass wir alle alles Menschenmögliche tun werden, um größtmöglichen Schaden von den Menschen in diesem Land abzuwenden. Alles Menschenmögliche zu tun.

Ich würde nur gerne davor warnen, mit Operationen, mit Forderungen, wie Garantien für erstens, zweitens, drittens, viertens, fünftens zum jetzigen Zeitpunkt zu arbeiten. Wir alle laufen in eine Entwicklung hinein, ich wiederhole es, die wir nicht absehen können. (…) Wir alle wünschen uns, glaube ich, dass wir eine Chance hätten, uns in den Status von vor einem halben Jahr zurückzaubern zu können. Aber das geht leider nicht. Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen. Deswegen befinden wir uns auch finanzpolitisch in einer extrem dynamischen Lage …«

Sodann machte Schäfer deutlich, dass bis zum Wochenende davor im ersten Schritt noch eine Nettokreditaufnahme von einer Milliarde Euro geplant war zur Bekämpfung der Corona-Krise, man sich aber durch die Entwicklung am Wochenende (21./22.03.2020) entschieden habe, das zu verdoppeln auf zwei Milliarden Euro, die man dem Parlament vorschlage. Und er deutet an zu erwarten, dass man schon bald wieder zusammensitzen werde, um weitere Gelder beschließen zu müssen, nicht nur in Hessen, sondern bundesweit.

Volker Bouffier zum Tod von Thomas Schäfer

Diese Rede hielt Thomas Schäfer, wie gesagt, am Dienstag, den 24.03.2020. Vier Tage später, am Samstagvormittag, nahm er sich, so der jetzige Ermittlungsstand selbst das Leben.

Am Sonntag gab der Ministerpräsident Volker Bouffier dann eine Erklärung zum Tod seines Finanzministers ab. Darin sagte er: Diese Nachricht traf mich und uns alle völlig unvorbereitet. Wir sind geschockt, wir sind fassungslos und unendlich traurig.“ Gerade in der aktuellen Corona-Krise hätte Hessen Thomas Schäfer als erfahrenen Politiker gebraucht, so der sichtlich bewegte, ja erschütterte Ministerpräsident. Als Finanzminister des Bundeslands habe Schäfer „buchstäblich Tag und Nacht“ an der Bewältigung der Krise gearbeitet. Und

Dr. Thomas Schäfer habe „sich um unser Land höchste Verdienste erworben“, sagte Bouffier weiter. „Sein Tod ist auch ein großer Verlust für unser Land. Wir verlieren mit ihm eine herausragende Persönlichkeit. Viele von uns einen treuen Freund und Weggefährten.“ Volker Bouffier schloss seine kurzes Statement schließlich mit den Worten, zuletzt unter Tränen: „Wir verneigen uns in allerhöchstem Respekt und in tiefer Dankbarkeit.“

Doch warum nahm sich Thomas Schäfer, der auch eine Frau und zwei Kinder zurücklässt, selbst das Leben?

Schäfers Abschiedsbrief

Der hessische Finanziminister hat offensichtlich einen Abschiedsbrief hinterlassen, in welchem er zumindest auch Andeutungen zu machen scheint, warum er sich zu diesem so tragischen Schritt entschlossen hat. Details aus dem Abschiedsbrief wurden von faz.net zunächst veröffentlicht, kurz danach allerdings wieder vom Netz genommen. Der Text von faz.net wurde aber gesichert. Dort hieß es:

»Wie aus Ermittlungskreisen zu hören war, hat Schäfer einen Abschiedsbrief hinterlassen. Darin habe er die Gründe für seinen Suizid genannt. Dem Vernehmen nach soll Schäfer darin von einer „Aussichtslosigkeit“ gesprochen haben, die er gesellschaftlich, aber auch bezogen auf die wirtschaftliche Lage des Landes sehe. Diese Aussichtslosigkeit habe er unter anderem konkret auf die derzeitige Situation bezogen, die ihm offenbar „zu schaffen“ gemacht habe. Ob dies allerdings mit konkreten Ängsten in Bezug auf den Coronavirus zusammenhänge oder eher allgemeiner Art gewesen sei, das sei auch für die Ermittlungsbehörden derzeit nicht ersichtlich.“«

Haben also die Aussichten auf das, was in den nächsten Monaten auf unser Land zuzukommen droht respektive was er meint, was auf uns zukomme, psychisch quasi erdrückt? Oder gibt es noch weitere Gründe? Das ist wie meist in solchen Fällen schwer zu sagen, da niemand in den Kopf und das Herz eines anderen hinzusehen vermag. Zugleich bleibt es für mich schwer zu verstehen, warum Thomas Schäfer keinen anderen Ausweg mehr sah. Die Coronakrise scheint mir aber ein wesentlicher Aspekt gewesen zu sein.

Lassen Sie sich psychisch bitte nicht runterziehen!

Passen Sie bitte gut auf sich auf und lassen sich auch von schlimmeren äußeren Entwicklungen innerlich nicht zu sehr herunterziehen. Wenn Sie einmal etwas so sehr belastet, dass Sie das Gefühl haben, Ihnen wird alles zu viel, wenden Sie sich bitte an Menschen, die Erfahrung im Umgang mit solchen Situationen haben, wie zum Beispiel die Telefonfürsorge unter 0800 / 111 0 111. (Der Anruf ist kostenlos.)

Ihnen alles Gute, bleiben Sie gesund und munter! Vielleicht gönnen Sie sich einfach was Schönes und verwöhnen sich selbst ein wenig oder gegenseitig mit ihren Liebsten.

Ihr Jürgen Fritz

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