Von Jürgen Fritz, Mi. 06. Mai 2020, Titelbild: DER SPIEGEL-Screenshot
Die offizielle Todesfallzahl der COVID-19-Pandemie ist inzwischen auf über eine viertel Million gestiegen. Nicht mitgerechnet die Dunkelziffer, Menschen, die an dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 verstarben, doch nie getestet wurden und bisher in keiner Statistik auftauchen. Für Italien wird zum Beispiel vermutet, dass die Zahl der tatsächlichen Todesfälle um ca. 85 Prozent höher liegen könnte als die offiziellen Zahlen. Deutschland kam bislang mit nur ca. 7.000 Todesfällen sehr glimpflich davon. Das führt offensichtlich dazu, dass die Zustimmung zu den Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte in der Bevölkerung abgenommen hat, vor allen Dingen bei den Anhängern zweier Parteien.
Der Ruf nach Lockerungen wird seit vielen Tagen immer lauter
Die USA zählten bis gestern über 72.000 offizielle Todesfälle, Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich zusammen fast 110.000. Selbst das kleine Belgien mit nur 11,5 Millionen Einwohnern verzeichnet bereits über 8.000 Todesfälle. Weltweit waren es über 258.000, davon über 144.000 in Europa (fast 56 Prozent). Im Vergleich dazu ist Deutschland mit bislang ca. 7.000 offiziellen COVID-19-Toten recht glimpflich davon gekommen. Doch genau dies lässt den Ruf nach „Lockerungen“ immer lauter werden.
Immer mehr Bundesländer scheren aus und geben bestimmte Dinge wieder frei, so etwa Mecklenburg-Vorpommern, das Restaurants und Gaststätten unter Einhaltung der Hygieneregeln schon ab Samstag, dem 9. Mai wieder öffnen möchte. Ab Montag, dem 18. Mai soll dann auch der Hotelbetrieb wieder anlaufen – zunächst nur für einheimische Gäste, eine Woche später, am Montag, den 25. Mai, dann auch für Urlauber aus allen anderen Bundesländern.
Demonstrationen gegen eine „Corona-Diktatur“
Bundesweit gab es in den letzten Tagen Demonstrationen, die auf eine Einhaltung der Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland während der Corona-Pandemie pochten, unter anderem in Berlin, wo sich links- und rechtsradikale „Aktivisten“ zu „Hygiene-Demos“ vor der Berliner Volksbühne zusammenfanden, unter anderem Jürgen Elsässer, der Herausgeber des rechtsextremistischen (verfassungsfeindlichen) Compact-Magazins, der Verschwörungsmythen-Verbreiter Ken Jebsen, das pro-russische Internetportal Rubikon, das Internetportal Telepolis, der prorussische Blogger Billy Six und der russische Propagandasender Russia Today. Demonstriert wurde unter anderem gegen eine „Corona-Diktatur“.
In Berlin auf einer Demo wurde auch der rechtsextreme und antijudaische Videoblogger Nikolai Nerling, der sich selbst „Der Volkslehrer“ nennt, gesehen. Mitte März 2020 veröffentlichte Nerling ein Video mit dem Titel „Corona Conto Holocaust“, in dem er das deutsche Infektionsschutzgesetz als „Werkzeug der Bundesregierung“ darstellte, „sich unliebsamer Bürger zu entledigen“. Es sei zudem nicht sicher, ob das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 überhaupt existiere. Der Verschwörungsgläubige Xavier Naidoo zweifelte sogar generell die Existenz von Viren an.
Perverse Selbststilisierungen: „Impfen macht frei“
In Freiburg versammelten sich am letzten Wochenende ca. 50 Personen auf einer AfD-Demo sowie etwa 600 bis 800 Gegendemonstranten, als 12 bis 16 mal so viele. Auf der AfD-Veranstaltung trat auch der AfD-Stadtrat Dubravko Mandic auf, der behauptete, die Corona-Maßnahmen wären nur ein Testlauf dafür, wie einfach man den Bürgern die Freiheitsrechte entziehen könne. Teilnehmer hielten Plakate mit Botschaften hoch, ähnlich wie in Berlin „Freiheit statt Coronadiktatur“.
Später versammelten sich in Freiburg dann 180 „Freunde der Freiheit“ – zur Mahnwache für den „Erhalt der deutschen Grundrechte und unserer Freiheit“. Die Corona-Schutzmaßnahmen wurden auf dieser Kundgebung gar mit Geschehnissen im Jahr 1933 verglichen. Ein Allgemeinmediziner behauptete, er habe die ersten beiden Corona-Fälle im Landkreis Lörrach behandelt – ohne Schutzkleidung. Er habe keine Angst vor Ansteckung gehabt, aufgrund seiner gesunden Lebensweise. Ein anderer rief ins Megafon: „Wir werden verarscht, wir müssen den Druck hochhalten gegen diese Faschisten“. Wichtig sei auch, dass man die „blauen Freunde“ mitnehme, gemeint war wohl die AfD.
Dabei trug mindestens die Hälfte der buntgemischten „Freunde der Freiheit“ nicht einmal einen Mund-Nase-Schutz. Bei der Demo auf dem Rathausplatz hatte ein Teilnehmer sogar ein Schild dabei mit der Aufschrift „Impfen macht frei“ – grafisch der Aufschrift nachempfunden, wie sie einst am Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz zu sehen war. Der Altstadtrat Simon Waldenspuhl hat daraufhin Anzeige wegen Volksverhetzung gegen den Besitzer des Plakats erstattet.
Nur noch 63 Prozent der Deutschen halten die Einschränkungen für verhältnismäßig
Doch wie sieht es in ganz Deutschland bezüglich der Einschätzung der Verhältnismäßigkeit der Einschräkungen auf. Das fragte Civey von Ende April bis Anfang Mai (23.04. bis 04.05.) über 20.000 Personen und zog daraus eine repräsentative Stichprobe von über 5.000 Teilnehmern. Ergebnis: 63 Prozent der Deutschen halten es aktuell noch für verhältnismäßig, dass aufgrund der Corona-Pandemie derzeit Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt sind.
Doch dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteien. So sind es bei den Unions-, den SPD- und Grünen-Wählern, also den in Bezug auf die Wahlabsicht drei großen Fraktionen, die derzeit auf ca. 70 Prozent aller Stimmen kämen, durchweg 70 bis 80 Prozent Zustimmung für die Regierungsmaßnahmen, die als verhältnismäßig eingestuft werden. Bei den Linkspartei-Anhängern ist es immer noch eine Mehrheit von 53,5 zu 36,9 Prozent. Die Anhänger von FDP, den Kleinparteien (Sonstige) und AfD, die zusammen etwa 22 Prozent der Wähler ausmachen, sehen das aber inzwischen völlig anders:
Hohe Zustimmungswerte vor allem bei den Anhängern der drei großen Fraktionen
Verhältnismäßigkeit gegeben: Ja – Unentschieden – Nein. Angaben in Prozent der jeweiligen Parteianhänger:
- CDU/CSU: 80,1 – 5,0 – 14,9
- SPD: 76,4 – 5,2 – 18,4
- Grüne: 71,4 – 5,2 – 23,4
- LINKE: 53,5 – 9,6 – 36,9
- FDP: 37,3 – 3,3 – 59,4
- Sonstige: 27,7 – 4,2 – 68,1
- AfD: 25,3 – 5,0 – 69,7
Die Wähler von CDU/CSU und AfD bilden den größten Gegensatz
Insgesamt hat also die massive Kampagne der FDP, der AfD und seit Tagen auch der Massenmedien, insbesondere der BILD, Wirkung gezeigt und die Zustimmung zu den Kontakt- und Ausgangsbeschränkung hat deutlich abgenommen, wenngleich es insgesamt immer noch fast zwei Drittel sind in der Bevölkerung, die diese gutheißen und als adäquat ansehen..
Die Ablehnung der Maßnahmen ist am größten bei den Anhängern der AfD, der Kleinparteien und der FDP. Hier meinen ca. 60 bis 70 Prozent, dass die Einschränkungen der Freiheitsrechte nicht verhältnismäßig wären. Bei den Unionsanhängern sind es dagegen nicht einmal 15 Prozent, die das so sehen. Die Anhänger von CDU/CSU und die Anhänger der AfD, von der ja oft gesagt wird, sie speise sich sehr stark aus ehemaligen CDU- und CSU-Mitgliedern, bilden hier also den größten Gegensatz.
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