Manifest des Aufklärungs-Universalismus

Von Jürgen Fritz, Mi. 01. Jul 2020, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons

Die alte Linke, nicht die Marxisten und ihre Nachfolger, sondern die Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts und auch schon die der griechischen Antike (Sokrates etc.), war progressiv, nicht traditionalistisch. Die Neuen Linken sind das nicht mehr. In Bezug auf andere Kulturen sind sie konservativ. Deren Tradition werten sie a priori und per se als positiv, einfach weil sie die anderen sind, zumal wenn es sich um Rückständige handelt. In Bezug auf die eigene Kultur sind sie dagegen destruktiv. Die Neue Linke hat die meisten Ideale der alten Linken, welche die universalen Menschenrechte gerade erst hervorbrachte bzw. entdeckte, verraten respektive aufgegeben. Diese Ideale gilt es a) zurückzugewinnen, b) zu bewahren und c) weltweit progressiv weiter zu entwickeln.

Globalisierung und aufklärerischer Universalismus

1. Der kategorische Imperativ der politischen Vernunft, um mit Egon Flaig zu sprechen, lautet: Die Menschheit soll sich vereinigen in einer Weltrepublik. Die Globalisierung der Menschheit ist unbestreitbar, sie findet seit Jahrtausenden statt, inzwischen beschleunigt und irreversibel. Dies kann realistischerweise nicht mehr rückgängig gemacht werden. Globalisierung ist nicht denkbar ohne Universalismus, da es Regeln geben muss, die von allen oder zumindest den allermeisten anerkannt und gelebt werden.

2. Der aufklärerische Universalismus ist nicht der einzige, er steht vielmehr in Konkurrenz zu anderen Weltanschauungen, die ebenfalls einen universalistischen Anspruch in sich tragen. Ein Aufgeben des eigenen universalen Anspruchs würde nicht dazu führen, dass andere Universalisten den ihren aufgeben. Hier wird es über kurz oder lang auf die Frage hinauslaufen, welcher Universalismus sich durchsetzen wird, der aufklärerische oder ein anderer. Es wird nur einen geben können, vorher wird keine Ruhe einkehren im Sinne von: vorher wird der große Krieg der Weltanschauungen nicht enden und man wird sich ständig auf verschiedenen Ebenen gegenseitig bekämpfen: wirtschaftlich, militärisch (oft über Stellvertreterkriege), durch Propaganda, Spionage und Cyberwar.

Errungenschaften der Aufklärung und deren Feinde

3. Der Begriff der Feindschaft ist essentiell und unverzichtbar, solange es mehrere universalistische Großbewegungen gibt. Dabei gilt: Man kann auch seinen Feind als Feind achten und respektieren. Man sollte ihn aber besiegen. Und der Feind verschwindet nicht, wenn ich aufhöre, ihn so zu nennen und so zu sehen. Das Einzige, was dadurch erreicht wird, ist, dass ihm das Obsiegen, sprich die eigene Niederlage und Abdankung erleichtere. Das aber würde bedeuten: den zumindest weitgehenden Verlust der Errungenschaften der Aufklärung.

4. Statt die Globalisierung unter Zeichen des aufgeklärten Universalismus weiter zu führen, ist die Aufklärung seit Jahrzehnten schon selbst in die Defensive geraten. Damit drohen insbesondere drei große Errungenschaften verloren zugehen:

  • die Wissenschaft, mithin die Vernunft (Logos) als letzte Instanz in Wahrheitsfragen (siehe dazu: Philosophie versus Religion – Vom Mythos zum Logos);
  • die republikanische auf Volkssouveränität beruhende Organisation menschlicher Gemeinschaften (Demokratie);
  • der menschenrechtliche Universalismus.

Moralischer Universalismus

5. Der menschenrechtliche Universalismus resultiert aus einem moralischen Universalismus, welcher wiederum nur aus einem ethischen (moralphilosophischen) Universalismus resultieren kann. Das heißt, eine universale Moral kann nur aus der Vernunft selbst hervorgehen, nicht aus metaphysischen Spekulationen (Religionen), da diese Spekulationen sich im Laufe der Jahrtausende und der verschiedenen Traditionen und Kulturen sehr unterschiedlich ausformten. Eine Berufung von Kultur 1 auf die metaphysische Spekulation MS1 bei gleichzeitiger Berufung von Kultur 2 und 3 auf MS2 und MS3 usw. hilft hier also nicht weiter.

Vernünftige, rationale, logisch schlüssige Begründungen und Rechtfertigungen sind dagegen universal verständlich für jeden, der gelernt hat, rational zu denken und zu argumentieren.

Aufgeklärter Anthropozentrismus und bescheiden gewordener Humanismus

6. Maßstab muss damit der Mensch selbst in all seiner Fehleranfälligkeit, Fallibilität und Mangelhaftigkeit sein; der Mensch und dessen Wohl, keine kontingente höhere Wesen, die angeblich Regeln für alle erlassen hätten, die sich aber alle gegenseitig widersprechen und es keine Über-Religion, keine metaphysische Hyperspekulation gibt, die als Schiedsrichter angerufen werden könnte.

Andererseits muss eine übersteigerte Sakralisierung ‚des Menschen‘ vermieden werden, wie wir sie bisweilen in einer Art hysterischen Übertreibung gegenwärtigen müssen. Menschen sterben nun mal, nicht jeder kann überall auf der Erde gerettet werden. Hier gilt es realistisch zu bleiben, ohne dabei zynisch oder gleichgültig zu werden.

Der Humanismus muss mithin realistisch geerdet werden, ohne ihn zu opfern. Denn was sollte an seine Stelle treten? Jede Alternative zum Humanismus führt in die Unmenschlichkeit oder in die Theokratie, damit in die Verknechtung des Menschen und in neue große Religionskriege, wie sie die europäische, die westliche aufgeklärte Welt seit 1648 weitgehend überwunden hat, was Vorbild für alle anderen sein muss. Insofern geht kein Weg am Anthropozentrismus, also dem In-die-Mitte-Rücken-des-Menschen vorbei, wobei dies ein aufgeklärter Anthropozentrismus, ein bescheiden gewordener Humanismus sein sollte.

Forderungsadressaten-, Begründungs- und Klientenuniversalismus gehören zusammen

7. Moralischer Universalismus darf nicht fehlinterpretiert werden als einseitiger Klientenuniversalismus, dergestalt jeder Mensch zwar Objekt (Klient, Nutznießer) dieser universalen Moral ist, ohne dass zugleich alle Subjekt dieser Ansprüche wären, so dass jedem zwar alle Rechte, nicht aber allen zugleich moralische Pflichten zukämen. Moralischer Universalismus bedeutet vielmehr dreierlei:

a) Jeder Mensch, genauer: jedes Vernunftwesen ist zunächst einmal Forderungsadressat, das heißt, jeder Einzelne ist ein handelndes, ein moralisches Subjekt mit moralischen Pflichten gegenüber jedem anderen (Forderungsadressatenuniversalismus).

b) Jedes mündige Wesen hat einen Anspruch darauf, das man ihm genau und in sich schlüssig erklärt, warum eine moralische Forderung als gerechtfertigt und richtig anzusehen ist (Begründungsuniversalismus) und dies muss gemeinschaftlich, aber eben rational und fair ausgehandelt werden. Wer diese Prinzipien der Rationalität, der Begründungspflicht und der Fairness ablehnt, kann kein gleichberechtigter Partner sein und kann an dem geistig offenen Diskurs nicht als gleichberechtigter Partner teilnehmen.

c) Darüber hinaus ist jedes vernunfbegabte Wesen, ja sogar jedes fühlende Wesen und jeder lebende Organismus (natürlich in abgeschwächter Form) als Objekt von Moral zu achten, das heißt, bei allen Handlungen und Entscheidungen deren Interessen bzw. Wohl oder Überlebenschanchen zu berücksichtigen (Klientenuniversalismus), wobei es hier natürlich Abstufungen geben wird zwischen: Mensch – höher entwickelten, empfindungsfähigen Tieren – simpleren Tieren ohne Gefühlsleben – Pflanzen, Pilze etc. Hier gilt es wohl vor allem auch Ökosysteme als Ganze zu berücksichtigen, die wiederum für unzählige Lebewesen essentiell sind, letztlich auch für Menschen.

Keine einseitige instrumentelle Benutzung des moralischen Universalismus zur Verdinglichung von Menschen

8. Was hierbei nicht geduldet werden darf, ist folgendes: dass vernunftbegabte, moralfähige Wesen für sich in Anspruch nehmen wollen, Objekt einer universalistischen Moral zu sein, ohne zugleich auch Subjekt dieser universalen Moral sein zu wollen, obschon sie das sein könnten (Tiere und Pflanzen sind dazu ja nicht fähig, Menschen, so sie nicht geistig schwersbehindert sind, aber schon).

Strengstens zu verurteilen ist also, wenn einzelne diesen moralischen Universalismus für sich einseitig zu nutzen trachten, ohne ihn umgekehrt selbst anzuwenden, ohne ihn zu achten und innerlich anzunehmen, mithin andere zu nützlichen Idioten und zu reinen Objekten für den eigenen Vorteil zu degradieren, damit zu verdinglichen (als Mittel zum Zweck benutzen).

9. Solange dieser ethisch-moralische Universalismus, aus welchem die universalen Menschenrechte resultieren, nicht von allen akzeptiert und übernommen wird, womöglich sogar von einigen instrumentell gegen diejenigen, die ihn bereits verinnerlicht haben, benutzt wird, sind wir im Zustand der Feindschaft. Dies muss nicht zwingend in einen militärisch geführten Krieg führen, aber in diesem Zustand geht es darum, welches Modell weltweit durchgesetzt wird: a) wissenschaftliches Denken, b) Demokratie und c) universale Menschenrechte oder ein ganz anderes Modell.

Aufklärung, Bildung, Humanismus – der Zweck heiligt nicht die Mittel

10. Das vornehmste Mittel in diesem Kampf ist wiederum das der Aufklärung, damit der Bildung, damit des Humanismus (Humanismus = Bildung, Kultiviertheit + Menschenfreundlichkeit).

Das Ziel muss dabei sein zu siegen, das heißt, a) rationales, wissenschaftliches Denken, b) aufgeklärte, liberale Demokratie und Volkssouveränität sowie c) universale Menschenrechte auf lange Sicht weltweit durchzusetzen, was eine weitere Annäherung der Menschen voraussetzt.

Dabei reden wir von lange Zeiträumen, nicht von Jahrzehnten, sondern von Jahrhunderten, sprich einem allmählichen Zusammenwachsen. Das große Ziel muss dabei klar sein und darf nicht aus den Augen verloren werden. Die anderen Universalismen und ihre Träger denken hier durchaus in großen Zeiträumen, das müssen auch wir tun und diesen Kampf annehmen.

Dabei gilt immer: auch moralische Interventionen und Maßnahmen müssen selbst moralischen Anforderungen genügen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel (Verdinglichungsverbot). Genau das unterscheidet den aufgeklärten, moralischen Universalismus von den anderen Universalismen.

Literaturempfehlungen

Die Niederlage der politischen Vernunft als Buch (gebunden)

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