Christen und Muslime: einander ähnlicher als man denkt?

Von Jürgen Fritz, Sa. 26. Dez 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot

Christentum und Islam gelten neben Buddhismus, Judentum, Daoismus, Baha’i und Hinduismus als zwei der sieben Weltreligionen und zwar als die beiden mit den meisten Anhängern. Alle metaphysisch spekulativen Weltanschauungen weisen natürlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Zwischen Christen und Muslimen oder vielleicht genauer Mohammedanern sind die Gemeinsamkeiten aber größer als vielen bewusst ist.

Natürlich gibt es auch grundlegende Unterschiede, aber …

Auf die Frage „Was verbindet Christen und Muslime, genauer: Mohammedaner?“ kann man zunächst mal antworten: Vieles. Natürlich nicht alles, sonst wären sie ja identisch und sonst gäbe es nicht so heftige Streitereien seit weit über tausend Jahren. Insbesondere in der Gewaltfrage gibt es bezogen auf die jeweilige Lehre deutliche Unterschiede, weniger in Bezug auf die Anhänger historisch betrachtet – das änderte sich erst durch die Aufklärung -, wohl aber was die eigentliche Lehre und auch was die jeweilige zentrale Figur anbelangt. Aber auch hier ist eine Unterscheidung wichtig:

„Das Christentum ist eine Religion der Gewalt. Es steht deshalb im scharfen Gegensatz zur Gewaltlosigkeit des Jesus von Nazareth. Auch der vielfältige Einsatz auf sozialem und caritativem Gebiet ändert nichts an dieser Tatsache. Die niemals versiegende Quelle dieser Gewalt ist der Glaube an den gottgewollten Opfertod Jesu am Kreuz.“Willibald Glas, in: „Christentum und Gewalt“, 1992. Siehe dazu auch: Monotheismus und die Sprache der Gewalt.

Der Unterschied in der Gewaltfrage bezieht sich also vor allem auf die zwei Religionsstifter, die sehr unterschiedlich waren in diesem Punkt und auf die Lehre, weniger die tatsächliche Geschichte der jeweiligen Religion und ihrer Anhänger. Jesus und Mohammed waren und sind in ihrem Verhältnis zur Gewalt sehr unterschiedlich, „keine Brüder im Geiste“, wie es der Orientalist und Islamwissenschaftler Tilman Nagel mal formulierte. Bei den jeweiligen Religionsanhängern sieht das über sehr weite Strecken völlig anders aus und das änderte sich erst massiv durch die Aufklärung. Aber bleiben wir bei der Frage nach den Gemeinsamkeiten, denn derer sind nicht wenige und diese sind sogar essentiell, denn sie befinden sich gleichsam in der Basis.

… es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten und zwar essentielle, so dürfen hier Jesus, dort Mohammed nicht substanziell kritisiert werden

So ist es für für die meisten Christen und Mohammedaner, ja wohl nahezu alle undenkbar, die jeweilige mythische Schlüsselfigur, die im dazugehörigen Narrativ den Dreh- und Angelpunkt darstellt, hier Jesus dort Mohammed, einer substanziellen, sachlichen, kritischen Würdigung zu unterziehen und dabei sowohl Stärken als auch Schwächen offenzulegen. Das Wort „Schwächen“ können die einen wie die anderen mit der jeweiligen (mythischen) Figur gar nicht verbinden und eine Unterscheidung in tatsächliche historische Person einerseits und literarisch-mythische Figur andererseits wirkt auf fast alle Anhänger, hier wie dort, völlig befremdlich und verwirrend.

Die Zuschreibung einer Schwäche respektive das Erkennen einer solchen ist für fast alle Anhänger dieser beiden Weltanschauungssysteme quasi undenkbar, da beide Figuren als Projektionsflächen dienen und zwar vollkommen einseitige Projektionsflächen, denen nur gute Eigenschaften zugeschrieben werden. Beide Figuren, Jesus wie Mohammed, werden als aus dem rein Irdischen herausragend beschrieben, so dass sie Verkörperungen des Heiligen in der Welt darstellen.

Und Heiliges darf keiner Kritik, also keiner Unterscheidung, was ist gut und was ist nicht so gut, unterzogen werden, denn dadurch würde in der Vorstellung der Anhänger das Heilige irgendwie beschmutzt und in seiner Eigentümlichkeit angetastet. Dieses Heilige gibt aber erst hier wie da eine Orientierung in der Welt und ohne dieses würde für die Anhänger beider Narrative alles quasi in sich zusammenbrechen, ihre gesamte Weltanschauung, damit das Gefühl der Geborgenheit, der Trost, ihre Hoffnung und ihre Orientierung.

Der „Schöpfer“ kann aufgrund dessen, wie er als Idee konstruiert ist, in beiden Fällen gar nicht kritisiert werden

Die Kritikaversion gilt in beiden Fällen natürlich auch gegenüber dem einen und einzigen Schöpfer (weitere Gemeinsamkeit), der niemals einer kritischen Würdigung ausgesetzt werden sollte. Das wird von manchen sogar als „Blasphemie“ empfunden, wirkt aber auf fast alle innerhalb des jeweiligen Narrativ auf jeden Fall befremdlich, weil sie „gut“ weniger begrifflich klar und scharf, sondern quasi über dieses metaphysische Wesen definieren, welches wiederum eine Projektionsfläche darstellt und zwar eine völlige einseitige, also anders als zum Beispiel die griechischen und römischen Götter, die differenzierter gezeichnet sind, auch im Moralischen, so dass sie aber weniger als Orientierungshilfe taugten.

Eine Kritik an dieser reinen Verkörperung des Guten – und dieses metaphysisch spekulativ angenommene Wesen wurde ja bewusst genau so konstruiert – wäre, wir erinnern uns: Kritik bedeutet die Trennung von gut und schlecht, mithin eine Unterscheidung von gut und schlecht am Guten selbst. Und das erscheint beiden Anhängern wiederum widersinnig. Das können beide, Christen und Mohammedaner auf Grund der Vorstellung von ihrem Gott gar nicht denken, weil es ja schon der Grundkonstruktion widerspricht, welche wiederum nicht reflektiert und schon gar nicht kritisiert werden soll.

Wer also Kritik üben, mithin unterscheiden will am Guten selbst, der kann ja folglich nur böse, womöglich vom Teufel besessen sein. Bitte unterschätzen Sie das nicht. Moderne Christen würden das sicherlich nicht mehr so formulieren, aber in der Tiefe ihrer Seele laufen mit Sicherheit oftmals genau diese Muster noch immer ab, manchmal vielleicht sogar weniger gedanklich klar und bewusst, aber doch intuitiv und gefühlsmäßig. Die Prägungen sitzen tief, sehr tief. Und sie sind äußerst widerspenstig, auch gegen jede Vernunft, Reflexionen und Argumente. Die katholische Kirche bildet im Vatikan übrigens noch immer Teufelsaustreiber aus.

Beide interessieren sich primär für Geschichten, weniger für Geschichte (Wissenschaft) in Bezug auf ihre eigenen Mythen

Weiter interessieren sich beide Gruppen, Christen wie Mohammedaner, die eine vielleicht noch etwas mehr als die andere, so gut wie gar nicht für die tatsächliche historische Person, die in dem jeweiligen Narrativ die Schlüsselrolle spielt, wie dieser tatsächliche Mensch im Gegensatz zur literarisch-mythischen Figur wirklich war. Das heißt, beide Gruppen sind kaum an Geschichte (Wissenschaft und Aufklärung), dafür aber umso mehr an Geschichten interessiert. Dabei gilt: „Der Christ hält das Christentum für etwas, das es nie war: für die Lehre Jesu.“ (Karlheinz Deschner, Der gefälschte Glaube).

Diese Geschichten sind anders als beliebige Märchen, Sagen und Legenden, insofern sie nicht einfach nur Kulturgut darstellen, in denen tiefe Menschheitserfahrungen symbolisch enthalten sind. Vielmehr haben diese zwei großen Erzählungen darüber hinaus eine welterklärende und eine identitätsstiftende Wirkung. Das heißt, beide Großerzählungen berühren das Innerste derer, die von diesem jeweiligen Narrativ innerlich tief geprägt sind, oft von Kindes Beinen an. Und niemand kann so gut geformt und ausgerichtet werden wie kleine Kinder. Das wissen alle Weltanschauungssysteme und Ideologen.

Christentum und Mohammedismus bewegen sich im gleichen Set und konkurrieren hier miteinander

Insofern konkurrieren diese beiden Narrative nicht mit Hans-Christian Andersen oder den Gebrüdern Grimm, wohl aber miteinander, denn beide bewegen sich im gleichen Set, mit dem gleichen Anspruch, den Hans-Christian Andersen nicht hatte und den all die Märchen, Legenden und Sagen sonst nicht haben. Beide, C wie M, stellen dieses Set selbst niemals in Frage.

Wenn es zu so etwas wie kritischem, insbesondere selbstkritischen Denken kommt und falls Aufklärung freiwillig und von sich aus akzeptiert wird, so immer nur innerhalb ihres Sets, kaum oder sogar gar nicht diesem selbst gegenüber. Daher kommt es auch öfters mal zum Konvertieren von hier nach da (von C nach M) oder von da nach hier (von M nach C), aber fast nie zum Verlassen des Sets selbst.

Es war die Aufklärung, die die Anhänger von C dazu zwang, bestimmte Dinge zu erdulden, und sie zivilisierte

Ist der jeweilige Narrativ mal in der Tiefe der Seele implementiert, bleibt er dort meist für immer und möchte auf Grund der identitätsstiftenden Wirkung auf keinen Fall angetastet werden, weil dies dann als Antasten der eigenen Identität, mithin des eigenen Ichs, der eigenen Person empfunden wird, hier wie da. Dabei war es die Aufklärung, die hier anders als dort, die Anhänger der einen metaphysisch spekulativen identitätsstiftenden Weltanschauung dazu gezwungen und ihnen beigebracht hat, teilweise unter heftigem Widerstand der Christenheit, ganz besonders der katholischen Kirche bis weit, weit ins 20. Jahrhundert hinein, bestimmte Dinge zu ertragen, die ihnen aus den besagten Gründen nicht leicht fallen, sie hinzunehmen und zu dulden („Nicht ihre Menschenliebe, sondern die Ohnmacht ihrer Menschenliebe hindert die Christen von heute, uns – zu verbrennen“, Friedrich Nietzsche 1886 in „Jenseits von Gut und Böse“ 104).

Hier sei exemplarisch für unzählige Fälle daran erinnert, was mit Giordano Bruno am 17. Februar im Jahre 1600, also nicht im Mittelalter, sondern bereits hundert Jahre in der Neuzeit, gemacht wurde, der nicht einmal das Set selbst in Frage stellte, sondern nur den Narrativ und auch diesen nicht komplett, sondern ihn nur etwas modifizieren wollte: Wie die katholische Kirche Giordano Bruno lebendig verbrennen ließ. Dass solches heute in der zivilisierten Welt nicht mehr geschieht, ja dass es überhaupt eine nicht nur kultivierte, sondern zivilisierte Welt gibt, verdanken wir nicht dem Christentum, sondern der Aufklärung. Diese hat gleichsam die Mehrzahl der Christen gezähmt und diese fehlt bislang weitgehend in der gesamten islamisch dominierten Welt.

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR