Von Jürgen Fritz, Mo. 29. Mrz 2021, Titelbild: Gerd Altmann, Pixabay, CC0 Creative Commons
Existieren die mathematischen Gegenstände wirklich, unabhängig von uns, werden mithin entdeckt, oder werden sie von uns konstruiert und existieren ausschließlich in unserem Geist? Oder muss man die Mathematik gar rein als ein formales System ansehen, in dem einfach Zeichen nach syntaktischen Regeln bearbeitet werden, ohne jede Bedeutung (Semantik)? Wie kommt es dann, dass Mathematik „auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich passt“ (Albert Einstein)?
Zwei Zugangsweisen zur Welt: Meinen, dass etwas der Fall ist, und Wünschen, dass etwas der Fall sein sollte
Philosophie der Mathemaik ist zunächst einmal ein Teilbereich der theoretischen Philosophie. Theoretische Philosophie befasst sich vornehmlich damit, wie wir die Welt wahrnehmen und auf sie reagieren: mit dem Fühlen (Philosophie der Emotionen und der Gefühle), mit dem Denken und Argumentieren (Logik) und dem Erklären, mit den Ideen von Natur (Naturphilosophie), Geist (Philosophie des Geistes) und dem Sozialen (Philosophie des Sozialen). Dabei geht es auch darum, was angemessenes Fühlen, Denken, Argumentieren und Erklären ausmacht.
Praktische Philosophie befasst sich dagegen mit der Art und Weise, wie wir die Welt verändern, wie wir sie verbessern wollen. Um etwas verbessern zu können, braucht es offensichtlich eine Vorstellung davon, was gut und was besser ist, braucht es also einen Maßstab. In der praktischen Philosophie geht es um moralisches und politisches Handeln (aus altgriechisch πρᾶξις = prãxis = ‚Tat‘, ,Handlung‘ oder ,Verrichtung‘), aber auch um unsere Ideen vom guten Leben, das ja als eine Kette von Entscheidungen und Handlungen verstanden werden kann, um unsere Ideen von Freiheit und Verantwortung, vom besten Staat und einer gerechten Gesellschaft.
Diese Unterscheidung – theoretische und praktische Philosophie – spiegelt etwas ganz grundsätzlich Differentes wider, zwei grundsätzlich unterschiedliche geistige Beziehungen zur Welt:
- dem Glauben oder Meinen, dass etwas der Fall ist, also Meinungen oder Glaubenssätze über das Sein der Welt, und
- dem Wünschen, welches ein Meinen ist, dass etwas der Fall sein sollte, also Meinungen über das Sein-sollen der Welt.
Jedem Wünschen liegt ein Bewerten (Werturteil) zu Grunde
Dabei liegt jedem Wünschen ein Bewerten, mithin ein Werturteil zu Grunde. Wenn ich mir etwas wünsche, so bewerte ich die Erfüllung des Wunsches als einen besseren Zustand als wenn das Gewünschte nicht eintritt. Das Wünschen kann rein auf ein Besser-für-mich bezogen sein oder auch auf ein Besser, in dem andere vorkommen, zunächst die eigene Familie, dann auch andere, die man kennt, der Clan, der Stamm, die Nation, die Kultur, die Menschheit, alle fühlenden Wesen usw. Schließlich kann das antizipierte Besser ein absolutes solches sein, also kein Besser für mich oder besser für uns, sondern ein Besser-an-sich.
Dies ist der Übergang vom Egoismus über den Gruppenegoismus zur Moralität, zum Beispiel dem Wunsch und dem Sich-einsetzen (Handeln), dass die Welt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert insgesamt zu einem besseren Ort wird. Wenn eine Person eine andere umbringt, weil sie sich deren Vermögen einverleiben will (Raub) oder weil sie deren Position einnehmen will, so mag das Vorteile für sie persönlich und ihre Familie mit sich bringen, ist also gut für den Mörder und seine Familie, wenn die Tat nicht aufgedeckt wird, ist aber das Gegenteil von gut in einem absoluten moralischen Sinne. Aber zurück zur theoretischen Philosophie.
Wort-auf-Welt-Ausrichtung versus fiktive Welten
Unsere Meinungen über das Sein der Welt sollten sich an dieser orientieren und sich ihr anpassen, wenn es wahre Vorstellungen sein sollen und keine Fehlvorstellungen (Fehlvorstellungen sind keine „subjektive Wahrheiten“, sondern eben Fehlvorstellungen). Die innere Repräsentation der Welt (im semiotischen Dreieck oben) hat als Bezugspunkt die Welt, die Realität (links unten) und sollte diese korrekt repräsentieren oder, wie man in der modernen theoretischen Philosophie auch sagt: Unsere innere Repräsentation sollte eine Wort-auf-Welt-Ausrichtung haben, eine Begriff auf Gegenstand-Ausrichtung, eine Vorstellung-auf-Realität-Ausrichtung.
Das Entwerfen von reinen Phantasiewelten, zum Beispiel in der Literatur oder im Film, hat anders als zum Beispiel die Geschichtswissenschaft gar nicht den Anspruch, die Realität korrekt zu beschreiben. Es wäre albern zu fragen, ob es Gleis 9 3/4 und die Hogwarts-Schule wirklich gibt. Hier wird vielmehr eine rein fiktive Welt im Denken erzeugt, in die uns der Autor gleichsam entführt und aus der wir natürlich gleichwohl sehr viel über uns und das reale Leben lernen können, indem wir Dinge von hier nach da übertragen. Fiktive Welten können uns über die Distanz, die sie erzeugen, bisweilen helfen, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Aber das ist etwas anderes als zu sagen: „So ist die Wirklichkeit“. In dieser wird man keine Elben und keine Hobbits finden. Ebenso wohl keine Götter.
Religionen/Ideologien: Wenn das Wünschen so stark wird, dass es das Meinen über das Sein der Welt überformt
Religionen (und rein profane Ideologien) lassen sich dagegen dergestalt interpretieren, dass sie metaphysisch spekulative (oder sonstige irreale) Weltbilder erzeugen, die ebenfalls fiktiv sind, deren Erfinder aber anders als J.R.R. Tolkien oder Joanne K. Rowling vorgeben, dass ihre Erfindung, die von ihnen erschaffene fiktive Welt real wäre, sich also nicht ausschließlich im Denken abspiele, wobei diese Vorstellungen so attraktiv sein müssen, dass die Fiktion vielen gefällt, wenn das Ganze erfolgreich sein soll. Bei Ideologien, seien sie metaphysisch spekulativ oder rein profan, erzeugt also der Eine in anderen gezielt Fehlvorstellungen über das Sein der Welt (links unten), wobei es anders als beim Lügen so ist, dass der Andere sich hierdurch nicht betrogen fühlt, sondern er diese Fehlvorstellung, diese Fehlrepräsentation der Welt in sich haben will, weil sie ihm gefällt, weil sie ihm gut tut, weil sie ihm nutzt.
Was hier geschieht ist folgendes: Das Wünschen ist so stark, dass es das Meinen über das Sein der Welt überformt oder verformt. Dadurch kommt es quasi zu einer Art inneren Korruption. Man stelle sich einen Richter vor, der über eine Angeklagte zu befinden hat. Der Richter ist schon etwas älter und nicht ganz so attraktiv, die Angeklagte ist eine junge, ungemein schöne und anziehende Frau, die dem Richter nun eindeutige Signale sendet, dass es für ihn von Nutzen sein wird, wenn er sie freisprechen sollte. Das kann bei ihm, je nachdem wie er innerlich gestrickt ist, dazu führen, dass er in der Antizipation dessen, welchen Vorteil er persönlich davon hätte, die Frau nun als unschuldig sehen möchte. Verbringen sie nun heimlich eine Nacht zusammen und dies war das Schönste, was der Richter je erlebte, so dass ihn dies völlig berauscht und er das immer wieder haben, es nie mehr missen will, kann dieser Wunsch in ihm, dass sie unschuldig sein möge, so stark werden, dass er reale Dinge einfach ausblendet oder in seinem Sinne völlig umdeutet. Das umschrieb Arthur Schopenhauer wie folgt: „Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein.“
Auf ähnliche Weise entstehen fiktive Narrative, Legenden, Märchen, Geschichten, Mythen, die Menschen Orientierung und Halt geben und die eine stark verbindende Wirkung haben können. Der Erfinder eines solchen Narrativs und der Abnehmer gehen quasi ein Bündnis ein, was sie zu einer Gemeinschaft zusammenschweißt, manchmal zu einer regelrecht verschworenen Gemeinschaft führt, zum Beispiel Scientology oder QAnon, die profane gnostische Erlösungsreligion mit ihrer Heilsfigur Donald Trump, die sich gegen andere und gegen Aufklärung in Bezug auf diese Fehlrepräsentation über das Sein der Welt abschirmt. Das Erkennen des Seins der Welt misslingt hier also zum Teil völlig und Fiktionen werden für real gehalten. Da diese für real gehaltenen Fiktionen aber so ungemein angenehm sind – die Nacht mit der jungen Frau war einfach so wundervoll -, sperren diese sich gegen Aufklärung, also gegen das Aufzeigen, dass sie die Realität nicht korrekt repräsentieren. Nach diesem Prinzip dürften nahezu alle Religionen, Ideologien und verschwörungsmythische Weltanschauungen funktionieren.
Praktische Philosophie: Welt-auf-Wort-Ausrichtung ==> Wünschen in Bezug auf das zukünftige Sein-sollen der Welt
Im Gegensatz zur theoretischen Philosophie haben wir in der praktischen Philosophie keine Wort-auf-Welt-, sondern eine Welt-auf-Wort-Ausrichtung. Das heißt, auch hier arbeitet unsere Phantasie, aber doch anders. Wir entwerfen nämlich in unserem Geist eine Vorstellung davon, wie die Welt sein sollte (Zukunftsbezug), was voraussetzt beziehungsweise wobei es sehr hilfreich ist, dass wir zuvor korrekt erkannt haben, wie die Welt in der Gegenwart tastsächlich ist. Sodann versuchen wir, die Welt dieser Vorstellung, wie sie in der Zukunft sein sollte, anzugleichen. Unsere Phantasie entwirft hier also keine Fehlvorstellung vom Sein der Welt, sondern eine Vorstellung davon, wie die Welt in der Zukunft sein sollte, was eine Orientierung verleiht, wie die Zukunft aussehen könnte und wie man auf die reale Welt einwirken sollte.
Beispiel: Jemand sieht, dass ein Kind starke Schmerzen hat und er versucht, den Schmerz zu lindern oder ganz zu beseitigen, weil er die Vorstellung hat, dass geringerer oder gar kein Schmerz, sei es bei ihm selbst oder bei anderen, besser ist. Ergo versucht er die Welt dieser antizipierten Idee der Welt, wie sie besser wäre, anzupassen. Dabei ist es hilfreich, wenn er eine korrekte Vorstellung davon hat, dass das Kind wirklich Schmerzen hat. Wenn es den Schmerz nur vortäuscht und der Erwachsene nicht versteht, dass das Kind nur spielen will, wenn er die gesamte Situation völlig falsch interpretiert, dann wird er unter Umständen nicht adäquat darauf reagieren.
Und wenn die Situation nicht gespielt, sondern echt ist, dann ist es hilfreich, wenn die Person verstanden hat, welcher Art die Schmerzen sind, wo genau und wie stark und wodurch sie verursacht werden, wenn er also bezüglich Art und Ursache der Schmerzen eine korrekte Repräsentation der Welt in sich trägt. Hierbei kann insbesondere Fachkompetenz, zum Beispiel die eines Arztes helfen. Hat die Person hier eine Fehlvorstellung (Fehldiagnose), so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihre Handlung nicht zu dem gewünschten Resultat, der Linderung oder Beseitigung des Schmerzes führen wird.
Ähnliches gilt z.B. in Bezug auf den Klimawandel oder die COVID-19-Pandemie. Auch hier ist es wichtig und hilfreich, zunächst das Sein so gut als möglich zu verstehen (richtige Diagnose), um dann gezielt eine effektive Therapie einzuleiten, also die Welt in einen anderen wünschenswerteren Zustand zu überführen. Da es sowohl in Bezug auf das Sein der Welt als auch in Bezug auf das Sein-sollen sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt, kommt es regelmäßig zu weltanschaulichen Kämpfen von rivalisierenden inneren Repräsentationen der Welt. Aber zurück zur Philosophie der Mathematik.
Die ontologische Frage nach dem Sein der mathematischen Objekte
In dieser geht es also nicht um das Wünschen, wie die Welt sein sollte, sondern um das Meinen. Nun ist dieses Meinen aber offensichtlich irgendwie ein besonderes solches. In der Philosophie der Mathematik geht es darum, die Voraussetzungen, den Gegenstand und die Natur der Mathematik zu verstehen und zu erklären. Dabei stellen sich insbesondere drei ganz grundlegende Fragen:
1. Die ontologische Frage nach dem Sein der mathematischen Objekte: Existieren diese wirklich und unabhängig von uns, werden mithin von uns entdeckt (ontologischer Realismus, vertreten unter anderem von dem berühmten Mathematiker, Logiker und Philosophen Kurt Gödel und von dem großen Mathematiker Paul Erdős oder auch dem Naturphilosophen Bernulf Kanitscheider), oder werden diese von uns konstruiert, mithin erfunden? Unter den ontologischen Realisten können wir unterscheiden zum Einen die die Platoniker, zum Anderen die Aristoteliker. Für die Platoniker existieren die mathematischen Gegenstände und Sätze losgelöst von der materiellen Welt (ante rem), unabhängig von Raum und Zeit, ebenso wie die platonischen objektiven Ideen des Guten, Wahren und Schönen. Platoniker gehen also von einer vollständig eigenständigen ontologischen Sphäre aus, die schon vor der physikalischen Welt da war. Für Aristoteliker gehören die mathematische Realien hingegen zur empirischen Welt dazu, dergesalt sie den Dingen immanente Eigenschaften darstellen (in rebus). Für beide, Platoniker und Aristoteliker, gilt aber: Die Erkenntnisse der Mathematik sind keine Erfindungen, sondern Entdeckungen, die mit der Realität zu tun haben.
Der Mathematiker Luitzen Brouwer verneinte dagegen die Existenz mathematischer Begriffe außerhalb des menschlichen Geistes und begründete den Intuitionismus. Eine Verallgemeinerung des Intuitionismus ist der Konstruktivismus. Intuitionisten und andere Konstruktivisten meinen, dass es nur das Zeichen, die Benennung in der Sprache gäbe (rechts unten im semiotischen Dreieck) und den Begriff, das mentale Konzept im Geist, im Denken (oben), aber keinen Gegenstand in der Wirklichkeit, kein Referenzobjekt in der Realität (links unten), auf welches das Zeichen und der Begriff Bezug nehmen würden.
Hilberts anti-ontologischer Formalismus:
Der deutsche Mathematiker David Hilbert trat für die von ihm gegründete philosophische Schulrichtung des Formalismus ein. Sein Anliegen war, allein von der Form her die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit der Axiomensysteme der Mathematik zu beweisen, also ohne jede Bezugnahme zur physikalischen Welt (unten links im semiotischen Dreieck). Inwiefern die Gegenstände der Mathematik eine eigene Seins-Sphäre bilden, wollte der Formalismus überhaupt nicht thematisieren. Sein Verhältnis zum Sein der Welt interessierte ihn gar nicht. Der Formalismus war vielmehr anti-ontologisch ausgerichtet. Er zog sich auf den Standpunkt zurück, mathematische Gegenstände existierten nur als Zeichen (auf dem Papier, an der Tafel, …). Das freie Operieren mit Zeichen nach vorgegebenen mathematisch-logischen Regeln und Axiomen sei gerechtfertigt durch den Anwendungserfolg der Mathematik und nur in einer Hinsicht zu beschränken: Das Operieren dürfe keine Widersprüche erzeugen. Formalisten wollen sich mithin ausschließlich für das Rechtsunten des semiotischen Dreiecks interessieren.
Gegenüber dem Formalismus behauptete der Intuitionismus, dass die mathematischen Gegenstände mehr seien als bloße Zeichen, mehr als reine Syntaktik, mehr als das Rechtsunten. Allerdings verortete er die Gegenstände nicht in einer vom Menschen unabhängigen Seinssphäre wie der Platonismus, sondern sagte, sie existierten ausschließlich im menschlichen Geist (oben), in der „Intuition“, sobald diese die mathematischen Gegenstände mal erzeugt habe.
Ende des 19. Jahrhunderts hatte Gottlob Frege dagegen formuliert, dass sich die Mathematik auf die Logik zurückführen lasse und begründete damit den Logizismus. Freges Forderungen: 1. Alle mathematischen Wahrheiten müssen sich anhand von Definitionen mit strikten Beweisen auf eine fest umgrenzte Anzahl von Axiomen zurückführen lassen. 2. Bei diesen Axiomen selbst muss es sich um evidente logische Wahrheiten handeln, das heißt, sie dürfen in Freges Worten „eines Beweises weder fähig noch bedürftig“ sein.
Der beiden britischen Mathematiker, Logiker und Philosophen Bertrand Russell und Alfred North Whitehead legten zwischen 1910 und 1913 mit den Principia Mathematica ein dreibändiges Grundlagenwerk vor, worin sie wie schon Gottlob Frege versuchten, alle mathematischen Begriffe auf logische zurückzuführen und die grundlegenden Sätze auf der Grundlage von Axiomen streng logisch zu beweisen.
Kurt Gödel versetzt dem Logizismus und dem Formalismus einen schweren Schlag
Kurt Gödel bewies dann 1931 mit seinem Unvollständigkeitssatz, einem der wichtigsten Sätze der modernen Logik, dass jedes widerspruchsfreie, hinreichend mächtige mathematische System unbeweisbare, aber wahre Sätze enthält und widerlegte damit Freges Position, der anschließend vom Logizismus abrückte. Gödel wies nach, dass es in hinreichend starken Systemen, wie zum Beispiel der Arithmetik, Aussagen geben muss, die man weder formal beweisen noch widerlegen kann. Damit bewies er zugleich die Unmöglichkeit des Programms von David Hilbert, welches unter anderem deshalb begründet wurde, um die Widerspruchsfreiheit der Mathematik zu beweisen.
Gödel selbst verstand seinen Satz als einen Schlag gegen den von Hilbert propagierten Formalismus in der Mathematik, der in letzter Konsequenz die gesamte Mathematik zu einem rein formalen Gebilde ohne Bezug zur „realen Welt“ machen sollte. Für Gödel als Platoniker (ontologischer Realist) waren jedoch die mathematischen Objekte durchaus „real“. Sie waren zwar nicht durch Sinneswahrnehmungen zu bestätigen (wie es die Positivisten einforderten), doch waren sie der Erkenntnis zugänglich. Der Unvollständigkeitssatz zeigte für Gödel, dass man dieser Realität (links unten) nicht mit rein formalen Mitteln beikommen konnte. Damit hätte der Wahrheitsbegriff auch in der Mathematik einen Bezug zur Realität. Wahrheit könnte damit auch in dieser Disziplin als korrekte Repräsentation der Realität interpretiert werden.
Was ist das Wesen der mathematischen Wahrheit und wie hängt die Mathematik mit der Wirklichkeit zusammen?
2. Die zweite grundlegende Frage wäre sodann eine epistemologische (erkenntnistheoretischen) nach dem Ursprung des mathematischen Wissens: Was ist die Quelle und das Wesen der mathematischen Wahrheit? Diese Frage hängt offensichtlich mit der ontologischen Grundfrage zusammen. Wenn die mathematischen Objekte unabhängig von uns existieren, dann können sie korrekt erkannt werden und die entsprechende innere Repräsentation und Sätze, in denen diese formuliert wird, sind wahr, und es kann zu Fehlrepräsentationen, zu Fehlvorstellungen in Bezug auf die tatsächlichen existenten mathematischen Gegenstände kommen, so dass Sätze, in denen diese formuliert werden, falsch sind dergestalt, sie die Realität nicht richtig beschreiben.
Haben die mathematischen Gegenstände dagegen eine völlig andere Seinsweise, dergestalt sie ausschließlich in unserem Geist existieren oder rein formal, so hätten wir es dann offensichtlich mit einem ganz anderen Wahrheitsbegriff zu tun, der gar keinen Bezug zur Realität mehr aufwiese, sondern nur auf die Art der Konstruktion der mathematischen Gegenstände Bezug nähme beziehungsweise rein syntaktisch (Kombination von bestimmten Zeichen nach bestimmten Regeln), ohne dass dem eine Semantik, eine Bedeutung zukäme. Die Zeichen stünden gleichsam für nichts, nur für sich selbst.
3. Somit stellt sich vor allem auch die Frage nach dem Verhältnis von Mathematik und Wirklichkeit (Realität): Welche Beziehung besteht zwischen der abstrakten Welt der Mathematik und dem physikalischen Universum? Ist Mathematik in der Erfahrung verankert, und wenn ja, wie? Wie kommt es, dass Mathematik „auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich passt“ (Albert Einstein)?
Ausblick
Dazu im nächsten Teil mehr. Dort will ich versuchen, das Ganze an der einfachen Rechenregel Minus mal Minus ist Plus zu erläutern.
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