Von Jürgen Fritz, Di. 19. Okt 2021, Titelbild: © Polizei Schwaben Nord
Die vermisste elfjährige Shalomah aus Schwaben wurde offenbar von ihren leiblichen Eltern „mitgenommen“ (entführt). Das Mädchen ist am Samstag vom Joggen nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Nun erhielt der Pflegevater eine E-Mail, die indirekt Hinweise auf den Aufenthaltsort des Mädchens gibt.
Shalohmah befindet sich wohl bei ihren leiblichen Eltern im Ausland
Zeugen hatten letzte Woche beobachtet, dass vor Shalomahs Schule ein unbekanntes Auto geparkt habe. Vermutlich wurde sie von ihren leiblichen Eltern mitgenommen. Das Mädchen könne freiwillig eingestiegen sein, da es noch eine starke Bindung zu seinen leiblichen Eltern habe. Die neue Familie habe insgesamt vier Pflegekinder. Shalomah sei von ihr aufgenommen worden, als sie zweieinhalb Jahre alt war. Die leiblichen Eltern gehören der Sekte Zwölf Stämme an, die 2000 bis 2017 im nahen Klosterzimmern lebten und dann nach Tschechien zogen.
Bei dem Pflegevater von Shalomah sei nun eine E-Mail eines Absenders eingegangen, der mutmaßlich der Sekte zuzuordnen ist, berichtete das Polizeipräsidium in Augsburg gestern. Darin stehe, Shalomah befinde sich bei den leiblichen Eltern und es gehe ihr gut. Das Polizeipräsidium in Cheb (Eger) teilte mit, man sei von den deutschen Kollegen um Zusammenarbeit bei der Fahndung nach dem Mädchen gebeten worden. Auf dieser Grundlage habe man den möglichen Aufenthaltsort des Kindes in der Stadt Skalna in der Verwaltungsregion Karlsbad (Karlovy Vary) überprüft. „Die Polizisten stellten vor Ort fest, dass sich das vermisste Mädchen nicht dort befindet.“ In Skalna befindet sich eine der zwei Gemeinschaften der Zwölf Stämme, die andere ist in Msecké Zehrovice bei Prag.
Kinder werden regelmäßig mit Ruten und Rohrstöcken geschlagen
Gegen die Sekte gab es mehrere Strafverfahren. Kinder sollen dort regelmäßig geprügelt werden. Eine Erzieherin wurde zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt. Auch hatte sich die Sekte geweigert, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Im September 2013 hatten die Behörden wegen der Prügelvorwürfe gegen die Sekte 40 Kinder in Klosterzimmern bei Deiningen (Landkreis Donau-Ries) abgeholt, wo die Sekte damals neben dem mittelfränkischen Wörnitz ihren Sitz hatte. Auf einem Video war zu sehen, wie mehrere Eltern der Zwölf Stämme ihre Kinder mit Rohrstöcken schlugen, um ihren Willen zu brechen. Auch die kleine Shalomah befand sich unter diesen Kindern.
Das Mädchen hatte ab dann „unregelmäßigen Kontakt“ zu den leiblichen Eltern. Diese gingen rechtlich gegen den Sorgerechtsentzug vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2018, dass die Entscheidungen deutscher Familiengerichte zulässig waren. In Bayern war der Sekte nach jahrelangen Streitigkeiten auch der Betrieb einer eigenen Privatschule für die Kinder untersagt worden.
Die Zwölf Stämme wurden 1972 in den USA von Elbert Eugene Spriggs (geb. 1937) gegründet. Sie haben heute ca. 2000, 2500 Mitglieder weltweit. Die Sektenmitglieder sind Urchristen, die ihren Gründer als Apostel bezeichnen. Die Lehre schreibt vor, ein urchristliches Leben zu führen in Gütergemeinschaft, strenger Hierarchie innerhalb der Familie, die Frau ist dem Mann untergeordnet, und die Kinder haben unausweichlich der elterlichen Autorität Folge zu leisten. Hierzu gehört auch die körperliche Züchtigung mit der Rute, die aus der Bibel abgeleitet, so etwa:
“Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn, wer ihn aber liebt, der züchtigt ihn beizeiten.“ (Sprüche 13,24)
oder:
„Züchtige deinen Sohn, so wird er dich erquicken und dir Freude machen“ (Sprüche 29,17)
oder
„Entziehe dem Knaben die Züchtigung nicht! Wenn du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben“ (Sprüche 23,13).
Urchristlich-kommunistische Sekte, die die Evolutionstheorie ablehnt und in einer nahen Endzeiterwartung lebt
Die Zwölf Stämme sehen sich also als bibeltreu und in der Tradition des Urchristentums, insbesondere der Jerusalemer Urgemeinde und der von ihr praktizierten Gütergemeinschaft (Kommunismus). Der Besuch einer öffentlichen Schule wird aus Gewissensgründen abgelehnt.
Sie leben und arbeiten zusammen in Kommunen. Diese sind streng hierarchisch gegliedert. Die männlichen Mitglieder werden „Brüder“, die weiblichen „Schwestern“ genannt. Frauen sind den Männern klar untergeordnet. Der Tagesablauf ist streng reguliert und beginnt mit einem gemeinschaftlichen Morgentreffen. Männer tragen in aller Regel Bärte und langes Haar. Dies wird biblisch und aus der Tradition des Judentums heraus begründet. Frauen tragen weite Hosen, Röcke oder Kleider. Die „Brüder“ und „Schwestern“ der Gemeinschaft müssen hart und lange arbeiten, bekommen keinen Lohn und verzichten auf persönliches Eigentum bzw. müssen darauf verzichten. Eine Krankenversicherung wird wie jede staatliche Sozialleistung abgelehnt.
Sexualkunde wird vorwiegend aus moralisch-pädagogischen Gründen abgelehnt. Die Evolutionstheorie wird als Widerspruch zur biblischen Schöpfungsaussage interpretiert und deshalb ebenfalls abgelehnt (Kreationismus-Anhänger). Stattdessen wurden die Jungen und Mädchen in der Gemeinschaft selbst unterrichtet. Dabei wurden die Kinder immer wieder systematisch schwer misshandelt. Schon Kleinkinder wurden so eng in Tücher gewickelt, dass sie nicht mehr strampeln konnten. Ab dem zweiten Lebensjahr wurden Kinder mehrmals täglich mit einer Birkenrute geschlagen.
Der Zugang zu Informationen über Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet ist den einfachen Mitgliedern und den Kindern der Gemeinschaft verboten und nur der Führungsspitze erlaubt. Die Zwölf Stämme leben wie Jesus von Nazareth in einer ausgeprägten Endzeiterwartung. Es wird ein baldiges Endgericht prophezeit und Jesus wird den Menschen ihre ewigen Plätze zuweisen. Die unreinen „Ungerechten“ kommen zusammen mit Satan in einen „ewigen See von Feuer und Schwefel“, die „Gerechten“ in eine ewige neue Welt und die auserwählten „Heiligen“ in die „Heilige Stadt“, das „Neue Jerusalem“. Andere religiöse, besonders christliche Gemeinschaften werden abgewertet und es gibt keinen Kontakt zu anderen Gemeinschaften.
Das heißt, wir haben es hier mit einer klassischen Anhängerschaft einer menschenrechtsnegierenden, sozialistisch-kommunistischen, aufklärungsfeindlichen, metaphysisch spekulativen Weltanschauung zu tun, die den Willen ihrer Kinder zu brechen versuchen.
Die Kinder werden von klein auf indoktriniert und teilweise mehrmals täglich mit der Rute geschlagen
Dem RTL-Reporter Wolfram Kuhnigk war es nach mehrmonatiger Recherche gelungen, auf Video festzuhalten, wie verschiedene Mitglieder der Zwölf Stämme ihre Kinder mit Rohrstöcken schlugen. Die Kinder werden offenbar systematisch von klein auf mit Gewalt indoktriniert.
Eine junge erwachsene Frau sagte im Interview, man hätte gar nicht mehr zählen können, wie oft das passiert sei, weil das einfach den ganzen Tag so gegangen sei.
Im Juni 2016 wurde dann endlich eine Lehrerin der ehemaligen eigenen Schule der Zwölf Stämme vom Landgericht Augsburg zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt und noch im Gerichtssaal festgenommen. Sie gab zu, ihre Schüler teilweise mehrmals täglich mit einer Rute geschlagen zu haben. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der Zwölf Stämme zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde. Im August 2016 erhielt ein anderer Angehöriger der Zwölf Stämme vom Landgericht Nördlingen eine siebenmonatige Bewährungsstrafe, weil er auf dem Gelände in Klosterzimmern ein Kind über längere Zeit mit einer Rute geschlagen hatte, als ob eine Bewährungsstrafe so jemanden läutern und die Kinder schützen könnte.
Anfang 2017 übersiedelten die letzten Mitglieder der Gemeinschaft nach Skalná in Tschechien. Dort ist die körperliche Bestrafung von Kindern nicht ausnahmslos untersagt.
Nachwort
Kinder sind kein Eigentum der Eltern, sondern eigenständige Wesen mit Rechten und Würde, die es zu entwickeln und nicht zu unterdrücken gilt. Sie sind philosophisch gesprochen nicht zu formende Objekte, sondern heranwachsende Subjekte, die unsere Hilfe brauchen, inklusive kritischer Rückmeldung, um das in ihnen bereits Angelegte, so auch die Empfänglichkeit für Moralität, in Freiheit bestmöglich entwickeln und ausformen zu können.
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