Vertikalität: Aphorismen

Von Jürgen Fritz, Do. 23. Jul 2020, Titelbild: Pixabay, CC0 Public Domain

I. Der Kluge hält immer Ausschau nach einem Klügeren, von dem er lernen kann, und sucht dessen Nähe. Manchmal tut es auch ein ebenbürtiger oder leicht überlegener Kontrahent, der einem gestattet, an ihm zu wachsen. Die anderen sind zufrieden mit sich selbst und wollen so bleiben, wie sie sind (Basislager-Problem).

Aphorismen

II.

Der postmoderne Mensch ist völlig taub gegen alles, was von oben kommt. Er kann nur noch Schallwellen empfangen aus der Ebene, aus der Horizontalen. Oder von unten. Sein Ohr hat sich gleichsam so verformt, dass es ihn gegen sämtliche Schwingungen aus der Vertikalen, so sie nicht von unten kommen, völlig abschirmt. Welch eine Entlastung! – Jürgen Fritz

III.

Neue Linke definieren sich selbst nahezu ausschließlich über die, die moralisch unter ihnen stehen. Das heißt, sie blicken immer nach unten, nie nach oben. Das vermittelt ihnen das Gefühl der moralischen Überlegenheit, mithin Selbstwert, der sich nicht aus einer Identifikation mit einem Positiven, sondern aus der Kontrastierung zum besonders Negativen formt.

Daher brauchen Neue Linke Nazis, Rechtsextremisten, Rassisten und Faschisten, über welche sie sich allererst definieren als „Anti-Faschisten“, „Anti-Rassisten“, „Anti-Imperialisten“ etc, wie der Fisch das Wasser braucht, in welchem er schwimmt und das er zur Selbsterhaltung benötigt. Ein Blick nach oben würde ihnen freilich auf einen Schlag offenbaren, wo sie sich tatsächlich selbst verorten müssten. Dies antizipierend wenden sie den Blick niemals um nach oben, um so ihre Illusion der falschen Selbstverortung stabil halten zu können. – Jürgen Fritz

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Pixabay, CC0 Public Domain

Zitate

I.

„Anstaunen ist auch eine Kunst. Es gehört etwas dazu, Großes als groß zu begreifen.“ – Theodor Fontane

II.

„»Du mußt dein Leben ändern!«, das heißt, wir sahen es anläßlich des Rilkeschen Torso-Gedichts: Du sollst auf die innere Senkrechte achten und prüfen, wie der Zug vom oberen Pol her auf dich wirkt! Es ist nicht der aufrechte Gang, der den Menschen zum Menschen macht, es ist das aufkeimende Bewußtsein des inneren Gefälles, das im Menschen die Aufrichtung bewirkt.“ – Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. 99

III.

Karl Barth „erlag dem Trugschluß, dem Theologen ex officio zu erliegen gehalten sind, nämlich: die Dimension der Vertikalspannungen umstandslos für den chritlich entschlüsselten »Anruf von oben« zu vereinnahmen.“ – Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. 139

IV.

„Mensch sein heißt in einem operativ gekrümmten Raum existieren, in dem die Aktionen auf den Akteur, die Arbeiten auf den Arbeiter, die Kommunikationen auf den Kommunizierenden, die Gedanken auf den Denkenden, die Gefühle auf den Fühlenden zurückwirken. Alle diese Arten des Rückwirkens haben, behaupte ich, asketischen, das heißt übungshaften Charakter …“ – Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. 174 f.

V.

„Zwar können Stolz (thymós) und Gier (éros) ihrer antithetischen Natur zum Trotz erfolgreiche Bündnisse miteinander schließen, die Stolzprämien jedoch, Prestige und Selbstachtung, und die Gierprämien, Aneignung und Genießen, fallen in deutlich getrennte Bereiche.“ – Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. 174 f.

VI.

„Der Imperativ: »Du mußt dein Leben ändern!« heißt hier: Du selber bist der Berg des Unwahrscheinlichen, und wie du dich faltest, so ragst du empor.“ – Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. 243

VII.

„Um weiter im Bild vom Aus-dem-Fluß-Steigen zu bleiben: Der Mensch, der sich auf die Explikation der Trägheit in sich selbst eingelassen hat, sieht sich durch den Gang der Erfahrung gezwungen, gleich dreimal auf die andere Seite des Selbstbefunds zu wechseln. Indem er bemerkt, wie die Leidenschaften in ihm arbeiten, begreift er, daß es darauf ankommt, auf die andere Seite der Passion zu gelangen, um die Leidenschaften nicht nur zu erleiden, sondern zu einem Könner des Leidens zu werden.

Indem er bemerkt, in welchem Ausmaß die Gewohnheiten ihn beherrschen, sieht er unmittelbar ein, daß es ausschlagebend wäre, auf die andere Seite der Gewohnheiten zu  kommen, um nicht nur von ihnen besessen zu sein, sondern um sie zu besitzen.

Und indem er bemerkt, daß seine Psyche von konfusen Vorstellungen besiedelt wird, geht ihm ein Licht auf, wie wünschenswert es wäre, auf die andere Seite des Vorstellungsgetümmels zu gelangen, um nicht bloß von wirren Gedanken heimgesucht zu werden, sondern um logisch stabile Ideen zu entwickeln. Das Denken beginnt, wenn das Affentheater der Assoziationen aufhört, das neuerdings als Wettbewerb der »Meme« um freie Rechenkapazitäten der Neocortex beschrieben wird.

Dieser dreifache Seitenwechsel bildet das ethische Programm in all den Aktivitäten, die Platon unter dem Kunstwort »Philosophie« zusammenfasste.“ – Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, S. 304 f.

VIII.

„Die Chance liegt jedesmal im Partizip Aktiv Präsens: Unter dieser Form wird der aktivierte Mensch als eigentätig Fühlender, Übender und Vorstellender gegenüber dem Gefühlten, Geübten, Vorgestellten auf den Schild gehoben. Dadurch setzt sich allmählich ein Subjektmensch vom Objektmensch ab … 

In der zweiten Position bleibt der Mensch, wie er war, das Passive, Wiederholte, kampflos Überwältigte, in der ersten hingegen wird er der Post-Passive, der Wiederholende, der Kampfbereite … Was dieser im Aufstieg zur Bildung (zum Humanisten, JFB) zurückläßt, ist die Naivität, die vormals auch die seine war – mitsamt der doppelten Stellungnahme zu ihr: als Verachtung für das überwundene Klischee und als Heimweh nach dem Ungebrochenen.“

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