FDP fällt auf Zweieinhalb-Jahres-Tief

Von Jürgen Fritz, So. 01. Mär 2020, Update: Di. 03. Mär 2020, Titelbild: © JFB

Die FDP steckt – gestatten Sie mir bitte den Ausdruck – in einer ganz fetten Krise. Vor 29 Monaten holte sie bei der Bundestagswahl über 10,7 Prozent. Doch seither hat sie 43 Prozent ihrer Anhänger verloren! In Brandenburg und Sachsen verpasste sie letztes Jahr den Einzug in den Landtag. Gut, das kam nicht überraschend. In Thüringen schaffte sie ihn gerade so mit 5,00 Prozent, aber dann folgte das bekannte Debakel. Letzten Sonntag flog sie dann aus der Hamburgischen Bürgerschaft, verlor ein Drittel ihrer Wähler und fiel von 7,4 auf 4,96 Prozent. Und bundesweit wird es langsam bedrohlich für die Freien Demokraten, die sich nun bereits langsam der Fünf-Prozent-Marke annähern.

Bei den Big Points geht der Ball immer ins Netz oder ins Aus

Nach all diesen oben genannten Misserfolgen wird auch die Kritik an dem Vorstizenden der FDP Christian Lindner (41) schärfer. Lindner ist ein immens kluger Kopf, zusammen mit Friedrich Merz vielleicht einer der klügsten. Er ist ein brillanter Rhetoriker, kann sich in Rededuellen mit jedem messen, hat ein sympathisches, gewinnendes Wesen. Aber immer wieder in entscheidenden Situationen macht er katastrophale Fehler. Im Tennis würde man sagen: Bei den Big-Points versagt er, haut den Ball immer wieder ins Netz oder weit ins Aus, wenn es drauf ankommt.

Der Abstieg der FDP begann bereits in den Wochen und Monaten nach der Bundestagswahl Ende September 2017. Etliche Wochen verhandelten und verhandelten Lindner und Kubicki mit den Vertretern von CDU, CSU und den Grünen über eine Jamaika-Koalition. Dann im letzten Moment schmissen Lindner und Kubicki hin. Das kam gar nicht gut an – weder bei der linken Presse noch bei den Wählern, auch nicht denen der FDP. Warum verhandelt man erst so viele Wochen und merkt dann erst, dass es doch nicht geht.

Lindner und Kubicki gestanden später ein, dass dies ein Riesenfehler war. So entstand das Bild, die FDP weiß nicht so richtig, was sie überhaupt will, und wenn es drauf ankommt, Verantwortung zu übernehmen, zieht sie im letzten Moment zurück. Das hängt der Partei bis heute nach. Seit Ende 2017 überschritt sie im Wahl-O-Matrix-Mittelwert und auch im Dawum-Wert nie wieder die 10 Prozent-Marke.

Kemmerich bekommt von denen, von denen er keine einzige haben will, alle Stimmen, nimmt die Wahl an und bereut es schon am nächsten Tag

Immerhin konnte sie sich aber 7 bis 9 Prozent einpendeln, lag also immer klar über der Fünf-Prozent-Marke. Doch das hat sich seit Thüringen geändert. Wieder erschien die FDP so, als ob sie nicht weiß, was sie eigentlich will und wofür sie steht. Trotz vielfältiger Warnungen entschied sich Thomas Kemmerich, der Spitzenmann der FDP in Thüringen, sich bei der Wahl zum Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 aufstellen zu lassen.

Das hatte ja durchaus was Witziges, dass eine 5,00 Prozent den Ministerpräsidenten stellen will. Man wollten einen bürgerlichen Kandidaten der Mitte aufstellen, um ein Zeichen zu setzen und damit nicht nur die Parteien am ganz linken und am ganz rechten Rand einen Kandidaten haben. Doch dann bekam Kemmerich alle Stimmen von denen, von denen er keine einzige haben wollte und war damit zu seiner eigenen Überraschung zum Regierungschef von Thüringen gewählt.

Kemmerich und Lindner, mit dem mit Sicherheit alles abgesprochen war, waren gewarnt worden, dass genau das passieren würde und dies die FDP in eine ganz brenzlige Situation bringen würde. Doch beide hörten nicht auf die Warnungen. Und nun? Kemmerich pustete durch, wirkte überfordert, wusste nicht, soll er die Wahl jetzt annehmen oder nicht. Er hätte jetzt noch nein sagen können, sagte aber ja, er nehme die Wahl an. Okay, so weit so gut oder so schlecht, je nachdem, wie man es sehen möchte.

Die FDP wird von links rund um die Uhr heftigst attackiert und knickt dann vollkommen ein

Dann aber folgten derart heftige Attacken von den anderen Parteien aus dem linken bis linkspopulistischen und linksradikalen Lager und aus der linken, intrinsisch weitgehend gleichgeschalteten Presse, dass es der FDP bereits zu brenzlig wurde. Wolfgang Kubicki hatte am Tag der Wahl noch klar Position für Kemmerich bezogen, das sei richtig gewesen, die Wahl anzunehmen. Doch schon am nächsten Tag knickte er ein und behauptete das Gegenteil.

Lindners Exfrau Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin bei der großen Tageszeitung WELT, schrieb und sagte im TV mit Blick auf Lindner, Politik sei etwas für Profis. Wumm, das hatte gesessen. Man weiß nicht, ob da persönliche Dinge noch mit reinspielten, aber wenn die Ex, die eine große Tageszeitung leitet, so etwas über ihren Ex-Ehemann und Parteichef sagt, das tut weh. 

Als dann sogar noch Drohungen, wüste Beschimpfungen, körperliche Angriffe auf FDP-Büros und -politiker erfolgten, zog man den Schwanz ein und Lindner kroch im Deutschen Bundestag und auch sonst überall zu Kreuze. (Lindners Gang nach Canossa). Man entschuldigte sich, das sei ein Riesenfehler gewesen, aber man habe ihn ja innerhalb weniger Tage korrigiert. Kemmerich sei ja sofort wieder zurückgetreten und das Geld, das er als Ministerpräsident bekomme, werde er spenden oder zurückzahlen, wenn das gehe usw. usf. Die FDP gab irgendwie ein jämmerliches Bild an.

Und das kostete nochmals Anhänger. Zuerst hatte man die enttäuscht, die es unmöglich fanden, dass Kemmerich sich ausgerechnet mit den maßgeblichen Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen, nun enttäuschte man die, die erwartet hätten, dass man zu seiner Entscheidung steht. Norbert Bolz, der wohl der FDP nahe stehen dürfte, schrieb auf Twitter:

Canossa-Rede

Das Wahldebakel von Hamburg

Und ausgerechnet jetzt kamen die einzigen Landtagswahlen dieses Jahr. Letzten Sonntag, am 23. Februar wählten die Hamburger ihre Bürgerschaft neu. Vor fünf Jahren kam die FDP dort auf 7,4 Prozent. Hamburg, die Welt- und Kaufmanns-Stadt, da müssten für die FDP doch mindestens 6 bis 8 Prozent drin sein, wenn nicht 10, würde man meinen wollen. Doch nach diesem Vorspiel war klar: Jetzt muss sie sogar um die 5 Prozent bangen. Und es kam, wie es nicht schlimmer hätte kommen können: Nach der Vorabauszählung am Sonntag hieß es, sie sei mit 5,03 Prozent drin, doch am nächsten Tag stellte man fest, man hatte ein paar hundert Stimmen falsch zugeordnet. Bei der Auszählung in Ruhe am Montag fiel die FDP auf 4,96 Prozent. Draußen!

Dass die FDP es im Osten Deutschlands nicht in alle Landtage schafft, okay, aber in Hamburg nicht mehr im Parlament! Das tat weh. Und jetzt verschärfte sich die Kritik an Lindner nochmals.

„HOLLAND STATT ELB-METROPOLE – Verlor die FDP wegen dieses Fotos die Hamburg-Wahl“

titelte die BILD und zeigte ein Foto von Lindner zusammen mit seiner neuen Partnerin Franca Lehfeldt (die mehr als 15 Jahre jünger ist Dagmar Rosenfeld), welches die beiden bei ihrem Ausflug in Amsterdam zeigt.

Amsterdam mit Franca Lehfeldt

Das Bild, welches die beiden, die seit 2018 ein Paar sind, glücklich und ausgelassen zusammen zeigt, hatte Lindner auf Instagram selbst eingestellt und „Ein schöner Sonntag in Amsterdam“ drunter geschrieben. Und das passte jetzt natürlich überhaupt nicht zur Entwicklung der FDP nach Thüringen und dann dem Wahlergebnis in Hamburg.

Auch FDP-Mitglieder sind von Lindner enttäuscht

Natürlich müssen auch Politiker mal ausspannen und mal einen Ausflug oder Kurzurlaub machen können, aber der Zeitpunkt, solch ein Bild zu veröffentlichen, war einfach denkbar schlecht gewählt. Auch hier fehlt Lindner das Fingerspitzengefühl. Ein Follower auf Instagram war darüber denn auch merklich enttäuscht und kommentierte:

„Wissen Sie Herr Lindner, FDP Mitglieder und Politiker werden bundesweit gerade heftig angegangen, beschimpft, bespuckt etc. Viele davon sitzen momentan auf Marktplätzen im Sturm und machen Wahlkampf in Hamburg. Dass sie da die Muse für Urlaub haben, enttäuscht auch mich als FDP-Mitglied. Das ist ungefähr so, als  würde der Firmenchef eines Unternehmens, welches jeden dritten Mitarbeiter entlassen musste, erstmal schön wegfahren. Da muss man sich dann über die Stimmung im Unternehmen auch nicht mehr wundern.“

Es gibt Berichte, dass Lindner wegen seines Amsterdam-Ausfluges gerade in dieser für die FDP so wichtigen Wochen sogar die Teilnahme an der wichtigen TV-Sendung Anne Will hat sausen lassen und das eine Woche vor der Hamburgwahl. Stattdessen lud Will dann ausgerechnet den 87-jährigen in der FDP extrem weit links stehenden Gerhart Baum in ihre Sendung ein. Und der übte dann dort heftige Kritik an Lindner. Wieder entstand das Bild, wenn es eng wird, macht Lindner sich immer davon.

Was bleibt: ein bitterer Nachgeschmack und eine FDP bei jetzt 6,1 Prozent

Alles Quatsch, erklärte dieser selbst. „Ich selbst hatte gesagt, dass wir Lambsdorff für die Sendung vorgeschlagen haben, aber die Redaktion hat Herrn Baum aktiven FDP-Politikern vorgezogen“, so Lindner gegenüber der BILD. Das hätte gar nichts mit meiner Abwesenheit zu tun gehabt, sondern mit dem Bemühen um personelle Verbreiterung. Schon am Sonntagnachmittag sei er längst wieder in Berlin gewesen! „Kein Präsidiumsmitglied von uns und auch sonst kein Spitzenpolitiker war so oft in Hamburg im Einsatz wie ich“, so Lindner.

Das mag sein, gleichwohl hinterließ dieses Bild zu diesem Zeitpunkt einen bitteren Beigeschmack und Lindner fehlte bei Will. Einen schlimmeren FDP-Politiker als Gerhart Baum hätte man kaum in die Sendung schicken können, aber vielleicht wollte die ARD ja auch gezielt genau den.

Fest steht, der Abwärtstrend der FDP ist noch immer nicht gestoppt. Nun steht sie im Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute, die in den letzten drei Wochen (bezogen auf den mittleren Tag der Befragung) Erhebungen durchführten, gerade noch bei 6,1 Prozent. 1,11 Prozent über der magischen Marke.

So würden die Deutschen heute wählen

Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute,  die in bezogen auf den mittleren Tag der Befragung in den letzten drei Wochen Erhebungen durchführten. Das waren: a) Infratest dimap, b) INSA, c) Civey, d) Kantar (Emnid), e) Forsa.

  1. CDU/CSU: 26,6 %
  2. GRÜNE: 22,5 %
  3. SPD: 16,0 %
  4. AfD: 12,8 %
  5. LINKE: 9,6 %
  6. FDP: 6,1 %
  7. Sonstige: 6,4 %

2020-03-03

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