Von Jürgen Fritz, Mi. 14. Apr 2020, Titelbild: YouTube-Screenshots
CDU/CSU drohen bei der Bundestagswahl erstmals in der Geschichte unter 30 Prozent zu fallen. Im Januar wählten Parteifunktionäre in einem wahren Schmierentheater Armin Laschet zum neuen CDU-Vorsitzenden, obschon 85 bis 92 Prozent der Parteimitglieder und die überwältigende Mehrheit der Unionswähler diesen nicht wollten. Genau hier setzt der CSU-Vorsitzende Markus Söder an und zerlegt den Chef der großen Schwester. Der giftet nun zurück.
„Ich bin bereit zu dieser Kandidatur“ – „Ich auch!“
Gestern ging die Schlacht zwischen Armin Laschet und Markus Söder, die Schlacht um die Unions-Kanzlerkandidatur in die dritte Runde. Am Sonntag hatte der CSU-Chef in der Klausurtagung des geschäftsführenden Unionsfraktionsvorstands seinen Hut in den Ring geworfen: „Ich bin bereit zu dieser Kandidatur“, hatte Söder gesagt. Damit war der Kampf eröffnet, denn auch der CDU-Vorsitzende Armin Laschet ist zu dieser Kandidatur bereit und zurückziehen will offensichtlich keiner von beiden.
Am Montag war es dann in die zweite Runde gegangen. Söder werde antreten, wenn die große Schwester ihn rufe. Die Spitzenfunktionäre des CDU-Präsidiums, bestehend aus ca. 20 Personen, und CDU-Bundesvorstand, bestehend aus ca. 45 Personen, haben sich dann aber mit großer Mehrheit hinter ihren Parteivorsitzenden Armin Laschet gestellt. Von ihnen kam also kein Ruf nach Bayern. Diese rund 45 Personen seien aber nicht die CDU, gab daraufhin Markus Söder seine Sicht der Dinge zu erkennen. Das sei nur die Parteispitze, nicht aber die Breite.
Anmerkung: Schließlich besteht die CDU ja aus 400.000 Mitgliedern. Und die sehen die Dinge offensichtlich völlig anders als die 45 Spitzenfunktionäre (ca. 0,01 Prozent der Partei). Ebenso sehen es abgesehen von der CSU auch die potentiell mindestens 17 Millionen Unionswähler völlig anders als die CDU-Spitze. Denn beide, die CDU-Mitglieder und die Unionswähler, sagen nicht nur punktuell in einer Momentaufnahme, sondern seit mehr als 15 Monaten durchgehend, Woche für Woche, Monat für Monat, dass sie Laschet nicht wollen. Zugleich ist die Beliebtheit von Söder in allen drei Gruppen, a) Parteibasis von CSU, b) Parteibasis von CDU und c) den Unionswählern, ausgesprochen hoch. Was also tun? Vor dieser Frage steht die CDU nun und dieses Dilemma hat sie sich selbst eingebrockt, als sie im Januar in einem wahren Schmierentheater ausgerechnet den zu ihrem Bundesvorsitzenden wählte, den sowohl in der Wählerschaft als auch in der Basis beider Parteien – und wie gesagt, wir reden hier von über 400.000 CDU-Mitgliedern und 140.000 CSU-Mitgliedern – kaum jemand haben wollte.
Söder zwingt Laschet in die direkte Konfrontation
Diese Chance witterte natürlich der in der Parteibasis und bei den Wählern sehr viel beliebtere CSU-Chef und zog auch nach dem klaren Votum der 45 CDU-Spitzenfunktionäre seine Kandidatur nicht zurück, sondern setzte sogar noch nach. Söders Motto, auch wenn er das explizit so nicht formuliert: Wollt ihr mit Laschet die Bundestagswahl verlieren und die grüne Baerbock (oder Habeck) ins Amt hieven oder wollt ihr mit mir die Wahl gewinnen?
Nun zwang Söder Laschet gestern, am Dienstag, zu einem direkten Duell vor der CDU-/CSU-Fraktion, bestehend aus ca. 245 Bundestagsabgeordneten. Und hier sehen die Kräfteverhältnisse bereits deutlich anders aus als im kleinen CDU-Präsidium und CDU-Bundesvorstand. Laschet wollte sich einem solchen Duell vor den Unionsabgeordneten des Deutschen Bundestages eigentlich gar nicht stellen. Noch am Montag hatte er gesagt, er habe nicht vor, an der Fraktionssitzung teilzunehmen. Doch dann kündigte Söder am Montagabend an, er werde dort zu und mit den Abgeordneten sprechen. Damit zwang er Laschet in die direkte Konfrontation, denn ansonsten hätte dieser Söder ja das Feld überlassen. So ging es gestern also in die dritte Runde im Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union.
Laschet attackiert Söder als unzuverlässigen Wendehals, der kurzfristig taktiere, aber nicht langfristig strategisch denken könne
In der vierstündigen Sitzung gestern sprach als erster von beiden im Plenarsaal des Bundestages Armin Laschet. Dieser attackierte Söder in seiner gewohnten Art, vordergründig freundlich formulierend, dabei aber jede Menge Giftpfeile abschießend. Söder habe zuerst versucht, die AfD zu kopieren, und würde nun mit den Grünen das Gleiche tun, skizzierte er ein äußerst ungünstiges Bild des CSU-Vorsitzenden. Verpackt hat Laschet seine Attacke, wie so oft, in einem vergifteten Lob: Er habe Söder dafür gewürdigt, dass er vor einigen Jahren „bei der AfD die Kehrtwende rechtzeitig geschafft“ habe, schilderten Teilnehmer Laschets Auftreten in der Unionsfraktion.
Damit spielte Laschet auf den Landtagswahlkampf in Bayern an, als Söder in der Tat versucht hatte, sich nach der Flüchtlings-, genauer: der Massenimmigrationskrise als Hardliner zu präsentieren. Als Söder jedoch merkte, dass er damit nicht reüssieren würde beim Wähler, schwenkte er im Sommer vor der Landtagswahl komplett um, entschuldigte sich gar für die Verwendung des Wortes „Asyltourismus“ und fing nun an, sich den Grünen immer mehr anzunähern. Und siehe da, damit hatte er mehr Erfolg, so dass er bis heute bei dieser Strategie blieb. Damit hatte Laschet natürlich einen Punkt getroffen: Söder ist in der Tat extrem gelenkig, was seine Positionen anbelangt. Die können sich sehr schnell ändern, wenn er merkt, dass er mit einer anderen Linie mehr Erfolg hat.
Laschet: „Wir müssen unsere Themen setzen“
Dieser Umgang mit den Grünen gehe ihm, Laschet, aber zu weit. „Markus, du hast eine Klima-Allianz mit (dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten) Winfried Kretschmann vorgeschlagen“, soll Laschet wörtlich gesagt haben. Das könne man auf Länderebene machen. Das sei aber gefährlich. „Am Ende wählen die Leute dann die Grünen. Wir müssen unsere Themen setzen.“ Damit stellte er Söder zugleich als jemanden hin, der nicht in der Lage sei, langfristig strategisch zu denken und damit auch nicht fähig, die Union insgesamt und das Land zu führen. Da einige Söder-Anhänger in der Union zum wirtschaftsliberalen Flügel gehören, der mit den Grünen eher wenig anfangen kann, landete Laschet hier einen zweiten Treffer.
Außerdem stellte Laschet sich selbst als eher für den Osten der Republik geeignet dar. Wer den Kohleausstieg bis 2030 wolle, überfordere die Kohlegebiete im Osten. Nordrhein-Westfalen würde den Ausstieg aus der Kohle schaffen, aber der Osten brauche nun mal mehr Zeit, um das Ganze sozialverträglich zu gestalten. Klimaschutz müsse eine „Unionshandschrift“ tragen. Im Westen seien Die Grünen der Hauptgegner, im Osten aber sei dies die AfD. Deren Wähler dürfe man nicht beflügeln, in dem man grüner sein wolle als die Grünen. Eine weitere Speerspitze gegen Söder. Laschet soll sogar gesagt haben: „Wir brauchen keine One-Man-Show“, attackierte Söder also wieder und wieder, wobei Söder sachlich geblieben sein soll und sich nicht auf die Provokationen eingelassen habe.
Söder: Nichts gegen Scholz, Habeck und Baerbock, aber wir dürfen nicht denen unser Land überlassen
Laschet sprach im Stehen. Anschließend kam Söder an die Reihe, der im Sitzen redete und etwa doppelt so lange sprach wie Laschet. Söder machte vor allem auf seinen entscheidenden Punkt aufmerksam. Laschet-Unterstützer reden gerne davon, dass Umfragen ja nur Momentaufnahmen seien. Das ist aber natürlich Unsinn, wenn all diese Momentaufnahmen über 15 Monate jede Woche immer zu dem gleichen oder zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Und genau darauf setzte Söder. „Wenn Umfragen lange stabil sind, wird das bei der Wahl nicht viel anders sein“, erklärte der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident. „Umfragen spielen eine große Rolle.“
Und damit landete nun Söder einen Volltreffer. Wie will die Union denn die Bundestagswahl gewinnen, wenn kaum jemand im Lande den Spitzenkandidaten der Union als Kanzler haben möchte? (Ja sogar die Nordrhein-Westfalen schon mit ihm als Ministerpräsident zutiefst unzufrieden sind, möchte man ergänzen). „Es gibt nur eine ernsthafte Frage: Wollen wir gewinnen?“, soll er den Abgeordneten zugerufen haben. Dafür sei nicht die angenehmste, sondern die beste Aufstellung nötig.
Er habe nichts gegen SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz oder gegen das Grünen-Führungsduo aus Robert Habeck und Annalena Baerbock, fuhr Söder fort, „aber denen dürfen wir unser Land nicht überlassen„. Und Söder warnte ganz konkret vor baden-württembergischen Verhältnissen im Bund: „Ist man Juniorpartner, bleibt man Juniorpartner. Und das kann nicht unser Anspruch sein.“
Erläuterung: Im Ländle hatte die CDU fast 60 Jahre regiert und durchgehend den Ministerpräsidenten gestellt. Doch seit 2011 regieren dort die Grünen mit ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der gerade zum dritten Mal zum Landesregierungschef gewählt wurde, wobei die Grünen seither von Wahl zu Wahl immer stärker, die CDU aber immer schwächer wird. Genau dies droht der Union nun tatsächlich auch im Bund. Sollte sie mal abgewählt werden und die Leute merken, dass es auch ohne CDU/CSU geht, könnte diese in der Opposition in mehreren Legislaturperioden immer schwächer und schwächer werden. CDU und CSU stehen also in der Tat vor einem wahren Abgrund. Und es ist nicht sichtbar, wie ausgerechnet Armin Laschet, den außer der CDU-Funktionärsspitze kaum jemand haben will, sie da herausführen könnte. Doch zurück zu Söders Rede vor der Fraktion.
Entscheidend ist für Söder nicht der kleine CDU-Bundesvorstand, sondern die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit ihren 245 Abgeordneten
Genau um diese warb Söder nämlich: „Es gibt nur ein Gremium, das gemeinsam tagt und als gemeinsames Gremium wahrgenommen wird“, sagte Söder nach Teilnehmerangaben. Dies sei eine Frage von Respekt und Anstand. „Für mich gehört es zur Selbstverständlichkeit, dass Abgeordnete gehört werden, und deswegen bin ich heute da.“ Damit machte Söder deutlich, die CDU besteht nicht nur aus dem ca. 45-köpfigen Bundesvorstand. Und damit trifft er wiederum ins Schwarze. Denn eine Bundestagswahl kann man nur gemeinsam gewinnen und nicht mit 45 völlig von der Basis und vom Wählerwillen abgehobenen Spitzenfunktionären.
Das Gremium, auf dessen Zustimmung Söder hofft, ist die Unionsfraktion, sind diese ca. 245 vom Bürger gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Deshalb sprach er auch immer wieder davon, dass es nicht nur um die Kanzlerschaft gehe, sondern auch um Mandate, mithin um die Repräsentanten der Bürger im höchsten deutschen Parlament. Und diese müssten mit einem Spitzenkandidaten Laschet um ihren Wiedereinzug in dieses hohe Haus bangen. Auch das ist zweifelsohne richtig. Mit Laschet als Unionskanzlerkandidat wird es für CDU und CSU ungemein schwer, so viele Wähler zu mobilisieren, wie es nötig wäre. Und das würde für einige Abgeordnete wohl bedeuten, dass sie ab Ende des Jahres ihre Posten im Parlament los sein werden. Wie war nun die Resonanz bei den Unionsabgeordneten?
Fast zwei Drittel der Unionsabgeordneten scheinen zu Söder zu tendieren
In der CDU/CSU-Fraktion gibt es wohl tatsächlich – anders als im CDU-Bundesvorstand – eine Mehrheit für Söder. Von den rund 60 Wortmeldungen in der Debatte hätten sich etwa 40 für Söder ausgesprochen und nur 22 für Laschet, sagen Teilnehmer. Das heißt, Laschet hat zwar den 45-köpfigen CDU-Bundesvorstand mehrheitlich klar hinter sich, aber schon die Unionsfraktion mit 245 Abgeordneten nicht mehr. Ja diese scheinen klar für Söder zu sein, womöglich sogar zu fast zwei Dritteln! Ebenso hat Söder die über 540.000 Mitglieder von CDU und CSU klar hinter sich und bei weitem sehr viel mehr Wähler als Laschet, siehe den RTL/ntv-Trendbarometer ganz am Ende des Artikels.
CDU-Präsidium und -bundesvorstand sind aber natürlich nicht bereit, den Mann, den CDU-Funktionäre gerade erst zum Bundesvorsitzenden machten, einfach so fallen zu lassen. Der Gesichtsverlust wäre immens. Laschet hätte im Grunde als CDU-Vorsitzender kaum noch Autorität und die Partei hätte nach Kramp-Karrenbauer innerhalb von nicht mal zweieinhalb Jahren ihren zweiten Vorsitzenden verschlissen. So etwas kannte man bislang nur von der SPD. Und wo diese heute steht, wissen wir: bei knapp über 15 Prozent. Die CDU steckt also in einer tiefen Krise und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Schwenkt sie jetzt auf Söder um, verliert sie komplett ihr Gesicht, desavouiert ihren eigenen Vorsitzenden, der wieder und wieder sagte, dass er die Kandidatur unbedingt will. Das wäre im Grunde Laschets politisches Ende auf der großen Bühne der Bundespolitik. Bleibt sie bei Laschet, droht sie die Wahl zu verlieren und als Steigbügelhalter für die erste grüne Kanzlerin zu fungieren. Wie umgehen mit diesem Dilemma?
Einige Unions-Parlamentarier können sich Laschet nach dieser Sitzung nicht mehr als Kanzlerkandidat vorstellen, andere wollen an ihm festhalten
Ein Unions-Abgeordneter soll aus der vierstündigen Sitzung heraus geschrieben haben, mehr als zwei Drittel der Wortmeldungen seien für Söder ausgefallen. Es habe harte Kritik an Laschet geben. Diese „setzt ihm auch sichtlich zu, er wirkt jetzt niedergeschlagen“, so der CDU-Politiker, der sich keinem der beiden Lager zuordnet.
Einige CDU/CSU-Abgeordnete können sich nach dieser hitzigen, äußerst konfrontativen Sitzung nicht mehr vorstellen, wie Laschet jetzt noch Kanzlerkandidat werden will. Andere wiederum wollen nicht auf Söder umschwenken. Das ist der Stand der Dinge.
Auch die Kanzlerin soll sich das Rededuell angesehen haben. Angela Merkel verfolgt ohne größere Regung die emotionale Aussprache im Saal, berichten Teilnehmer. Sie hatte schon zuvor klargestellt, sich aus der Entscheidung rauszuhalten.
Wen wollen die Bürger als Bundeskanzler?
Laut dem aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer (Forsa) würden sich die Deutschen, wenn sie die Möglichkeit hätten, den Kanzler frei zu bestimmen, zu 36 Prozent für Söder, aber nur zu 3 Prozent für Laschet entscheiden. Auf die Frage „Welche Personen des öffentlichen Lebens, egal ob Politiker, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, Künstler oder andere Prominente, würden Sie gerne als Bundeskanzler bzw. Bundeskanzlerin sehen?“, antworteten die Bürger:
- Markus Söder (CSU): 36 %
- Robert Habeck (Grüne): 11 %
- Annalena Baerbock (Grüne): 10 %
- Olaf Scholz (SPD): 10 %
- Friedrich Merz (CDU): 5 %
- Armin Laschet (CDU): 3 %
Damit bleibt das Grundproblem bestehen: Die CDU hat nach Kramp-Karrenbauer erneut den Falschen zu ihrem Vorsitzenden gewählt, da sie vollkommen an ihrer eigenen Parteibasis und an den potentiellen Unionswählern vorbei agierte. Und aus dieser Nummer kommt sie jetzt wohl nicht mehr heraus.
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