Von Jürgen Fritz, Do. 12. Mai 2022, Titelbild: WDR aktuell-Screenshot
Am Sonntag wird im bevölkerungsreichsten Bundesland gewählt. Mit fast 18 Millionen Einwohnern, mehr als die Niederlande, doppelt so viele wie Österreich, ist Nordrhein-Westfalen das mit Abstand wichtigste Bundesland in Deutschland und diese Landtagswahl von großer Bedeutung, auch über NRW hinaus.
Ca. 46 Prozent der gültigen Stimmen werden für eine absolute Mehrheit der Sitze im Landtag reichen
Ich habe mir die aktuelle Lage jetzt mal genauer angesehen. Das kann sich die nächsten Tage noch verändern. Manchmal verstärkt sich ein Trend kurz vor der Wahl nochmals enorm. In Schleswig-Holstein war die CDU im Aufwärtstrend und legte die letzten Tage nochmals um über 5 Punkte zu, die SPD war im Abwärtstrend, der sich nochmals verstärkte, so dass sie nochmals um mehrere Punkte fiel und am Ende fast 10 Punkte unter ihr bisheriges historisches Tief fiel. So eine Trendverstärkung kurz vor der Wahl könnte auch in NRW passieren. Aber momentan sieht es wie folgt aus, basierend auf den drei aktuellsten Umfragen von Civey (SPIEGEL), INSA (BILD) und Forschungsgruppe Wahlen (ZDF):
- Die CDU scheint aktuell auf Platz eins zu sein mit ca. 30 bis 33 Prozent, Tendenz steigend.
- Die SPD liegt bei ca. 28 bis 29,5 Prozent, Tendenz fallend.
- Die Grünen stehen bei 16 bis 18 Prozent, Tendenz konstant.
- Die FDP liegt bei etwa 6 bis 8 Prozent, Tendenz fallend.
- Die AfD steht bei ca. 6,5 bis 7 Prozent, Tendenz leicht fallend.
- Die Linke liegt nur noch bei 2,5 bis 3 Prozent, Tendenz fallend. Sie dürfte kaum Chancen haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.
- Alle Anderen zusammen (Sonstige) stehen bei ca. 6 bis 6,5 Prozent.

(c) JFB
Das heißt, ca. 9 Prozent (Die Linke und Sonstige) der abgegebenen gültigen Stimmen werden keine Rolle spielen, weil die Parteien, für die sie abgegeben wurden, an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Somit verringert sich der Nenner von 100 auf ca. 91 Prozent, sprich etwas über 45,5 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, rund 46 Prozent werden reichen für die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag.
Die Grünen werden auf jeden Fall Teil der neuen NRW-Landesregierung einziehen, die Frage wird nur sein: mit wem zusammen?
Rechnen wir nun die Prozentzahlen von SPD und Grünen zusammen, so kommen wir auf ca. 45 Prozent plus minus ein, zwei, drei Punkte. Das heißt, Rot-Grün könnte ganz knapp an die absolute Mehrheit rankommen.
Schwarz-Gelb, die bisherige NRW-Landesregierung, hat keinerlei Chance auf eine erneute Mehrheit. Derzeit liegen sie zusammen bei ca. 39 Prozent. Selbst wenn da kurz vor der Wahl noch ein Schub käme, von drei, vier, fünf Punkten, würde das nicht für 46 Prozent reichen.
Wenn wir eine GroKo aus CDU und SPD ausschließen, die mir sehr unwahrscheinlich scheint, bleiben damit nur zwei Möglichkeiten: a) Schwarz-Grün oder b) Rot-Grün, weil mit der AfD niemand koalieren wird und weil die FDP zu schwach ist, um über die 46 Prozent helfen zu können. Die Grünen sind als Nr. 3 so stark, dass sie auf jeden Fall in die neue NRW-Regierung einziehen werden, die Frage wird nur sein: Mit wem?
Wenn die AfD über 5 Prozent kommt, steigen die Chancen auf Schwarz-Grün statt Rot-Grün
Sollte Rot-Grün auf über 45,5 bzw. ca. 46 Prozent kommen und eine Mehrheit im Landtag erzielen, so dürfen wir annehmen, dass sie ein Bündnis eingehen werden, a) weil sie sich wohl inhaltlich näher sind als Schwarz-Grün und b) auch wegen der Ampelkoalition in Berlin. Denn Schwarz-Grün im wichtigsten Bundesland Deutschlands könnte für die Ampel ein gefährliches Zeichen sein. Auch dort droht ja beim Platzen der Ampelkoalition Schwarz-Grün plus die FDP, sprich eine Jamaika-Koalition. Da man die ohnehin bereits etwas angeschlagene Berliner Ampel nicht weiter destabilisieren will und sich ohnehin inhaltlich näher ist, wird man also wahrscheinlich eine rot-grüne Regierung bilden, sobald eine Mehrheit dafür vorhanden ist.
Insofern wäre es also sogar ausnahmsweise gut, wenn die AfD über 5 Prozent kommt in NRW. Denn falls nicht, würde ja der Nenner der Stimmen, die für die Verteilung der Sitze im Landtag von Relevanz sind, nochmals deutlich kleiner und nicht mehr bei ca. 91 Prozent der abgegebenen, gültigen Stimmen liegen, sondern bei ca. 86 Prozent. Dann würden ca. gut 43 Prozent für eine absolute Mehrheit im Landtag reichen und Rot-Grün hätte dann sehr gute Chancen, das zu schaffen.
Auf 46 Prozent zu kommen, könnte aber durchaus sehr schwer werden für Rot-Grün. Und dass die AfD in NRW wahrscheinlich klar über 5 Prozent kommen wird, vielleicht nicht auf 8, aber auf 6 bis 7 Prozent, ist recht wahrscheinlich. Damit steigen die Chancen für Schwarz-Grün, weil es Rot-Grün schwerer wird, die Mehrheit im Landtag zu schaffen.
Die große Gefahr in NRW ist Rot-Grün
Schwarz-Grün in NRW wäre zugleich ein Zeichen für ganz Deutschland, spätestens bei der nächsten Bundestagswahl 2025. Falls die Ampel so lange nicht durchhält, dann schon früher. Das Ziel der CDU muss sein, bundesweit Schwarz-Grün vorzubereiten oder Jamaika, weil nur mit der FDP derzeit kaum Chancen bestehen auf eine absolute Mehrheit. Schwarz-Grün ist sich in der Außen- und Russlandpolitik nach meiner Beobachtung auch am nächsten. Das wäre also auch im Bund gut. Damit hätte Deutschland eine wesentlich klarere Russlandpolitik. Die große Gefahr in NRW ist also Rot-Grün, die große Chance Schwarz-Grün als Zeichen auch für Berlin.
Ich werde die nächsten Tage die Umfragen weiter beobachten. Die Werte können sich gerade kurz vor der Wahl nochmals etwas verändern. Wichtig wird sein, dass die CDU auch mit dem Rückenwind aus Schleswig-Holstein und aus Berlin noch ein wenig zulegen kann und möglichst weit über 30 Prozent kommt, und dass die SPD möglichst weit unter 30 Prozent bleibt. Das wird wahlentscheidend sein.
Wenn Rot alleine oder Rot-Grün regiert
Was passiert, wenn die SPD alleine (1980 bis 1995) oder wenn Rot-Grün (1995 bis 2005 und 2010 bis 2017) regiert, sieht man hier:

Twitter-Screenshot Olaf Gersemann, WELT
Die Berechnungen stammen von Olaf Gersemann, Ressortleiter Wirtschaft und Finanzen bei der WELT.
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