Von Jürgen Fritz, Mo. 18. Mrz 2019
Die Gesundheit habe ihr Grenzen gesetzt, sagte Sahra Wagenknecht gestern Abend bei Anne Will. Deshalb habe sie entschieden, sich von der Spitze der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zurückzuziehen und im Herbst auch den Fraktionsvorsitz der Linkspartei abgeben zu wollen. Doch gibt es außer den gesundheitlichen vielleicht noch andere Gründe für ihren Rückzug respektive wie kam es überhaupt zu den gesundheitlichen Problemen?
Wagenknecht tritt von der Spitze der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zurück
Schon im letzten Jahr fiel das bekannteste Gesicht der Linkspartei häufiger wegen Krankheit aus. Und dieses Jahr war sie nun zwei Monate gesundheitsbedingt weg. Jetzt zieht die 49-Jährige für sich persönlich die Reißleine, will sich zwar nicht aus der Politik zurückziehen, aber ihre beiden Spitzenämter abgeben. Wie kam es dazu und was bedeutet das für ihre Partei Die Linke?
Bereits am vorletzten Wochenende hatte Wagenknecht zunächst angekündigt, sich von der Spitze der von ihr und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine mitbegründeten Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zurückziehen zu wollen. Einige Tage später haben mehrere bekannte Initiatoren, Mitgründer und Aktivisten das Scheitern der Sammlungsbewegung verkündet. Am Freitagnachmittag veröffentlichten sie eine Erklärung, in welcher es hieß:
„Wer Spaltungen überwinden und viele unterschiedliche Kräfte sammeln will, muss aber auch sammeln können. Diesem Anspruch ist Aufstehen nicht gerecht geworden.“ Die Ursachen dafür lägen „vor allem im Versagen der Führung“. Sie selbst sehen die Probleme von „Aufstehen“ „einerseits in mangelnder politischer Führung und Zielsetzung, andererseits in mangelnden demokratischen Entscheidungsstrukturen und zum dritten in den dramatisch fehlenden organisatorischen Ressourcen“.
Und die Aktivisten zeigen sich doch recht enttäuscht von Wagenknecht: „So sehr wir begreifen, wie hart die Auseinandersetzungen Sahra Wagenknechts in den Machtkämpfen in ihrer eigenen Partei waren und so sehr wir ihr eine gute persönliche Zukunft wünschen – diesen Umgang mit der Bewegung, die sie selbst gegründet und die auf sie vertraut hat, halten wir für politisch nicht verantwortlich. Wir müssen nüchtern und realpolitisch festhalten: damit ist die Bundesebene von Aufstehen im ersten Anlauf gescheitert.“
Dabei war es wohl so, dass Wagenknecht die letzten Monate gesundheitlich total am Ende, innerlich völlig ausgebrannt und den selbstgewählten Aufgaben nicht mehr gewachsen war. Doch wie kam es dazu? Dazu gleich mehr.
Erste Reaktionen in den linken Reihen
Beim politischen Gegner im linken Lager, der SPD, löste dies etliche hämische Bemerkungen aus: „Wagenknecht bleibt liegen. Will nicht mehr aufstehen. Die Arbeit sollen jetzt andere machen. Peinlich“, twitterte auf seine allseits bekannte einfühlsame, menschliche, faire und umsichtige Art Johannes Kahrs (SPD).
Und auch sein Parteikollege Simon Vaut, SPD-Europakandidat aus Brandenburg, freute sich über die „gute Nachricht“. Wagenknecht sei mit ihrer Bewegung zu recht sang- und klanglos gescheitert, „ihr nationaler Sozialismus“ würde nur schaden.
Auch aus der eigenen Partei, in welcher Wagenknecht oft angegriffen worden war, kam Genugtuung über das Aus von „Aufstehen“. Dass die Bewegung scheitern werde, sei von Anfang an klar gewesen, meinte die Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg. Man könne Bewegungen „nicht von oben anordnen“ und undemokratisch führen. Es habe die Linkspartei und die Fraktion sehr belastet, dass Wagenknecht mit „Aufstehen“ lange Zeit andere Prioritäten gehabt habe „und inhaltliche Widersprüche zu Fraktions- und Parteipositionen vertrat“, so Domscheit-Berg.
Schließlich kündigt Sahra Wagenknecht auch den Rückzug vom Fraktionsvorsitz an
Doch bei diesem Rücktritt sollte es nicht bleiben. Denn zu Beginn der letzten Woche kündigte Wagenknecht dann auch noch an, dass sie ab Herbst auch als Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag nicht mehr zur Verfügung stehen wolle. Damit gibt sie auch ihre andere, ja ihre wichtigste Position ab, die sie vier Jahre lang inne hatte. Auch hier gab die nicht mal 50-Jährige gesundheitliche Probleme als Grund an. Doch was steckt noch dahinter beziehungsweise was führte zu diesem innerlich völlig Ausgebrannt-sein?
Viele in ihrer Partei waren schon länger unzufrieden mit Wagenknechts Alleingängen in der „Flüchtlingspolitik“, die quasi eher für einen nationalen Sozialismus mit zumindest ein wenig Realitätssinn steht, während der weit überwiegende Teil der Linkspartei sich für absolut offene Grenzen, für so wenig wie möglich Abschiebungen und so viel wie nur möglich Asylansprüche stark macht, ohne sich dezidierte Gedanken zu machen, wo das Geld hierfür herkommen soll und auf wessen Kosten dies langfristig gehen wird. Wagenknecht war im Grunde zusammen mit einigen wenigen Mitstreitern oft fast isoliert in der eigenen Partei. Wie lange hält das ein Mensch aus? Muss das mit der Zeit nicht auf die Gesundheit schlagen?
In ihrer eigenen Bundestagsfraktion, die sie zusammen mit Dietmar Bartsch anführt, wurde zeitweise sogar laut über einen Putsch gegen Wagenknecht nachgedacht. Im Januar nötigte man sich dann wegen der anstehenden Landtagswahlen selbst einen Burgfrieden auf. Aber die Konflikte waren inhaltlich weiter da, das Verhältnis zur Parteiführung, ganz besonders zu Katja Kipping, aber auch zu Bernd Riexinger, war seit langem schwer belastet.
Inhaltlich sprach Wagenknecht oft gar nicht für ihre eigene Partei, kam aber bei den Wählern am besten an, was den Unmut der Parteikollegen noch gesteigert haben dürfte, Partei und Person aber wohl immer weiter trennte. Solche Konflikte übersteht die Partei meist besser als die Person, die Organisation besser als der Mensch, doch wird sich zeigen, ob dies mittel- und langfristig nicht auch der Partei schaden wird. Denn dieser wird nun bald ihr wichtigstes Gesicht an vorderster Stelle fehlen.
Wurde Wagenknecht von Parteikollegen weggemobbt?
„Hinter den Kulissen wird sogar von ihren Unterstützern von massivem Mobbing gegen Wagenknecht gesprochen“, erklärte der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Theo Koll. Vor allem Wagenknechts Doppelrolle als Linke-Fraktionschefin und Leitfigur der außerparlamentarischen Sammlungsbewegung „Aufstehen“ habe „zu erheblichem innerparteilichem und damit auch menschlichem Stress geführt“, sagte er weiter. Es sei ein Machtkampf im Gange gewesen, den Wagenknecht nun aufgegeben oder womöglich sogar verloren habe.
Dass der Machtkampf für Wagenknecht und die politisch ihr Nahestehenden in der Partei verloren ist, dafür spricht auch, dass nach ihr auch ihre enge Vertraute und Stellvertreterin Sevim Dagdelen bekannt gab, nicht mehr für den Fraktionsvorstand kandidieren zu wollen. Dagdelen gehört zur Wagenknecht-Fraktion innerhalb der Fraktion und ist dort eine der Wortführerinnen. Sie war als mögliche Nachfolgerin gehandelt worden. Wagenknecht selbst vermied den Ausdruck „Mobbing“, wies ihn aber auch nicht ausdrücklich zurück. Dies ist in der Politik meist ein eindeutiges Zeichen.
So warf der Linke-Abgeordnete Thomas Lutze der Parteispitze denn auch vor, Wagenknecht unwürdig behandelt zu haben. „Für eine linke Partei war der Umgang mit Sahra Wagenknecht ein unwürdiges Schauspiel“. Die Parteivorsitzenden (Kipping und Riexinger) hätten ihre Verantwortung nicht wahrgenommen.
Der Bild verriet ein Insider: „Die Stimmung in der Fraktion ist unerträglich. Der Mobbing-Terror gegen Wagenknecht und Dagdelen geht auf keine Kuhhaut. In der Fraktion ziehen Bernd Riexinger, Katja Kipping, (die uns gut vertraute) Caren Lay, Anke Domscheit-Berg, Sabine Leidig, Cornelia Möhring und Martina Renner permanent über sie her.“
Auch Alexander Ulrich (Die Linke) zeigte sich erzürnt und zugleich besorgt: „Die Entscheidung von Sahra ist für uns eine Zäsur. Man kann so nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Eine Parteispitze die dieses Klima aktiv betreibt, muss sich jetzt vor der Parteibasis erklären und verantworten.“ Mit Wagenknecht sei „die wichtigste Persönlichkeit“ der Partei mit „Dauermobbing und Intrigen zur Aufgabe gezwungen” worden, so der Linken-Politiker.
Und auf der Pressekonferenz sagte Sahra Wagenknecht dann auf die Frage eines Journalisten, ob sie parteiintern gemobbt worden sei, dass alles, was passiert wäre, öffentlich und bekannt sei. „Welchen Begriff man dafür findet, das kann jeder für sich entscheiden.“ Deutlicher geht es wohl kaum noch.
Die Gruppe um Wagenknecht und Dagdelen wolle sich nun wehren, verlange den Rücktritt der Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger, ist zu hören. Das riecht nach Schlammschlacht innerhalb der Linkspartei.
Grüne und SPD frohlocken und hoffen nun auf ein rot-rot-grünes Bündnis
Heimlich freuen dürften sich dagegen Die Grünen über Wagenknechts Rückzug und wittern ähnlich wie die SPD steigende Chancen für ein Rot-Rot-Grün-Bündnis. „Gute Besserung an Sahra Wagenknecht“, sagte der Politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, der Deutschen Presse-Agentur. Die Linkspartei habe jetzt möglicherweise die Chance, „ihre Zerrissenheit in Bündnisfragen zu klären“.
Und auch die SPD, die schon seit Wochen die Weichen auf noch mehr Linksradikalisierung gestellt hat, scheint nun auf R2G zu hoffen. Ralf Stegner kommentierte die Entscheidung von Sahra Wagenknecht wie folgt:
„Gestern gab Sahra Wagenknecht ihren Rückzug bekannt. Neben den besten Genesungswünschen für sie mag zugleich ein Wechsel in der Fraktionsführung der Linkspartei zukünftig bessere Perspektiven eröffnen für ein progressives Regierungsbündnis diesseits der Union.“
Respektsbekundungen von FDP und AfD
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner schrieb dagegen auf Twitter: „Mit @SWagenknecht teile ich kaum eine Meinung, aber eine gebildete und meinungsstarke Politikerin ist Frau #Wagenknecht. Das hält die Demokratie lebendig. Also Respekt vor der Entscheidung und für die Gesundheit wünsche ich alles Gute. CL“
Besonderen Respekt zollte der von ihrer eigenen Partei Ausgebooteten die AfD. Sahra Wagenknecht sei „eine der schillerndsten Figuren im Deutschen Bundestag“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann.
Und AfD-Fraktionschef Alexander Gauland erklärte: „Die Linke wird den Verlust von Sahra Wagenknecht spüren – spätestens an der Wahlurne.“ Wagenknecht sei „eine der wenigen in ihrer Partei, die noch nicht komplett die Bodenhaftung und das Gespür für die Anliegen der Bürger verloren hat“.
Vorletztes, die Entwicklung an der Wahlurne, wird JFB in den kommenden Monaten verfolgen. Derzeit steht die Linkspartei in den Umfragen bei knapp 9 Prozent im Mittel aller Institute. Schauen wir mal, wie sie bei der EU-Wahl im Mai abschneiden wird. Sahra Wagenknecht wünsche ich gesundheitlich auf jeden Fall alles Gute!
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Titelbild: Screenshot von Sahra Wagenknecht aus der ARD-Sendung Anne Will von gestern abend
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