Warum geht Fleischhauer?

Von Axel Stöcker, So. 18. Aug 2019, Titelbild: phoenix-Screenshot

Das war’s. Nach achteinhalb Jahren und 438 Kolumnen geht „Der Schwarze Kanal“ offline. Jan Fleischhauers One-Man-Show für Meinungspluralismus beim SPIEGEL ist beendet. Ab Herbst schreibt er für den Focus. Die mediale Aufmerksamkeit für diesen Wechsel war indes eher verhalten. Axel Stöcker beleuchtet, wofür Fleischhauers Weggang pars pro toto stehen könnte: für Haltungsjournalismus, Wagenburg-Mentalität und moralisierenden Belehrungsjournalismus, der eine gesinnungsgemeinschaftliche Kuhstallwärme erzeugt, die der Genannte einfach nicht mehr ausgehalten hat.

Vom Spiegel zum Focus – in der Medienhierarchie ein Abstieg

Fleischhauer nahm es sich in seiner Kolumne heraus, Ideologien zu kritisierten, auch dann, wenn es der Feminismus war. Er verglich die Entstehung neuer Parteien miteinander, auch dann, wenn es sich dabei um die Grünen und die AfD handelte. Er kritisierte Nachrichtensprecher, auch dann, wenn sie Claus Kleber hießen. Und er erklärte Geburtstagseinladungen zur Privatsache, auch dann, wenn der Einladende Matthias Matussek hieß und sich unter den Eingeladenen ein Identitärer befand.

Das reichte offenbar für wöchentliche Zuschriften an die Redaktion, in denen sein Rausschmiss gefordert wurde. Mit seinem Abgang, so schreibt er in seiner letzten Kolumne, hätten diese Zuschriften aber nichts zu tun. Das darf man getrost glauben, denn Fleischhauer hatte auch viele Anhänger und die Klickzahlen stimmten ebenfalls (wozu auch ich meinen bescheidenen Beitrag geleistet habe). Typen, die polarisieren, bringen Quote. Fleischhauer ist einer von ihnen. Ein Unternehmen wie der Spiegel setzt so jemanden nicht ohne Not vor die Tür.

Von „rechts“ dagegen wird Fleischhauer gern als Cuckservative (kurz: Cuck) tituliert, also als einer jener „weichgespülten“ Konservativen, die sich beim linken Mainstream anbiedern, um weiterhin mitspielen zu dürfen. Oder, um es anders zu umschreiben, die die AfD immer erst drei Mal verdammen, bevor sie eines ihrer Argumente aufgreifen. Doch, dass er auch Kritiker auf der „richtigen“ Seite hatte, konnte seinen Wechsel zum Focus – in der Medienhierarchie gewiss ein Abstieg – nicht verhindern. Warum also geht Fleischhauer?

Deutsche M-Medien: Haltungsjournalismus – Wagenburg-Mentalität – moralisierender Belehrungsjournalismus

In medial normalen Zeiten könnte man sagen: Ein konservativer Kolumnist wechselt den Arbeitgeber – so what? Aber die Zeiten sind nicht normal. Sie sind vielmehr geprägt vom Aufreißen gesellschaftlicher Gräben, über die hinweg kaum mehr eine Verständigung möglich ist. Laut einer Allensbach-Umfrage vom Mai trauen sich 58 Prozent der Deutschen nicht mehr, in der Öffentlichkeit vollumfänglich ihre Meinung zu äußern. Eigentlich wäre das die Stunde der Medien. Denn was ist deren Aufgabe, wenn nicht den gesellschaftlichen Diskurs in Gang zu bringen und auf ein angemessenes Niveau zu heben?

Leider erleben wir über weite Strecken das Gegenteil. Haltungsjournalismus allenthalben, der sich kaum verhüllt der Verteidigung des Terrains links des gesellschaftlichen Grabens verschrieben hat. Die Neue Zürcher Zeitung bescheinigte den deutschen Medien unlängst eine Wagenburg-Mentalität, die diese spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 einnähmen.

Glaubt man ferner der Studie, die der emeritierte Journalistik-Professors der Uni Leipzig Michael Haller im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung anfertigte, hat sich daran auch zwei Jahre später nichts geändert (siehe hier und hier). Bei der Analyse der Berichterstattung zum UN-Migrationspakt 2017 kommt die Studie zu dem ernüchternden Ergebnis,

„dass die Leitmedien weiterhin der Agenda der institutionellen Politik und ihrer Elite folgen und Konfliktstoff erst bearbeiten, wenn er von den Polit-Akteuren öffentlich thematisiert wird“.

Ferner folge beispielsweise die Tagesschau weiterhin „ihrem tradierten Leitbild des moralisierenden Belehrungsjournalismus. Das wäre das exakte Gegenteil dessen, was Deutschland im Moment journalistisch braucht.

Broder, Matussek, Fleischhauer: alle weg – Welch ein Armutszeugnis für den SPIEGEL!

Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob Fleischhauers Weggang nicht vielleicht pars pro toto für eine Fragmentierung des Journalismus steht, in der dieser die gesellschaftliche Spaltung einfach nachvollzieht, statt ihr proaktiv entgegenzuwirken. Man kann Fleischhauers Abgang nämlich als das vorläufige Ende einer Entwicklung beim Spiegel betrachten, die durch die Reihe Broder-Matussek-Fleischhauer dargestellt wird.

Broder verließ den Spiegel Ende 2010 in Richtung Welt und ist inzwischen auch auf der – in den Augen des Mainstreamjournalismus grenzwertigen – Achse des Guten zu lesen und zu hören. Anfang 2014 ging dann Matussek, ebenfalls zur Welt. Dort überwarf er sich mit dem Chef und schreibt nun für die Neue Zürcher Zeitung und die Junge Freiheit. Beides Publikationen, die in der deutschen Medienlandschaft in aller Regel lautstark beschwiegen werden. Nun geht Fleischhauer zum Fokus. Man wird sehen, wo er noch überall publizieren wird.

Allen dreien ist gemein, dass sie keine typischen Konservative oder Rechte sind. Broder ist Jude, seine Eltern waren im KZ und überlebten mit Glück. Er demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und brach erst mit der Linken, als er den Eindruck bekam, dass man linken Antizionismus nicht kritisieren dürfe. Matussek war früher Marxist und rauchte Joints. Seinen Wandel, bei dem er sich nach eigener Darstellung selbst treu geblieben ist, schildert er in einem lesenswerten Beitrag für die Zeit (2017). Und Fleischhauer schließlich ist jemand, der „aus Versehen konservativ wurde“. Dass alle drei beim Spiegel aufgehört haben, vermittelt den Eindruck, dass es Querdenker dort schwer haben. Für ein Magazin, das sich nach wie vor als Leitmedium begreift, ein Armutszeugnis.

Die unerträgliche Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft

In dieses Bild passt auch Fleischhauers Begründung für seinen Abgang. In seiner letzten Kolumne für den Spiegel schrieb er:

„Nichts ist so drückend wie die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft. Wenn es einen Grund gibt, warum ich bei der Linken Reißaus genommen habe, dann dieser Hang, sich ständig gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, wie widerständig man doch denke.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer dem Hinweis, dass man Fleischhauer auch weiterhin lesen kann, und zwar hier.

PS: [Satire on] Natürlich wird nun in allen Redaktionsstuben der Republik gerätselt, ob es sich bei Fleischhauer um unseren Informanten Rüdiger Schreiblinks handelt, den JFB beim Spiegel installiert hat. In dieser Hinsicht können wir alle beruhigen: Wir hätten Jan Fleischhauer niemals den Decknamen „Schreiblinks“ gegeben, niemals! Es kann also durchaus sein, dass wir an dieser Stelle mal wieder etwas von Rüdiger Schreiblinks hören. [Satire off]

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Zum Autor: Axel Stöcker, Jg. 1967, hat Mathematik und Chemie studiert und ist Gymnasiallehrer. Auf seinem Blog, die-grossen-fragen.com, arbeitet er sich an den großen Fragen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie ab. Doch auch politische Verwerfungen stacheln ihn gelegentlich zu Kommentaren und Satiren an.

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