Norbert Röttgen will CDU-Vorsitzender werden: Wer ist dieser Mann?

Von Jürgen Fritz, Mi. 19. Feb 2020, Titelbild: WELT-Screenshot

Seit Tagen waren vor allen Dingen drei Namen für den CDU-Vorsitz und die Unions-Kanzlerkandidatur im Gespräch: Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn. Doch nun hat gestern ausgerechnet ein ganz anderer seinen Hut als erster offiziell in den Ring geworfen und gesagt, er wolle CDU-Vorsitzender werden: Norbert Röttgen. Wer ist dieser Mann, wofür steht er und wie stehen seine Chancen, sowohl AKKs als auch Merkels Nachfolger zu werden?

Die BDI-Affäre

Norbert Röttgen (Jg. 1965), promovierter Jurist, stammt wie Merz, Laschet und Spahn ebenfalls aus der nordrheinwestfälischen CDU. Seit 1994 war Röttgen Mitglied des Deutschen Bundestages. 2006 fiel er erstmals durch eine etwas heikle Affäre auf. Als bekannt wurde, dass der damals 41-Jährige ab dem 1. Januar 2007 Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) werden sollte, war eigentlich allen klar, dass dies nicht mit seinem Bundestagsmandat vereinbar ist und er somit ab 2007 von diesem zurücktreten müsse, außer ihm selbst. Sein Amt als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wollte er zwar im Oktober 2006 aufgeben, sein Bundestagsmandat aber noch bis zum Ende der Legislaturperiode, also bis zum Herbst 2009 behalten. Somit hätte er fast drei Jahre beides gleichzeitig innegehabt: die BDI-Geschäftsführung und sein Bundestagsmandat.

Im Juli 2006 sprachen selbst die ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel und Michael Rogowski in einem Offenen Brief von einem „…möglicherweise verhängnisvollen Fehler…“ und sahen „…unlösbare Interessenkonflikte…“. Sie hielten „es für falsch, seine gleichzeitige Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu akzeptieren,“ und mahnten einen Mandatsverzicht regelrecht an. Der Landesvorsitzende der CDU Mecklenburg-Vorpommern, Jürgen Seidel, sagte am 21. Juli 2006 in einem Zeitungsinterview: „Ich halte es für schwierig, wenn hauptamtlich bezahlte Lobbyistenvertreter gleichzeitig Mitglieder des Bundestages sind und zwei zeit- und arbeitsintensive Funktionen gut ausfüllen sollen.“ Nachdem die öffentlich Kritik an seiner geplanten Doppelrolle immer lauter wurde, zog Röttgen dann Ende Juli 2006 seine Zusage für den Posten des Hauptgeschäftsführers beim BDI völlig zurück und zog es jetzt vor, doch in der Parteipolitik zu bleiben.

2009 bis 2012: Bundesumweltminister, CDU-Vorsitzender in NRW und stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender

Nach der Bundestagswahl 2009 übernahm Röttgen dann Ende Oktober von Sigmar Gabriel das Amt des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Ende 2010 strebte er zusätzlich den Landesvorsitz in NRW an. In einer Mitgliederbefragung setzte er sich gegen Armin Laschet durch und wurde CDU-Landesvorsitzender.

Außerdem wurden Röttgen im November 2010 auf dem CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe zu einem der vier stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Er bekam dabei über 88 Prozent der Stimmen, das beste Ergebnis aller Stellvertreter. Norbert Röttgen war nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Er war Bundesumweltminister, NRW-Landesvorsitzender der CDU und stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender.

Röttgen scheitert an der Energiewende

Als Umweltminister machte er keinen Hehl aus seiner kritischen Einstellung zur Atomkraft. Als die Kanzlerin im Herbst 2010 nach langem Zögern eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke einleitete, plädierte Röttgen für eine maximale Verlängerung von unter zehn Jahren. Auf einem „Atomgipfel“ vereinbarte die die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung dann am 5. September 2010 eine Laufzeitverlängerung von 8 Jahren für die älteren und 14 Jahren für die neueren deutschen Kernkraftwerke.

Als sich dann kurz darauf im März 2011 die Natur- und anschließende Nuklearkatastrophe von Fukushima ereignete, machte Merkel eine wenig reflektierte Kehrtwende um 180 Grad, stellte ihre bisherige Sicht des verbleibenden Sicherheitsrisikos von Atomkraftwerken und somit ihre gesamte Atompolitik von heute auf morgen in Frage, obschon es in Deutschland noch niemals auch nur annähernd vergleichbare Erdbeben und schon gar keine Tsunamis gab. Schwarz-Gelb verkündete schlagartig einen schnellen Atomausstieg, also genau das Gegenteil dessen, was wenige Monate zuvor beschlossen worden war. An Merkels Seite stand dabei der zuständige Umweltminister Norbert Röttgen.

Bereits im Juni 2011 wurde nun mit überwältigender Mehrheit im Bundestag der sofort beginnende Atomausstieg beschlossen. Die sogenannte Energiewende wurde sogleich mit der der sofortigen Abschaltung von acht Altanlagen angestoßen. Für die Energiewende war Röttgen bis 2012 als Umweltminister zuständig. Röttgen ist letztlich an dieser Aufgabe genau wie seine Nachfolger Peter Altmaier (CDU), Barbara Hendricks (SPD) und Svenja Schulze (SPD) gescheitert.

2012: Röttgen NRW-Ministerpräsident werden

Röttgen war zu der Zeit ein enger Vertrauter von Angela Merkel. Doch das sollte sich 2012 jäh ändern. Am 14. März 2012 fand der Haushaltsetat der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen im Landtag keine Mehrheit. Daraufhin wurde das Parlament aufgelöst. Noch am selben Tag (!) verkündete Norbert Röttgen seine Bereitschaft, bei der Neuwahl des Landtags als CDU-Spitzenkandidat gegen die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft anzutreten. Nun wollte er gleich den nächsten Karriereschritt machen und Ministerpräsident des mit Abstand bevölkerungsreichsten Bundeslandes werden.

Am 8. Mai 2012 sagte Röttgen in einer Pressekonferenz, die NRW-Wahl werde eine Abstimmung über den Europakurs von Kanzlerin Merkel sein. Das löste heftige Kritik sogar innerhalb der CDU aus. Am nächsten Tag nahm Röttgen seine Bemerkung zurück: Am Sonntag stehe nicht der Kurs von Angela Merkel in Europa zur Abstimmung, sondern der Schuldenkurs von Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen.

Wenige Tage vor der NRW-Wahl unterlief ihm in einer ZDF-Fernsehdiskussion ein weiterer Fauxpas: Auf die Frage der Journalistin Dunja Hayali, ob er in NRW im Falle einer Niederlage auch in die Opposition gehen würde, sagte er: „Ich meine, ich müsste eigentlich dann Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.“ Anschließend bezeichnete er die Aussage schnell als Ironie und zog sie zurück. Klar war aber, dass Röttgen der Frage ausgewichen und offensichtlich nicht willens war, im Falle einer Wahlniederlage in NRW zu bleiben. Immer mehr stellte sich der Eindruck ein, bei Röttgen weiß man nie so genau, woran man ist und ihm geht es primär um seine eigene Karriere.

Röttgen fährt als Spitzenkandidat bei der NRW-Wahl das mit Abstand schlechteste CDU-Ergebnis aller Zeiten ein

Einen Tag nach der Wahl kommentierte Horst Seehofer die Niederlage so: „Das hatte viele Ursachen, zum Beispiel, dass man sich nicht voll für dieses Land entschieden hat.“ Nach seiner Wahlniederlage verzichtete Röttgen auch tatsächlich sogar auf sein Landtagsmandat, das er über den Listenplatz 1 erhalten hatte und ging überhaupt nicht in den Landtag.

Bei der vorgezogenen Landtagswahl am 13. Mai 2012 erzielte Röttgen das mit großem Abstand schlechteste Ergebnis, das die CDU in NRW jemals einstecken musste. 2010 hatte die CDU bereits einen absoluten Tiefpunkt erreicht mit nur 34,6 Prozent. So schlecht war sie in NRW niemals zuvor gewesen. Doch Röttgen unterbot dieses miserable Ergebnis nochmals deutlich. Am Ende reichte es gerade noch für 26,3 Prozent der Stimmen. Röttgen verlor nochmals über 8 Prozentpunkte und landete fast 13 Punkte hinter der SPD, welche die CDU 2010 noch knapp hinter sich gelassen hatte.

In seinem eigenen Wahlkreis Bonn-Innenstadt/Beuel, in dem er erstmals angetreten war, unterlag Röttgen mit nur 28,3 Prozent der Erststimmen dem SPD-Kandidaten Bernhard von Grünberg, der fast 46 Prozent erhielt.

Daraufhin hatte Röttgen genug von NRW und konzentrierte sich wieder auf sein Amt als Bundesumweltminister in Berlin. Doch auch das sollte nicht mehr lange währen.

Die Entlassung als Bundesminister (gab es in der Geschichte nur einmal zuvor)

Direkt nach der NRW-Wahl sagte Merkel Norbert Röttgen, dass sie ihn nach diesen Auftritten in NRW auch nicht mehr als Bundesminister haben wolle und forderte ihn auf, um seine Entlassung aus dem Amt als Umweltminister nachzusuchen. Doch Röttgen weigerte sich, um seine Entlassung zu ersuchen, er lehnte dies ab. Daraufhin machte Merkel etwas, was es zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik nur ein einziges Mal gegeben hatte: Am 16. Mai 2012, nur drei Tage nach Röttgens Scheitern bei der NRW-Wahl, schlug die Kanzlerin dem Bundespräsidenten gemäß Art. 64 GG Röttgens Entlassung vor. Das hatte zuvor nur Gerhard Schröder im Fall von Verteidigungsminister Rudolf Scharping 2002 nach dessen Mallorca-Affäre gemacht. Am 22. Mai übernahm dann Peter Altmaier das Amt des Umweltministers.

Röttgen galt schon damals, vor knapp acht Jahren, für viele innerhalb der CDU als Hoffnung für einen schwarz-grünen Kurs, als dessen intellektueller Wortführer er galt. Die Grünen in der CDU waren daher über seine Entlassung sehr enttäuscht. Merkel habe damit diesem ganzen Flügel der CDU „den Kopf abgeschlagen“.

Röttgens brüske Entlassung löste innerhalb der CDU einigen Unmut über Merkels Führungsstil und ihrem Umgang mit anderen aus. Ulrich Reitz, der Chefredakteur der WAZ, bemerkte in einem Kommentar, Röttgen sei „das letzte einer Reihe von Opfern der bemerkenswert machiavellistischen Spitzenfrau“. Volker Kauder, der Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion warnte Röttgen vor der Entlassung beim Bundespräsidenten vor einer öffentlichen „Abrechnung“.

Der ideale CDU-Kandidat für Schwarz-Grün

Doch Norbert Röttgen fand nach seiner Entlassung sehr schnell, innerhalb weniger Tage, ein neues Betätigungsfeld. Schon am 12. Juni 2012 meldete die Financial Times Deutschland überraschend, Röttgen gehe als stellvertretendes Mitglied in den Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Für Röttgen zog sich die nordrhein-westfälische Abgeordnete Sabine Weiss aus dem Ausschuss zurück. Seit Januar 2014 ist Röttgen Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

Im Mai/Juni 2014 nahm er an der Bilderberg-Konferenz in Kopenhagen teil. Dort treffen sich einmal im Jahr einflussreiche Personen aus Politik, Wirtschaft, Militär, Medien, Hochschulen und Adel zu informellen Gesprächen. Außerdem ist Röttgen einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden des gemeinnützigen Vereins Atlantik-Brücke.

Sollte Norbert Röttgen CDU-Vorsitzender werden, so möchte er mit der Bundeskanzlerin bis zum Ende der Legislaturperiode konstruktiv zusammenarbeiten und wäre wahrscheinlich ein optimaler CDU-Kandidat für Schwarz-Grün.

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