Man ist noch kein guter Mensch, bloß weil man unterdrückt wird

Von Jürgen Fritz, Mi. 19. Feb 2020, Titelbild: Theater Ulm-Screenshot

„Man ist noch nicht gut und klug, bloß weil man arm ist.“ (Erich Kästner: Fabian – Die Geschichte eines Moralisten, 1931, oder: Der Gang vor die Hunde, Rekonstruktion der unzensierten Urfassung, 2013) Genauso wenig ist man schon deswegen ein guter Mensch, bloß weil man unterdrückt wird.

Ethik ist mehr als praktischer Gruppenegoismus

Man ist noch kein guter Mensch, bloß weil man unterdrückt wird. Der Unterdrückte kann bisweilen genau das Gegenteil sein. Gleichwohl ist auch seine Unterdrückung falsch. Und wenn der Unterdrückte genau das anprangert, sei es aus einem kurzen Anflug von Denken in ethischen Prinzipien oder einfach nur aus rein persönlichem oder Gruppen-Egoismus, so hat er unabhängig von der moralischen Begründung damit Recht, dies anzuprangern. Das macht ihn aber nicht schon zu einem guten oder edlen Menschen. Er bleibt vielmehr, was er ist, auch wenn er etwas Richtiges und Berechtigtes sagt und moniert.

Um zu einem guten Menschen zu werden, müsste er sein Inneres und damit natürlich in der Folge seine Handlungen ändern, die ja jenem entspringen. Dergestalt ändern, dass er nicht nur seine Unterdrückung ablehnt und moniert, sich gegen sie erhebt, sondern jegliche Unterdrückung ablehnt und bekämpft, sprich die Negation der Unterdrückung von Menschen durch Menschen zum Prinzip erhebt, an dem er sich allgemein, unabhängig von seiner eigenen Person und seiner Gruppe, der er sich zugehörig fühlt, orientiert.

Er müsste sich also zu etwas Höherem aufschwingen, was jenseits seiner je eigenen Interessen liegt, in denen nur er und seine eigene Familie, seine eigene Mafia-Bande, sein eigener Clan, sein eigenes Volk … vorkommen. Er müsste dies alles gleichsam transzendieren. Jemand, der nur für seine eigene Freiheit kämpft oder die seiner Familie, seines Clans oder seines Volkes, je nachdem worüber er seine Identität definiert, der liebt nicht die Freiheit an sich (Liberalismus), der liebt seine eigene Freiheit respektive die seines Clans oder seines Volkes, was mit Ethik letztlich wenig zu tun hat, eher mit praktischem Gruppenegoismus. Was für ein Unterschied zu Erich Kästner und seinem Fabian!

Kästner und Fabian: zwei Moralisten

Kästner und seine Hauptfigur in Der Gang vor die Hunde Fabian sind Moralisten. Das heißt sind solche, die davon ausgehen, dass die Handlungen der Menschen auf ethischen Prinzipien beruhen sollten, die ihrerseits auf bürgerlichen Freiheitsrechten und zwischenmenschlicher Solidarität gegründet sind, von der Gesellschaft ihrer Zeit jedoch nicht beachtet werden. Es war die Zeit des heraufziehenden Totalitarismus, als Kästner den Fabian schrieb, sei es in nationalsozialistischer oder kommunistischer Ausprägung, der unseren Zeit also vielleicht nicht ganz unähnlich.

Kästners Moralisierung erfolgt aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern vor allem mit dem Stilmittel der Ironie. Deutlich kann man Kästners Einschätzung, die Welt sei nicht gänzlich zu bessern, erkennen. Die Handlung des Romans spielt Ende der 1920er Jahre. Das Werk erschien 1931. Kästner deutete diese Zeit nicht nur als eine des politischen, sondern auch des moralischen Verfalls. Das Buch zeigt, dass der Untergang der Weimarer Republik zumindest für Erich Kästner durchaus nicht unerwartet kam.

Der Roman soll wohl vor allem verdeutlichen, dass es Fabian als Moralisten unmöglich war, im Strom der Unmoral mitzuschwimmen. Der ursprüngliche Titel dieser Satire lautete: Der Gang vor die Hunde. Er wurde jedoch von den Verlegern abgelehnt. Es sollte nach Kästners eigener Aussage „schon auf dem Buchumschlag deutlich werden, dass der Roman ein bestimmtes Ziel verfolgte: Er wollte warnen“.

Optimistischer Pessimismus oder pessimistischer Optimismus

In Fabian – Die Geschichte eines Moralisten beziehungsweise Der Gang vor die Hunde entwirft Erich Kästner ein pessimistisches Bild der Gesellschaft, im Großen wie im Kleinen. Denn, so begründet der Autor seine Geschichte eines Moralisten selbst, „der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten“.

Wozu ein Zerrspiegel? Um aufzurütteln und zu warnen, sprich in der Absicht, die Menschen durch innere Einsicht dazu zu bringen, dass sie sich selbst bessern, darum wissend, dass dies meist nicht gelingen wird, und es trotzdem immer wieder versuchen. Denn etwas anderes als dieser optimistische Pessimismus oder pessimistische Optimismus bleibt dem Moralisten nicht übrig.

Den Nationalsozialisten – Gruppenegoisten par excellence – galt das Buch als „entartet“. Gerade auch wegen dieses Romans wurden die Werke Erich Kästners 1933 in Deutschland öffentlich verbrannt.

Buchempfehlung

Fabian          Der Gang vor die Hunde

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