Von Jürgen Fritz, Mi. 13. Mai 2020, Titelbild: Quarks-Screenshot
In der Corona-Debatte ist immer wieder zu hören, die Fachwissenschaftler wären sich untereinander nicht einig, wie groß die Gefahr sei, die von dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ausginge, welches die richtige, die beste Strategie wäre, dieses einzudämmen. Doch das stimmt nur sehr bedingt. Die allermeisten Fachleute sind sich hier durchaus einig. So etwa die vier großen Forschungsorganisationen, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft. Ende April veröffentlichten diese eine gemeinsame Stellungnahme, wie die Corona-Epidemie konsequent eingedämmt werden kann.
Vorbemerkungen
Die Wissenschaftler aus den vier genannten Organisationen, die sich mit der mathematischen Analyse der Ausbreitung der COVID-19-Erkrankungen und der Vorhersage der weiteren Entwicklung beschäftigen, haben ihre Ergebnisse zusammengetragen und dann Ende April eine gemeinsame Analyse der Situation verfasst und mögliche Bewältigungsstrategien aus Sicht der Modellierung vorgelegt. Dabei betonen sie, dass eine erfolgreiche Eindämmung der COVID-19-Pandemie sowohl ein Verständnis der Ausbreitungsdynamik als auch eine gut durchdachte Strategie voraussetze.
Ihr Papier ist aus dem wissenschaftlichen Austausch von Modellierergruppen in verschiedenen Institutionen über die grundlegenden Eigenschaften der Ausbreitungsdynamik entstanden. Dieser Austausch wurde von Wissenschaftlern mit verschiedenen Herangehensweisen der Modellierung geführt. Trotz der verschiedenen Ansätze sind sie dabei zu übereinstimmenden Ergebnissen über die Ausbreitungsdynamik und die Konsequenzen für den Weg aus der Krise gekommen.
Wegen der klaren Übereinstimmung haben sie sich daher entschlossen, den aktuellen Stand in ihrem Papier darzustellen. In diesem fassen sie ihr aktuelles Wissen über die Ausbreitungsdynamik zusammen und legen unterschiedliche langfristige Szenarien zur Epidemieeingrenzung dar. Während die Ausbreitungsdynamik der Epidemie durch die Reproduktionszahl R bestimmt wird, unterscheiden sich die Szenarien klar in der angestrebten Anzahl täglicher Neuinfektionen N. Die Betrachtung aus Sicht der theoretischen Epidemiologie favorisiert eine adaptive Strategie: Ausweitung von Testing- und Tracing-Kapazitäten zusammen mit der adaptiven Steuerung von Kontaktbeschränkungen.
Ziel dieser adaptiven Strategie ist es, die Fallzahlen so weit zu senken, dass die verbleibenden Fälle zurückverfolgt und kontrolliert werden und wir so zu einem normalen gesellschaftlichen Leben zurückkehren können, wie ich selbst das hier schon einmal dargestellt habe: Die einzig nachhaltige Corona-Strategie: SARS-CoV-2 unter Kontrolle bringen.
Die Expertise und Perspektive der Wissenschaftler der vier genannten großen Forschungsorganisationen ist die der theoretischen Epidemiologie, das heißt ihre Abschätzungen basieren auf Modellen, die Daten aus der Vergangenheit benutzen, um unter gewissen Annahmen, zum Beispiel an die Reproduktionszahl, Vorhersagen für die Entwicklung der Epidemie in der Zukunft zu treffen. Alle Abschätzungen nehmen sie dabei vor allem mit Blick auf Ausbreitungsdynamik und die mittelfristige Kapazität des Gesundheitssystems vor. Was sie als Fachwissentschaftler nicht machen und auch nicht tun wollen, ist eine Güterabwägung vorzunehmen, da dies selbstverständlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
Dieses gemeinsame Papier könne vielleicht dazu beitragen in einem interdisziplinären Austausch eine gangbare Strategie zu finden, die von der Gesellschaft als Ganzes getragen werde, so die Hoffnung der Autoren: 1. Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann (Physiker, Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung), 2. Prof. Dr. Iris Pigeot (Statistikerin, Direktorin des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie), 3. Dr. Viola Priesemann (Physikerin, Leiterin einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation) und 4. Prof. Dr. Anita Schöbel (Mathematikerin, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik)
Obschon die verschiedenen mathematischen Modelle und Ansätze der einzelnen Teams unabhängig voneinander entwickelt worden seien und sich voneinander unterscheiden, kommen alle vier Gruppen von Wissenschaftlern in den vier führenden unabhängigen Forschungseinrichtungen sie zu ganz ähnlichen Ergebnissen.
Grundlegende Kennzahlen der Ausbreitungsdynamik: R und N
Für die Eindämmung von COVID-19 spielen in der derzeitigen Phase der Pandemie zwei epidemiologische Parameter eine zentrale Rolle:
- Die effektive Reproduktionszahl R und
- die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag N.
Während N das Level der Neuinfektionen quantifiziert, gibt R den Trend an. Die Reproduktionszahl R bestimmt also, wie sich die Anzahl der Neuinfektionen N in der Zukunft entwickelt. Im Gegenzug lässt sich R aus den bestätigten Fallzahlen mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung messen.
Eine Reproduktionszahl von R = 1 stellt die wichtige Schwelle zwischen exponentiellem Wachstum und exponentiellem Abfall der Neuinfektionen N dar. R quantifiziert, wie viele Menschen durch eine infizierte Person im Mittel angesteckt werden. Ist R nahe eins, können schon kleine Verringerungen der Infektionswahrscheinlichkeit oder des Kontaktverhaltens dazu beitragen, dass die Neuansteckungen zurückgehen statt zu steigen. Dagegen löst jede kleine Erhöhung von R über 1 erneutes exponentielles
Wachstum aus.
Die Zahl der bestätigten Neuinfektionen pro Tag N ist ein sehr wichtiger Indikator. Sie erlaubt eine Vorhersage, wie viele Personen nach einer gewissen Zeit eine Krankenhausbehandlung benötigen werden, wie viele versterben werden und wie viele Personen potentiell infektiös sind.
Die Dunkelziffer quantifiziert die unbeobachteten COVID-19-Fälle. Würde man die Dunkelziffer für die Zahl der Infizierten kennen, so könnte man aus der beobachteten Zahl der Infizierten schließen, wie viele Menschen schon mit SARS-CoV-2 infiziert worden sind und möglicherweise Immunität entwickelt haben. Diese Dunkelziffer entscheidet darüber, wie hoch die Grundimmunität in der Bevölkerung bereits ist und wie viele Infektionen sich unerkannt weiter verbreiten können.
Übereinstimmende Schätzungen der grundlegenden Kennzahlen
Die Reproduktionszahl R lag in Deutschland von Ende März bis Ende April unter dem wichtigen Wert von 1. Zu diesem Ergebnis kamen die Forscher auf Grundlage unterschiedlicher Ansätze und Modelle. Zudem stimmen die Ergebnisse der verschiedenen Forschergruppen hier alle überein. Das Finden konsistenter Ergebnisse trotz verschiedener Ansätze stärkt die Evidenz der Ergebnisse für die Reproduktionszahl R. Die Daten von Ende April deuten dann darauf hin, dass R sich dem Wert von 1 wieder annähert, was nach den Modellen möglicherweise ein Effekt der Osterfeiertage gewesen sein könnte.
Der klare Rückgang der Neuinfektionen N, den im April zu beobachten war, deuten die Forscher als gemeinsame Effekt der im März schrittweise eingeführten politischen Maßnahmen sowie der individuellen Vorsichtsmaßnahmen:
- das Verbot großer Versammlungen;
- die Einschränkung des öffentlichen Lebens sowie Schließung von Bildungseinrichtungen und vielen Geschäften;
- die Kontakteinschränkung, die von einem großen Teil der Bevölkerung bereits vor dem offiziellen Kontaktverbot umgesetzt wurde. Das persönliche Engagement und die große Akzeptanz in der Bevölkerung haben aus Sicht der Wissenschaftler zentral zu diesem Ergebnis beigetragen.
Dabei kommen die Fachexperten (anders als dies beispielsweise von dem fachfremden Volkswirt Prof. Dr. Stefan Homburg suggeriert wird) zu dem Ergebnis, dass die Wirkungen der kontakteinschränkenden Maßnahmen bisher nicht einzeln bewertet werden können. Denn die kontakteinschränkenden Maßnahmen wurden teilweise als Paket oder kurz hintereinander eingeführt. Zusätzlich seien deren Wirkungen zeitverzögert. Deswegen müssen zunächst vorsichtig und sorgfältig beobachtet werden, wie die einzelnen Maßnahmen oder deren Lockerung die Ausbreitung beeinflussen.
Auch der Wert der Reproduktionszahl R zu einem bestimmten Zeitpunkt t könne erst nach einer Verzögerung von 2 bis 3 Wochen mit einer angemessenen Sicherheit geschätzt werden. Diese Verzögerung habe mehrere Gründe, darunter:
- Inkubationszeit,
- Zeit bis zur Testung,
- Auswertung und Veröffentlichung des Testresultats sowie
- die notwendige Zeitspanne zur Ansammlung von Evidenz aus den beobachteten Daten.
Wegen dieser Verzögerung können sich die Auswirkungen der seit dem 20. April gelockerten Maßnahmen erst etwa in der zweiten Maiwoche in den gemeldeten Fallzahlen N zeigen. Diese beträchtliche Verzögerung zwischen Veränderung der Maßnahmen (Veränderung der Ansteckungswahrscheinlichkeit) und sichtbarem Effekt (Veränderung der gemeldeten Fälle N) müsse bei der Bewertung der Wirksamkeit eines jeden Maßnahmenpakets berücksichtigt werden.
Dabei könnten verschiedene Klassen von Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung unterschieden werden:
- Allgemeine Kontakteinschränkungen von „Abstand halten“ bis Reisebeschränkungen zielen auf die Reduktion der Kontakte bzw. der Durchmischung.
- Hygienemaßnahmen, Masken u.ä., die auf die Reduktion der Ansteckungswahrscheinlichkeit zielen.
- Maßnahmen der vorsorglichen Quarantäne streben eine gezielte Unterbrechung von Infektionsketten an.
Die gemeinsame Wirkung dieser Maßnahmen beeinflusst die Reproduktionszahl R und damit die SARS-CoV-2-Ausbreitung.
Die genaue Dunkelziffer der Infizierten sei nicht bekannt. Bisher liegen lediglich indirekte Schätzungen in der Größenordnung von 2- bis 5-facher Anzahl erkannter Infizierter vor, die aber mit großer Unsicherheit behaftet seien. Klarheit über die tatsächliche Dunkelziffer könne in Zukunft mit dringend benötigten repräsentativen Querschnittstudien der Bevölkerung erlangt werden. Derzeit sind selbst die Querschnittstudien mit Unsicherheiten behaftet, da die Antikörpertests noch recht unspezifisch seien.
Es gebe regionale Unterschiede nicht nur in der Anzahl der Infizierten, sondern auch bei der Reproduktionsrate und der Dunkelziffer. Diese entstehen z.B. durch strukturelle Unterschiede zwischen Regionen und durch unterschiedliche Altersstrukturen. Daher sei einerseits bei der Verallgemeinerung regionaler Studien Vorsicht geboten. Andererseits können durch diese Unterschiede auch lokal unterschiedliche Maßnahmen im Rahmen einer Gesamtstrategie zur Eindämmung von COVID-19 sinnvoll sein.
Ausbreitungsszenarien aus der Sicht der epidemiologischen Modellrechnungen
Eine komplette Ausrottung (Eradikation) oder eine zügige Durchseuchung (kontrollierte Herdenimmunität herstellen) erscheinen derzeit nicht praktikabel. Die vollständige Eradikation des Virus sei zwar im Prinzip möglich, bedürfe aber internationaler Koordination und großer Anstrengung. Eine solche weltweite Ausrottung sei zeitnah nicht erreichbar. Eine zügige Durchseuchung impliziere dagegen eine massive Überlastung unseres Gesundheitssystems und entsprechend viele vermeidbare Todesfälle. Keines der beiden Szenarien stelle daher eine gangbare Option dar.
Für eine kontrollierte Durchseuchung der Bevölkerung müssten nach Auffassung der Wissenschaftler kontakteinschränkende Maßnahmen sehr lange aufrecht erhalten werden. Das Szenario einer kontrollierten Durchseuchung setzt darauf, dass eine hinreichend große Durchseuchung der Bevölkerung so schnell erreicht werden soll, wie es die Kapazität des Gesundheitssystems zulässt. Unsere Modelle stimmen darin überein, dass sich dies selbst bei optimistischen Schätzungen der Dunkelziffer über Jahre hinziehen und viele Tote erfordern würde. Nach meinen eigenen Berechnungen würde das mindestens vier bis fünf Jahren dauern.
In diesem Szenario, so Autoren des gemeinsamen Papiers weiter, müssten weiterhin harte Einschränkungen aufrecht erhalten und ständig so korrigiert werden, dass R um 1 und somit N dauerhaft knapp unter der Belastungsgrenze des Gesundheitssystems bleibt. Die verzögerte Beobachtung von N und R mache die rechtzeitigen Korrekturen der politischen Maßnahmen sehr schwierig, das Risiko einer unvorhergesenen Überlastung des Gesundheitssystems wäre also andauernd gegeben. Die lange Dauer und die schwierige Steuerung mache dieses Szenario somit unrealistisch.
Ferner sind, so die Forscher weiter, die langfristigen Auswirkungen einer COVID-19-Erkrankung auf die Gesundheit noch gar nicht bekannt. So gebe es Hinweise, dass nicht nur die Lunge, sondern im Rahmen von Mikrozirkulationsstörungen viele Organe (z.B. Niere, Herz, Gastrointestinaltrakt, Gehirn) betroffen sein können. Die kommenden Monate und Jahre werden hier mehr Klarheit schaffen. Dazu wären longitudinale Studien erforderlich, die wiederholt die Betroffenen hinsichtlich möglicher Spätfolgen untersuchen. Sollten sich diese Hinweise bestätigen, wäre von einer Durchseuchung der Bevölkerung zusätzlich abzuraten.
Außerdem sei nicht bekannt, wie lange Personen nach einer überstandenen Infektion immun sind. Die Strategie der kontrollierten Durchseuchung baut aber darauf, dass die infizierten Personen danach über Jahre immun sind. Gibt es keine langfristige Immunität, führt diese Strategie nicht zum Ziel. Um die Entwicklung des Immunstatus über die Zeit beurteilen zu können, sind ebenfalls longitudinale Studien erforderlich, machen die vier Forschungsinstitute deutlich.
Aus all diesen Gründen sei eine konsequente Eindämmung von SARS-CoV-2 ist aus epidemiologischer Sicht derzeit die einzig sinnvolle Strategie. Da weder die Eradikation des Virus noch eine schnelle oder langsame Durchseuchung der Bevölkerung gangbare Wege seien, empfehle es sich, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 weiterhin einzudämmen. Es sei möglich, die Anzahl der Neuninfektionen N binnen Wochen so weit zurückzudrängen, dass umfangreiche Kontakteinschränkungen durch effiziente Kontaktnachverfolgungen ersetzt werden könnten. Je konsequenter Maßnahmen umgesetzt werden, desto kleiner werde R und desto schneller könne dies erreicht werden. Die Entwicklung einer adaptiven Strategie zur Eindämmung von SARS-CoV-2 erscheine vor diesem Hintergrund als sinnvoller und effizienter Weg zurück zu einem weitgehend normalen Leben. Das heißt, die vier Wissenschaftler aller vier Institute empfehlen genau den Weg, den ich hier skizziert hatte.
Für die langfristige Bewältigung der SARS-CoV-2-Pandemie kommen neuen medizinischen Erkenntnissen und pharmazeutischen Entwicklungen eine entscheidende Bedeutung zu, so das gemeinsame Papier weiter. Die hier vorgeschlagene Strategie müsse angepasst werden, sobald neue Erkenntnisse dies ermöglichen oder ein Impfstoff zur Verfügung stehe.
Skizze einer adaptiven Eindämmungsstrategie
Klar sei, dass jede Kontakteinschränkung eine große Belastung im Leben eines jeden Einzelnen ist. Dank der Disziplin der letzten Wochen bis Ende April seien die Fallzahlen stetig zurückgegangen. Dies habe bis dahin eine vielversprechende Chance eröffnet, die Epidemie einzudämmen und zu einem möglichst normalen Leben zurückzukehren – die wir nun aber in den letzten Wochen zu verspielen drohen, möchte ich ergänzen. Die Wissenschaftler schlagen deshalb eine adaptive Eindämmungsstrategie vor.
In einer ersten Phase werden die Kontakteinschränkungen – soweit tragbar – beibehalten und gleichzeitig werden Testing- und Tracing-Kapazitäten weiter ausgebaut. Diese Phase gehe in eine zweite Phase über, wenn die Neuinfektionen soweit zurückgegangen sind, dass eine effektive Kontaktnachverfolgung möglich ist. Indem die Kontaktnachverfolgung Infektionsketten unterbreche, könne sie die Kontakteinschränkungen nach und nach ersetzen und werde durch diese nur noch adaptiv flankiert. Die Modelle beinhalten drei Säulen von strukturellen Maßnahmen, die die Eindämmung gewährleisten können:
- Hygienische Maßnahmen, wie z.B. Mundschutz in Geschäften und öffentlichen Plätzen oder Desinfektionsstationen, um Infektionen durch unerkannte Träger zu reduzieren.
- Testing- und Tracing-Kapazitäten, um lokale Infektionsherde früh zu erkennen, Fälle zu isolieren, enge Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen, vorsorglich zu quarantänisieren und so Ansteckungsketten zu unterbrechen.
- Adaptive Steuerung von flankierenden kontakteinschränkenden Maßnahmen, um einen erneuten Anstieg der Neuinfektionen zu verhindern.
Details zu einer möglichen Implementierung der drei Säulen:
Adaptive Dosierung der kontakteinschränkenden Maßnahmen: Ziel sei es dabei, die Zahl der Neuinfektionen N zu senken und R jederzeit unter 1 zu halten. Grundsätzlich gelte, je kleiner die Reproduktionszahl R, desto schneller fällt die Zahl der Neuinfektionen. Dies erfordere ein genaues Beobachten der Kennzahlen und adaptives Anpassen der flankierenden kontakteinschränkenden Maßnahmen, die sich auch lokal unterscheiden könnten. Der Zielwert für N werde durch die Möglichkeit der lokalen Kontrolle von Infektionsherden vorgegeben, sei somit insbesondere durch die Qualität der TracingMethoden und Effektivität der Isolationsmaßnahmen bestimmt. Wie dieser Zielwert erreicht werden könne, benötige einen kontinuierlichen gesellschaftlichen Diskurs.
Eine hinreichend kleine Zahl von Neuinfektionen könne eine Lockerung von Maßnahmen erleichtern: Sobald die Zahl der Neuinfektionen so klein sei, dass die Fälle durch Testing und Tracing kontrolliert werden können, erwarten die Wissenschaftler, dass eine Lockerung der kontakteinschränkenden Maßnahmen nachhaltig möglich ist.
Ausbau von Testing- und Tracing-Kapazitäten: Ziel sei es, eine möglichst große Zahl von Neuinfektionen kontrollieren zu können. Die Kapazität der Kontaktnachverfolgung könnte durch strukturelle Maßnahmen erhöht werden. Möglich seien etwa zusätzliches Personal in den Gesundheitsämtern, die Einführung von freiwilligen Apps zur Kontaktnachverfolgung sowie die vorsorgliche Quarantäne von Kontaktpersonen
Infizierter. Eine wirksame Kontaktnachverfolgung wirke sich in den Modellen auf die Reproduktionszahl R aus.
Etablierung einer Frühwarn-Infrastruktur auf Basis von gezielten Querschnittstests: Um die Zahl versteckter Infektionen außerhalb von nachverfolgten Infektionsketten zu kontrollieren und lokale Infektionsherde zu erkennen, könnten Querschnittstests insbesondere in Bereichen mit erhöhtem Infektionsrisiko durchgeführt werden. Soll dies im großen Maßstab erfolgen, sei ein Ausbau der Testkapazitäten erforderlich.
Die Autoren des gemeinsamen Papier
- Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann (Physiker, Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung)
- Prof. Dr. Iris Pigeot (Statistikerin, Direktorin des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie)
- Dr. Viola Priesemann (Physikerin, Leiterin einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation) und
- Prof. Dr. Anita Schöbel (Mathematikerin, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik)
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