Von Jürgen Fritz, Di. 23. Jun 2020, Titelbild: WELT-Screenshot
Ein halbes Jahr lang hatte die SPD 2019 nach dem Rücktritt von Andrea Nahles gebraucht, um in einem quälenden Prozess zwei neue Parteivorsitzende zu finden: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, beide bis dahin in der Bundespolitik weitgehend unbekannt. Ein halbes Jahr später steht die SPD mit ihrer neuen Führung vor einem Scherbenhaufen. Während die Union im Zuge der Coronakrise seit März von 26 auf 38 bis 39 Prozent nach oben schoss, verharrt die SPD bei um die 15 Prozent. Noch viel schlechter aber ist die Performance der Parteispitze. Noch nicht mal ihre eigenen Parteimitglieder, selbst die vom linken Flügel, trauen den beiden SPD-Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur zu. Dafür haben sie einen anderen klaren Favoriten.
„58 und Antifa. Selbstverständlich.“
Zigtausende Demonstranten in aller Welt stünden auf, weil der gewaltsame Tod von George Floyd durch einen Polizeieinsatz in den USA kein Einzelfall sei, sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esten vor zwei Wochen. Deutsche Demonstranten würden aber auch auf die Verhältnisse vor der eigenen Haustür schauen, fügte sie hinzu. Auch in Deutschland gebe es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte, was durch Maßnahmen der Inneren Führung erkannt und bekämpft werden müsse, so Esken.
Auch hatte sich die 58-Jährige offen zur Antifa bekannt. Bei der Antifa handelt es sich um meist eher locker strukturierte autonome Strömungen der linken bis linksextremen Szene. Der deutsche Inlandsgeheimdienst ordnet einige autonome Antifagruppen dem Linksextremismus zu und beobachtet sie. Besonders umstritten ist deren Akzeptanz und Anwendung von Gewalt.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags definierte den Begriff Antifa 2018 als „Oberbegriff für verschiedene, im Regelfall eher locker strukturierte, ephemere autonome Strömungen der linken bis linksextremen Szene“. Er stellte dar, dass aufgrund des Fehlens klarer organisatorischertorischer Strukturen, eine Bewertung, ob es sich hierbei um terroristische Vereinigungen handelt, durch die Strafverfolgungsbehörden, nach aktuellem Stand, nur im Einzelfall erfolgen könne.
„SPD-Misere um Esken und Walter-Borjans – Die Genossen hadern“
Wahrscheinlich hat Esken es alles gar nicht so schlimm gemeint, wie es geklungen hat, manchmal weiß sie vielleicht auch gar nicht so genau, was sie redet und schreibt, aber damit setzte sie der massiven Stimmungsmache gegen die Polizei, die von den USA auch nach Deutschland übergeschwappt war, nochmals einen drauf.
Am Wochenende krachte es dann in Stuttgart heftig. Über fünf Stunden lang herrschte in der Innenstadt Anarchie und Chaos. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt kam es zu Szenen, die man dort nie zuvor gesehen hatte, wie die zwei Polizeipräsidenten konstatierten. Hunderte von zumeist jüngeren Personen, vermutlich zu rund 50 Prozent Ausländer und zu 60 bis 70 Prozent Personen mit Migrationshintergrund griffen Polizisten und Rettungsdienste mit Steinen und Flaschen an, beschädigten und zerstörten Polizeieinsatzfahrzeuge, demolierten und plünderten etliche Geschäfte.
Vielleicht, ja wahrscheinlich sogar spielte Eskens Äußerung überhaupt keine Rolle für das Stuttgarter Geschehen, aber es zeigt einmal mehr, wie unglücklich diese Frau in nahezu allem, was sie macht, agiert. Dabei wurde sie ja zusammen mit Norbert Walter-Borjans von der Parteibasis selbst zur Parteivorsitzenden gewählt. Doch selbst die SPD-Parteibasis sieht das von ihr selbst gewählte Gespann an der Spitze immer kritischer, ja immer negativer. Sogar der SPIEGEL schreibt inzwischen:
„SPD-Misere um Esken und Walter-Borjans – Die Genossen hadern“.
SPD-Urgestein Herbert Schmalstieg übt scharfe Kritik am SPD-Führungsduo
Wie Business Insider berichtet, antwortete Herbert Schmalstieg, der 34 Jahre lang Oberbürgermeister von Hannover war, den beiden Parteivorsitzenden, die ihm zu seinem 77. Geburtstag schriftlich gratuliert hatten, und nahm dabei kein Blatt vor den Mund.
„Große Sorge macht nicht nur mir […] die Lage unserer guten, alten SPD, der ich seit 60 Jahren angehöre“,
schreibt Schmalstieg und fährt fort:
„Es ist traurig, dass wir aus der 15-Prozent-Falle nicht herauskommen.“
Und dann wird der 77-Jährige noch deutlicher:
„Nach meiner festen Überzeugung liegt das daran, dass die SPD kein Gesicht hat. Leider erfüllt ihr diese Aufgabe nicht.“
Doch der alte Haudegen belässt es nicht bei reiner Negativkritik, sondern gibt auch einen Hinweis, wie die SPD zumindest etwas aus dem Tal der Tränen herauskommen könnte: Indem sie möglichst bald einen Kanzlerkandidaten nominiert, der der Partei ein Gesicht gibt. Und wer kommt dafür infrage? Sicher nicht Esken oder Walter-Borjans, da ist sich Schmalstieg sicher.
„Unbestritten ist Olaf Scholz der Richtige, der täglich seine Qualifikation und sein Profil unter Beweis stellt.“
Turnusmäßig müssen sich Esken und Walter-Borjans, die das Amt Anfang Dezember 2019 übernommen haben, erst Ende 2021 wieder zur Wahl stellen. Doch die nächste Bundestagswahl wird zwischen dem 25. August und dem 24. Oktober 2021 stattfinden. Daraus folgt für ihn:
„Es wäre schön, wenn ihr merkt, dass die SPD mit Euch nicht nach vorne kommen kann. So wäre es gut, wenn ihr die Größe hättet, den Kanzlerkandidat auf dem nächsten Parteitag auch zum Vorsitzenden unserer Partei vorzuschlagen. Das würde helfen.“
66 Prozent der SPD-Mitglieder sind mit Walter-Borjans unzufrieden, 80 Prozent mit Esken
Die Kritik hat den beiden Parteivorsitzenden natürlich gar nicht geschmeckt:
Dabei steht Herbert Schmalstieg mit seiner Sicht der Dinge bei weitem nicht alleine in der SPD. Ganz im Gegenteil, bereits Anfang Juni (vom 02.06. bis 09.06.2020) hat Wahlkreisprognose ca. tausend SPD-Mitglieder befragt, wie sie mit den Spitzenpolitikern ihrer Partei zufrieden sind. Hier das gewichtete, repräsentative Ergebnis:
Zufrieden – unentschieden – nicht zufrieden (Veränderungen gegenüber Oktober 2019)
- Olaf Scholz: 90 – 3 – 7 (+ 33)
- Malu Dreyer: 86 – 10 – 4 (− 2)
- Franziska Giffey: 86 – 8 – 6
- Manuela Schwesig: 86 – 11 – 3 (+ 5)
- Hubertus Heil: 82 – 11 – 7 (+ 13)
- Stefan Weil: 78 – 16 – 6 (+ 15)
- Heiko Maas: 75 – 13 – 12 (+ 18)
- Lars Klingbeil: 73 – 9 – 18 (+ 7)
- Karl Lauterbach: 69 – 18 – 13 (+ 36)
- Rolf Mützenich: 49 – 14 – 37 (− 26)
- Norbert Walter-Borjans: 22 – 12 – 66 (− 15)
- Saskia Esken: 12 – 8 – 80 (− 21)
Mit keinem anderen Spitzenpolitiker in der eigenen Partei sind die SPD-Mitglieder also so unzufrieden wie mit ihrem Spitzenduo Walter-Borjans und noch mehr Saskia Esken, während Olaf Scholz, Malu Dreyer, Franziska Giffey und Manuela Schwesig hier Spitzenwerte einfahren.
85 Prozent der Genossen halten Scholz als Kanzlerkandidat für geeignet, 84 Prozent halten Esken für ungeeignet
Nun zu der Frage, wen die Genossen als geeignet ansehen, um die SPD nächstes Jahr als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl zu führen:
Geeignet – unentschieden – nicht geeignet
- Olaf Scholz: 85 – 3 – 12
- Manuela Schwesig: 75 – 14 – 11
- Franziska Giffey: 69 – 11 – 20
- Malu Dreyer: 66 – 20 – 14
- Stefan Weil: 61 – 23 – 16
- Heiko Maas: 56 – 12 – 32
- Hubertus Heil: 51 – 24 – 25
- Lars Klingbeil: 48 – 21 – 31
- Rolf Mützenich: 31 – 13 – 56
- Norbert Walter-Borjans: 17 – 23 – 60
- Saskia Esken: 7 – 9 – 84
Und wohlgemerkt: Diese Befragung von SPD-Mitgliedern fand Anfang Juni statt, lange vor den Ereignissen in Stuttgart (!).
57 Prozent der SPD-Mitglieder möchten Olaf Scholz als Kanzlerkandidat
Auf die Frage, wer die nächste Kanzlerkandidatur für die SPD übernehmen soll, haben die Genossen eine klare Präferenz:
- Olaf Scholz: 57 %
- Franziska Giffey: 16,5 %
- Heiko Maas: 11 %
- Rolf Mützenich: 6 %
- Saskia Esken: 3 %
- Norbert Walter-Borjans: 2 %
- Keiner davon: 4,5 %
57 Prozent der SPD-Mitglieder wollen Olaf Scholz als Herausforderer von Merz, Laschet, Röttgen oder Söder. Die beiden Parteivorsitzenden Esken und Walter-Borjans kommen auch hier auf katastrophal schlechte Werte, liegen weit hinter allen anderen.
„Esken und Walter-Borjans lassen kaum Fettnäpfchen aus“
Die BILD berichtet, dass ein SPD-Bundestagsabgeordneter dies wie folgt kommentierte:
„Das ist ja so keine Überraschung. Esken und Walter-Borjans lassen ja inzwischen kaum Fettnäpfchen aus, äußern sich unglücklich, machen schlimme Fehler.“
Und der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sagte zu dem sehr guten Ergebnis von Olaf Scholz:
„In der abklingenden Corona-Krise und nun in der Überwindung der Wirtschaftskrise verfügt der Finanzminister über das wichtigste Portfolio in der Regierung. Zudem hat er federführend mit dem Konjunkturpaket eine eindrucksvolle Handlungsfähigkeit bewiesen. Das Paket trägt seine Handschrift.“
Hinzu komme die uneitle und ruhige Art von Scholz in seiner Kommunikation – auch das komme gut an. Und die Performance von Walter-Borjans und Esken beurteilt der Politikwissenschaftler wie folgt:
„Die SPD-Führung ist ein Desaster. Die öffentlichen Äußerungen insbesondere von Frau Esken sind in erster Linie ignorant und parteischädigend.“
Nicht mal ihre eigenen Parteimitglieder, selbst die vom linken Flügel, trauen den beiden SPD-Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur zu
Und sein Kollege Werner Weidenfeld konstatiert:
„Das Personalauswahlverfahren bei der SPD hatte nicht die allergrößte Attraktivität
Es wurden zwei relativ unbekannte Kandidaten gewählt. Das vergleichsweise unbekannte Profil hat sich nicht verändert – bisher konnten sie weder an Profil noch an Bekanntheit zulegen.“
Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter findet noch klarere Worte:
„Das sind ja vernichtende Ergebnisse für die beiden SPD-Vorsitzenden. Noch nicht mal ihre eigenen Parteimitglieder, selbst die vom linken Flügel, trauen ihnen die Kanzlerkandidatur zu.“
Und er ist sich sicher:
„Würde jetzt noch einmal abgestimmt, hätten sie wohl keine Chance mehr, gewählt zu werden.“
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