Gender-Deutsch steht im Widerspruch zum Geist des Grundgesetzes

Von Claudia Simone Dorchain, Di. 28. Jul 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot

Frauenfeindlich, gestrig, gleichstellungswidrig – das sind die Vorwürfe gegen die wenigen Dissidenten in Deutschland, die sich im Sommer 2020 noch immer weigern, das sogenannte „Gender-Deutsch“ zu verwenden. Dem generischen Maskulinum ist bundesweit der Krieg erklärt worden, in Kiel ist es schon offiziell abgeschafft, [1] und die Begründung des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend lautet, die sprachliche Verwendung des Pronomens „man“ erniedrige die Frauen, sie würden in generellen Ansprachen mit männlichem Geschlecht lediglich mitgemeint, nicht explizit herausgestellt.[2] Die Philosophin Dr. Claudia Simone Dorchain zeigt auf, inwiefern das Gender-Deutsch im Widerspruch zum Geist des Grundgesetzes steht.

Mit dem generischen Maskulinum ist nicht der Mann gemeint, sondern der Mensch als solcher

Es sei zunächst dahingestellt, ob die Chancengleichheit in Deutschland oder irgendwo auf der Welt durch die zwangsweise Verordnung des „Genderns“ verwirklicht werden kann, oder ob hier nicht der altbekannte sophistische Trick einer Verdrängung der Sache durch die Sprache ausagiert wird. Dieser Einwand ist berechtigt, würden doch viele real benachteiligte Frauen gern auf die genormte Anrede verzichten, wäre dafür der tatsächliche Einstieg, Aufstieg und Wiedereinstieg in die Berufswelt fairer.

Selbst auf der vordergründigen Argumentationsebene, welche die angebliche Benachteiligung von Frauen in der Sprache zum pars-pro-toto Modell von Benachteiligung generell macht, existiert ein Fehler, der auf einem sprachhistorischen Bildungsmangel, und zudem, diesem Mangel folgend, einem reduzierten Rechtsgeschmack gründet. Denn mit dem generischen Maskulinum war keinesfalls der Mann gemeint, sondern der Mensch als solcher, und nicht der Mann galt sprachlich als Oberbegriff und Modell der Frau, wie Feministinnen zu Unrecht kritisierten, sondern der Mensch galt als Oberbegriff und Modell beider Geschlechter.

Es geht ein Stück Rechtshistorie verloren, die am Sein, statt an Eigenheiten der Person ausgerichtet war

Diese aufs Sein zielende sprachliche Weite soll nun im deutschen Sprachraum flächendeckend durch die Enge verpflichtender Geschlechterbezeichnungen ersetzt werden; so ist es in Verwaltungen bereits geschehen, in Hochschulen und Medien wird es zunehmend gefordert. Durch diese Ersetzung wird jedoch nicht nur die Sprache ruiniert, wie unlängst vom Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg angeprangert,[3] sondern es geht auch ein Stück Rechtshistorie verloren, die am Sein, statt an Eigenheiten der Person ausgerichtet war: dem Geist des Grundgesetzes wird widersprochen.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland äußert sich nicht über die Prozesse der Sprachentstehung, jedoch über die Sprachverwendungen: Zensur findet nicht statt, Meinungs- und Mitteilungsfreiheit gilt als demokratisches Grundrecht. Betrachtet man die von Verwaltungen dem gesamten öffentlichen Leben – unter brüchiger Begründung – aufgenötigte Norm des „Genderns“, kann man sich fragen, ob hier Rechtskonformität besteht. Denn dieser Prozess ist weder demokratisch, noch entspricht er dem juridischen Personenbegriff, noch eröffnet er den gedanklichen Horizont, Menschenwürde zu begründen.

Humboldt in der Krise: Statt natürlicher Sprachentwicklung ein aufoktroyiertes sozialpädagogisches Experiment

Das Zustandekommen der Gender-Sprachregelung ist ein undemokratischer Prozess. Zwar ist die Sprache per se ein kulturelles, dynamisches Konstrukt und daher in ihrer Geschichte schon immer Veränderungen unterworfen gewesen, doch folgten diese Veränderungen bisher immer tatsächlichen, mehrheitlich empfundenen Bedarfssituationen.

Für den Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt enthält die Sprache „Weltansicht“,[4] doch sei diese Weltansicht das Resultat eines natürlichen Prozesses, nicht eines Beschlusses. Veränderungen der Weltsicht, durch die Sprache transportiert, vollzogen sich stets im Lauf von Generationen – im Gegensatz zur in Kürze erzwungenen Gender-Sprachreform.

Historisch gesehen, ist das generische Maskulinum viel älter als die deutsche Hochsprache, ja sogar außerhalb der lateinischen Schrift auffindbar: schon im uralten Futhark – dem Alphabet der Runen – gab es das Zeichen „man“, welches „Mensch“ bedeutete, und nur zu notwendigen Abgrenzungszwecken durch ein Zeichen mit spezifisch weiblicher Konnotation ersetzt wurde, wenn der Kontext es erforderte. Wann immer also zwischen Island und Südengland Aussagen mit allgemein menschlicher Geltung in Stein gemeißelt werden sollten, bedienten sich die Verwender der Runenschrift des Zeichens „man“.

Das generische Maskulinum meint nicht die Summe aller Männer, sondern die Summe aller Menschen

Dies kennzeichnete jedoch keine implizite Frauenfeindlichkeit der Wikinger und Kelten, welche diese Runen verwendeten und in ihrer Sozialstruktur durchaus Frauen in hohen Ämtern kannten, sondern vielmehr das geschichtlich frühe Verständnis der auf die Allgemeinheit zielenden Tatsache, dass das generische Maskulinum nicht die Summe aller Männer meint, sondern die Summe aller Menschen. Es ist nicht einzusehen, weshalb sich das sprachlogische Differenzierungsvermoegen der historischen Erbauer der Langboote über tausend Jahre zuvor, bei den postmodernen Sprechern der Langsätze im 21. Jahrhundert zurueckentwickelt haben sollte.

Auch das heute politisch vehement geforderte Wortanhängsel –in zur Kennzeichnung weiblicher Personen ist in der deutschen Sprache keineswegs neu, sondern lässt sich bis ins Mittelalter zurückdatieren. In den Archiven der Gilden in Köln finden sich Einträge aus dem 14. Jahrhundert, welche die weiblichen Mitglieder in handwerklichen Berufen als Weberinnen, Kürschnerinnen, Maurerinnen und sogar Meisterinnen bezeichneten.[5] Und manche Berufe gab es im Deutschen überhaupt nur mit der weiblichen Endung –in, etwa die Hübschlerin, die eine Prostituierte war (männliche Prostituierte hatten, je nach Region und sozialer Schicht, andere Berufsbezeichnungen).

Auch die Familiennamen, welche in der frühen Neuzeit überhaupt erst aufkamen, wurden oft mit der Nachsilbe –in den weiblichen Trägern angepasst – Albrecht Dürer zum Beispiel titelte das Porträt seiner Mutter „Barbara Dürerin“. Soweit, nichts Neues unter der linguistischen Sonne, denn die sprachliche Markierung weiblicher Personen als solcher war nachweislich schon vor Jahrhunderten möglich, und sie wurde auch praktiziert, wenn es der Kontext erforderte.

Gendern trägt weder etwas zum Wahrheitsgehalt noch zu logisch-begrifflicher Klarheit oder Informationdsdichte bei

Was heute jedoch neu ist, ist die generalisierte und normativ geforderte Verwendung der Nachsilbe –in in jedem erdenklichen Kontext, und auch bei simplen Tätigkeitsbeschreibungen wie Leser, Konsument oder Radfahrer. Der Wahrheitsgehalt von Aussagen wird jedoch nicht dadurch signifikant erhöht, dass nun von „Leserinnen und Lesern“, „KonsumentInnen“ oder „Radfahrer*innen“ die Rede sein muss, die logisch-begriffliche Klarheit wird keinesfalls gesteigert, und die Informationsdichte gewinnt durch diese explizite Geschlechtsbezeichnung so wenig, wie durch die explizite Mitnennung aller Menschen mit Schuhgröße 42 oder beginnendem Haarausfall.

Wenn die Sprache als Verständigung nicht mehr der Wahrheit, Klarheit und Information dienen soll, und diese Sprachveränderung sich auch nicht mehr demokratisch als von einer Mehrheit gewollt und sukzessive vollzieht, sondern ihr von einer Verwaltung im Schnellverfahren aufgezwungen wird, wird eine Weltsicht den Sprechern aufoktroyiert, und nicht – gegen Humboldt – vorgefunden oder aktiv mitgestaltet.

Wo diese Bevormundung aber geschieht, ist ersichtlich Erziehung statt Verständigung in der Sprache das Ziel, und beweist sich ein Interessefeld am Wirken, das über Begriffe auch realpolitische Macht etablieren will. Diese Macht will offenbar nicht soziologische Geschlechterverhältnisse hin zu mehr tatsächlicher Chancengleichheit reformieren, sondern vielmehr unter diesem noblen Vorwand den ontologisch-juridischen Personenbegriff aushöhlen.

Warum „Gendern“ nichts mit dem Personenbegriff des Gesetzes zu tun hat

Die Gender-Sprachregelung widerspricht dem juristischen Personenbegriff der Verfassung freiheitlich-demokratischer Rechtsstaaten. Um aufzuweisen, wie das „Gendern“ den ontologisch-juridischen Personenbegriff unterminiert, ist ein kurzer Exkurs in die Etymologie (Wortherkunft) und Gebrauchsgeschichte des Personenbegriffs notwendig, der von der Antike bis in die Gegenwart führt und deutlich zeigt, dass „Gendern“ nicht mehr die Person im Rechtssinn meint.

Im alten Rom war vieles einfacher – zumindest, was die Sprache anging, denn da bezeichnete der Begriff „persona“ noch die Maske, die Schauspieler trugen: was dort „hindurchklang“ (per sonare – hindurch tönen), war der Charakter der Figur, die dargestellt werden sollte. Doch der moderne Personenbegriff hat mit dieser antiken Bühnen-Verwendung nichts zu tun, es sei denn, man wollte mit William Shakespeare das große Welttheater beschwören[6] und sich fragen, welches Drama und welcher Akt denn nun mit der Gender-Thematik aufgeführt werden soll.

Die fünf Bedeutungen des modernen Begriffs „Person“

Der moderne Begriff der Person im Deutschen ist laut Duden, der Enzyklopädie der deutschen Rechtschreibung, nicht eindeutig, nicht zweideutig, sondern hat fünf Bedeutungen – was die Diskussion natürlich nicht einfacher macht. Als Person bezeichnet man im Deutschen in erster Linie den „Mensch als Individuum, in seiner spezifischen Eigenart als Träger eines einheitlichen, bewussten Ichs.“[7] So wird die Person auch im Recht verstanden, worauf gleich eingegangen werden soll.

Allerdings kann die Person im Deutschen auch den „Menschen hinsichtlich seiner äußeren, körperlichen Eigenschaften“[8] meinen, etwa den weiblichen Menschen, den Gehbehinderten oder den Adipösen, und nicht zuletzt gibt es auch den Anwendungsbereich des Personenbegriffs auf fiktive Gestalten in Literatur oder Film („Die Person Wilhelm Tell“/ „Die Person Superwoman“).

Zudem kann als Person oft auch auf einen Menschen referiert werden, dem aus Sprechersicht positive oder negative Eigenschaften attribuiert werden („So eine unverschämte Person!“/ „Eine Person, die zu gut für die Welt ist“), und die Person ist zuletzt grammatikalisch auch eine „Form des Verbs oder Pronomens, die an die sprechende[n], an die angesprochene[n] oder an die Person[en] (1a) oder Sache[n], über die gesprochen wird, geknüpft ist“[9] („das Verb ‚wir gehen‘ steht in der ersten Person Plural“).

Diese fünf differenzierten Bedeutungen des Personenbegriffs im Deutschen wirken kompliziert, sind aber zur Sprachkompetenz notwendig; wer das Goethe-Zertifikat B1 zum Nachweis seiner Deutschkenntnisse erwerben will, muss sie übrigens kennen.[10]

Natürliche Personen haben Rechte, z.B. auf Erwerb von Eigentum, demokratische und kulturelle Mitgestaltung

In der Jurisprudenz aller freiheitlich demokratischen Rechtsstaaten ist nun der Personenbegriff von höchster Bedeutung, denn als Personen werden Träger von Rechten bezeichnet. Man unterscheidet hier zuerst die natürliche Person von der juristischen Person.

Als natürliche Person definiert man den Menschen als Kind, Jugendlichen und Erwachsenen und als Träger von Rechten, wobei seine Rechtsfähigkeit in Deutschland laut BGB §1 mit der Geburt beginnt.[11] Eine juristische Person, im Gegensatz zur natürlichen Person, kann zwar auch Träger von Rechten sein, ist jedoch kein Mensch, sondern etwa eine Vereinigung, Firma oder Partei.

Bleiben wir bei der Definition der natürlichen Person, so sind hiermit alle Menschen im Staat gemeint, welche zeit ihres Lebens Träger von Rechten sind. Zu diesen Rechten gehört, neben dem Erwerb von Eigentum und der Ausübung demokratischer Grundfreiheiten, auch die aktive Mitgestaltung von Kultur, zum Beispiel durch die Sprache. Sprache als ein der menschlichen Teilhabe zugängliches kulturelles Konstrukt kann und darf vom Menschen im Rahmen seiner Selbstbestimmung aktiv verändert werden, er kann so auch sprachliche Regeln aufstellen, welche seinem Identitätsgefühl nahekommen, zum Beispiel den Wunsch, mit dem Vornamen oder Spitznamen angesprochen zu werden (oder nicht).

Gendern schränkt den Personenbegriff ein und trägt das Geschlecht wie eine Monstranz vor sich her

Das alles und mehr war schon lange vor der Gender-Sprachregelung möglich. Doch was ist neu? Oder, an wen richtet sich eigentlich die geforderte Gender-Sprache? Durch explizite Benennung des Geschlechts wird dem juristischen Personenbegriff, der den Menschen meint und somit die auf die Allgemeinheit zielenden Tatsache, dass alle Menschen in freiheitlich demokratischen Rechtsstaaten Träger von Rechten sind, nichts hinzugefügt; im Gegenteil wird der Personenbegriff eingeschränkt vom Rechtsinhaber hin zum Träger von äußeren, körperlichen Eigenschaften, welcher bereits in der Sprache nur nebensächlich ist.

Zwar gilt für beide Deutungen, juridisch und linguistisch, der Begriff der Person im Deutschen, doch die Deutung der Person als Mensch mit bestimmten Eigenschaften schränkt den Adressaten ein, nicht hinsichtlich realer Rechte, doch psychologisch-suggestiv als bloße Teilpopulation. Insofern kann dem Geist der Gesetze, welcher den Personenbegriff mit dem Menschen oder dem Bürger im Allgemeinen verknüpft, am ehesten entsprochen werden durch eine Sprache wie die vorreformierte, welche es sich nicht zur Aufgabe machte, das Geschlecht in jedem Kontext wie eine Monstranz voranzutragen.

Die Nebensache zum Haupteffekt machen: Wie das „gendern“ Aristoteles‘ Substanzbegriff widerspricht sowie der Menschenwürde

Die Gender-Sprachregelung widerspricht dem Geist des Grundgesetzes, denn sie verunklärt den Immanenzgrund der Menschenwürde. Der „Immanenzgrund“ sei die Entstehungsursache eines Phänomens oder Begriffs, die „Menschenwürde“ sei der unveräußerliche Respekt vor dem Menschen als solchem, welcher in allen demokratischen Staaten der Welt ein schützenswertes Rechtsgut darstellt und im deutschen Grundgesetz der Artikel eins ist. Durch das den Bürgern undemokratisch aufgedrängte „Gendern“ wird also auf sprachlicher Ebene – und mit der Suggestivkraft der Sprache allmählich auch auf inhaltlicher Ebene – verunklärt, weshalb dem Menschen eine schützenswerte Würde zukommt.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, sagt der Artikel eins des deutschen Grundgesetzes[12] – doch was die Menschenwürde ist, und woraus sie entsteht, sagt es nicht. Dieser Widerspruch, dass die Verfassung dafür gemacht sei, die Würde zu schützen, die Würde selbst aber ohne Definition in der Sache und hinsichtlich ihrer Entstehungsursache bleibt, wird im Wissenschaftsbereich auch als „Böckenförde-Paradox“ bezeichnet, nach dem Rechtsgelehrten Ernst-Wolfgang Böckenförde, der sich diesem Dilemma widmete.[13]

Das „bewusste Ich“ ist der Grund dafür, dass der Mensch Würde hat

Warum hat der Mensch überhaupt Würde, und woher soll sie sich ableiten? Theisten sagen, weil er ein Geschöpf Gottes sei, Atheisten hingegen spötteln gern, der Mensch habe Würde, weil ihm noch niemand im Kosmos widersprochen hat, aber eine umfassend gültige, alle Meinungen einigende Begründung existiert nicht. Doch auch wenn ein Konsens zwischen Parteigängern auf dem Konkurrenz-Markt der Weltanschauungen fehlt, kann auf logischer Ebene eine Würde des Menschen abgeleitet werden von seinem Sein als bewusstes Ich, das Freiheit zeitigt.

Die Rechtsdefinition des BGB, eine Person sei ein Mensch als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener und als Träger von Rechten, ist sehr nah an der primären deutschen Sprachdefinition, die auch der Duden gibt: eine Person sei „Mensch als Individuum, in seiner spezifischen Eigenart als Träger eines einheitlichen, bewussten Ichs.“[14] Das „bewusste Ich“ ist der Grund dafür, dass der Mensch Würde hat.

Substanz und Akzidenz

Doch das bewusste Ich hat nichts mit dem Geschlecht, oder gar der sexuellen Ausrichtung der Person zu tun. Das bewusste Ich ist das, was der Philosoph Aristoteles in seiner Kategorienlehre als „Substanz“ bezeichnet hat, das Wesentliche, im Gegensatz zur „Akzidenz“, dem bloß Nebensächlichen.[15]

Das biologische oder auch „sozial konstruierte“[16] Geschlecht der Person im Sinn der Genderwissenschaften, ihre sexuelle Orientierung und andere Eigenheiten, ist für Aristoteles eine Akzidenz, also etwas Unwesentliches, Nebensächliches. Spricht man also vom Menschen in seinem Wesentlichen, so spricht man ihn nach Aristoteles in seinem bewussten Ich an, nicht in seiner nebensächlichen Eigenschaftlichkeit.

Das Geschlecht einer Person ist nicht substanziell für ihr Mensch-sein, sondern akzidentell

Wird nun mit der geforderten Gender-Sprachregelung eine Nebensächlichkeit zum Wesentlichen erhoben und der Substanzbegriff der Person derart ins Gegenteil verkehrt, geschieht nicht nur eine profunde anti-aristotelische Wendung in der Entwicklung der Sprache, es wird nicht nur dem Geist jeglicher Gesetze widersprochen, welche den Menschen oder Bürger im Allgemeinen adressieren, sondern es entsteht auch eine gewollte Verunklärung des Immanenzgrunds der Menschenwürde.

Denn der Mensch als solcher hat seine Würde nicht als männliches, weibliches, diverses, homo-, hetero-, bi- oder transsexuelles Wesen – all das ist Nebensache, Akzidenz, da Eigenschaften und Präferenzen sein Wesen nicht ausmachen. Der Mensch als solcher hat in der (hinter der Jurisprudenz stehenden) Philosophie Würde als bewusstes Ichdenn das ist seine Substanz, sein Wesen.

Diese Substanz zu adressieren in der Sprache, klar den Einzelnen als bewusstes Ich anzureden und ihm seine Würde begreiflich zu machen, die in seinem Sein als Mensch liegt (nicht differenziert als Mann/Frau/divers), das wäre eine Sprache, die logisch, ontologisch und juridisch korrekt ist – doch sie gilt offenbar nicht als politisch korrekt, und dieser eklatante Widerspruch zwischen Verwaltungsnorm und europäischer Seinsphilosophie könnte Verfechtern der „political correctness“ zu denken geben.

Zum Wohl von Menschenrechten und Verfassung sollte bei Änderungen der Sprache, sofern sie mehrheitlich gewollt werden, normativ stets das Gemeinsame der Menschen statt des Trennenden betont werden, das Wesentliche statt der Nebensache, die Bedingung des Menschseins statt der Möglichkeit der Menstruation.

Diese polemisch-pointierte Richtigstellung ist keinesfalls antifeministisch, sondern emanzipiert im ursprünglichen Sinn der Emanzipation. Denn die Emanzipation als Befreiungsbewegung richtete sich von Anfang an explizit an beide Geschlechter und zielte auf die Kultur des bewussten Ichs als der Substanz von Mensch- und Bürgerrechten ab, nicht auf semantische Improvisationen auf der Klaviatur des Akzidenziellen.

Bilanz

Aktuell geschieht das Gegenteil, indem autoritär neue Sprachregelungen verfügt werden, die auf das Nebensächliche der Person referieren statt auf die substanzielle Trias Mensch-Bürger-Bewusstsein, und so ein verzerrtes Rechtsverständnis zeitigen, das sachlogisch nichts hinzufügt, aber im Widerspruch mit dem philosophischen Geist des Grundgesetzes steht.

Weder das Zustandekommen der Sprachregelung des „Genderns“, das sich an keinem tatsächlichen, mehrheitlich empfundenen sachlogischen Bedarf orientiert, noch das Tempo derselben entsprechen der natürlichen Dynamik des kulturellen Konstrukts Sprache. Der juridische Personenbegriff wird durch das „Gendern“ zudem von der Gesamtgeltung auf die Menschheit hin zu Teilen der Populationen verengt, und so wird zudem der Entstehungsgrund dessen verunklärt, was als das Sein des Menschen – bewusstes Ich – als Grundlage der Menschenwürde gilt, die höchstes Rechtsgut eines demokratischen Staats ist.

Fußnoten

Anmerkung: Kleinere Zwischenüberschriften und Hervorhebungen im Text durch JFB.

Zur Vertiefung: Die Kategorien des Seienden bei Aristoteles

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Zur AutorinClaudia Simone Dorchain, Jg. 1976, Magister-Studium der Philosophie, Psychologie und Kunst, abgeschlossen mit dem akademischen Titel “Magistra artium” (M.A.). Studienbegleitend arbeitete sie als Model für internationale Firmen, als Journalistin und im Staatstheater Saarbrücken. Anschließend wissenschaftliche Forschung über Normen und Werte, unter anderem auch als Fellow für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Seit 2004 “Doktor der Philosophie” mit einer Dissertation über den Begriff des Seelengrundes und die Erkenntnis des Absoluten bei Meister Eckhart, welche 2005 vom Wissenschaftsverlag Königshausen & Neumann, Würzburg, in ihrer philosophischen Reihe “epistemata Philosophie” veröffentlicht und seitdem häufig rezensiert wurde. 2006 eröffnete Claudia Simone Dorchain ihre philosophische Beratungspraxis ACCURAT, eine der ersten philosophischen Praxen, von der sich u.a. das Justizministerium Luxemburg beraten ließ. Weitere Tätigkeiten: Lehrbeauftragte an Universitäten und als wissenschaftliche Assistenz für die Kulturabteilung der Ägyptischen Botschaft in Berlin. Schriftliche Arbeiten liegen vor über Meister Eckhart, Platon, Plotin, das Gilgamesch-Epos, die Upanishaden, die weibliche Mystik, Ninon de Lenclos, Albert Camus, William Butler Yeats, René Girard, Donatien de Sade, Gilles Deleuze, Georges Bataille und Giorgio Agamben.

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