Werden die Öffentlich-Rechtlichen ihren Pflichten aus Staatsvertrag und Verfassung noch gerecht?

Von Annette Heinisch, Sa. 17. Jul 2021, Titelbild: ZDF-Screenshot

Freiheit ist niemals grenzenlos, auch nicht die Pressefreiheit. Jedes Recht hat als Kehrseite die Pflicht, beides gehört zusammen. Werden die Öffentlich-Rechtlichen ihrer Pflicht gerecht? Was passiert, wenn jemand das thematisiert? Zeigen die Reaktionen auf die Thematisierung dieser Pflicht, wie weit die Öffentlich-Rechtlichen sich bereits von den Staatsverträgen und der Verfassung entfernt haben? Die Juristin Annette Heinisch geht der Frage nach.

Vorbemerkung

Vertragsrecht – das tägliche Brot des Anwalts. Die neue Couch macht eigenartige Geräusche, die Miete wird nicht pünktlich bezahlt, der Mitarbeiter kommt zum x – ten Mal zu spät: Alles Fragen des Vertragsrechts. Wenn eine vertraglich geschuldete Leistung schlecht oder gar nicht erbracht wird, schlägt die Stunde der Juristen, die je nach Rechtsgebiet mit Begriffen wie Gewährleistung, Wandlung, Minderung, Schadensersatz oder Abmahnung und nachfolgend Kündigung um sich werfen.

Grundsatz ist, dass jeder seine vertraglich geschuldete Leistung ordnungsgemäß erbringen muss. Geprüft wird die Diskrepanz zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung/Lieferung und der geschuldeten. Der altrömische Grundsatz des „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) ist nicht nur Basis der westlichen Zivilisation, sondern auch allgemeingültiger Grundsatz unseres Rechts. Daher kann sich der langschlafende Arbeitnehmer ebenso wenig auf sein Grundrecht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit berufen wie der säumige Mieter, der das Geld lieber für Entfaltungsmaßnahmen im Freizeitsektor ausgeben möchte. Freiheit ist niemals grenzenlos. Und jedes Recht hat als Kehrseite die Pflicht, beides gehört zusammen.

Nun handelt es sich dabei um Zivilrecht, d. h. das Recht, welches zwischen „Zivilisten“ gilt. Es können aber nicht nur Bürger, sondern auch Staaten Verträge abschließen, sie heißen dann – nicht wirklich überraschend – Staatsverträge.

Der Fall

Die Behauptung

Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Dr. Hans–Georg Maaßen hat in einem Interview beim Privatsender TV Berlin auf Nachfrage berichtet, Bürger in seinem Wahlkreis hätten ihm die Einschätzung mitgeteilt, ihre Meinung nicht mehr frei und unbelastet äußern zu können. Sie hätten sich zudem darüber beschwert, dass sie sich von den Medien nicht korrekt und umfassend informiert fühlen. Es gäbe ein erhebliches Auseinanderklaffen zwischen der Medienöffentlichkeit und der real erlebten Wirklichkeit.

Er führte weiter aus, dass die Berichterstattung nicht immer den Tatsachen entspräche oder diese verschleiere. Als Beispiel nannte er das Verschweigen der Staatsangehörigkeit von Tätern. Als Lüge bewertete er die Bezeichnung eines Bombenlegers als Iserlohner, bei dem es sich tatsächlich um einen irakischen Asylbewerber handelte, der lediglich in einer Unterkunft in der Nähe von Iserlohn untergebracht war. So sei ein bewusst falscher Eindruck erweckt worden. Auch durch Weglassen würde die Realität nicht korrekt abgebildet, als Beispiel nannte er die Geschehnisse in der Kölner Silversternacht 2019. Ferner würden Tricks angewandt und manipuliert. Durch Etikettierung z. B. als Rechtspopulist u.ä. würde Menschen ein Label angehängt, um sie aus der Diskussion auszuschließen. Konkret erwähnte er das Framing–Manual, das Elisabeth Wehler für die ARD erstellt hat.

„Ich halte es für eine Schande, dass die Aufsichtsbehörden diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht in der Hinsicht wirklich mal korrigieren und dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr stattfindet.“ (zdf heute)

Auf Nachfrage des Interviewers nach einem weiteren Untersuchungsausschuss (dies bezog sich auf den ersten Teil des Interviews) wies er darauf hin, dass der Bund dafür nicht zuständig sei, aber ein Untersuchungsausschuss in einem Bundesland zum NDR, der die Tagesschau produziere, durchaus denkbar sei. Er fügte hinzu: „Wenn man sieht, dass es Verbindungen gibt zwischen Personen, die für die Tagesschau arbeiten und der linken und linksextremen Szene, dann wäre das wirklich eine Untersuchung wert.“ (FOCUS online)

Maaßen befürwortete grundsätzlich den öffentlich–rechtlichen Rundfunk und lobte seine Beiträge im Kulturbereich; ihn interessiere jedoch die Politik und dort sehe er keine hinreichende politische Ausgewogenheit. Er wies darauf hin, dass über 90 Prozent der Volontäre der ARD Grün-Rot–Rot wählen würden und auch mehr als 70 Prozent der Journalisten im politisch linken Spektrum angesiedelt seien. Aus seiner Sicht sei das Problem, dass die Rundfunk – Staatsverträge keine Sanktionsmöglichkeiten vorsehen. Politiker hätten Angst, das Problem anzugehen, weil sie Diffamierung und Dämonisierung durch die Presse fürchteten.

Der Beweis

Die These, Politiker müssten Diffamierung und Dämonisierung fürchten, wurde prompt durch die Reaktionen der Presse bestätigt. In der Mathematik heißt es in derartigen Fällen: Quod erat demonstrandum.

So lautete der Spiegel–Aufmacher wahrheitswidrig„Der CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen fordert Gesinnungstests für Journalisten in öffentlich-rechtlichen Medien und warnt vor Verbindungen zur linksextremen Szene. Belege bleibt er jedoch schuldig.“

Der angegriffene NDR nutzte die von Maaßen als Manipulationsmethode genannte Strategie der Etikettierung, indem er ihn als „Rechtspopulisten“ bezeichnete. Er würde provozieren und die Grenzen des Sagbaren austesten sowie fragwürdige „Codewörter“ benutzen.

Bei t–online wurde behauptet, Maaßen habe einen Untersuchungsausschuss ins Spiel gebracht, was nicht den Tatsachen entspricht. Hier wie auch in anderen Medien wurde dem Privatsender TV Berlin, bei welchem Maaßen das Interview gab, eine unkritische Berichterstattung zu Aserbeidschan vorgeworfen und damit auch der Sender in ein fragwürdiges Licht gerückt. Wer diese Vorwürfe erhebt, ob diese begründet sind und welche Bedeutung dieser Umstand für die Äußerungen Maaßens haben sollen, bleibt offen. In dem Bericht heißt es weiter: „Maaßen, der sich immer wieder als Verfechter von Meinungsfreiheit inszeniert…“, wobei es sich nicht um eine berichtende, sondern lediglich um eine bewusst abwertende Darstellung handelt.

Diese Reaktionen, welche die Fakten nicht korrekt wiedergeben, dafür aber sämtliche Mittel der Abwertung der Person einsetzen, wurde dann von Boris Reitschuster kritisiert (von dem JFB sich sowohl von der Position als auch den Methoden her deutlich distanziert, Reitschuster geht es nicht primär um Aufklärung, sondern um Gegenpropaganda, gleichwohl kann man natürlich auch solche zitieren, die anderes betreiben, wenn diese etwas Richtiges feststellen, so wie JFB auch den SPIEGEL oder die taz zitiert, wenn diese einmal etwas Richtiges und Kluges schreiben. Auch von manchen Äußerungen Hans-Georg Maaßens distanziert sich JFB aufs Deutlichste. Gleichwohl hat Maaßen hier meines Erachtens einen wichtigen Punkt getroffen, den es zu diskutieren gilt, der es wert ist, aufgegriffen und geprüft zu werden. Genau das tut Annette Heinisch hier vorbildlich. Anmerkung Jürgen Fritz):

„Die Causa Maaßen zeigt damit glasklar die Manipulations-Taktik, die heute allgegenwärtig ist – von der Politik bis zu den Faktenfindern: Es wird ein Pappkamerad aufgestellt, und an dem arbeitet man sich dann ab. Und vermeidet um jeden Preis eine inhaltliche Auseinandersetzung … Großen Teilen von Politik und Medien ist bei uns nicht nur der Kompass verrutscht. Sie agieren in den Traditionen finsterer Vergangenheit. Steuerbegünstigte Hetzer sind im Dauereinsatz, um Abweichler mit Hass und Diffamierungen zu bekämpfen. Und ausgerechnet diese Verbreiter von Desinformation werfen denjenigen, die sie dafür kritisieren, vor, Desinformation zu verbreiten.“

Die Reaktionen

Die Reaktionen der Politik fielen erwartbar aus. Der Kanzlerkandidat der CDU, Armin Laschet, distanzierte sich, der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) nannte die Äußerungen unhaltbar und legte Maaßen den Parteiaustritt nahe.

Die Angst vor Diffamierung und Dämonisierung steckt den politischen Akteuren offenbar tief in den Knochen. Die eigentliche Bedeutung dieses Vorgangs liegt jedoch nicht in dem, was gesagt wurde. Dies war ein erwartbarer Reflex, der bedauerlich an die Konditionierung des Pawlowschen Hunds erinnert. Besonders bemerkenswert ist jedoch das befremdliche Beschweigen des eigentlichen Problems.

Prinzipiell handelt es sich um einen banalen Vorgang: A beklagt, dass B vertragliche Bestimmungen nicht einhält. Er führt Beispiele und Belege an. Dies ist ein typischer Standardfall des Vorwurfs von Schlechterfüllung. In einem zivilisierten Land werden derartige Vorwürfe schlicht auf Validität geprüft und – so sie zutreffen – wird für Abhilfe gesorgt. Das ist der normale Gang der Dinge, die Bürger sind es gewöhnt, denn sie selbst erleben es exakt so in ihrem täglichen Leben. Keiner ist sakrosankt.

Es dürfte unstreitig sein, dass viele Bürger die Ansicht vertreten, der öffentlich–rechtliche Rundfunk würde nicht objektiv und neutral berichten, die Ausgewogenheit der Meinungen sei nicht vorhanden, der Bürger solle nicht informiert, sondern erzogen werden. Allein schon die Tatsache, dass dieser Eindruck entstanden ist, müsste Anlass zu einer umfassenden Analyse von Schwachstellen sein.

Nun wurden sogar mehrere Beispiele mit Belegen benannt, wonach der öffentlich–rechtliche Rundfunk nicht wahrheitsgemäß, objektiv und ausgewogen berichtet. Zunächst stellt sich die Frage, ob eine solche Pflicht besteht oder ob die Pressefreiheit Lügen, Manipulation und Diffamierung deckt. Tatsächlich zeigt schon ein Blick auf Art. 5 GG, dass die Pressefreiheit kein schrankenloses Recht ist. Sie findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, dem Jugendschutz sowie im Recht der persönlichen Ehre.

Pflichten des NDR laut NDR-Staatsvertrag

Die Pflichten des NDR hinsichtlich seiner Berichterstattung sind im NDR–Staatsvertrag konkret formuliert (Hervorhebungen durch den Verfasser):

»5 Programmauftrag

Der NDR hat den Rundfunkteilnehmern und Rundfunkteilnehmerinnen einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten und ist berechtigt, sich an Filmförderungen zu beteiligen. Er kann auch Spartenprogramme veranstalten.

7 Programmgrundsätze

(1) Der NDR ist in seinem Programm an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Er trägt zur Verwirklichung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bei. (==> genau darauf zielte Maaßen ab, auf die Verfassungstreue! JFB)

(2) Der NDR hat in seinen Programmen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Er soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken, und sich für die Erhaltung von Natur und Umwelt einzusetzen. Das Programm des NDR soll die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland sowie die internationale Verständigung fördern, für die Friedenssicherung und den Minderheitenschutz eintreten, die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützen und zur sozialen Gerechtigkeit beitragen. Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten.

(3) Die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und des Rechts der persönlichen Ehre sind einzuhalten

8 Programmgestaltung

(1) Der NDR ist in seinem Programm zur Wahrheit verpflichtet. Er hat sicherzustellen, dass

    1. die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen aus dem Sendegebiet im Programm angemessen zu Wort kommen können,
    2. das Programm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient und
    3. in seiner Berichterstattung die Auffassungen der wesentlich betroffenen Personen, Gruppen oder Stellen angemessen und fair berücksichtigt werden. Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness und in ihrer Gesamtheit der Vielfalt der Meinungen zu entsprechen. Ziel aller Informationssendungen ist es, sachlich und umfassend zu unterrichten und damit zur selbständigen Urteilsbildung der Bürger und Bürgerinnen beizutragen.

(2) Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Kommentare sind deutlich von Nachrichten zu trennen und unter Nennung des Verfassers oder der Verfasserin als solche zu kennzeichnen.«

Die Frage der Überwachung der Öffentlich-Rechtlichen

Damit steht fest, dass der NDR zu einer wahrheitsgemäßen, objektiven und ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet ist. Als nächstes stellt sich die Frage, ob dieses überwacht wird und wer diese Aufgabe hat. Auch hier hilft ein Blick in den Staatsvertrag. Der Rundfunkrat hat die Aufgabe, die Einhaltung dieser Grundsätze zu überwachen:

»18 Aufgaben des Rundfunkrats

(1) Der Rundfunkrat soll die Interessen der Allgemeinheit auf dem Gebiet des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertreten. Dabei berücksichtigt er die Vielfalt der Meinungen der Bürger und Bürgerinnen. Er wirkt darauf hin, dass der NDR seine Aufgabe nach diesem Staatsvertrag erfüllt, soweit dafür nicht der Verwaltungsrat zuständig ist.

(2) Der Rundfunkrat überwacht die Einhaltung der Programmanforderungen (§§ 3, 5, 7 bis 9) und berät den Intendanten oder die Intendantin in allgemeinen Programmangelegenheiten. Er kann feststellen, dass einzelne Sendungen gegen diese Anforderungen verstoßen, und den Intendanten oder die Intendantin anweisen, einen festgestellten Verstoß nicht fortzusetzen oder künftig zu unterlassen. Eine Kontrolle einzelner Sendungen durch den Rundfunkrat vor ihrer Ausstrahlung ist nicht zulässig …«

Selbst eine nur kursorische Überprüfung der Sach– und Rechtslage zeigt also, dass dem NDR Pflichten bezüglich der Art der Berichterstattung obliegen, welche vom Rundfunkrat zu überwachen sind verbunden mit einem Weisungsrecht im Falle der Pflichtverletzung. Wenn die Vorwürfe zutreffen, dürfte es sich mithin um eine Verletzung dieser Vertragspflichten handeln und die Verwunderung Maaßens, warum das Aufsichtsgremium nicht einschreitet, auf dieser Rechtslage basieren. Demgegenüber hält die schrill geäußerte Empörung einer Überprüfung nicht stand.

Bundesverfassungsgericht verpflichtet die Öffentlich-Rechtlichen zur Meinungsvielfalt und verbietet die Wirklichkeitsverzerrung

Wenn nach Ansicht vieler Bürger Fehlentwicklungen vorliegen, liegt die Überlegung nahe, dass das vorhandene System offenkundig nicht hinreichend geeignet ist, das Recht der Bürger auf wahrheitsgemäße, objektive und ausgewogene Information sicherzustellen. Dieses Recht auf Information ist ebenso wie die Pressefreiheit eines der fünf in Art. 5 GG genannten Kommunikationsgrundrechte. Entgegen des medial verbreiteten Eindrucks überwiegt die Pressefreiheit mitnichten die Grundrechte der Bürger und gilt wie alle Freiheitsrechte nicht schrankenlos.

Vielmehr ist die Informationsfreiheit, die durch den öffentlich–rechtlichen Rundfunk gerade gewährleistet werden soll, so hoch gewichtet, dass die Bürger sogar zwangsweise verpflichtet sind, diese mit Beiträgen als Ausfluss demokratischer Daseinsvorsorge zu finanzieren. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus (Hervorhebung durch den Verfasser):

»Allerdings liegt der individuelle Vorteil noch nicht darin, dass „der öffentlich-rechtliche Rundfunk der gesamten Gesellschaft nutzt“ und in besonderem Maße die Grundlagen der Informationsgesellschaft fördert und „einen wichtigen Beitrag zur Integration und Teilhabe an demokratischen, kulturellen und wirtschaftlichen Prozessen“ leistet (dazu Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 15/197, S. 32, 34). …

Indem der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedenfalls im Wesentlichen öffentlich finanziert ist, wird er dazu befähigt, wirtschaftlich unter anderen Entscheidungsbedingungen zu handeln. Auf dieser Basis kann und soll er durch eigene Impulse und Perspektiven zur Angebotsvielfalt beitragen und unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen ein Programm anbieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspricht (vgl. BVerfGE 90, 60 <90>; 119, 181 <219>; 136, 9 <29 f. Rn. 32>). Er hat hierbei insbesondere auch solche Aspekte aufzugreifen, die über die Standardformate von Sendungen für das Massenpublikum hinausgehen oder solchen ein eigenes Gepräge geben. Zugleich können so im Nebeneinander von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk verschiedene Entscheidungsrationalitäten aufeinander einwirken (vgl. BVerfGE 114, 371 <387 f.>; 119, 181 <217>; 136, 9 <30 Rn. 32>).

Dies alles führt zu schwieriger werdender Trennbarkeit zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung sowie zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen. Der einzelne Nutzer muss die Verarbeitung und die massenmediale Bewertung übernehmen, die herkömmlich durch den Filter professioneller Selektionen und durch verantwortliches journalistisches Handeln erfolgt. Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden (vgl. dazu Brinkmann, ZUM 2013, S. 193 <195, 198>; Dörr/Holznagel/Picot, ZUM 2016, S. 920 <936 f., 940 f.>; Drexl, ZUM 2017, S. 529 <530 ff.>; Langbauer/Ripel, MMR 2015, S. 572 <573>; Milker, ZUM 2017, S. 216 <221>).

In der Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Funktion zu nutzen, liegt der die Erhebung des Rundfunkbeitrags rechtfertigende individuelle Vorteil (vgl. zur Rundfunkgebühr BVerfGE 90, 60 <106>; BVerfGK 20, 37 <41>).«

Die Daseins- und Finanziergungsberechtigung der Öffentlich-Rechtlichen ist nur gegeben, wenn diese ihrer Verpflichtung nachkommen

Die Zwangsabgabe basiert also entscheidend darauf, dass den Risiken einer einseitigen Einflussnahme entgegengewirkt und eine wahrheitsgemäße und objektive Berichterstattung gewährleistet werden soll. Anders ausgedrückt: Weil und (nur) wenn der öffentlich–rechtliche Rundfunk seinem Auftrag nach wahrheitsgemäßer, objektiver und ausgewogener Information der Bürger nachkommt, hat er eine Daseins- und Finanzierungs-Berechtigung. Wenn Bürger als Adressat dieser Verpflichtung eine Pflichtverletzung behaupten, so ist dies ein von seiner Bedeutung nicht zu unterschätzender Vorwurf.

In dem derzeitigen Szenario der sich im Besitz von Sonderrechten wähnenden Presse im reflexhaften Zusammenspiel mit der furchtsamen Politik fehlt es an einem Anwalt der Bürger. Dabei ist der Bürger Grundrechtsträger, nicht aber die Kollektive, die ihn im Rundfunkrat ohne von ihm bevollmächtigt zu sein vertreten.

Abschließend ist neben der Unangemessenheit der hysterisch anmutenden Reaktion, die zu einer nicht sachgemäßen Bewertung der Aussagen Maaßen führt, die Dissonanz der Werte bemerkenswert. „Holy cow meets nobody“ wäre ein passender Titel des Stücks.

Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht, welches die Journalisten gegen die Macht eines übergriffigen Staates schützen soll, es ist kein „Rundum–Sorglos–In–Watte–Pack–Schutzrecht“, welches gegen alle Unwägbarkeiten des Lebens schützt.

Und wenn es heißt, dass keine Zensur stattfindet, dann bedeutet dieses, dass der Staat nicht eingreifen darf, um die Wahrheit zur Lüge zu verbiegen oder wahrheitsgemäße Berichterstattung zu unterdrücken, er die Presse nicht als Instrument zur Manipulation der Bürger missbrauchen darf. Die Verfassungsgeber dachten nicht daran, dass das Problem nicht nur der Staat sein könne, sondern ebenso gruppendynamische Prozesse, die zu einer Art Selbstverpflichtung der Gruppe führen. Alexander Freitag hat diese Prozesse in seinem Beitrag in dem von Steffen Meltzer herausgegebenen Buch „Die hysterische Republik“ sehr gut beschrieben, wie beispielsweise „ingroups“ entstehen, die sich gegen die „outgroups“ abgrenzen. Bereits die Aufarbeitung der NS–Zeit hatte dieses Phänomen gezeigt, denn zahlreiche Verbrechen geschahen ohne Befehl von oben.

Wenn Bürger von den Medien, allen voran den öffentlich–rechtlichen, eine wahrheitsgemäße, verfassungs- und staatsvertrags-konforme Berichterstattung fordern und die Medien dagegen (!) die Pressefreiheit ins Feld führen, das Begehren nach einem Recht auf nicht manipulative, ausgewogene Information gar als Zensur ansehen, dann ist dies eine Pervertierung der Grundrechtsordnung.

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Dieser Artikel erschien in einer etwas anderen Fassung zuerst auf dem Blog von Vera Lengsfeld.

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Zur Autorin: Annette Heinisch studierte in Hamburg Rechtswissenschaften, mit dem Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht sowie Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 ist sie als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

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