Professionell Versprechen brechen

Von Jürgen Fritz, So. 12. Dez 2021, Titelbild: FAZ-Screenshot

Politiker und Politikerinnen verfahren derzeit nach folgendem Verfahren: „Ja, ich hatte dir vor einem Jahr sexuelle Treue versprochen, aber seither haben sich die Umstände ja völlig verändert. Ich konnte doch letztes Jahr noch nicht wissen, dass mir einige Monate später …

„Die Umstände haben sich verändert“

… ein total attraktiver Mann / eine total attraktive Frau begegnen würde, mit der ich mich glänzend verstehe und der/die sich für mich ebenso intensiv interessiert. Das hat die Lage natürlich völlig verändert. Ich konnte darum letztes Jahr noch gar nicht wissen, dass just dies passieren würde. Mein Versprechen letztes Jahr galt ja unter ganz anderen Randbedingungen. Das musst du doch einsehen. Und das hat doch auch überhaupt nichts mit meiner Glaubwürdigkeit zu tun. Es liegt an den Umständen, die sich verändert haben!

Ein Versprechen, das wie folgt formuliert würde, hätte freilich nicht die gleiche, nicht die gewünschte Wirkung:

„Also wenn sich die Umstände nicht gravierend verändern, wenn mir zum Beispiel kein anderer Mann / keine andere Frau begegnet, den/die ich noch wesentlicher attraktiver finde als dich, und wenn sich unser beider Verhältnis nicht wesentlich verändert, wenn deine Attraktivität für mich nicht deutlich nachlässt und wenn es mir mit dir mit der Zeit nicht zu langweilig wird, was ich ja im Moment noch nicht abschätzen kann, und wenn auch sonst nichts Bedeutsames passiert, was ich jetzt völlig übersehen habe, dann verspreche ich dir absolut treu zu sein. Da kannst du dich zu hundert Prozent darauf verlassen! Da bin ich ganz konsequent.“

Professionell Versprechen brechen

Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Ende November 2020:

Über die zwei Drittel sind wir längst hinaus, dass „alle Beschränkungen“ wegfallen, davon kann aber nicht ansatzweise die Rede sein. Ganz im Gegenteil, es wird nun sogar geplant, Beschränkungen noch zu verschärfen und eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. Genau dagegen hatte sich die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ende Dezember 2020 noch ganz explizit ausgesprochen:

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) versprach Anfang März 2021 sogar:

Ein Impfangebot wurde längst jedem unterbreitet, von Normalität ist aber keine Spur. Auch hier ganz im Gegenteil, wir müssen wohl die Maßnahmen sogar noch verschärfen. Und auch essentielle Aussagen des Robert-Koch-Instituts, hier von Anfang April 2021 erwiesen sich als falsch:

Auch diese Aussage stimmte nicht, wie sich später herausstellte.

Eine allgemeine Impfpflicht wurde von nahezu allen Spitzenpolitikern und Parteien immer wieder abgelehnt und versprochen, dass eine solche nicht kommen werde

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Januar 2021 wörtlich: Wir wollen keine Impfpflicht. Wir wollen überzeugen.“

Der FDP-Vorsitzende und inzwischen Bundesfinanzminister Christian Lindner Anfang Juli 2021: Nein, keine Impfpflicht. Aber natürlich ist die Priorität bei der Impfung. Wir müssen werben, dass Menschen auch die Zweitimpfung in Anspruch nehmen.“

Christian Lindner-2021-07-02-gelb

WELT-Screenshot

Kanzlerin Angela Merkel habe „ein Machtwort gesprochen“, meldete die ARD Tagesschau am 13. Juli 2021 (siehe die ersten 32 Sekunden): „Es wird in Deutschland keinen Zwang geben, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Das sagte sie bei einem Besuch im Robert Koch-Institut und reagierte damit auf Entscheidungen in mehreren europäischen Ländern und eine Debatte hierzulande, zumindest einzelnen Berufsgruppen eine Pflichtimpfung zu verordnen.“

Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Die Grünen) sowie der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatten sich immer wieder ganz klar gegen eine Impfpflicht ausgesprochen.

Olaf Scholz kurz vor der Wahl und Olaf Scholz kurz nach der Wahl

Der Kanzlerkandidat der SPD und inzwischen zum Kanzler gewählte Olaf Scholz Anfang September 2021, wenige Wochen vor der Bundestagswahl im Deutschen Bundestag:

„Und für mich gibt es deshalb auch ein paar Dinge, die man hier klar aussprechen kann: Wir werden keinen neuen Lockdown haben. (…) Was wir dafür tun müssen, ist natürlich, weiter dafür zu werben, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger (sic) sich impfen lassen.“

Dann weiter:

„Und das will ich ausdrücklich dazu sagen: Ich finde, es wäre falsch, wenn jetzt eine Debatte beginnt über Impfpflichten und Ähnliches. Was wir machen müssen, ist die Bürgerinnen und Bürger (sic) zu überzeugen. Und auch das will ich gerne sagen: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir sie überzeugen.“

Doch dann, zwei Monate nach der Bundestagswahl, hat sich Olaf Scholz (SPD) ganz klar sogar für eine allgemeine Impfpflicht für alle bereits ab Februar oder März 2022 ausgesprochen:

„Und dann haben wir natürlich auch die beiden großen weiteren Maßnahmen auf den Weg gebracht, die jetzt wichtig sind, zum Beispiel dass es an Einrichtungen, wo viele Schützenswerte sind, in Alten-, Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, für alle Beschäftigten eine Impfverpflichtung geben wird. Und wir bringen jetzt auch noch auf den Weg, dass der Deutsche Bundestag über Gesetzentwürfe abstimmt, die eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg bringen.“

Und dann weiter:

„Wir haben ja jetzt schon allgemeine Impfpflichten, zum Beispiel bei Masern… Und das ist jetzt doch so, dass die Lage sich geändert hat. Wir haben es nicht geschafft, dass ausreichend viele Bürgerinnen und Bürger (sic) sich geimpft haben. (…) Und deshalb ist es richtig, dass wir sagen: Unter diesen Umständen kann und muss eine solche Entscheidung getroffen werden. Ich bin dafür.“ (Für die allgemeine Impfpflicht, JFB). „Ich bin aber auch dafür, dass das auf Basis von Entscheidungen aus dem Bundestag geschieht, wo jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen entscheidet.“

Auf die Frage, ab wann diese allgemeine Impfpflicht für alle kommen soll:

„Deshalb finde ich es richtig, wenn sie für alle gilt ab Anfang Februar, Anfang März.“

Fazit

Was hier deutlich wird: Wir haben es fast durch die Bank mit Spitzenpolitikern und Parteien zu tun, die alles Mögliche behaupten und auch versprechen, wenn sie den Eindruck haben, damit die Bevölkerung mehrheitlich wie kleine Kinder beruhigen zu können. Einige Monate später können sie selbst und leider auch große Teile der Bevölkerung sich an das Behauptete und Versprochene kaum noch im Detail erinnern und von den Massenmedien wird das oftmals nur ansatzweise kritisch aufgegriffen. Manche Menschen spüren aber genau das und werden dann mit der Zeit extrem misstrauisch, schießen dabei teilweise auch übers Ziel weit hinaus. Dies liegt aber nicht nur ausschließlich an diesen Personen, sondern maßgeblich auch an unseren Spitzenpolitikern (und auch den Massenmedien), die seit langem schon Vertrauen systematisch verspielen.

Dies fand einen ersten Kulminationspunkt in der Massenimmigration Kulturfremder ab September 2015, als sowohl von Politikern als auch nahezu allen Massenmedien gelogen, weggelassen, tendenziell dargestellt wurde, dass sich die Balken bogen (Sloterdijk: „Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Kriegs nicht mehr“). Und dies findet nun in der COVID-19-Pandemie respektive der Coronakrise seit März 2020 einen zweiten Kulminationspunkt, in der Versprechen in einem Ausmaß gebrochen werden, dass hier von einer neuen Dimension von Unaufrichtigkeit, oftmals wohl auch gepaart mit Unvermögen und extremer geistiger Kurzsichtigkeit gesprochen werden muss.

Drei Dinge sollten auseinandergehalten werden: 1. Impfen, 2. eine allgemeine Impfpflicht, 3. Versprechen abgeben und diese dann brechen

Dies ist wohlgemerkt keinerlei Kritik an Impfungen. Hier sind drei Dinge streng auseinander zu halten: 1. Impfen, 2. eine allgemeine Impfpflicht und 3. Versprechungen machen, die dann einige Monate später aufs Gröbste gebrochen werden, weil „die Umstände sich geändert haben“. Die Umstände ändern sich ständig. Was sollen denn die Umstände sonst machen? Soll die Erde stehen bleiben und aufhören sich zu drehen? Das ist das Wesen der Welt, dass Umstände ständig im Fluss und damit in Veränderung sind.

Zu 1: Ohne ein möglichst hohes Maß an vollständig Geimpften werden wir diese Pandemie kaum einigermaßen heil überstehen können. Zu 2: Eine allgemeine Impfpflicht sehe ich persönlich skeptisch und würde aus guten Gründen, wie ich meine, davon abraten. Aber selbst darüber könnte man zumindest diskutieren und auch Gegengründe ins Feld führen.

Letztlich läuft die Diskussion hier auf die moralische Frage hinaus: „Bleibt das Gute das Gute, wenn es mit Gewalt erzwungen wird, oder hört es dann auf, das Gute zu sein?“, was ethisch (moralphilosophisch) zu diskutieren wäre. Ich als Anhänger der universalen Menschenrechte und einer deontologischen, kantianischen Ethik würde sagen: Dies sollte nicht erzwungen, sondern es sollte noch mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden – was allerdings Glaubwürdigkeit voraussetzt – über Informationen, über Aufklärung, über Argumentation und über sehr niedrigschwellige Angebote plus zusätzliche Anreize statt Strafe.

Zu 3: Was aber meines Erachtens überhaupt nicht geht, ist, monatelang felsenfest zu behaupten, ja zu versprechen, dass eine allgemeine Impfpflicht überhaupt kein Thema sei und nicht kommen werde, zwei bis drei Monate nach der Bundestagswahl dann aber plötzlich um 180 Grad umzuschwenken und diese sogar in Kürze einführen zu wollen. So verspielt man jede Glaubwürdigkeit – womöglich auf Dauer. Und wenn die Glaubwürdigkeit immer mehr verspielt wird, dann gehen freilich viele Dinge nur noch mit reiner Gewalt. Genau auf diesen Pfad begeben sich unsere Spitzenpolitiker immer mehr.

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