So reden AfD-Abgeordnete, wenn sie unter sich sind

Von Jürgen Fritz, Sa. 21. Mai 2022, Titelbild: Das Erste-Screenshot

Seit 2017 ist die AfD im Deutschen Bundestag vertreten. Dem NDR und WDR wurden mehr als 40.000 interne Chat-Nachrichten von AfD-Abgeordneten zugespielt, aus denen ersichtlich wird, wie diese tatsächlich ticken, wie sie denken und wie sie reden, wenn sie unter sich sind. Hier einige Auszüge.

Der beispiellose Aufstieg der AfD bis Ende 2018 und die Wende: von der Professorenpartei zu den Querdenkerverstehern und zur Russlandfreundepartei

Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde Anfang Februar 2013 gegründet. Bei der Bundestagswahl im September 2013 kam sie bereits auf mehr als zwei Millionen Zweitstimmen. Mit 4,7 Prozent verfehlte sie den Einzug in den Deutschen Bundestag nur knapp. 2014 kam sie bei der EU-Wahl aber bereits auf 7,1 Prozent und zog auch schon in die ersten Landesparlamente ein.

Bei der Bundestagswahl Ende September 2017 erreichte die AfD mit 12,6 Prozent bundesweit bei Wahlergebnissen ihren Höhepunkt. In den Umfragen stieg sie in den nächsten zwölf Monaten bis September 2018 sogar auf 17 bis 18 Prozent. Doch ab dann gingen die Zustimmungswerte kontinuierlich zurück.

Bei der EU-Wahl nur wenige Monate später, im Mai 2019 kam sie nur noch auf 11,0 Prozent und bei der Bundestagswahl 2021 nur noch auf 10,3 Prozent. Auch in den letzten neun Landtagswahlen seit Anfang 2020 hat sie in West wie Ost jedes Mal an Stimmen und Anteilen verloren, flog in Schleswig-Holstein vor zwei Wochen mit bloß noch 4,4 Prozent der Zweitstimmen erstmals wieder aus einem Landesparlament heraus. Die große Zeit der AfD scheint also auf allen Ebenen vorüber.

Dabei hat die Partei, die anfangs als Professorenpartei gestartet war, die vor allem Kritik am Euro, an der Wirtschafts- und Finanzpolitik übte, sich im Laufe immer mehr verändert in Richtung Partei der unteren Mittelschicht und derjenigen, die der parlamentarischen Demokratie eher distanziert gegenüber stehen, zuletzt auch immer mehr zu Querdenkerverstehern und zur russland- und putin-freundlichen Partei.

Ein Bundesvorsitzender nach dem anderen tritt aus der Partei aus: Lucke, Petry, Adam, Meuthen

Ab 2015 war auch zu beobachten, dass Rechtsradikale zunehmend Einfluss gewannen in der Partei. Dies führte unter anderem dazu, dass Bernd Lucke, einer der drei Bundessprecher der ersten Jahre und das bis dahin bekannteste AfD-Gesicht, bereits im Juli 2015 aus der Partei austrat. Im September 2017 folgte das zweitbekannteste Gesicht der Partei, Frauke Petry, die über vier Jahre lang Bundesvorsitzende war. Zum 1. Januar 2021 trat auch Konrad Adam, der dritte Bundesvorsitzende der Anfangsjahre (2013 bis 2015) aus der Partei aus und im Januar 2022 dann auch noch Jörg Meuthen, der seit 2015 AfD-Bundesvorsitzender war. Dass ein Bundesvorsitzender nach dem anderen nicht nur von seinem Amt zurück-, sondern ganz aus der Partei austritt und mit dieser nichts mehr zu tun haben möchte, dürfte einzigartig sein für alle im Bundestag vertretenen Parteien.

Nachdem Meuthen 2020 bewirken konnte, dass die Parteimitgliedschaft des rechtsextremistischen Landesvorsitzenden der AfD-Brandenburg Andreas Kalbitz annulliert wurde, was er im Bundesvorstand mit knapper Mehrheit durchbekam, sagte der „Ehrenvorsitzende“ der AfD und damalige Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland, dass er „mit Sorge regelrechte Zersetzungstendenzen in der Partei“ beobachte, seitdem Meuthen gegen Kalbitz vorgegangen sei. Und der rechtsextremistische thüringische Fraktionsvorsitzende der AfD Björn Höcke, der seit Anfang 2020 vom Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht wird, schrieb auf Facebook unter Anspielung auf Meuthens Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry: „Zum dritten Mal in unserer sehr jungen Parteigeschichte will also einer unserer Bundessprecher Teile der Partei mundtot machen oder sogar aus der Partei drängen.“ 

Das Ende vom Lied war aber wie stets bei der AfD, dass nicht die rechtsradikalen und -extremistischen Teile aus der Partei gedrängt wurden, sondern dass auch Meuthen aufgab und selbst die Partei verließ. Das Spiel, das sich seit Mitte 2015, also nun seit fast sieben Jahren immer wieder wiederholt, ist also immer dieses, dass jeder, der sich mit dem rechtsradikalen und -extremistischen Flügel um Höcke herum anlegt, diesen Kampf stets verliert und irgendwann aufgibt, wobei dieser Flügel von Gauland stets geschützt wurde, der quasi seine Hand über ihn hielt. So erging es Lucke 2015, so erging es Petry 2017 und so erging es Meuthen Anfang 2022.

„Uns fliegt langsam die Partei unterm Arsch weg, die gegründet wurde, um unser Land zu schützen!“

Doch betrachten wir nun die, die noch nicht aus der AfD ausgetreten sind und die für diese Partei im Deutschen Bundestag als Abgeordnete tätig sind. Mindestens 76 der 92 AfD-Bundestagsabgeordneten haben sich laut NDR und WDR in einer Chatgruppe, die sich „Quasselgruppe“ nannte, regelmäßig, quasi täglich ausgetauscht. Diese interne Chatgruppe war streng vertraulich, aber irgendjemand hat nun dem NDR und WDR mehr als 40.000 Posts aus der „Quasselgruppe“ zugespielt.

Viele Abgeordnete sollen demnach fast täglich dort geschrieben haben. Und das, was da geschrieben wurde, gibt nun einen Einblick hinter die Kulissen der ersten ab Ende 2017 bestehenden Bundestagsfraktion der AfD. Hier einige der bekannt gemachten Auszüge, aus denen unter anderem hervorgeht, wie chaotisch diese Partei innerlich strukturiert ist, was vielen wohl auch selbst bewusst ist:

  • Ein Abgeordneter schrieb schon 2019: „Und dieser Chaosladen will Deutschland retten?“ (3.5.2019).
  • Ein anderer formulierte: „Was fremdschämen angeht, bin ich durch die Partei extrem belastbar geworden.“ (03.06.2019).
  • „Wir müssen wohl warten, bis das Alte Regime wirtschaftlich ans Ende kommt und der Funke aus Österreich, Italien, Frankreich usw. überspringt. Das wird kommen und für die dann ebenfalls kommenden gnadenlosen Kämpfe müssen wir uns rüsten. (…)“ (16.06.2019)
  • „Uns fliegt langsam die Partei unterm Arsch weg, die gegründet wurde, um unser Land zu schützen!“ (10.07.2019).

„Wir brauchen eine Richtungsentscheidung: Wollen wir eine National-sozialistische oder eine freiheitlich-konservative Partei sein…“

Zum anderen fällt immer wieder eine extrem Rohheit der Sprache und Gedankenwelt auf, wie man sie normalerweise von Bundestagsabgeordneten nicht unbedingt erwarten würde.

  • „Die Ratte Merkel an der Spitze! Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast!“ (10.07.2019)
  • Als der bekennend homosexuelle CDU-Politiker Jens Spahn am 16.07.2019 kurzzeitig in den Medien als möglicher neuer Verteidigungsminister gehandelt wurde, hieß es: „Oh gut, wieder eine Verteidigungsministerin.“
  • Und kurz darauf: „Bei Spahn hätte die Bundeswehr wieder auf Hinterlader umgestellt… .“
  • Der damalige Staatsminister Michael Roth, Mitglied der Bundesregierung, sei ein „ekelhafter Wicht“, der SPD-Politiker Johannes Kahrs eine „radikal böse Afteröffnung“.
  • „Wir sind die letzte Chance die dieses Land hat, und das meine ich bitter ernst!!!“ (27.07.2019)
  • „Wir brauchen eine Richtungsentscheidung. Wollen wir eine National-sozialistische oder eine freiheitlich-konservative Partei sein….“ (08.11.2019)
  • „Da müssen wir uns SELBST die Frage stellen, ob wir erwiesene Nazis in der Partei und dann auch noch in führenden Positionen haben wollen. Ich will das nicht. Die Ideologie und den Führerkult, die Höcke und Kalbitz vertreten, lehne ich zutiefst ab.“ (17.04.2020).

„Mal die Klappe halten, wenn es angebracht ist. (…) Fällt es so schwer, mal nicht über das Dritte Reich zu reden?“

Der Machtkampf der beiden Lager erreichte den Höhepunkt im Frühjahr 2020. Am Tag, an dem das Bundesamt für Verfassungsschutz den damaligen „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung einordnete, schrieb die dem gemäßigteren Lager zugehörige Joana Cotar:

  • „Es wundert mich nicht, dass das jetzt so kommt. Wir haben zu spät den Stecker gezogen. (…) der Flügel hat es dem VS viel zu einfach gemacht.“
  • Auf Nachfrage eines damals führenden Flügel-Mannes, was das heiße, ergänzte Cotar: „Mal die Klappe halten, wenn es angebracht ist. (…) Fällt es so schwer, mal nicht über das Dritte Reich zu reden?“ Damit im Interview konfrontiert, sagt Cotar, dass sie sich von der Parteispitze „eine klare Ansage“ gewünscht hätte „das geht so nicht, ihr schadet damit allen“.
  • Auch andere griffen die Fraktionsführung in der Chatgruppe heftig an: Es handele sich um einen „Schlafwagenvorstand“, der nichts hinbekomme. Einer fragte: “ … WO IST UNSER KONZEPT, WO IST UNSERE STRATEGIE? Wenn man solche Fragen stellt gilt man offenbar als Verräter.“ (22.04.2020).
  • Über Weidel schrieb ein anderer: „Frau Weidel kann offenbar Prioritäten setzen, aber nur wenn es um ihren eigenen Kopf geht.“ (22.04.2020).
  • Ein frustrierte Kollege schrieb am 26.6.2020: „Leute….echt….wir sollten EIN Ziel haben. Die Fraktion war mal der Leuchtturm der Partei.“
  • Ein anderer Kollege antwortete dann: „Ist er immer noch, nur das Licht ist aus“ und setzt einen Zwinkersmiley.

„EINMAL in die gleiche Richtung ziehen. Das wärs. Die Wähler haben keine Ahnung, was sie erwartet, wenn sie AfD wählen… .“

Die Chats legen zudem offen, wie die AfD-Abgeordneten im digitalen Hinterzimmer Strategien ausheckten, um das Plenum lahm zu legen und andere Parteien vorzuführen: Mit Nachtsitzungen, mit namentlichen Abstimmungen zu Unzeiten und anderen parlamentarischen Instrumenten, die sie dazu benutzen, die anderen Fraktionen im Bundestag zu nerven. Man wolle die anderen „quälen“, mit „Penetranzstrategien“, schreiben sie. Die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel bestreitet ein solches planmäßiges Vorgehen aber auf Anfrage.

  • Etwa neun Monate vor der Bundestagswahl 2021 postete Parteivorstand Joana Cotar, die damals gegen Weidel um die Spitzenkandidatur für die Wahl rang: „EINMAL in die gleiche Richtung ziehen. Das wärs. Die Wähler haben keine Ahnung, was sie erwartet, wenn sie AfD wählen… .“ (05.01.2021).
  • Ihre harte Kritik an der auch heute amtierenden Fraktionsführung unterstreicht Cotar im Interview mit NDR und WDR auch aktuell: „Es ist generell die fehlende Führung in der Fraktion, der Mut, auch mal durchzugreifen und sich unbeliebt zu machen.“
  • Aber trotz unzähliger negativer Äußerungen zogen zahlreiche Fraktionsmitglieder im Herbst 2021 wieder in die neue Bundestagsfraktion ein und wählten auch Weidel erneut als Co-Vorsitzende.

Weidel: „Wenn Sie in der AfD in der ersten Reihe stehen, ist das völlig normal. Das berührt mich nicht.“

Auf Nachfrage sagt Weidel, die eine der wenigen Abgeordneten ist, die kein Mitglied dieser Chatgruppe war, im Interview mit WDR und NDR, dass solche Äußerungen für sie inakzeptabel seien. Hätte sie davon Kenntnis gehabt, wäre sie dagegen vorgegangen.

Und zu der Kritik an sich selbst aus den eigenen Reihen konfrontiert, sagt Weidel im Interview mit WDR und NDR„Wenn Sie in der AfD in der ersten Reihe stehen, ist das völlig normal. Das berührt mich nicht.“ Unzufriedene gebe es immer. „Da müssen die sich überlegen, ob sie sich vielleicht ein anderes Hobby suchen, anstatt ihre Zeit zu vergeuden, permanent in Chats reinzuschreiben. Da würde ich mir mehr Einsatz in der parlamentarischen Arbeit wünschen“.

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR