Von Jürgen Fritz, Sa. 10. Apr 2020, Titelbild: phoenix-Screenshots
An diesem Wochenende treffen sich in Dresden Delegierte zum 12. Bundesparteitag der AfD. Seit langem ist die Partei innerlich zerrissen. Vor einem Jahr schlug der erste Bundessprecher Jörg Meuthen sogar vor, die AfD aufzuspalten. Auf dem 11. Bundesparteitag im November attackierte er die eigene Partei scharf, besonders den Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland sowie den Höcke-Flügel. Doch Meuthen hat viele mächtige Widersacher in der eigenen Partei.
Die feindliche Übernahme der AfD durch Rechtsradikale und Extremisten
Betrachtet man den Werdegang der im Februar 2013 gegründeten AfD, dann fällt folgendes auf: Die Partei bestand von Anfang an aus mindestens zwei (wenn nicht drei) Parteien, die sich im Laufe der Jahre aber immer deutlicher akzentuierten und auseinander drifteten: dem liberal-konservativen Meuthen-Lager und dem „sozialpatriotischen“ Höcke-Lager. Man könnte für Letzteres auch andere Ausdrücke finden, dann aber rennt die stellvertretende Bundessprecherin Alice Weidel gleich weg. Analysiert man es feiner, kommt man auf drei Parteien in der Partei: a) einen liberal-konservativen Flügel um den ersten Bundesvorsitzenden der Anfangsjahre Bernd Lucke, b) einen ultrakonservativen Flügel um Frauke Petry und Alexander Gauland und c) einen rechtsradikalen bis rechtsextremistischen Flügel um Björn Höcke, zusätzlich etliche Opportunisten, die sich jeweils dem Lager zuschlagen, von dem sie annehmen, dass es sich durchsetzen wird, um so stets bei den Gewinnern zu sein und sich die eigene, nicht schlecht dotierte berufliche Zukunft zu sichern.
Die Liberal-Konservativen finden sich inzwischen zum Teil in der von Bernd Lucke im Juli 2015 gegründeten LKR (Liberal-Konservative Reformer). Ein Schauspiel, welches man seit 2015 beobachten konnte, war das folgende: Die Rechtsradikalen und -extremisten (c) bekämpften die anfangs dominanten Liberal-Konservativen (a) und die Ultrakonservativen verbündeten sich nicht mit diesen gegen die Rechtsradikalen, sondern mit den Rechtsradikalen, teilweise sogar -extremisten gegen Lucke und Co. Dies galt zunächst für Frauke Petry, Alexander Gauland sowieso, dann später aber auch für Jörg Meuthen, als dieser dann gegen Frauke Petry agierte, nachdem diese sich mit den Rechtsradikalen anlegte, Höcke aus der Partei ausschließen und die AfD auf Koalitionskurs bringen wollte.
Bei all diesen Machtkämpfen in der Partei spielen natürlich immer verschiedene Gründe mit hinein, nicht zuletzt auch persönliche Ambitionen und Animositäten, aber ein Muster ist seit 2015 durchgehend erkennbar: Jeder, der sich mit den Rechtsradikalen und -extremisten anlegte, zog mittelfrüstig den Kürzeren und schied meist aus der Partei aus, der Höcke-Flügel wurde dagegen von Jahr zu Jahr immer stärker. Im Grunde sehen wir hier – beginnend etwa 2015 – eine feindliche Übernahme der Partei durch Rechtsradikale, da die Partei es nicht schaffte, diese in den Anfangsjahren aus der Partei rauszuhalten und sie dann nicht mehr raus bekam. Deren Aufstieg zu einem echten Machtzentrum war aber nur möglich durch die Unterstützung des ultrakonservativen Lagers in der AfD, welches sich im Kampf gegen andere innerparteiliche Widersacher immer wieder mit den Radikalen und Extremisten verbündete.
Meuthens Attacke gegen den rechten Rand in der AfD
Seit gut einem Jahr hat der erste Bundessprecher Jörg Meuthen nun den Mut, sich mit den Rechtsaußen in der AfD anzulegen, nachdem er zuvor jahrelang mit diesen kooperierte, wenn ihm das nützlich war, ja er ist wohl 2015 überhaupt nur ins Amt des Bundesvorsitzenden (die AfD spricht von „Bundessprecher“) gekommen, weil der Höcke-Flügel dies aus strategischen Gründen unterstützte. Man wollte Bernd Lucke unbedingt weg haben und suchte einen halbwegs liberalen Ersatz für diesen. Meuthen hielt man da für weniger gefährlich.
Auf dem 11. Bundesparteitag der AfD ging Meuthen dann am Samstag, den 29. November 2020, in einer Brandrede zu einer scharfen Attacke gegen Teile der eigenen Partei vor. Doch bereits am folgenden Tag, dem Sonntag, schlugen diese zurück. Die AfD sei „gefährdet wie noch nie“, die Partei an einem Punkt, „an dem alles kaputt gehen kann“, so der erste Bundessprecher der AfD Jörg Meuthen in seiner Grundsatzrede am Samstagmorgen zur Eröffnung des elften AfD-Parteitages in Kalkar, NRW. Es folgten heftige Attacken, vor allem auf die „Sozialpatrioten“. Meuthen selbst nennt sie durchaus auch „sozialnationalistisch“, andere sagen Rechtsradikale, manche nennen sich selbst Faschisten und der Verfassungsschutz spricht von mindestens 20 Prozent verfassungsfeindlichen Rechtsextremisten, wobei die tatsächliche Zahl derer deutlich höher, womöglich sogar doppelt so groß sein dürfte.
Meuthens Attacke galt aber auch demjenigen, der seit Jahren seine schützende Hand über diese „sozialpatriotische“-rechtsextremistische Gruppe hält und der ihr weltanschaulich womöglich gar nicht so fern steht, dem Björn Höcke immer viel näher war als die liberalen Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel, die er mithalf aus der Partei raus zu mobben, den Rechtsextremisten in der Partei quasi assistierte: Alexander Gauland.
Siehe dazu auch die aufschlussreichen Berichte und Kommentare über Gauland von Konrad Adam, kein Liberaler, aber eben auch kein Rechtsradikaler oder gar Rechtsextremist, sondern ein Kultur-Konservativer, der bis Juli 2015 einer der drei AfD-Bundessprecher war neben Bernd Lucke und Frauke Petry, die beide längst aus der Partei ausgetreten sind. Auch Konrad Adam hat seine Mitgliedschaft in der AfD gekündigt, die sich mittlerweile insgesamt zu einer zu wesentlichen Teilen zumindest rechtsradikalen, teilweise sogar rechtsextremistischen Partei entwickelt hat, wie der Politikwissenschaftler und ehemalige Referatsleiter in der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz, seit 2004 Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Armin Pfahl-Traughber in einem sehr differenzierten und zugleich dezidierten Urteil befindet.
Eine echte, nicht nur gespielte Einheit bestehe immer in „hinlänglichen Summe an inhaltlichen Gemeinsamkeiten als elementare Grundvoraussetzung“, führte Meuthen aus. Doch diese inhaltliche Einheit hat es in der AfD niemals gegeben. Diese bestand vielmehr von Anfang an aus drei unterschiedlichen Gruppierungen: 1. einer liberal-konservativen (Lucke, Henkel …), 2. einer national-konservativen (Petry, Adam, Gauland …) und 3. einer deutsch-sozial-nationalistischen, rechtsradikalen bis rechtsextremistischen (Höcke, Poggenburg, Kalbitz …).
Die Nationalkonservativen (2) haben zunächst mit den Sozial-Nationalisten (3) zusammen, die Liberal-Konservativen (1) immer mehr aus der Partei rausgedrängt. Hier kooperierten Petry und Gauland mit den Rechtsextremisten. Als dann Petry und Pretzell merkten, wie stark die Radikalen bereits waren und immer noch stärker wurden, versuchten sie, gegen diese anzugehen. Aber nun verbündeten sich Gauland, Weidel und Meuthen mit den Rechtsextremisten gegen Petry, so dass auch diese aus der Partei ausschied. Nun also versucht, Meuthen, der früher – genau wie Petry gegen Lucke -mit den Sozial-Nationalisten kooperierte, gegen diese anzugehen und auch gegen Weidel und Gauland, die den Rechtsextremisten extrem nahe stehen. Weidel, die Gelenkige, wechselte schnell das Lager, als sie merkte, von wo der Wind stärker wehte.
„Einige in unseren Reihen scheinen darunter ein Zurück ins Gestern zu verstehen, fühlen sich bei Bismarck zuhause und verehren geradezu schwärmerisch diese historische Figur. Die propagieren dann sozialpolitisch so eine Art ‚Bismarck 21‘ als Lösung der heutigen wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme des Landes“, so Meuthen wörtlich. Das aber sei „romantisch“ und „zukunftsblind“. Es war klar, wen Meuthen hier meinte. Gauland zitiert Bismarck, wo er nur kann, respektive rekurriert immer wieder auf diesen. Die AfD sei keine rückwärtsgewandte Partei, betonte Meuthen explizit. Auch das ein Stich gegen Gauland, der übrigens am Sonntagmorgen, noch während der Parteitag lief, ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Ob dies irgendetwas mit dem zu tun hatte, wie dieser Parteitag bis dahin verlaufen war, ob er merkt, dass das, was er als sein Lebenswerk betrachtet, immer mehr zu erodieren beginnt, was ihm natürlich einen heftigen Stich ins Herz versetzen dürfte, darüber kann nur spekuliert werden.
Der moderne Konservative sei „niemals reaktionär“, machte Meuthen klar. Ein klarer Angriff auf Höcke und seine Anhänger. Und Meuthen wurde noch deutlicher, sprach von einer „pseudomoralischen Erpressung“, die gerade von Höcke immer wieder ausgeübt wird, wenn er verlangt, die Partei dürfe niemals die Einheit aufgeben, wobei er natürlich meint, sie müsse sich hinter seinen Positionen vereinen (Führerprinzip als essentielles Merkmal des Rechtsextremismus).
Und Meuthen attackierte auch die Verpöbelung seiner Partei: „Lassen wir ruhig die im Regen stehen, die nur allzu gerne rumkrakeln und rumprollen oder andere dazu einladen, wie wir das vergangene Woche leider im Bundestag erleben mussten, weil sie sich in der Rolle in der Rolle des Provokateurs gefallen, wie pubertierende Schuljungen, um vor allem der eigenen überschaubaren Blase zeigen zu wollen, was für tolle Kerle sie doch sind“. Einige, „bis hin zu Mandats- und Amtsträgern“ verhielten sich „wie trotzige Pubertierende mit Lust an billiger, zuweilen regelrecht flegelhafter Provokation, in der sie sich auch noch geradezu selbstverliebt gefallen.“ Ebenso kritisierte Meuthen das Benutzen von völlig unangebrachten Begriffen, wie „Corona-Diktatur“, den auch Gauland gebrauchte – und „Ermächtigungsgesetz“.
Die Gegen-Attacke des Höcke-Flügels
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Schon am Samstag wurde heftige Kritik am ersten Bundessprecher der AfD laut, doch am Sonntag, als sich die Reihen der Rechtsextremisten und Rechtsradikalen (3) formiert hatten, gingen diese zum Gegenangriff über. Höcke selbst, der General im Hintergrund, der sich hinterm Berg versteckt und seine Leute nach vorne schickt, seit Jahren jeder offenen Konfrontation meist aus dem Weg geht und lieber in Hinterzimmern die Fäden zieht und intrigiert, trat dabei weniger in Erscheinung. In Erscheinung traten andere, die zumeist dem sozial-nationalistisch-rechtsextremistischen Flügel innerhalb der AfD zuzuordnen sein dürften, der (zusammen mit den Opportunisten, die mit dem Flügel zusammen agieren) nach meiner Einschätzung bereits etwa die Hälfte der Partei ausmachen dürfte. Dies zeigte sich nicht nur im Applaus für Meuthen und dem Applaus für die, die Meuthen ihrerseits angriffen, sondern zeigte sich insbesondere an der Abstimmung über den Antrag des Freiburger Kreisverbandes.
In diesem Antrag wurde gefordert, dass der erste Bundessprecher Jörg Meuthen wegen seiner scharfen Attacke auf Gauland und die rechtsextremistischen AfD-Mitglieder in seiner Brandrede sowie wegen „spalterischen Gebarens“ missbilligt werden sollte. Das muss man sich bewusst machen, was hier geschah: Delegierte sollten ihren Parteichef öffentlich als „Spalter“ brandmarken. Fast zwei Stunden lang debattierten die Delegierten über diesen Antrag.
Die Kritiker warfen Meuthen vor, der Partei und dem Parteitag Schaden zugefügt zu haben und die Partei zu spalten. Er habe seine Rede „missbraucht, um ganz massiv gegen wesentliche Teile der Partei zu schießen und gegen Teile unserer Wählerschaft zu schießen“, sagte ein Delegierter.
„Seid Ihr denn des Wahnsinns?“, fragte anschließend der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter aus Brandenburg. Statt eine öffentliche Debatte über den Parteivorsitzenden anzuzetteln, sollte Kritik intern besprochen werden. Seine Forderung, die Debatte abzubrechen, fand jedoch keine Unterstützung. Bundesvorstandsmitglied Stephan Brandner nannte Meuthens Rede anschließend ein „Torpedo“. Er rief Meuthen zu: „Dieser Weg ist ein Irrweg, dieser Weg ist falsch, Du spaltest die Partei. Komm zu uns zurück, Du hilfst nur den Altparteien.“
Meuthen verteidigte seine Rede. Er warf den Kritikern eine „gezielte ideologische Verdrehung“ vor und wies den Vorwurf der Spaltung strikt zurück. „Ich habe eine neue Einheit in Disziplin angemahnt. Und das erscheint mir tatsächlich dringend notwendig.“ Die AfD habe ein schwieriges Wahljahr vor sich und stehe in Umfragen aktuell nur noch bei sieben Prozent. „Ich will mit ganzem Herzen den Erfolg unserer Partei“, betonte Meuthen. „Aber diesen Erfolg werden wir nur mit seriösem Auftreten erzielen.“ Die AfD müsse eine „Partei bürgerlicher Vernunft“ sein.
Die Debatte über den Antrag von Mandic und einen weiteren Änderungsantrag aus Brandenburg zog sich fast zwei Stunden hin. Am Ende wurde der Antrag von Mandic und anderen aus seinem Freiburger Kreisverband nicht zur Abstimmung gestellt. Für eine „Nichtbefassung“ stimmten aber nur rund 53 Prozent der Delegierten, für eine Befassung knapp 47 Prozent. Dies zeigt wohl in etwa die Kräfteverhältnisse innerhalb der Partei, welche innerlich völlig zerrissen ist zwischen den Lagern.
Meuthens schärfste Widersacher vom extrem rechten Rand: 1. Dubravko Mandic
Mandic, 2014 in den Bundesvorstand der Patriotischen Plattform gewählt, war Mitglied in Höckes rechtsextremistischen Flügel, bis dieser gezwungen wurde, sich aufzulösen: „Hören Sie auf mit Ihrem Spalterkurs!“ rief er Meuthen zu.
2. Birgit Bessin
Bessin ist stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Brandenburg. Wegen ideologischer Probleme mit Birgit Bessin traten zahlreiche Mitglieder wie der von der CDU übergetretene Kreistagsabgeordnete Ralf Sebastian von der Bank aus der AfD aus. Bessing gehörte im März 2015 zu den Erstunterzeichnern der Erfurter Resolution, aus der die maßgeblich von Höcke initiierte völkisch-nationalistische Gruppierung „Der Flügel“ innerhalb der AfD hervorging.
Bessin sagte auf dem 11. Parteitag: „Wir brauchen eine Führung, die mutig und die freundlich ist“, beides sei bei Meuthen nicht zu erkennen. Dieser habe die Bühne „zur Abrechnung“ missbraucht, womöglich weil er sich mit seinen Vorschlägen für ein Rentenkonzept nicht habe durchsetzen können. „Wer Disziplin von der Partei fordert, sollte das vorleben, und diese Bühne nicht zur Abrechnung mit unlieben Parteimitgliedern missbrauchen.“
Dann passierte etwas sehr Bemerkenswertes. Nach Bessin meldete sich der Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter zu Wort, der sich selbst in der sogenannten Alternativen Mitte, dem gemäßigten Flügel der AfD, zuordnet. Kleinwächter beantragte die Nichtbefassung mit diesem Antrag, Meuthen zu rügen und als Spalter zu brandmarken. Kleinwächter wörtlich: „Seid ihr denn des Wahnsinns?! Eine Debatte über den Parteivorsitzenden zu beginnen … Wenn wir jetzt 30 Redner anhören … dann haben wir nur diese Reaktion in der Presse … Brecht diese Diskussion ab zum Schutze unserer Partei. Über den Parteivorsitzenden werden wir intern debattieren und entscheiden müssen, wenn er zur Wahl steht.“
3. Christian Blex
Darauf erwiderte dann Christian Blex, Abgeordneter im Landtag von NRW, der dem rechtsnationalen Höcke-Flügel zugeordnet wird: Das sei „Altparteiengehabe“. Wenn einem was nicht passe, mache man die Kritiker „mundtot“. Das sei „schäbig“. „Das ist das Miese daran, Sie verdrehen hier die Schuld. Wenn ich als Parteisprecher hingehe und die Wähler beschimpfe, dann muss ich mich dafür rechtfertigen. (…) Wir können doch die Leute nicht einfach als Covidioten beschimpfen.“ Die Diskussion über Meuthen jetzt abbrechen zu wollen, das sei „wirklich schäbig“.
Dann passierte das nächste Hochinteressante. Nun wurde nämlich über den Antrag von Kleinwächter auf Nichtbefassung abgestimmt. Die 500 bis 600 Delegierten konnten jetzt also darüber entscheiden, ob sie weiter über ihren Parteivorsitzenden diskutieren wollten und so seinen innerparteilichen Gegnern die Gelegenheit geben wollten, ihn stundenlang zu kritisieren und vor laufenden Kameras über ihn herzuziehen. Und so ging diese Abstimmung aus, die einiges über die Machtverhältnisse in der Partei aussagt:
Der Antrag des gemäßigten Kleinwächter wurde mit 53,8 Prozent der Stimmen bei 46,2 Prozent der Gegenstimmen abgelehnt. Also wurde weiter über Meuthen und seine Brandrede vom Samstag diskutiert und die Rechtsradikalen (3) schlugen weiter zurück.
4. Mir nicht bekannter Delegierter
Dieser Delegierte hier kritisierte Meuthen scharf, warf ihm vor, dass seine Rede „parteischädigend“ gewesen sei und wollte darüber abstimmen und Meuthen „eine klare Absage“ erteilen, „dass das nicht nochmal vorkommt“.
5. Ebenfalls mir nicht bekannter Delegierter
Nachdem ein weiterer Delegierter nun den Antrag gestellt hatte, wenn schon diese öffentliche Selbstzerfleischung sein müsse, ob man es dann nicht wenigstens zeitlich begrenzen könne und nur noch die Leute zu diesem Tagesordnungpunkt sprechen dürfte, die jetzt schon in der Rednerliste stehen, dass dort aber keine weiteren aufgenommen werden sollen, um das Ganze zumindest zeitlich zu begrenzen, widersprach dem dieser Delegierte heftig. Es wurde überdeutlich, wie sehr Meuthens Rede gerade die Rechtsradikalen in der AfD getroffen hatte und wie groß ihr Bedürfnis war, noch auf dem Parteitag öffentlich zurückzuschlagen.
Nun wurde abgestimmt, ob die Rednerliste zu diesem Punkt, Meuthen rügen, geschlossen wird oder weiter offen bleibt, und die Mehrheit wollte, dass die Rednerliste geschlossen werde, so dass sich diese Aussprache nicht über Stunden hinziehen soll.
Dann traten vier Redner nacheinander auf, unter anderem der Europaabgeordnete Nicolaus Fest und der stellvertretende Vorsitzende der AfD Hamburg und Fraktionsvorsitzende der AfD-Bürgerschaftsfraktion sowie Beisitzer im AfD-Bundesvorstand Alexander Wolf, die sich alle hinter Meuthen stellten und diesen verteidigten, sich teilweise sogar bei ihm bedankten für seine Brandrede.
6. Jürgen Pohl: „Herr Dr. Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei!“
Dann kam der thüringische Parlamentarier Jürgen Pohl ans Mikrofon. Pohl gehört zu 18 Bundestagsabgeordneten der AfD, die Mitarbeiter mit rechtsradikalem bis rechtsextremem Hintergrund für ihre Mandatsaufgaben und parlamentarische Arbeit beschäftigten und gilt als Pegida-Anhänger. Bereits nach dem Entzug der AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz im Mai 2020 positionierte Pohl sich gegen Meuthen. Auf Facebook veröffentlichte er unter der Überschrift „Wir sind Spalter!“ eine Fotomontage mit den Köpfen der acht Vorstandsmitglieder des Vorstandes, die für die Annullierung der Mitgliedschaft von Kalbitz gestimmt hatten. Pohl gilt seit langem als Weggefährte des Kopfes der Rechtsextremisten in der AfD Björn Höcke, dessen Wahlkreisbüro Pohl leitete. In einer Rede sagte er, der Gegner habe sich „die Abschaffung des deutschen Staatsvolkes und die Vernichtung des Stolzes der deutschen Nation auf die Fahnen geschrieben“. Er nannte es eine „biblische Herausforderung“, alle „illegalen Ausländer“ abzuschieben. Auf einem Parteitag der Thüringer AfD sprach er von „feigen Gestalten“, die noch „da oben“ säßen und die „das Volk einst richten“ werde.
Auf dem Parteitag schrie er am Sonntag ins Mikrofon: „Herr Dr. Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei!“
Nachdem der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz Joachim Paul sich klar hinter Meuthen gestellt hatte, folgte …
7. Thorsten Weiß
Der Berliner Abgeordnete Thorsten Weiß war früher Vorsitzender der Berliner Jungen Alternative (JA). Dort fungierte er als Scharnier zu radikalrechten Nachwuchsgruppen wie der Identitären Bewegung, die seit ihrer Gründung 2012 vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Unter anderem trat Weiß mehrfach gemeinsam mit Mitgliedern der Identitären Bewegung auf Kundgebungen auf. Der Verfassungsschutz bestätigte, dass es personelle Überschneidungen zwischen der Jungen Alternative und der Identitären Bewegung gebe. Im Januar 2017 gab Weiß diese personellen Überschneidungen und eine Zusammenarbeit der JA mit der Identitären Bewegung schließlich zu. Die AfD hatte dies zuvor stets bestritten und sich von der Identitären Bewegung distanziert. Weiß verteidigte die Zusammenarbeit als „überhaupt nicht verwerflich“. Die Mitglieder der Identitären Bewegung „ticken gar nicht so unterschiedlich zu uns, sie drücken sich nur anders aus“, meinte er. Weiß war von 2016 bis zu dessen vom Bundesvorstand erzwungenen Selbstauflösung im April 2020 Landesobmann des rechtsnationalen Höcke-Flügels in Berlin, welcher 2020 vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Weiß gilt als Vertrauensmann des thüringischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke.
Weiß warf Meuthen vor, den „integrativen Kurs“ seit Beginn des Jahres verlassen zu haben. Meuthen würde mit der Partei, so wie sie sich darstelle, nicht mehr glücklich: „Sie wollen eine andere Partei.“
Anschließend arbeitete ein Delegierter, der sich ebenfalls zu Wort gemeldet hatte, einen sehr wichtigen Punkt heraus. Die Antragsteller würden immer von „Einigkeit“ sprechen, doch „welche Einigkeit meinen die?“. Das sei „die Einigkeit einer Bewegung, wie es die Antragsteller, aber auch Björn Höcke immer sagen“. Das sei die „Einigkeit der neurechten Bewegung. Und da sind Pegida, Querdenker usw. das Harmlose. Das Andere sind NPD, Neue Rechte usw. Diese Einigkeit brauchen wir nicht“, sagte der Delegierte, der sich explizit bei Jörg Meuthen bedankte.
8. Stephan Brandner
Darauf folgte der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende AfD-Bundessprecher Stephan Brandner. Brandner gehörte 2014 bis 2017 dem Thüringer Landtag an. Dann war er der Spitzenkandidat der AfD Thüringen zur Bundestagswahl 2017. Bis zu seiner Abwahl im November 2019 war er Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestages. Wegen vorangegangener Beschimpfungen und judenfeindlicher Ausfälle erfolgte seine Abwahl in dieser Funktion, was es in der Geschichte des Deutschen Bundestages noch nie zuvor gegeben hatte. Brandner wird dem völkisch-nationalistischen Höcke-Flügel zugeordnet und gilt als Vertrauter des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden.
Stephan Brander, der zunächst den zweiten Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla überschwänglich lobte, bezeichnete die Rede von Meuthen als einen „Torpedo“. Meuthen hätte „unserer Partei und diesem Parteitag schweren Schaden zugefügt“. Er wisse nicht, welche Motive Meuthen geleitet hätten, aber es seien keine guten Motive. Und dann an Meuthen persönlich gerichtet: „Dieser Weg ist ein Irrweg. Dieser Weg ist falsch. Du spaltest die Partei. Komm zu uns zurück. Du hilfst damit nur den Altparteien.“
Der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen, seit 2019 Vorsitzender des wichtigen, weil enorm großen Landesverbandes AfD Nordrhein-Westfalen, sprach sich klar für Meuthen aus und stärkte diesem den Rücken.
9. Jörg Urban
Ganz anders der Vorsitzende der AfD Sachsen Jörg Urban. Auch dieser vertritt rechtsextreme Positionen und unterstützt innerparteilich den Höcke-Flügel. Urban kritisierte Meuthen, weil er mit seiner Rede die Partei nicht eine, sondern „spalte“. Die AfD dürfe sich niemals Einschätzungen des Verfassungsschutzes zu eigen machen, sonst hätte die AfD verloren. Die Menschen, die derzeit auf die Straße gingen, wären „die mutigsten Menschen in diesem Land“. Die Querdenker-Bewegung müsse selbstverständlich „unser Partner auf der Straße sein“.
Die Delegierten stimmen darüber ab, ob Jörg Meuthen drei oder nur eine Minute auf die Vorwürfe antworten darf
Sodann sollte Jörg Meuthen, der inzwischen von etlichen Rednern angegriffen worden war, das Wort bekommen, doch zunächst wurde darüber abgestimmt, ob er eine oder drei Minuten antworten dürfe. Das Höcke-Lager wollte dem Bundesvorsitzenden nur eine Minute gewähren, verlor aber die Abstimmung knapp und Meuthen durfte also drei Minuten antworten.
Was hier geschehe, so Meuthen, sei eine gezielte ideologische Verdrehung seiner Rede vom Samstag. Er habe sich nicht generell gegen die Querdenkerbewegung ausgesprochen, sondern er habe eine kritische Distanz zu den nicht seriösen Personen, die es dort auch gebe. Er habe auch nicht zur Spaltung aufgerufen, sondern er habe ein neue Einheit in Disziplin angemahnt. Dass die AfD in der aktuellen Forsa-Umfrage auf 7 Prozent abgestürzt sei, sei auch unmittelbare Auswirkung dessen, was am 18.11. im Bundestag passiert sei. 2021 sei ein entscheidendes Wahljahr. Dort könne die AfD nur mit seriösem Auftreten erfolgreich sein. Die AfD müsse eine bürgerliche Partei mit bürgerlicher Vernunft sein, die seriös auftrete. Wem das nicht behage, der könne ja auf dem nächsten Parteitag einen Abwahlantrag stellen. Er tue das, wofür er von fast 70 Prozent der Mitglieder gewählt worden sei.
10. Thomas Seitz
10. Nach einem weiteren Redner, der sich hinter Meuthen stellte, folge der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz. Auch Seitz ist dem völkisch-nationalistischen, rechtsextremistischen Höcke-Flügel zuzurechnen. Seitz agitiert schon länger extrem scharf gegen den Islam und kritisiert die Kirche für „geistige Brandstiftung“. Bekannt wurde er durch Äußerungen auf seiner Facebook-Seite, in denen er von „erbärmlichen Systemlinge[n] in den Altparteien“ schrieb und die Politik von Angela Merkel als „Auftakt zur Vernichtung des Deutschen Volkes“ bezeichnete.
In weiteren Facebook-Posts nannte er Flüchtlinge „Migrassoren“ und den Propheten Mohammed einen „sadistischen Blutsäufer und Kinderschänder“. Seitz hat sich dafür ausgesprochen, Begriffe wie „Neger“ weiterhin zu verwenden. Den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama titulierte er als „Quotenneger“. Eines seiner Postings zeigt einen in einer Toilette liegenden Koran.
In einem Beitrag in den sozialen Medien schrieb Seitz am 29. Dezember 2018, dass „eine Änderung von Art. 102 GG (Abschaffung der Todesstrafe) kein Tabu sein“ dürfe. Er kommentierte damit einen Artikel der Online-Ausgabe der WELT, der davon berichtete, dass ein abgeschobener Kameruner wieder in Deutschland sei und erneut Asyl beantrage. Seitz schrieb zudem: „Für solche Fälle braucht es einer wirksamen Abschreckung“. Einen Tag später behauptete Seitz, sein Beitrag auf Facebook sei eine „bewusste und gezielte Provokation“ gewesen.
Das baden-württembergische Justizministerium hat aufgrund rassistischer Äußerungen und mangelnder Neutralität vor dem Richterdienstgericht des Landgerichts Karlsruhe eine Klage eingereicht. Ziel ist die Entfernung von Seitz aus dem Richterverhältnis. In der mündlichen Verhandlung folgte die Vorsitzende Richterin der Argumentation des Justizministeriums. Einen vergleichbaren Fall gab es bislang nicht. Beide Seiten haben angekündigt, nach dem Urteil in die nächste Instanz zu gehen. Seitz gehört ebenfalls zu jenen AfD-Abgeordneten, die Mitarbeiter mit verfassungsfeindlichem und eindeutig rechtsradikalem bis rechtsextremem Hintergrund beschäftigen.
Seitz warf Meuthen vor, dieser hätte seine Rede „zum wiederholten Male die Rede als Vertreter des Bundesvorstandes dazu missbraucht, hier ganz massiv gegen wesentliche Teile der Partei zu schießen und gegen Teile unserer Wählerschaft zu schießen“.
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