Maybrit Illner: Die implizite Frage des Robin Alexander

Ein Gastbeitrag von Axel Stöcker, Sa. 16. Jun 2018

Ich schaue eigentlich keine Talkshows mehr. Immer dieselben Personen, die eingeladen werden – und die nicht eingeladen werden -, immer dieselben Feindbilder und immer dieselben Fragen, die nie beantwortet werden. Es lohnt sich schlicht nicht. Donnerstagabend machte ich angesichts der aktuellen Regierungskrise eine Ausnahme und schaute Maybrit Illner. Hauptsächlich deshalb, weil Robin Alexander dabei war, denn, auch wenn ich ihn an dieser Stelle schon kritisiert habe, der Welt-Journalist ist für mich einer der großen Lichtblicke seiner Zunft. Das sollte sich auch diesmal bestätigen.

„Es ist nicht so, dass wir uns gar keine Gedanken machen“

Thema: Regierungskrise wegen – Überraschung! – der Flüchtlingspolitik. Die Diskussion ist schnell zusammengefasst. Da war zunächst Stephan Mayer (CSU), Staatssekretär bei Horst Seehofer, dem die Rolle des Punchingballs zugedacht war. Er verteidigte seine Position tapfer, konnte einem aber ein bisschen leid tun. Bei allem berechtigten Spott über die CSU sollte man anerkennen, dass sie zumindest noch in der Lage ist, Stimmungen in der Bevölkerung wahrzunehmen. Allein das gilt in anderen Parteien bekanntlich schon als Populismus.

Obwohl sich auch Malu Dreyer immerhin bemühte: Fälle wie Susanna F. seien „schon sehr, sehr schlimm“ und es sei auch tatsächlich „nicht so, dass wir uns darüber keine Gedanken machen“. Und „wir können das tun, was wir können“ um Menschen Sicherheit zu geben. Doch dazu gehört die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze offenbar nicht. Darüber müsse man – nach fast drei Jahren Migrationskrise – erst einmal in Ruhe mit den europäischen Partnern reden und sich die nötige Zeit nehmen. Heist im Klartext: Ein paar tote Mädchen können wir uns schon noch leisten.

„Die Regierung ist noch nicht lange im Amt“

Der bundespolitisch bisher wenig bekannte saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) – Typ: leicht arrogantes Schwiegersöhnen – sah das vermutlich ähnlich. Er verstand es, in aalglattem Politsprech jedem im Raum irgendwie recht zu geben. Trotzdem setzte er zwei Ausrufezeichen, wenn auch unabsichtlich. Zuerst erklärte er im fünften Jahr der großen Koalition und im 13. Jahr Merkel ohne mit der Wimper zu zucken „die Regierung ist ja nun mal nicht so lange im Amt, dass man sage könnte, da ist jetzt schon sehr viel verschlafen worden“. Und dann meinte er, trotz dreijährigem Chaos in der Migrationsfrage behaupten zu können, dass seine Partei im Gegensatz zur CSU für ein „geordnetes“(!) Verfahren der Zurückweisung von Migranten stehe. Dass bei diesen Statements niemand in schallendes Hohngelächter ausbrach, sagt einiges über den Zustand der Republik – oder vielleicht auch nur über das handverlesene Publikum beim ZDF (Nein, die Moderatorin hat auch nicht nachgehakt, wie kommen Sie darauf?).

Dann war da noch der Politologe Albrecht von Lucke, den man wohl als einen der beiden neutralen Beobachter eingeladen hatte. Vermutlich hatte er das nicht mitbekommen oder zu später Stunde zu viel Kaffee getrunken (oder beides), denn er schwankte nur zwischen den beiden Rollen Chefankläger der CSU mit Schnappatmung und schreiender Verteidiger der alternativlosen Kanzlerin hin und her. Vielleicht hat er sich für einen Job bei der CDU beworben, wer weiß.

Wenn Merkel an ihre eigene Erzählung von 2015 glauben würde, müsste sie zurückweisen

Und schließlich Robin Alexander. Er war der einzige am Tisch, der erkennbar willens und in der Lage gewesen wäre, die Widersprüche und Untiefen des dreijährigen Migrationsmartyriums zu entwirren. Jeder Satz von ihm war durchdacht. Ein Beispiel:

Wenn man ernst nimmt, was Merkel 2015 über ihre eigene Politik gesagt hat, dann müsste sie jetzt zurückweisen. Sie hat 2015 gesagt: eine besondere Situation, eine Ausnahme, in den Flüchtlingslagern ist kein Geld, der Balkan ist voll, wir sind nicht koordiniert. All diese Faktoren sind heute anders. Eigentlich müsste sie, wenn sie an ihre eigene Erzählung von 2015 glauben würde, sagen: damals war es so, jetzt ist es anders – andere Entscheidung.“

„Warum tut Sie’s nicht?“ gab Illner die Frage an Tobias Hans weiter. Natürlich gab es keine Antwort. Ich glaube, es war meine letzte Talkshow.

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Zum Autor: Axel Stöcker, Jahrgang 1967, hat Mathematik und Chemie studiert und ist Gymnasiallehrer. Auf seinem Blog, die-grossen-fragen.com, arbeitet er sich an den großen Fragen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie ab. Doch auch politische Verwerfungen stacheln ihn gelegentlich zu Kommentaren an.

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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