Grüner Sumpf im rheinland-pfälzischen Umweltministerium?

Von Jürgen Fritz, Sa. 24. Jul 2021, Titelbild: Volksfreund TV-Screenshot

Mindestens 133 Menschen sind in Rheinland-Pfalz bei dem Hochwasser ums Leben gekommen. Vieles deutet auf völliges Behördenversagen hin. Über zehn Jahre hinweg herrschten unfassbare Zustände im grün geführten Umweltministerium: grob rechtswidrige Beförderungsverfahren, Gutsherrenart und Günstlingswirtschaft (Ämterpatronage), bis das Oberverwaltungsgericht in ungewöhnlich scharfem Ton einschritt.

Grob rechtswidrige Beförderungsverfahren

Mehr als 180 Menschen mussten bei dem extremen Hochwasser am 14./15. Juli ihr Leben lassen, mindestens 133 in Rheinland-Pfalz. Manche sagen, viele, womöglich alle diese Menschen hätten gerettet werden können. Damit stellt sich die Frage der politischen Verantwortung. In Rheinland-Pfalz regiert seit 1991, also seit 30 Jahren durchgehend die SPD, seit 2011 zusammen mit den Grünen. 2016 kam die FDP als dritte Partei noch hinzu und aus Rot-Grün wurde eine sogenannte Ampelkoalition (rote Ampel).

Dabei haben die Grünen seit 2011 immer das Umweltministerium geleitet. Von Mai 2011 bis Ende Dezember 2020 war Ulrike Höfken (Die Grünen) die Landesumweltministerin, seit Januar 2021 übernahm Anne Spiegel (Die Grünen), die zuvor fünf Jahre lang Familienministerin war und einige Monate sogar beides zugleich übernahmt, das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität, wie es nunmehr offiziell heißt. Ulrike Höfken schied zusammen mit ihrem Staatssekretär Thomas Griese (Die Grünen) am 31. Dezember 2020 aus der Landesregierung aus, nachdem gerichtlich festgestellt wurde, dass zehn Jahre lang große Teile der Beförderungsverfahren für Beamte im rheinland-pfälzischen Umweltministerium „grob rechtswidrig“ vorgenommen worden waren.

Gutsherrenart und Günstlingswirtschaft (Ämterpatronage)

Bereits im August 2020 hatte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) die Beförderungspraxis im rheinland-pfälzischen Umweltministerium in einzelnen Fällen als rechtswidrig eingestuft. Die Richter unter Vorsitz von Präsident Lars Brocker sprachen sogar von „grob rechtswidrigem“ Handeln, wie SWR Aktuell berichtete, von einem „von Willkür geprägten System“, das das Leistungsprinzip konterkariere und nicht einmal „im Ansatz rechtsstaatlichen Anforderungen“ genüge.

Das OVG sprach von einem „maroden Beförderungssystem“, das von „Willkür“ geprägt sei. Die Stellen seien weder ausgeschrieben worden, noch habe das Ministerium Leistung, Eignung und Befähigung der Bewerber festgestellt. Auch die Rhein-Zeitung berichtete darüber. In dem vorliegenden Fall erfülle die Stellenbesetzung noch nicht einmal im Ansatz rechtsstaatlichen Anforderungen. „Eine derart ohne jegliche Feststellung von Leistung, Eignung und Befähigung der Bewerber vorgenommene Beförderungsentscheidung ist rechtswidrig, heißt es in dem Beschluss des OVG vom 27.08.2020 wörtlich.

Das damals noch von Ulrike Höfken (Die Grünen) geführte Umweltministerium hatte laut OVG wie folgt argumentiert: Man hätte ja über genügend Beförderungsstellen für Oberregierungsräte verfügt, daher habe man auf die vorgeschriebene Bestenauslese verzichtet. Auch dies rügte das Gericht scharf. Das Ministerium offenbare ein grundlegend falsches Verständnis des verfassungsrechtlich geprägten Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst:

„Die Verfassung erteilt […] einer Anstellung und Beförderung nach Gutsherrenart und Günstlingswirtschaft (Ämterpatronage) eine klare Absage.“

Grüner Staatssekretär im Umweltministerium: Die angewandte Beförderungspraxis habe sich seit langem bewährt, Frage: Für wen?

Dabei hätte der zuständige Staatssekretär im Umweltminiserium Thomas Griese (Die Grünen) sich eigentlich fachlich auskennen müssen. Denn Griese ist promovierter Jurist, war früher als Vorsitzender Richter am Arbeitsgericht in Köln tätig. Am Unwissen dürfte es also nicht gelegen haben. Der Staatssekretär wies den Willkürvorwurf zurück. Die angewandte Beförderungspraxis im Ministerium habe sich seit langem bewährt. Für alle Beförderungen hätten immer die Grundsätze des Beamtenrechtes: Eignung, Befähigung und fachliche Leistung gegolten, behauptete Griese. Den jahrelangen Gesetzesverstoß bei den Beurteilungen nannte Griese ein „verwaltungsvereinfachendes Verfahren“. Griese entschuldigte sich zwar nach Bekanntwerden des OVG-Urteils und teilte mit, dass sich das Ministerium künftig bei Beförderungsverfahren an das Gesetz halte, dennoch versucht er nach wie vor, das jahrelange Fehlverhalten zu verteidigen. Dabei berief sich Griese auf ein älteres Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen von 2004.

Ein erfahrener Beamtenrechtler, der nicht genannt werden wollte, äußerte sich gegenüber dem SWR dergestalt, dass diese Argumentation von Griese eine Nebelkerze sei. Das Ministerium biege sich ein 16 Jahre altes Urteil von 2004 zurecht, um damit einen jahrelangen Rechtsverstoß zu rechtfertigen.

Nach dem OVG-Urteil beantragte die CDU-Fraktion eine Aktuelle Stunde im Landtag. Es handele sich um „ungeheuerliche“ Vorwürfe, sagte der rheinland-pfälzische CDU-Generalsekretär Gerd Schreiner: „Es ist ein trauriger Vorgang, wenn das höchste Verwaltungsgericht des Landes die Landesregierung mahnen muss, sich an die Verfassung zu halten“, so Schreiner. Er forderte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) auf, für „Klarheit in den eigenen Reihen“ zu sorgen. „Handelt es sich bei dieser Ämterpatronage nur um das Umweltministerium von Ulrike Höfken oder sehen wir die Spitze des Eisbergs?“

Das grün geführte Umweltministerium hat viele Stellen zehn Jahre überhaupt nie ausgeschrieben

Bis dahin (August 2020) aber nur um einzelne Beförderungen, die sich das Gericht näher angesehen hatte, nicht um die gesamte Beförderungspraxis im grünen Umweltministerium. Doch diese Filzpraxis ging noch viel tiefer, wie SWR-Recherchen aufzeigten. Das grüne Umweltministerium hatte nämlich, wie sich herausstellte, bei Beförderungen systematisch gegen Gesetze (Grundgesetz und Beamtengesetze) verstoßen. Und das nicht nur in ein, zwei, drei Fällen über einen kurzen Zeitraum, sondern über viele Jahre hinweg.

Doch das ist noch nicht alles. Aus dem Landesbeamtengesetz ergibt sich nämlich auch, dass Beförderungen ausgeschrieben werden müssen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass der für die jeweilige Stelle, für die jeweilige Aufgabe am besten geeignete Beamte befördert wird. Die Rechtslage ist hier im Grunde völlig klar. Doch was machte man im Umweltministerium Rheinland-Pfalz?

Auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hatte festgestellt, dass es rechtswidrig ist, Beförderungsstellen überhaupt nicht auszuschreiben. Und nun halten Sie sich bitte fest: Das grüne Umweltministerium hat solche Stellen zehn Jahre überhaupt nie ausgeschrieben. Das Ministerium hat dies 2020 dem SWR gegenüber bestätigt und zugegeben.

Zehn Jahre lang verzichtete man in 65 Prozent der Fälle auf eine formale Beurteilung, in den letzten vier Jahren sogar in 90 Prozent der Fälle

Außerdem ist es eben nach dem OVG-Urteil rechtswidrig, bei Beförderungen für die Bewerber keine Beurteilungen zu erstellen. In solchen Beurteilungen wird nach festgelegten Kriterien die Leistung eines Bewerbers beurteilt. In formalisierten Beurteilungen wird nach festgelegten Kriterien auf mehreren Seiten unter anderem festgestellt, a) was der Bewerber gemacht hat, b) wie er die Arbeit erledigte, wie er sich er sich allgemein verhalten hat usw. Solch eine Beurteilung ist in etwa vergleichbar mit einem Arbeitszeugnis. Solche Beurteilungen sind insofern wichtig, weil so Bewerber miteinander verglichen werden können und das nach Leistungskriterien. Beamtenrechtler stellen explizit fest: Die formalisierten Beurteilungen sind dafür da, zu verhindern, dass Mitarbeiter befördert werden, nur weil sie dem Chef gefallen oder weil sie das richtige Parteibuch haben.

Aus Zahlen, die des SWR vorlagen und die es direkt vom grünen Umweltministerium erhalten hatte, ging nun aber hervor, dass das rheinland-pfälzische Umweltministerium in den vergangenen zehn Jahren (2011 bis 2020) bei den meisten Beförderungen auf eine Beurteilung gänzlich verzichtet hat. Und zwar in 160 von 248 Fällen, also in 65 Prozent der Fälle. Interessant auch, das Ganze wurde mit den Jahren nicht besser, sondern offensichtlich immer schlimmer, je länger Die Grünen das Ministerium in ihrer Hand hatten. Denn in den vergangenen vier Jahren, von 2017 bis 2020, hatte das Ministerium sogar in fast 90 Prozent der Fälle (85 von 95) auf eine Beurteilung völlig verzichtet. Dabei steht sowohl im Grundgesetz als auch in Beamtengesetzen eindeutig, dass für alle Bewerber solche Beurteilungen vorliegen müssen!

Bereits 2014 kritisierte ein Gericht die Beurteilungs- und Beförderungspraxis im grünen Umweltministerium

Dabei war das rheinland-pfälzischen Umweltministerium schon lange vorgewarnt. Denn schon 2014 hatte ein Gericht die Beurteilungspraxis kritisiert und angedeutet, dass die Beförderungspraxis Willkür möglich mache. Nach Einschätzung eines Beamtenrechtlers hätte das Ministerium dies zum Anlass nehmen können, die gesamte Beförderungspraxis zu überdenken – Beförderungsstellen also auszuschreiben und konsequent Beurteilungen anzufertigen.

Das Ministerium teilte dem SWR mit, es habe nach diesem 2014er Urteil im Jahr darauf mit dem Personalrat vereinbart, für Bewerber bei Beförderungen „in der Regel“ eine Beurteilung anzufertigen. Staatssekretär Griese gab dann aber im Gespräch mit dem SWR 2020 „zähneknirschend zu“, dass die Ausnahmen im Lauf der Jahre zur Regel geworden seien und das sei ein Fehler gewesen.

Erst nach dem in der Wortwahl ungewöhnlich scharfen Urteil des OVG vom 27.08.2020 beteuerte Griese, sich bei Beförderungen künftig an das Gesetz halten zu wollen. Das Ministerium werde nunmehr bei Beförderungsverfahren alle Stellen ausschreiben und alle Bewerber im Verfahren förmlich beurteilen.

Und wie sieht es in anderen grün geführten Landesministerien in Rheinland-Pfalz aus?

Der SWR fragte beim ebenfalls grün-geführten Integrationsministerium an, wie Beförderungen dort gehandhabt werden. Beurteilungen der Bewerber habe es dort immer gegeben. Aber: Seit Gründung des Ministeriums 2011, das seither immer von Den Grünen geführt wurde, sind Beförderungsstellen auch dort nie ausgeschrieben worden.

Möglicherweise lief das in anderen Ministerien ähnlich, wie das Integrationsministerium andeutet: „Bei der Gründung des Ministeriums haben wir ein Verfahren übernommen, das in der Landesregierung zu diesem Zeitpunkt zur gängigen Vorgehensweise gehörte.“ Ähnlich äußert sich auch das Umweltministerium. Die Beförderungspraxis habe man 2011 übernommen. Bis 2011 regierte in Rheinland-Pfalz die SPD unter Kurt Beck als Ministerpräsident fünf Jahre alleine, hatte also alle Ministerien unter ihrer Führung.

Höfkens und Grieses Rückzug Ende 2020

Am 31. Dezember 2020 schieden nach diesen schweren Vorwürfen der rechtswidrigen Beförderungspraxis und der Ämterpatronage die Umweltministerin Ulrike Höfken (Die Grünen) und ihr Staatssekretär Thomas Griese (Die Grünen, im Bild unten links) aus der Landesregierung aus.

Das 2021 umbenannte Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität übernahm die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz bei der Landtagswahl 2021 und bisherige Familien- und Integrationsministerin (2016 bis 2021) Anne Spiegel, die früher als Sprachentrainerin tätig war.

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