New York: 25 Top-30 Spieler der Welt am Start

Von Jürgen Fritz, So. 23. Aug 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot

Was haben die deutschen M-Medien die letzten Wochen nicht alles geschrieben. Ob das von Cincinnati nach New York verlegte Masters Turnier und die US Open überhaupt stattfinden würden. Und selbst wenn, es gäbe eine wahre Absagenflut. Der Titelgewinn hätte bei so einem schwachen Teilnehmerfeld nicht annähernd den Wert wie normalerweise. Doch es kam, zumindest im Herrenfeld, ganz anders.

Nach fast 25 Wochen Pause wird die ATP Tour wieder aufgenommen

Gestern wurde nun nach fast 25 Wochen Spielpause im professionellen-offiziellen Herrentennis der Betrieb endlich wieder aufgenommen und das ausgerechnet in New York, welches ja von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen war. Und siehe da: Das Teilnehmerfeld ist zumindest bei den Herren enorm stark. 25 der besten 30 Spieler der Welt sind am Start und wollen auch alle an den US Open teilnehmen, die am 31. August auf der gleichen Anlage beginnen sollen.

Vom 1. März bis zum 22. August ist die gelbe Filzkugel im Herren-Spitzentennis, sprich auf der ATP-Tour bei keinem offiziellen Turnier mehr übers Netz hin und her geflogen. Seit gestern fliegt der Ball also wieder und das gleich bei einem Masters 1000 Turnier, der zweithöchsten Kategorie (B) also, den Western & Southern Open. Eigentlich war der Start der ATP-Tour schon für den 14. August beim 500er Turnier in Washington (C) geplant, aber auch dieses Turnier musste, wie all die anderen Veranstaltungen seit Anfang März wegen der Pandemie abgesagt werden.

Verlegung des B-Turniers von Cincinnati nach New York

Dass fast ein halbes Jahr kein offizielles Turniertennis auf der Weltbühne gespielt werden konnte, das gab es seit 1945, also seit einem dreiviertel Jahrhundert nicht. Am 29. Februar bzw. 1. März 2020 wurde kein ATP- oder Grand Slam-Turnier mehr gespielt. Damals gewann Djokovic das 500er-Turnier (C) in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate, Nadal das C-Turnier in Acapulco, Mexiko und Thiago Seyboth Wild das D-Turnier (250er Serie) in Santiago, Chile. Dann kam Corona und mit dem neuartigen Virus fast 25 Wochen Pause.

Bereits die B-Turniere in Indian Wells und Miami im März wurden komplett abgesagt, dann die gesamte Sandplatzsaison in Europa entweder ebenfalls abgesagt oder vom April, Mai, Juni in den September, Oktober verschoben. Der Saison-Höhepunkt auf Rasen in Wimbledon fiel dieses Jahr komplett nicht ins Wasser, sondern in COVID-19. Nun wird also wieder gespielt. Die Western & Southern Open (B-Kategorie) wurden dabei von Cincinnati nach New York verlegt, damit man dort bereits knapp zwei Wochen vor den US Open eine Sicherheitsblase bilden kann.

Spezielles Hygienekonzept

Das Hygienekonzept sieht dabei wie folgt aus: Die meisten Spieler und ihre Betreuert (Trainer, Physio) sind in einem großen Hotel auf Long Island mit über 600 Zimmern untergebracht. Bei der Ankunft sollen dort alle direkt auf das Coronavirus getestet werden, dürfen ihr Zimmer nicht verlassen, bis das Testergebnis vorliegt. Weitere 48 Stunden später soll es einen zweiten Test geben. Außerdem wird regelmäßig die Temperatur gemessen. Abseits der Matches gibt es eine Pflicht zum Tragen einer Schutzmaske. Und es wird weder bei dem gestern begonnenen B-Turnier, den von Cincinnati nach New York verlegten Western & Southern Open, noch bei den US Open Zuschauer im Stadion geben.

Die Verantwortlichen des amerikanischen Tennisverbandes (USTA) gaben anhand dieses Hygienekonzepts vor gut drei Wochen grünes Licht für die Durchführung. „Wir sind zuversichtlich, dass Sicherheit und Gesundheit aller Beteiligten garantiert werden können“, teilte die USTA Ende Juli mit.

Das größte Problem beim Profi-Tennis besteht hierbei darin, dass die Spieler und ihre Betreuer von Woche zu Woche um den ganzen Globus reisen, so dass jemand, der infiziert ist, das Virus um die Erde trägt beziehungsweise aus Sicht eines Turniers: dass Spieler aus allen möglichen Erdteilen anreisen und daher die Gefahr groß ist, dass irgendeiner das Virus einschleppt und dann andere ansteckt.

Die US Open werden zum 140. Mal in Folge, ohne jede Unterbrechung ausgetragen

Dabei weisen die von deutschen M-Medien so gerne niedergeschriebenen US Open eine weltweit einzigartige ununterbrochene Tradition auf. Zwar sind die Wimbledon Championchips, erstmals ausgetragen 1877 in London, noch vier Jahre älter als die US Open. Diese werden aber seit 1881 ununterbrochen ausgetragen, dieses Jahr zum 140. Mal.

Wimbledon fiel dagegen während des Ersten Weltkriegs viermal aus, während des Zweiten Weltkrieg sechsmal und dieses Jahr wegen Corona das elfte Mal. Die Lawn Tennis Championships fanden also „erst“ 133 mal statt. Und die French Open, erstmals ausgetragen 1891, während der zwei Weltkriege insgesamt elf Jahre pausiert, sogar nur 118 mal. Ende September sollen die 119. French Open beginnen. Die Australian Open wurden im Januar, noch bevor die Corona-Pandemie um sich griff, zum 108. Male ausgetragen (erstmals 1905, während der beiden Weltkriege einmal drei Jahre pausiert, einmal fünf Jahre).

Das heißt, die US Open sind das einzige große Tennisturnier, das nicht nur seit mehr als 75 Jahren ununterbrochen ausgetragen wird, sondern nunmehr zum 140. Male jedes Jahr. Absolut einzigartig!

Schwaches Damenfeld mit nur vier Top-Ten-Spielerinnen

Ein weiterer häufig geäußerter Kritikpunkt ist, dass das Teilnehmerfeld durch die Corona-bedingten Absagen so schwach wäre, dass die US Open dieses Jahr gar kein richtiges Grand Slam Turnier mehr wären, dass der Sieg 2020 hier nicht mehr vergleichbar wäre zu den Siegen in anderen Jahren, als regelmäßig fast die gesamte Weltspitze angetreten ist. Was ist dazu zu sagen?

Nun, was die Damenkonkurrenz angelangt, so ist dem zuzustimmen. Bei den Western & Southern Open, die bei den Damen bereits am Freitag begonnen haben, sind tatsächlich nur vier Top-Ten-Spielerinnen am Start, – Karolína Plíšková (3), Sofia Kenin (4), Serena Williams (9) und Naomi Osaka (10) – zwölf Top-20-Spielerinnen und 19 Top-30-Spielerinnen. Ähnlich dürfte es bei den US Open aussehen. Das ist in der Tat zu wenig für ein Grand Slam-Turnier.

Vor allem die Absagen der Nr. 1 und der Nr. 2 der Welt, der Australierin Ashleigh Barty (24) und der Rumänin Simona Halep (28), sowie der Nr. 5 der Welt, der Ukrainierin Elina Svitolina (25), und der kanadisichen Titelverteidigerin Bianca Andreescu (20), Nr. 6 der Weltrangliste, schmerzen hier enorm.

Auch die Nr. 7 und 8 der Welt, die Niederländerin Kiki Bertens (28) und die Schweizerin Belinda Bencic (23), wollten dieses Jahr angesichts von Corona nicht nach New York anreisen. Damit fehlen sechs absolute Top-Spielerinnen. Das ist zu viel, um noch von einem erstklassigen Starterfeld sprechen zu können.

Bei den Herren fehlen Kyrgios, Nishikori, Wawrinka, Fognini und Monfils

Doch wie sieht es bei den Männern aus? Deutlich anders, um das vorweg zu nehmen. Im Herrenfeld der Western & Southern Open sind nämlich sieben Top-Ten-Spieler am Start, 15 Top-20-Spieler und 25 der ersten 30 der Weltrangliste. Wir haben hier also ein absolutes erstklassiges Spielerfeld.

Es fehlen der Australier Nick Kyrgios (25), die Nr. 40 der Welt, der wegen Corona nicht anreisen wollte. Kyrgios hat ohne jede Frage nicht nur ein riesiges Talent, sondern auch hohen Unterhaltungswert und kann an guten Tagen, fast jedem Probleme bereiten. Aber über das Viertelfinale ist der 25-Jährige bei einem Grand Slam-Turnier noch niemals hinausgekommen.

Der Japaner Kei Nishikori (30) kann diese Woche in New York nicht antreten, weil er positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde. Ob er bei den US Open wieder spielberechtigt sein wird, ist im Moment unsicher. Aber Nishikori, der 2014 im Finale der US Open stand, ist inzwischen nur noch die Nr. 31 der Welt und gehört auch, wenn er gesund ist, sicherlich nicht mit zu den Favoriten auf den Turniersieg.

Ferner fehlt der Schweizer Stan Wawrinka, der dreifache Grand Slam-Champion. Stan The Man ist zwar noch immer ein exzellenter Tennisspieler, er ist aber inzwischen über 35 Jahre alt, steht in der Weltrangliste nur noch auf Rank 17 und gehört sicherlich auch nicht mehr zum engeren Kreis derer, denen man hier in New York noch einen Turniersieg zutrauen würde.

Dann fehlen die beiden Oldies, der Italiener Fabio Fognini (33), die Nr. 11 der Welt, und der fast 34-jährige Franzose Gael Monfils, die Nr. 9. Beides sehr starke Spieler, die sehr attraktives Tennis spielen, aber beide sicherlich ohne reelle Chance auf den Turniesieg. Fognini erreichte ein einziges Mal die Runde der letzten acht bei einem Grand Slam-Turnier und das vor neun Jahren bei den French Open auf Sand, seinem bevorzugten Belag, dann nie wieder. Monfils, der am 1. September 34 Jahre alt wird, wäre sicherlich noch etwas stärker einzuschätzen. Der Franzose erreichte zweimal bei einem A-Turnier das Halbfinale: 2008 bei den French Open und 2016 bei den US Open. Ein Grand Slam-Sieg wird er nun in dem Alter aber sicherlich nicht mehr schaffen.

Und es fehlen vor allem: Federer und Nadal

Viele, sehr viele Grand Slam-Siege, mehr als jeder andere schaffte natürlich Roger Federer. Der Schweizer musste sich aber im Februar einer Knie-OP unterziehen und im Sommer einem zweiten Eingriff und hat danach direkt bekanntgegeben, dass er 2020 nicht mehr spielen werde. Der inzwischen 39-Jährige will aber 2021 auf die Tour zurückkehren. Federer fehlt natürlich in New York sehr, er ist aktuell noch immer die Nr. 4 der Welt, aber seine Absage hat nichts mit Corona, sondern mit seiner Verletzung zu tun. Er hätte also ohnehin gefehlt.

Damit kommen wir zu dem, der wohl am meisten fehlen wird dieses Jahr: der Titelverteidiger, die Nr. 2 der Welt: Rafael Nadal. Der 34-Jährige hat lange überlegt, ob er nach New York anreisen soll und hat sich dann dagegen entschieden. Er wird schmerzlich fehlen. Für den Spanier war es sicherlich nicht leicht, diese Entscheidung zu treffen. Für den 34-Jährigen war aber klar, er würde es körperlich kaum schaffen können, sowohl die Western & Southern Open, dann direkt anschließend die über zwei Wochen gehenden US Open, dann direkt anschließend das Sandturnier in Rom (B) und dann nach nur einer Woche Pause die über zwei Wochen gehenden French Open (A) zu spielen.

Nadals diffizile Situation

Das hätte bedeutet: in sieben Wochen sechs Wochen spätestens alle zwei Tage, teilweise im Tagesrhythmus ein Match auf höchstem Niveau zu bestreiten. Es dürfte nahezu unmöglich sein, in dem Alter in einem so kurzen Zeitraum vier Turniere über sechs Wochen bei nur einer Woche Pause dazwischen zu bestreiten und überall weit zu kommen. Nadal ist aber sowohl bei den US Open als auch in Rom und Paris Titelverteidiger. Er tritt nicht wie andere Spieler an, um die ersten zwei, drei Runden zu übersehen, sondern er spielt, wenn er anreist, um den Turniersieg mit.

Insofern war die Situation für ihn besonders schwierig, wahrscheinlich diffiziler als für jeden anderen. Ob seine Entscheidung richtig war, werden wir am 11. Oktober, nach dem Finale der French Open wissen. Jedenfalls hat Rafa sich dafür entschieden, auf die Reise nach New York gänzlich zu verzichten und sich ganz auf die Sandturniere in Rom und Paris zu konzentrieren.

Bei den French Open könnte er seinen eigenen Weltrekord brechen und das Turnier zum 13. Mal gewinnen. Hier dürfte er zusammen mit Thiem und Djokovic der absolute Turnierfavorit sein. Die US Open konnte der Sandplatzkönig zwar auch schon viermal gewinnen, hier wäre er aber wohl nur einer von sechs heißen Anwärtern auf die Krone gewesen und auch nicht der Favorit Nr. 1.

Die Turnierfavoriten in New York

Und damit sind wir auch schon bei den Turnierfavoriten für New York. Sowohl für die Western & Southern Open als auch für die US Open gibt es meines Erachtens fünf heiße Anwärter. Von den Top-Acht sind sechs am Start. Der Nr. 8 der Welt, dem Italiener Matteo Berrettini, ist ein Turniersieg eher weniger zuzutrauen. In Frage kommen vor allem diese fünf:

  1. Novak Djokovic (1)
  2. Dominic Thiem (3)
  3. Daniil Medvedev (5)
  4. Stefanos Tsitsipas (6)
  5. Alexander Zverev (7)

Wäre Nadal (2) angetreten, hätten wir sechs Top-Favoriten. Der ganz große Aspirant wird aber der Serbe, die Nr. 1 der Welt sein. Djokovic steht derzeit bei 17 Grand Slam-Titeln, damit nur noch knapp hinter den zwei Jahrhundert-Spielern Federer und Nadal, die es auf 20 und 19 A-Titel bringen. Djokovic, der dieses Jahr noch kein einziges Match verloren hat, Bilanz: 18-0, hat nun die große Gelegenheit, sich in New York, bei Abwesenheit von Nadal und Federer, seinen 18. A-Titel zu holen.

Der Kampf um den inoffiziellen Titel: The Greatest Of All Time (GOAT)

Dass dies sein größter Antrieb ist, hatte er im Januar zum wiederholten Male betont. „Die Grand Slams sind einer der Hauptgründe dafür, dass ich noch immer an Wettkämpfen teilnehme“, sagte er: Ich versuche natürlich, die historische Nummer eins zu werden, das ist ein großes Ziel.“ 

In den nächsten zwei, drei Jahren dürfte sich entscheiden, wer als The Greatest Of All Time (GOAT) in die Tennisgeschichte eingehen wird. Im Moment steht Federer (39 Jahre) noch ganz oben, knapp vor Nadal (34)  und Djokovic (33). Doch die sind noch nicht satt und Federer will es nächstes Jahr, in seinem 40. Lebensjahr auch nochmal versuchen.

Und inzwischen haben wir mit Thiem (fast 27), Medvedev (24), Tsitsipas (22) und Zverev (23) endlich auch jüngere Spieler, die das Zeug zu ganz großen Titeln haben. Es bleibt also spannend.

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