Wie man ein guter Mensch wird: durch gute Handlungen

Von Jürgen Fritz, Do. 17. Okt 2019, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons

„Das erste ist, dass der Mensch zu wissen beginnt, dass das Gute und Wahre etwas Höheres ist. Ganz äußerliche Menschen wissen nicht einmal, was gut und was wahr ist. Denn sie meinen, alles, was Gegenstand der Selbstliebe und Weltliebe ist, sei gut, und meinen, alles, was jene Liebe begünstigt, sei wahr.“ – Emanuel Swedenborg, Himmlische Geheimnisse, Nr. 20

Der Mensch ist von Natur aus ein Mängelwesen, sein Verstand kompensiert dies und ermöglicht, handelnd in die Welt einzugreifen

Der Mensch ist von Natur aus ein Mängelwesen. Diesen Begriff hat Arnold Gehlen 1940 in seinem ersten Hauptwerk Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt in die Philosophische Anthropologie eingeführt. Wir kommen gleichsam instinktreduziert, mit einer ungenügenden Organausstattung zur Welt. Uns fehlt eine Behaarung als natürlicher Witterungsschutz, wir haben keine natürlichen Angriffsorgane, können nicht wie Affen klettern, uns nicht wie Erdmännchen in einem Bau unter der Erde verstecken und haben auch keine zur schnellen Flucht geeignete Körperbildung, wie zum Beispiel eine Antilope oder ein Reh. Wir haben keine Flügel, können nicht fliegen. Die meisten Tiere übertreffen uns an Schärfe der Sinne und wir unterliegen in der Phase des Heranwachsens einer überaus langen Schutzzeit. Gleichwohl hat der Mensch überlebt und nicht nur das. Wie war das möglich?

Offensichtlich bringen wir eine wesentliche Disposition mit, die all diese Mängel mehr als ausgleicht: unseren Verstand. Dieser ermöglicht es uns, handelnd in die Welt einzugreifen und sie zu gestalten statt nur instinktgeleitet auf sie zu reagieren. Diese besondere Fähigkeit kompensiert unsere körperliche Mangelausstattung. Doch was ist nun das Spezifische am Phänomen der Handlung gegenüber dem bloßen Sich-verhalten?

Eine Handlung weist zunächst zwei Strukturmerkmale auf: 1. die Zielsetzung, 2. die Zielrealisierung, die sich wiederum in a) Handlungsentwurf (Plan) und b) Ausführung aufgliedert. Menschen setzen sich also Ziele. Die Setzung dieser ist abhängig von den zur Verfügung stehenden Mitteln und von Wertvorstellungen. Nur das, was uns in irgendeiner Weise als wertvoll erscheint, streben wir als Ziel an. Damit wird schon deutlich: unsere Vernunft, die unsere körperlichen Mängel überkompensiert, kann auf zwei Dinge angewendet werden: 1. auf das angestrebte Ziel Z, 2. auf die Zielrealisierung, die Zielerreichung, also den Weg, wie wir zu Z gelangen können.

Instrumentelle und reflektierende praktische Vernunft

Letzteres nenne ich instrumentelle praktische Vernunft. Praktisch weil sie nicht wie die theoretische Vernunft auf das reine Erkennen, auf Wissen, letztlich also auf Wahrheit abzielt, sondern auf das Handeln, also die Praxis bezogen ist (aus altgriechisch πρᾶξις = prãxis = ‚Tat‘, ,Handlung‘ oder ,Verrichtung‘). Ein Ziel Z ist also da, ist vorgegeben und nun überlegt die instrumentelle Vernunft, wie wir Z mit geringst möglichem Aufwand oder am schnellsten, am effektivsten, am besten erreichen können. Die instrumentelle Vernunft reflektiert nicht, ob das angestrebte Ziel ein gutes Ziel ist, sie überlegt nur, wie das nicht weiter thematisierte Ziel am besten erreicht werden kann. Sie sucht also nach einem guten Weg zu Z, fragt aber nicht, ob Z selbst gut ist.

Denken Sie beispielsweise an den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der im Dritten Reich die Vertreibung und Deportation der Juden organisierte und für die Ermordung von schätzungsweise sechs Millionen Menschen im weitgehend vom NS-Staat besetzten Europa verantwortlich war. Eichmann bekam ein Ziel vorgegeben und überlegte dann, wie dieses so effektiv wie möglich erreicht werden kann. Was er nicht tat, war, das Ziel selbst all dieser Handlungen, die auf dieses Ziel hin ausgerichtet waren, zu hinterfragen, ob es denn ein gutes, ein richtiges, ein moralisch vertretbares Ziel sei. Genau dies untersucht die reflektierende Vernunft, die bei Eichmann offensichtlich gänzlich fehlte respektive gänzlich suspendiert wurde.

Genau dies finden sie im Grunde bei allen raffinierten Verbrechern, bei Intriganten, bei eiskalten Machtpolitikern usw. usf. Stichwort: Game of Thrones oder früher Dallas und Denver Clan. Was sie alle vereint ist, dass sie über eine bisweilen hoch entwickelte instrumentelle Vernunft verfügen unter Suspendierung der reflektierenden.

Die praktische Vernunft kann aber auch, wie bereits angedeutet, eingesetzt werden, um das Ziel Z der Handlung zu bestimmen oder dieses zu hinterfragen, ob es denn auch wirklich ein gutes Ziel ist. Dies nenne ich die reflektierende praktische Vernunft. Die reflektierende praktische Vernunft erlaubt es uns auch, die Frage zu stellen, was eigentlich der Sinn des menschlichen Daseins ist. Sie hilft uns, die Frage zu beantworten, wie wir unser Leben insgesamt führen wollen, was ein gutes Leben ausmacht.

Das gute Leben und der gute Mensch

Den Begriff ein gutes Leben können wir dabei auf zweifache Weise verstehen: a) im Sinne von ein angenehmes, ein zufriedenes, ein glückliches, ein seliges, ein erfülltes Leben. Wir sehen das Leben dann quasi wie ein Gefäß, in das möglichst viele angenehme Dinge, schöne Erfahrungen usw. hineingekippt werden und wenn möglichst viel davon drin ist, dann war es ein erfülltes Leben. b) Wir können den Begriff gutes Leben aber auch anders verstehen im Sinne von ein Leben führen, das uns zu einem guten Menschen macht, einem tugendhaften, einem innerlich schönen Menschen. Das ist offensichtlich nicht das Gleiche wie ein ein glücklicher Mensch.

Der Sadist kann, wenn er die Möglichkeit hat, ohne jede Angst vor Sanktionen andere zu quälen, sehr glücklich und zufrieden sein, aber dies spricht offensichtlich nicht für seinen guten Charakter. Gleiches gilt für den Banditen, der andere ausraubt, nach einem fetten Beutezug oder für einen brutalen Schläger, der sich über seine körperliche Kraft und Gewalt definiert, wenn er einen anderen totgeschlagen hat, um sich und der Welt zu demonstrieren, wie mächtig er ist, dessen Ego, dessen Selbstwirksamkeit dadurch ansteigt, was er unendlich genießt.

Umgekehrt nahmen Kurt Huber, Hans und Sophie Scholl und ihre Mitstreiter der Weißen Rose teilweise gar kein gutes Ende. Kurt Huber wurde im July 1943 wegen seines Widerstandes gegen das NS-Regime hingerichtet. Zuvor schon waren im Februar 1943 Hans und Sophie Scholl sowie ihr mit ihnen zusammen festgenommener Studienkollege Christoph Probst enthauptet worden. Alle drei waren gerade einmal Anfang, Mitte zwanzig. Von einem erfüllten, glücklichen, zufriedenen, einem guten Leben in diesem Sinne zu sprechen, fällt hier schwer. Gleichwohl spüren wir, dass es in einer anderen Hinsicht ein gutes Leben war. Denn sie alle bemühten sich, ein gutes Leben in dem Sinne zu führen, als sie danach strebten, das Gute und Richtig zu tun, mithin gute, mutige Menschen zu sein, die sogar bereit waren, dafür in den Tod zu gehen.

Durch gute Handlungen zum guten Menschen

Somit gelangen wir zu der Frage: Wie gelangt man zu einen guten Charakter? Wie wird man innerlich schön? Wie kann man sich selbst zu einem guten Menschen machen? Hierauf antwortete Aristoteles die Ergebnisse der modernen Hirnforschung mehr als 2.300 Jahre vorwegnehmend: durch gute Handlungen. Denn diese verändern unser Inneres, verändern unsere Seele, modern gesprochen: verändern die Vernetzung unserer Neuronen im Gehirn.

Gute Handlungen erzeugen eine gute Seele. Eine gute Seele erzeugt gute Gedanken. Und gute Gedanken erzeugen wiederum neue gute Handlungen. Auf diese Weise entsteht quasi ein positiver nach oben führender Kreislauf, der sich immer mehr verfestigt, so dass der innerlich gute Mensch, dessen Seelenteile in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, der innerlich schön ist, irgendwann gar nicht mehr anders kann, als gut zu handeln. Ansonsten würde er sich nicht wohl fühlen und eine Stimme in ihm würde ihm zuflüstern, dass etwas nicht stimmt, dass etwas aus der Balance geraten ist, dass etwas im Unreinen ist. Am Anfang steht also nicht das gute Sein, sondern die gute Handlung. Diese erzeugt dann erst mit der Zeit das gute innere Sein, den guten Charakter, welcher dann wiederum gute Handlungen hervorbringt.

Dabei können die guten Handlungen zu Beginn bei dem kleinen Kind natürlich noch nicht reflektiert sein. Kleine Kinder verfügen noch nicht über eine entsprechend entwickelte reflektierende Vernunft. Also muss man ihnen in einer ersten Phase zuerst einmal beibringen, sittlich zu handeln. Das geschieht am besten durch Vorleben, denn Kinder lernen anfangs vor allem durch Lernen per Nachahmung. Auf diese Art kann man Kinder aber auch zum Bösen abrichten. Also muss man sie zugleich dazu anleiten, dass sie ab einem gewissen Reifegrad ihre reflektierende Vernunft entwickeln und immer weiter verfeinern, so dass sie das zuvor Erlernte selbst kritisch überprüfen können, ob es wirklich gut war, ob es wirklich gute Handlungen waren.

Wann ist eine Handlung eine gute solche?

Damit sind wir also wieder bei den Handlungen angelangt. Und wir haben eingangs schon gesehen, dass eine Handlung zwei Strukturmerkmale aufweist:

  1. die Zielsetzung
  2. die Zielrealisierung.

Wenn wir also durch gute Handlungen zu guten Menschen werden, dann müssen wir offensichtlich, wenn wir gute Menschen werden wollen, uns gute Ziele setzen oder uns an guten Maximen (Handlungsgrundsätzen) orientieren, denn die gute Zielrealisierung, die instrumentelle Vernunft, ist offensichtlich nicht entscheidend für den guten Charakter, wie wir gesehen haben, Stichwort: Eichmann.

Woher wissen wir aber, dass ein Ziel ein moralisch gutes und kein schlechtes Ziel ist? Woher wissen wir, ob eine Maxime eine moralisch gute und keine schlechte Maxime ist? Wie soll der Jugendliche, der nun lernt, seine reflektierende praktische Vernunft zu entwickeln und einzusetzen, und auch später der Erwachsene prüfen, ob das Erlernte, ob eine Handlung, ob ein Ziel, ob eine Maxime wirklich gut ist. Betrachten wir das im nächsten Teil Der kategorische Imperativ genauer.

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