SPD erstmals seit 2001 deutlich vor CDU/CSU

Von Jürgen Fritz, So. 05. Sept 2021, Titelbild: © JFB

Fast vier Punkte Vorsprung vor der Union, das erlebte die SPD zuletzt im Dezember 2001 unter Gerhard Schröder. Bei der Bundestagswahl im September 2002 waren es dann nur noch 0,01 Prozent Vorsprung. Ab dann lagen CDU/CSU 19 Jahre lang immer klar vor der SPD – bis Mitte/Ende August.

Die SPD in mächtigem Aufwind, die Union im Sinkflug; massive Verluste auch für die Grünen

Vor sieben Wochen, Mitte Juli, bis zur Hochwasserkatastrophe lagen CDU/CSU im Wahl-O-Matrix-Mittel aller Institute noch 12,5 Punkte vor der SPD. Doch ab dann registrieren wir nahezu erdrutschartige Verschiebungen in der Parteienlandschaft, wobei sich diese vor allem auf drei Parteien beziehen. Während die Union seither 7 bis 8 Punkte verloren hat, was fast 3,5 Millionen Wählern entspricht, konnte die SPD um sagenhafte 8,8 Punkte zulegen, was einem Zuwachs von mehr als 4 Millionen Wählern entspricht, wenn wir wie bei der Bundestagswahl 2017 von ca. 46,5 Millionen Wählern ausgehen, die sich an der Wahl beteiligen und eine gültige Stimme abgeben.

Seit ca. einem Monat geht es für die SPD, die seit Ende 2018 immer bei um die 15 Prozent herum festhing, zeitweise sogar auf unter 13 Prozent gefallen war, steil nach oben. Einen Wert von fast 25 Prozent sah die SPD zuletzt Mitte 2017, also vor mehr als vier Jahren im Zuge des damaligen Martin Schulz-Hypes.

Einen Wert von nur noch knapp über 20 Prozent wurde für die Union dagegen noch nie gemessen bzw. errechnet. Das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielten CDU/CSU 1949 mit 31 Prozent. Vor vier Jahren waren es dann unter Angela Merkel 32,9 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis aller Zeiten. Nun droht dieses schlechte Ergebnis also nochmals um mehr als 10 Punkte unterschritten zu werden. Vorbei die Zeiten, als die Union auf 40 bis 50 Prozent kam, wie 1957 unter Konrad Adenauer (50,2 Prozent) und 2013 immerhin noch 41,5 Prozent unter Angela Merkel. Davon ging in den letzten acht Jahren nun also fast die Hälfte an Zustimmung verloren, was sicherlich sehr stark mit dem CDU-Kanzlerkandidaten zusammenhängt, worauf ich seit Monaten immer wieder hingewiesen hatte. Doch dies ist sicherlich nicht der einzige Grund für dieses dramatischen Niedergang der Union, der nun Angela Merkel dazu veranlasste, diese Woche klare Worte bezüglich Olaf Scholz und der SPD zu finden.

Massive Verluste sehen wir seit nunmehr vier Monaten aber auch bei den Grünen. Diese standen Ende April, Anfang Mai noch bei fast 27 Prozent im Wahl-O-Matrix-Mittel aller Institute, jetzt nur noch bei 17 Prozent. Mehr als 4,5 Millionen Wähler haben sich in nur vier Monaten von den Grünen abgewandt. Sehr viele davon haben sich offensichtlich der SPD zugewandt, die im gleichen Zeitraum etwa 10 Punkte zulegen konnte.

So würde Deutschland heute wählen

Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute, die – bezogen auf den mittleren Tag der Befragung – in den letzten zwei Wochen repräsentative Erhebungen durchführten. Aktuell liegen elf Umfragen von zehn verschiedenen großen Meinungsforschungs-Instituten vor, die diese Kriterien erfüllen. INSA veröffentlich inzwischen jede Woche zwei verschiedene Erhebungen, einmal eine reine Online-Befragung von ca 2.000 bis 2.100 Personen und einmal eine Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von ca. 1.200 bis 2.000 Personen. Aufgeführt ist für jede Partei der niedrigste und der höchste Wert dieser elf einbezogenen Befragungen (immer nur die aktuellste) sowie fettgedruckt das arithmetische Wahl-O-Matrix-Mittel aller elf Werte.

  1. SPD: 23 – 27 % ==> 24,9 %
  2. CDU/CSU: 19,5 – 26 % ==> 21,2 %
  3. GRÜNE: 1519 % ==> 17,0 %
  4. FDP: 10,5 – 13,5 % ==> 12,0 %
  5. AfD: 1012 % ==> 11,1 %
  6. LINKE: 68 % ==> 6,7 %
  7. Sonstige: 6 – 9 % ==> 7,2 %
2021-09-05

(c) JFB

Erläuterung: Diese Werte sind so zu verstehen, dass es für jede Partei bzw. für jede Bundestagsfraktion ein Fenster gibt, innerhalb dessen sie derzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läge. Die aufgeführten Zahlen stellen die Mitte dieses Fensters dar. Kleine Abweichungen von dieser Fenster-Mitte von ein bis zwei Prozent sind also jeweils in beide Richtungen möglich, bei größeren Parteien auch drei Prozent oder etwas mehr, wobei die Wahrscheinlichkeit, je weiter man sich von der Mitte des Fensters weg bewegt, immer mehr abnimmt und zwar drastisch. Abweichungen von deutlich über fünf oder gar zehn Prozent sind daher nahezu ausgeschlossen. Dies läge weit außerhalb des Fensters.

Dabei sind diese Angaben selbstverständlich keine Zukunftsprognosen, wie die Wähler am 26. September votieren werden, sondern wie sie heute votieren würden (empirische Erfassung der Gegenwart) respektive in diesem Fall, wie sie gestern vor dem Triell gewählt hätten.

Drei realistische Regierungs-Koalitionen: rote Ampel, Jamaika oder Rot-Grün-Dunkelrot (RGD)

Veränderungen der letzten sieben Wochen

Gegenüber dem 18.07.2021 (kurz nach der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW) haben sich die Wahl-O-Matrix-Werte wie folgt verändert:

  1. SPD: + 8,8 %
  2. AfD: + 0,7 %
  3. FDP: + 0,6 %
  4. Sonstige: – 0,2 %
  5. LINKE: – 0,3 %
  6. GRÜNE: – 2,1 %
  7. CDU/CSU: – 7,4 %

Die Union hat also in den letzten sieben Wochen 7 bis 8 Punkte verloren, die Grünen mehr als 2 Punkte, nachdem sie die Wochen zuvor bereits fast 8 Punkte verloren hatte. Die SPD kann dagegen die letzten sieben Wochen enorme Zugewinne von fast 9 Punkte verzeichnen.

Bei aufgerundet ca. 7,2 Prozent für sonstige Parteien, die an der Fünfprozent-Hürde scheitern werden, würden ca. 46,4 bis 46,5 Prozent der Zweitstimmen für eine Mehrheit der Sitze im Bundestag ausreichen.

Mögliche Regierungskoalitionen

Damit wären zunächst einmal rein rechnerisch folgende Regierungskoalitionen möglich:

  1. Rot–Schwarz-Gelb (Deutschland-Koalition): 58,1 % ==> sehr unwahrscheinlich
  2. RotGrünGelb (rote Ampel): 53,9 % ==> sehr realistische Option
  3. Schwarz–GrünGelb (Jamaika-Koalition): 50,2 % ==> sehr realistische Option
  4. RotGrünDunkelrot: 48,6 % ==> realistische, zu befürchtende Option
  5. Rot-Schwarz (bisherige Regierungskoalition, aber vlt. mit SPD-Kanzler): 46,1 %
  6. RotGrün: 41,9 %
  7. Schwarz–Grün: 38,2 %
  8. Schwarz–Gelb: 33,2 %

Damit hätte Rot-Grün-Dunkelrot (RGD) mit ca. 48,6 Prozent nun wohl eine knappe Mehrheit der Sitze im Bundestag und der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz weigert sich ebenso wie Annalena Baerbock, eine Bündnis mit der SED-Nachfolgerin Die Linke, welche die NATO abschaffen will, auszuschließen. Da derzeit keine Partei hohe Werte von 30 oder gar 35 Prozent erzielen kann, spricht im Moment alles für ein Dreierbündnis und zwar entweder:

  • eine sogenannten Deutschland-Koalition bestehend aus drei Fraktionen bzw. vier Parteien: SPD, CDU/CSU und FDP; dies dürfte aber extrem unwahrscheinlich sein, dass SPD und Union noch einmal koalieren, nun auch noch mit der FDP als Zusatz. Wesentlich wahrscheinlicher dürften sein:
  • einer Ampel-Koalition (jetzt nicht mehr eine grüne, sondern eine rote Ampel, also mit einem SPD-Kanzler Olaf Scholz): SPD, Grüne und FDP, oder
  • eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grüne und FDP mit Armin Laschet als Kanzler oder
  • der Worst-Case: Rot-Grün-Dunkelrot (SPD + Grüne + Die Linke) mit Olaf Scholz als Bundeskanzler einer linksradikalen Regierung.

Während die SPD nun also zwei Optionen hat, eine rote Ampel oder Rot-Grün-Dunkelrot, hat die Union nur noch eine realistische Chance, die neue Bundesregierung wieder anzuführen: über eine Jamaika-Koalition.

Die Erhebungen dieser Institute wurden von Wahl-O-Matrix für die Gesamtübersicht ausgewertet

Die elf Umfragen, welche ausgewertet wurden, waren (Kriterium 1: bezogen auf den mittleren Tag der Befragung nicht älter als zwei Wochen, Kriterium 2: von jedem Institut immer nur die jeweils aktuellste, sofern nicht verschiedene Erhebungsmethoden vorlagen, ansonsten von jeder Erhebungsmethode die jeweils aktuellste):

  1. Allensbach (FAZ), mittlerer Tag der Befragung: 22.08.2021, persönlich-mündliche Befragung von 1.038 nach Quotenvorgaben ausgewählten Personen,
  2. Forsa (RTL/ntv-Trendbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 27.08.2021, telefonische Befragung von 2.508  zufällig ausgewählten Personen,
  3. Kantar/Emnid (FOCUS), mittlerer Tag der Befragung: 28.08.2021, telefonische Befragung von 1.439 zufällig ausgewählten Personen,
  4. Ipsos, mittlerer Tag der Befragung: 28.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 2.001 Personen,
  5. INSA (BILD), mittlerer Tag der Befragung: 28./29.08.2021, internetbasierte Befragung von 2.015 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
  6. Civey (SPIEGEL), mittlerer Tag der Befragung: 28./29.08.2021, netzwerkbasierte Panel-Rekrutierung + Teilnehmerverifizierung + quotierte Stichprobe unverzerrter Antworten + Echtzeitgewichtung, Stichprobe: 10.032 Befragte,
  7. YouGov, mittlerer Tag der Befragung: 29.08.2021, internetbasierte Befragung von 1.729 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
  8. Wahlkreis-Prognose, mittlerer Tag der Befragung: 30./31..08.2021, Mixed-Methode aus zufallsbasierter Telefonbefragung (Dual Frame) und milieubasierter Online-Befragung von 2.340 Personen,
  9. Infratest dimap (ARD-DeutschlandTrend), mittlerer Tag der Befragung: 31.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.337 Personen,
  10. Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 01.09.2021, telefonische Befragung von 1.301 zufällig ausgewählten Personen,
  11. INSA (BILD am Sonntag), mittlerer Tag der Befragung: 01.09.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.427 Personen.

Wahl-O-Matrix, Deutschlands führendes Meta-Analyse-Tool (von JFB gegründet), das mit seiner Prognose bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wie auch schon bei der NRW-Wahl, mit 0,76 Prozent mittlerer Abweichung erneut näher am Ergebnis lag als sämtliche Umfrageinstitute (in Rheinland-Pfalz am drittnächsten, bei der EU-Wahl ebenfalls am drittnächsten und bei der Bundestagswahl am zweitnächsten) hat damit eine sehr breite Datenbasis von insgesamt 27.167 Befragten.

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR