Laschet wirkt

Von Jürgen Fritz, Mi. 28. Apr 2020, Titelbild: © JFB

Am Montagvormittag, dem 19. April, verkündete Robert Habeck, dass Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen ins Rennen gehe. In der Nacht auf Dienstag, den 20. April, entschied der Bundesvorstand der CDU für die gesamte Union, Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten von CDU und CSU zu machen und verkündete dies am Dienstag. Zu dem Zeitpunkt standen CDU/CSU bei fast 29 Prozent. Was sich seither tut, ist bemerkenswert.

Die Grünen entscheiden sich hinter verschlossenen Türen für Baerbock, die CDU im Alleingang ihres Bundesvorstands für Laschet als Kanzlerkanditat

Ausgangslage: Der Absturz der Union war Anfang letzter Woche eigentlich beendet, ja CDU/CSU waren die Woche davor deutlich erkennbar wieder angestiegen und waren schon fast bei 29 Prozent. Die Grünen dagegen lagen unter 22 Prozent und es deutete nichts daraufhin, dass sie über diese Marke steigen würden. Im Gegenteil, der Trend der Grünen zeigte eher ganz moderat nach unten.

Doch dann wurden am Montag und Dienstag, dem 19. und 20. April, die wichtigen Personalentscheidungen der inzwischen beiden wichtigsten Bundestagsfraktionen bekannt. Die Grünen entschieden sich wenig überraschend für Annalena Baerbock. Diese ist allgemein in der Bevölkerung nicht deutlich unbeliebter oder deutlich schlechter angesehen als ihr Co-Bundesvorsitzender Robert Habeck. Innerhalb der Grünen gibt es sogar Teile, die eher zu ihr als zu ihm neigen. Insgesamt war das im Grunde eine offene Partie zwischen den beiden und wahrscheinlich hat wirklich das Geschlecht den Ausschlag gegeben. Da sowohl SPD wie auch die Union mit einem über 60-jährigen Mann ins Rennen um das Kanzleramt gehen, können die Grünen die gerade erst 40 gewordene Baerbock im Wahlkampf wunderbar als Gegenkandidatin ausschlachten, nach dem Motto: Dort die alten Männer, hier die junge Frau. Damit können die Grünen unter Umständen bei den weiblichen und bei den jungen Wählern noch leichter Stimmen einsammeln.

Etwas anders war die Situation in der Union. Der Bundesvorstand der größeren Schwesterpartei wollte mehrheitlich Laschet, der Vorstand der CSU wollte ganz eindeutig und klar Markus Söder. Ebenso die große, teilweise überwältigende Mehrheit der 400.000 CDU-Mitglieder und der bis zu 18 Millionen Unionswähler. Auch diese wollten ganz klar Markus Söder, der in Beliebtheitswerten bei der Gesamtbevölkerung teilweise mit Angela Merkel gleich auf oder sogar vor ihr war. Gleichwohl entschied sich der Bundesvorstand der CDU im Alleingang für Laschet. Wie es dazu gekommen, was dem vorausgegangen war – Stichwort: Laschets und Schäubles Drohung gegenüber Söder -, das hat JFB hier bereits ausführlich berichtet.

Die Grünen schossen Anfang letzter Woche unmittelbar nach oben, CDU/CSU verloren sofort erdrutschartig

Diese beiden Personalentscheidungen hatten sofort enorme Auswirkungen auf die Bevölkerung. Während die Entscheidung für Baerbock vor allem von der weitgehend grün durchsetzten Massenmedien – Presse, TV als auch Hörfunk – und auch von den Anhängern und potentiellen Wählern der Grünen sehr positiv aufgenommen wurde, setzte bei den Anhängern der Union teilweise blankes Entsetzen und bei nicht wenigen enorme Enttäuschung ein.

Forsa war das erste Institut, welches versuchte, dies am Montag und Dienstag letzter Woche in Zahlen einzufangen. Diese ersten Ergebnisse des RTL/ntv-Trendbarometers waren für die Grünen bereits hoch erfreulich, für CDU/CSU aber mehr als erschreckend: Denn die Union fiel hier innerhalb weniger Tage um 7 Punkte (entspricht ca. 3,3 Millionen Wähler), während die Grünen etwa 5 Punkte zulegen konnten (ca. 2,3 bis 2,4 Millionen Wähler).

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Und es war auch recht klar, womit diese erdrutschartigen Verschiebungen zusammen hingen:

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Was sagen andere Institute?

Nun hat es sich Wahl-O-Matrix, das von mir gegründete inzwischen deutschlandweit führende Meta-Analyse-Tool, zur Aufgabe gemacht, nie nur ein Institut zu Rate zu ziehen, sondern wenn immer möglich mehrere, um hier die Fehler oder Tendenzen der Einen durch die der anderen auszugleichen. Inzwischen liegen nun von drei verschiedenen Instituten Ergebnisse vor, die alle nicht vor Montag, den 19. April, mit ihrer Erhebung begannen und alle drei bis Anfang dieser Woche (26. April) durchgeführt wurden, also alle drei komplett nach den Personalentscheidungen lagen:

Wahl-O-Matrix, das mit seiner Prognose bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wie auch schon bei der NRW-Wahl, mit 0,76 Prozent mittlerer Abweichung erneut näher am Ergebnis lag als sämtliche Umfrageinstitute (in Rheinland-Pfalz am drittnächsten, bei der EU-Wahl ebenfalls am drittnächsten und bei der Bundestagswahl am zweitnächsten) hat damit nun eine zumindest halbwegs breite Datenbasis von drei Instituten und insgesamt 13.546 Befragten. Demnach lässt sich mit ein wenig Vorsicht sagen (wenn weitere aktuelle Erhebungen dazu kommen, die nach dem 19.04. durchgeführt wurden, werden die Zahlen noch verlässlicher):

So würden die Deutschen heute wählen

Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert der oben genannten drei Institute,  die ab dem 19. April repräsentative Erhebungen durchführten. Aufgeführt ist für jede Partei der niedrigste und der höchste Wert dieser drei Institute (es wurde von jedem nur die neueste Umfrage herangezogen) sowie fettgedruckt das arithmetische Wahl-O-Matrix-Mittel aller drei Werte:

  1. GRÜNE: 23 – 29 % ==> 26,7 %
  2. CDU/CSU: 22 – 24 % ==> 23,0 %
  3. SPD: 13 – 16 % ==> 14,7 %
  4. FDP: 11 – 12 % ==> 11,7 %
  5. AfD: 912 % ==> 10,7 %
  6. LINKE: 68 % ==> 7,0 %
  7. Sonstige: 67 % ==> 6,3 %
2021-04-28

(c) JFB

Erläuterung: Die Zahlen sind jeweils auf eine Stelle hinter dem Komma gerundet, so dass die Gesamtsumme von 100,0 Prozent minimal abweichen kann. Hier liegt sie bei 100,1 Prozent, weil mehrfach aufgerundet wurde. Dabei sind diese Werte so zu verstehen, dass es für jede Partei bzw. für jede Bundestagsfraktion ein Fenster gibt, innerhalb dessen sie derzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läge. Die aufgeführten Zahlen stellen die Mitte dieses Fensters dar. Kleine Abweichungen von dieser Fenster-Mitte von ein bis zwei Prozent sind also jeweils in beide Richtungen möglich, bei größeren Parteien auch drei Prozent, wobei die Wahrscheinlichkeit, je weiter man sich von der Mitte des Fensters weg bewegt, immer mehr abnimmt und zwar drastisch. Abweichungen von fünf bis zehn Prozent sind daher nahezu ausgeschlossen. Dies läge weit außerhalb des Fensters.

Baerbock wird im Vergleich zu Laschet und Scholz am ehesten zugetraut, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum zu vereinen

Dabei könnte dies einer der Gründe für die positiven Werte der Grünen und die miserablen der SPD und inzwischen auch der Union sein: Von den drei Kanzlerkandidaten trauen laut Civey die Wähler am ehesten Baerbock zu, Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. 30 Prozent der Deutschen sind der Meinung, Annalena Baerbock könnte als Kanzlerin am besten Klimaschutz und Wirtschaftswachstum vereinen. 17 Prozent der Befragten sehen diese Fähigkeit bei Armin Laschet und 12 Prozent trauen dies am ehesten Olaf Scholz zu. Für 41 Prozent der Befragten kommt keiner der Genannten in Frage.

Besonders auffällig ist dabei, dass einzig Baerbock auf die uneingeschränkte Unterstützung der eigenen Wähler setzen kann: 85 Prozent der Grünen-Wähler trauen es ihr zu, Klima und Wirtschaft in Einklang zu bringen. Scholz dagegen hat in dieser Frage bei den SPD-Wähler nur das Vertrauen einer knappen Mehrheit von 55 Prozent. Abgeschlagen liegt Laschet auf Platz drei, denn selbst unter den Wählern der Union glauben nur 38 Prozent an ihn in Punkto Klima und Wirtschaftswachstum.

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Civey

Beim Thema Umwelt und Klima sehen die Wähler die Grünen ganz vorne, außerdem wird Baerbock als recht sympathisch wahrgenommen

Auch die aktuelle INSA-Erhebung kommt zu dem Ergebnis, dass die Bürger die Kompetenzen von Annalena Baerbock und Robert Habeck im Themenbereich Umwelt und Klima am höchsten einschätzen. Dahinter folgen Markus Söder und Olaf Scholz. Abgeschlagen Armin Laschet.

Umwelt und Klima

INSA

Annalena Baerbock kommt insgesamt auf recht hohe Sympathiewerte in der Bevölkerung, sogar minimal höher als Robert Habeck und vor Olaf Scholz. Abgeschlagen auch hier: Armin Laschet. Baerbock wird hier nur übertroffen von Markus Söder:

Sympathie

INSA

Dies zeigt sich auch bei der Frage, mit wem man sich gerne mal zum Abendessen treffen würde. Hier liegt Baerbock sogar 5 Punkte vor Habeck und noch weiter vor Scholz und Laschet. Und wieder liegt nur Söder hier vor der grünen Kanzlerkandidatin:

Abendessen

INSA

Söder bei Glaubwürdigkeit und Kompetenzzuschreibung im Bereich soziale Sicherheit ganz vorne, Laschet jeweils ganz hinten

Auch bei der Glaubwürdigkeit erzielt Baerbock noch passable Werte, wenngleich hier Habeck und Scholz knapp vor ihr liegen und Söder sogar deutlich. Abgeschlagen wiederum Armin Laschet:

Glaubwürdigkeit

INSA

Im Bereich der sozialen Sicherheit sehen die Bürger Baerbock und Habeck kompetenzmäßig gleichauf, aber beide hinter Scholz und weit hinter Söder. Abgeschlagen erneut: Armin Laschet, der Kanzlerkandidat von CDU/CSU.

soziale Sicherheit

INSA

In den Bereichen Außenpolitik, innere Sicherheit und Wirtschaft wird Baerbock die niedrigste Kompetenz von allen fünf potentiellen Kandidaten zugeschrieben, Söder jeweils die höchste

Was man den Grünen wenig zutraut, ist Kompetenz in der Außenpolitik. Und hier liegt Baerbock sogar noch hinter Habeck und minimal hinter Laschet. Außenpolitik trauen die Bürger am ehesten Scholz zu und vor allem Söder, der auch hier auf Position eins steht:

Außenpolitik

INSA

Auch bei der Einschätzung der Kompetenzen im Bereich der inneren Sicherheit liegen die beiden Grünen ganz hinten, Baerbock wieder knapp hinter Habeck. Und ganz vorne erneut: Markus Söder, der mehr als doppelt so hohe Werte erzielt wie Laschet und dreimal so hohe wie Baerbock:

innere Sicherheit

INSA

Ganz ähnlich das Bild bei der Frage nach der Einschätzung der Wirtschaftskompetenz. Baerbock wird hier am allerwenigsten zugetraut, noch weniger als Habeck. Scholz deutlich mehr und Söder auch in diesem Themenbereich mit Abstand am meisten:

Wirtschaft

INSA

Bei Gesamtkompetenz und Kanzlertauglichkeit liegt Söder weit vor allen anderen, Laschet jeweils Letzter, noch hinter Baerbock

Insgesamt wird die Kompetenz von Markus Söder mit Abstand am höchsten eingeschätzt, vor der von Olaf Scholz. Abgeschlagen sind Robert Habeck und auf den letzten Plätzen Annalena Baerbock und Armin Laschet gleichschlecht.

Kompetenz

INSA

Damit dürfte auch klar sein, wen die Bürger tatsächlich für kanzlertauglich halten, im Grunde nur einen: Markus Söder, der auf über 50 Prozent kommt. Olaf Scholz erhält hier immerhin noch 30 Prozent. Habeck und Baerbock aber liegen knapp über bzw. sogar unter 20 Prozent. Im Grunde ein vernichtender Wert. Noch schlechter aber auch hier Armin Laschet, den mehr als fünf von sechs Bürgern nicht für kanzlertauglich halten.

Kanzlertauglichkeit

INSA

Die Bürger hätten sich klar Söder als Kanzlerkandidaten gewünscht, dem sie insbesondere auch die mit Abstand höchste Durchsetzungskraft zutrauen

Damit ist auch klar, was die Deutschen von der Kanzlerkandidatur vor Armin Laschet halten und wen sie sich gewünscht hätten. Nur jeder Fünfte bis Sechste findet Laschet als Kandidaten gut, bei Habeck wäre es nur jeder Vierte. Baerbock hat minimal höhere Werte, liegt aber noch hinter Scholz. Fast jeder Zweite aber hätte sich Markus Söder gewünscht. Wohlgemerkt nicht jeder zweite CSU- oder Unionswähler, sondern jeder zweite Deutsche.

Kanzlerkandidatur

INSA

Dies mag auch mit der Einschätzung der Durchsetzungskraft zu tun haben, was ja für einen Regierungschef, der ein 83 Millionen-Volk und eine der größten Volkswirtschaften der Erde leiten soll, eine wichtige Fähigkeit darstellt. Auch hier überragt Söder alle anderen weit, hat doppelt so hohe Werte wie der zweitplatzierte Scholz. Habeck und Baerbock liegen nochmals deutlich hinter diesem und Laschet ist auch hier abgeschlagen auf dem letzten Platz:

Durchsetzungskraft

INSA

Angesichts dieser von INSA erfassten Daten kann man sich nur fragen, was die CDU geritten hat, ausgerechnet Armin Laschet überhaupt zum CDU-Vorsitzenden gewählt zu haben und dann auch noch gegen die CSU, gegen die Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU, gegen die eigene Parteibasis der CDU und vor allem auch gegen die potentiellen Unionswähler zum Kanzlerkandidaten durchgesetzt zu haben.

Parteienforscher Jürgen Falter sieht in der CDU „Lust am Untergang“

Insofern verwundert es nicht, wenn etwa der Mainzer Politikwissenschaftler und Parteienforscher Jürgen Falter gegenüber der Heilbronner Stimme sagt:

Irgendwie erscheint die Sache nicht im Lot, dass der Bundesvorstand der einen der beiden beteiligten Parteien, wenn auch der weitaus größeren Partei, allein über den gemeinsamen Kanzlerkandidaten entscheidet. So etwas kann nur böses Blut hinterlassen. Das gibt den Laschet-Gegnern, die es ja nach wie vor in großer Zahl gibt innerhalb der Union, Stoff, die Legitimität des Verfahrens infrage zu stellen.

(…) eine solche Entscheidung gegen den ja nun eindeutig festgestellten Willen sowohl einer Mehrheit der Mitglieder als auch der potentiellen Anhänger der CDU und auf jeden Fall der CSU zu treffen, spricht dafür, dass man das Wohl des eigenen Vorsitzenden über das der Partei und das der eigenen Partei über das der gemeinsamen Union stellen will. Mit Laschet wird es die Union im Bundestagswahlkampf und bei der Wahl selbst aller Voraussicht nach erheblich schwerer haben als das mit Söder der Fall wäre.“  

Das alles zusammen erklärt dann wohl zumindest etwas, warum CDU/CSU innerhalb weniger Tage nach der Ernennung von Laschet zum Kanzlerkandidaten so sehr einbrechen konnten, wobei die Wähler vor allem zu den Grünen und zur FDP abwandern, nicht zur SPD, zur AfD oder zur Linkspartei.

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