Von Jürgen Fritz, Mo. 30. Aug 2021, Titelbild: © JFB
Gestern Abend fand, genau vier Wochen vor der Bundestagswahl, das erste Triell statt. Wie sich dieser direkte Schlagabtausch der drei Kanzlerkandidaten auf die Wähler auswirken wird, wird man die nächsten Wochen beobachten müssen. Was man aber mit relativ hoher Sicherheit sagen kann, ist, wie die Deutschen unmittelbar vor dem Triell gewählt hätten, wenn sie gestern schon hätten entscheiden müssen.
CDU/CSU fallen auf einen Tiefpunkt, die Grünen bleiben im Abwärtstrend und die SPD erreicht den höchsten Wert seit Januar 2018
Laut dem SPD-nahen Forsa-Institut hat Olaf Scholz (SPD) das RTL-Triell „alles in allem gewonnen“ gestern Abend wie folgt gewonnen:
- Scholz: 36 %
- Baerbock: 30 %
- Laschet: 25 %
- Keiner der Kandidaten: 9 %
Diese Zahlen müssen allerdings vor folgendem Hintergrund gesehen werden. Direkt vor dem Triell war laut Civey von fast 43 Prozent erwartet worden, dass Scholz die direkte Konfrontation mit seinen beiden Konkurrenten für sich entscheiden würde, während nur knapp 15 Prozent auf Laschet tippten und sogar nur knapp 13 Prozent auf Baerbock:

Civey-Screenshot
Das heißt, Laschet wurde von vielen als deutlich stärker wahrgenommen als vorher erwartet worden war, Baerbock sogar noch mehr, während Scholz hinter den Erwartungen zurückblieb, wohl sehr stark von der bereits zuvor gebildeten Vormeinung lebte.
Auf die Frage „Wen fanden Sie am sachkundigsten und kompetentesten?“ antworteten die gut 2.500 von Forsa im Auftrag von RTL Befragten:
- Scholz: 46 %
- Laschet: 26 %
- Baerbock: 24 %.
Und die Frage „Wem trauen Sie am ehesten zu, das Land zu führen?“ beantworteten die RTL-Zuschauer wie folgt:
- Scholz: 47 %
- Laschet: 24 %
- Baerbock: 20 %
Auch hier hilft wieder ein Vergleich zu den bereits gebildeten Vormeinungen vor dem gestrigen Triell. Vor einer Woche hatten die von Forsa Befragten auf die Frage, wen sie wählen würden, wenn sie den Kanzler direkt wählen könnten, wie folgt geantwortet:

RTL/ntv-Trendbarometer-Screenshot
Baerbock hatte eine Woche zuvor in der K-Frage also fast 1,5 mal so hohe Werte wie Laschet und Scholz sogar fast dreimal so hohe. Legt man diese Ausgangswerte zu Grunde, so wird deutlich: Laschet hat gestern wohl zumindest ein wenig Boden gut gemacht auf Scholz und er hat in der Kompetenz- und vor allem in der Frage, wem die Bürger zutrauen, das Land führen zu können, Baerbock sogar bereits überholt. Freilich liegt er hier noch deutlich hinter Scholz zurück, aber dessen Werte waren gestern Abend nicht fast dreimal (30-11), sondern nur noch knapp doppelt so hoch (47-24) und in der Frage, wer gestern gewonnen hat, sogar nur 1,4 bis 1,5 mal so hoch (36-25).
Laschet konnte also wahrscheinlich ein wenig Boden gut machen, aber das wird natürlich noch lange nicht reichen, um das Ruder rumzureißen. Die Union befindet sich seit Mitte Juli, seit der Hochwasserkatastrophe in einem massiven Abwärtstrend. Das Triell gestern könnte der Anfang gewesen sein, um diesen Trend zu stoppen und zu drehen. Aber dazu muss die nächsten Wochen dann deutlich mehr folgen. Ob dies CDU und CSU gelingen wird und ob der SPD-Aufwärtstrend sich wieder nach unten dreht, wird man die nächsten Wochen sehen müssen. Beides ist möglich, dass der Aufschwung der SPD und der Abschwung der Union anhalten, aber auch dass diese sich nochmals drehen. Diese Wahl scheint im Moment vollkommen offen. Interessant ist aber der Zwischenstand. Und der sah gestern vor der Ausstrahlung des Kanzlerkandidaten-Triells so aus.
So hätte Deutschland vier Wochen vor der Bundestagswahl, unmittelbar vor dem Triell, gewählt
Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute, die – bezogen auf den mittleren Tag der Befragung – in den letzten zwei Wochen repräsentative Erhebungen durchführten. Aktuell liegen elf Umfragen von zehn verschiedenen großen Meinungsforschungs-Instituten vor, die diese Kriterien erfüllen. INSA veröffentlich inzwischen jede Woche zwei verschiedene Erhebungen, einmal eine reine Online-Befragung von ca 2.000 bis 2.100 Personen und einmal eine Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von ca. 1.200 bis 2.000 Personen. Aufgeführt ist für jede Partei der niedrigste und der höchste Wert dieser elf einbezogenen Befragungen (immer nur die aktuellste) sowie fettgedruckt das arithmetische Wahl-O-Matrix-Mittel aller elf Werte.
- SPD: 21 – 24 % ==> 22,6 %
- CDU/CSU: 21 – 26 % ==> 22,6 %
- GRÜNE: 16 – 20 % ==> 17,5 %
- FDP: 10 – 13 % ==> 12,0 %
- AfD: 10 – 12 % ==> 11,0 %
- LINKE: 6 – 8 % ==> 6,7 %
- Sonstige: 6 – 9,5 % ==> 7,6 %

(c) JFB
Erläuterung: Diese Werte sind so zu verstehen, dass es für jede Partei bzw. für jede Bundestagsfraktion ein Fenster gibt, innerhalb dessen sie derzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läge. Die aufgeführten Zahlen stellen die Mitte dieses Fensters dar. Kleine Abweichungen von dieser Fenster-Mitte von ein bis zwei Prozent sind also jeweils in beide Richtungen möglich, bei größeren Parteien auch drei Prozent oder etwas mehr, wobei die Wahrscheinlichkeit, je weiter man sich von der Mitte des Fensters weg bewegt, immer mehr abnimmt und zwar drastisch. Abweichungen von deutlich über fünf oder gar zehn Prozent sind daher nahezu ausgeschlossen. Dies läge weit außerhalb des Fensters.
Dabei sind diese Angaben selbstverständlich keine Zukunftsprognosen, wie die Wähler am 26. September votieren werden, sondern wie sie heute votieren würden (empirische Erfassung der Gegenwart) respektive in diesem Fall, wie sie gestern vor dem Triell gewählt hätten.
Alarmsignal: Rot-Grün-Dunkelrot hätte derzeit eventuell eine knappe Mehrheit!
Veränderungen der letzten sechs Wochen
Gegenüber dem 18.07.2021 (kurz nach der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW) haben sich die Wahl-O-Matrix-Werte wie folgt verändert:
- SPD: + 6,5 %
- AfD: + 0,6 %
- FDP: + 0,6 %
- Sonstige: + 0,2 %
- LINKE: – 0,3 %
- GRÜNE: – 1,6 %
- CDU/CSU: – 6,0 %
Die Union hat also in den letzten sechs Wochen volle sechs Punkte verloren, die Grünen 1,6 Punkte, die SPD hat dagegen 6,5 Punkte dazugewonnen.
Bei ca. 7,6 Prozent für sonstige Parteien, die an der Fünfprozent-Hürde scheitern werden, würden ca. 46,3 Prozent der Zweitstimmen für eine Mehrheit der Sitze im Bundestag ausreichen.
Mögliche Regierungskoalitionen
Damit wären zunächst einmal rein rechnerisch folgende Regierungskoalitionen möglich:
- Rot–Schwarz-Gelb (Deutschland-Koalition): 57,2 %
- Rot–Grün–Gelb (rote Ampel): 52,1 %
- Schwarz–Grün–Gelb (Jamaika-Koalition): 52,1 %
- Rot–Grün–Dunkelrot: 46,8 %
- Rot-Schwarz (bisherige Regierungskoalition, aber vlt. mit SPD-Kanzler): 45,2 %
- Rot–Grün: 40,1 %
- Schwarz–Grün: 40,1 %
- Schwarz–Gelb: 34,6 %
Damit hätte Rot-Grün-Dunkelrot mit 46,8 Prozent nun eventuell eine knappe Mehrheit der Sitze im Bundestag und der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz weigert sich ebenso wie Annalena Baerbock, eine Bündnis mit der SED-Nachfolgerin Die Linke, welche die NATO abschaffen will, auszuschließen. Da derzeit keine Partei hohe Werte von über 25, 30 oder gar über 35 Prozent erzielen kann, spricht im Moment alles für ein Dreierbündnis und zwar entweder:
- eine sogenannten Deutschland-Koalition bestehend aus drei Fraktionen bzw. vier Parteien: SPD, CDU/CSU und FDP, wobei hier im Moment völlig offen wäre, wer den Kanzler stellen darf, die SPD oder die Union, oder
- einer Ampel-Koalition (jetzt nicht mehr eine grüne, sondern eine rote Ampel, also mit einem SPD-Kanzler): SPD, Grüne und FDP, oder
- eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grüne und FDP mit Armin Laschet als Kanzler oder
- der Worst-Case: Rot-Grün-Dunkelrot (SPD + Grüne + Die Linke) mit Olaf Scholz als Bundeskanzler einer linksradikalen Regierung.
Die Erhebungen dieser Institute wurden von Wahl-O-Matrix für die Gesamtübersicht ausgewertet
Die elf Umfragen, welche ausgewertet wurden, waren (Kriterium 1: bezogen auf den mittleren Tag der Befragung nicht älter als zwei Wochen, Kriterium 2: von jedem Institut immer nur die jeweils aktuellste, sofern nicht verschiedene Erhebungsmethoden vorlagen, ansonsten von jeder Erhebungsmethode die jeweils aktuellste):
- Trend Research Hamburg (Radio Hamburg), mittlerer Tag der Befragung: 15.08.2021, Online-Befragung von 1.096 zufällig ausgewählten Personen,
- Wahlkreis-Prognose, mittlerer Tag der Befragung: 15./16.08.2021, Mixed-Methode aus zufallsbasierter Telefonbefragung (Dual Frame) und milieubasierter Online-Befragung von 2.005 Personen,
- Infratest dimap (ARD-DeutschlandTrend), mittlerer Tag der Befragung: 17./18..08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.219 Personen,
- Forsa (RTL/ntv-Trendbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 20.08.2021, telefonische Befragung von 2.504 zufällig ausgewählten Personen,
- Kantar/Emnid (FOCUS), mittlerer Tag der Befragung: 21.08.2021, telefonische Befragung von 1.919 zufällig ausgewählten Personen,
- INSA (BILD), mittlerer Tag der Befragung: 21./22.08.2021, internetbasierte Befragung von 2.119 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
- Civey (SPIEGEL), mittlerer Tag der Befragung: 21./22.08.2021, netzwerkbasierte Panel-Rekrutierung + Teilnehmerverifizierung + quotierte Stichprobe unverzerrter Antworten + Echtzeitgewichtung, Stichprobe: 10.054 Befragte,
- Allensbach (FAZ), mittlerer Tag der Befragung: 22.08.2021, persönlich-mündliche Befragung von 1.038 nach Quotenvorgaben ausgewählten Personen,
- YouGov, mittlerer Tag der Befragung: 21./22.08.2021, internetbasierte Befragung von 1.689 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
- Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 25.08.2021, telefonische Befragung von 1.300 zufällig ausgewählten Personen,
- INSA (BILD am Sonntag), mittlerer Tag der Befragung: 25.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.247 Personen.
Wahl-O-Matrix, Deutschlands führendes Meta-Analyse-Tool (von JFB gegründet), das mit seiner Prognose bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wie auch schon bei der NRW-Wahl, mit 0,76 Prozent mittlerer Abweichung erneut näher am Ergebnis lag als sämtliche Umfrageinstitute (in Rheinland-Pfalz am drittnächsten, bei der EU-Wahl ebenfalls am drittnächsten und bei der Bundestagswahl am zweitnächsten) hat damit eine sehr breite Datenbasis von insgesamt 26.190 Befragten.
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