Merkels Geständnis: Ich war wie eine Süchtige, die wissen wollte, wie weit sie noch gehen kann

Von Axel Stöcker, Mi. 01. Jan 2020, Titelbild: FAZ-Screenshot

Der preisgekrönte Schriftsteller Frank W. Haubold hatte ihr auf JFB nach 14 Jahren im Amt gerade erst ein desaströses Zeugnis ausgestellt: Sie sei der schlechteste Regierungschef seit Bestehen der Bundesrepublik. Kein anderer Politiker habe dem eigenen Gemeinwohl einen größeren Schaden zugefügt als Angela Merkel. Dies wollte die ewige Kanzlerin aber nicht auf sich sitzen lassen und gab JFB das weltweit einzige Neujahrsinterview. In diesem redet sie erstmals in bislang noch nie dagewesener Offenheit über ihre Entscheidung vom September 2015, die Grenzen nicht mehr zu sichern, die Energiewende und ihre Beziehung zum spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez. Axel Stöcker schaffte es wieder einmal, seinem Interviewpartner höchst persönliche Dinge zu entlocken.

Langweilen tue ich mich auch im Kanzleramt, aber zuhause ist halt noch weniger los

JFB: Frau Bundeskanzlerin, zunächst vielen Dank, dass Sie sich nach ihrer wie immer inspirierenden Neujahrsansprache Zeit für ein Interview mit uns nehmen.

AM: Sehr gerne!

JFB: Kommen wir zur ersten Frage: Macht Ihnen das Regieren eigentlich noch Spaß?

AM: Spaß? Och, das ist vielleicht das falsche Wort. Spaß… Spaß macht, wenn Friedrich Merz auf dem Parteitag wegen 35 Stimmen gegen Annegret verliert, oder so. Aber regieren… Wissen Sie, ich wüsste ja auch nicht, was ich sonst machen sollte. Den Haushalt bei uns zu Hause macht ja schon mein Mann…

JFB: Wenn es Ihr Wille gewesen wäre, hätten Sie Ihre politische Karriere ja bereits beenden können. Ist das der Grund, warum Sie Kanzlerin geblieben sind? Weil Sie sich sonst langweilen?

AM: Naja, ich langweile mich auch im Kanzleramt. Aber zu Hause ist eben noch weniger los. Doch der einzige Grund ist das natürlich nicht!

Adenauer hab ich doch mit links überholt

JFB: Sondern?

AM: Na hören Sie mal, lesen Sie keine Zeitung. Gerade vor ein paar Tagen, am 22. Dezember stand’s doch endlich groß drin!

JFBTut mir leid, ich komme jetzt nicht drauf…

AM: Sie lesen wohl nur das unwichtige Zeugs. An dem Tag, am 22. Dezember, habe ich den Adenauer überholt! Mehr Tage im Amt als er! Endlich! Da konnte ich doch vorher nicht zurückziehen!

JFBJa, jetzt fällt es mir auch wieder ein.

AM: Wissen Sie, es ist ja wichtig, dass man sich auch nach vielen Jahren im Amt immer noch Ziele setzt. Sonst döst man ja ein.

JFB: Natürlich, da haben Sie absolut recht, Frau Bundeskanzlerin! Aber die Nummer 1 werden Sie ja aller Voraussicht nach nicht werden. Um Helmut Kohl zu überholen, müssten Sie bis zum 17. Dezember 2021 im Amt bleiben.

AM: Das ist in der Tat ärgerlich! Ausgerechnet Kohl! Sehr ärgerlich! Ich überlege die ganze Zeit schon, wie ich das anstelle. Vielleicht mit Notstandsgesetzen, weil es zu viel Hatespeech im Netz gibt oder so. Mal schauen.

Zu meinem Mann sage ich immer: „Joachim, du bist fast so ne große Umweltsau wie deine Oma“

JFBKommen wir zur Politik.

AM: Wenn’s sein muss.

JFB: Das Klima bestimmt im Moment die politische Agenda. Wie ist Ihre persönliche Haltung zum Klimaschutz?

AM: Meine Haltung? Wie soll die sein? Ich bin natürlich dafür!

JFB:  Was tun Sie in Ihrem direkten Umfeld für den Klimaschutz?

AM: Also zu meinem Mann habe ich erst kürzlich gesagt, er soll nicht immer das Licht im Klo brennen lassen! Ich sag dann immer: Joachim, du bist fast so ne große Umweltsau wie deine Oma. Aber ist natürlich nur Spaß. (lacht)

Wie heißt das Land nochmal, in das ich die ganzen „Flüchtlinge“ geschickt habe?

JFB: Wir dachten jetzt mehr an Ihr berufliches Umfeld, also die Regierung. Da gab es Kritik, weil Sie und die Verteidigungsministerin Frau Kramp-Karrenbauer beide am 22. September mit zwei verschiedenen Regierungsmaschinen an die Ostküste der USA geflogen sind.

AM: Ja, also diese Mäkelei an unserer Arbeit kann ich nun gar nicht nachvollziehen. Ich meine, ich musste in New York zum Friseur und Annegret wollte sich in Washington noch eine Strumpfhose kaufen. Alles zwischen wichtigen Terminen, versteht sich. Da wird man ja wohl noch mal zwei Fliegerchen aktivieren dürfen!

JFB: Verstehe.

AM: Außerdem bin ich danach ja noch weitergeflogen nach Brüssel, um meinen Regierungsgeschäften in der EU nachzugehen. Erst danach musste ich wieder nach… äh… nach… Na, wie heißt das Land nochmal, in das ich die ganzen Flüchtlinge geschickt habe?

JFB: Deutschland.

AM: Ja, genau. Danke. Ich musste dann also zurück nach Deutschland.

Sowas nenne ich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

JFB: Das führt uns zur Innenpolitik.

AM: Och nö! Muss das sein. Das können Sie doch meinen Horst fragen!

JFB: Frau Merkel, Sie sind doch die mächtigste Frau der Welt. Da müssen Sie doch auch zu Deutschland was sagen.

AM: Nu, da ham se auch wieder recht!

JFB: Gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik gibt es ja Diskussionen über den inneren Zusammenhalt des Landes, wie zum Beispiel folgendes Zitat zeigt: „Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der Gipfel der Verlogenheit, und eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wir ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Deshalb werden wir auch weiter eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung fordern.“  Das ist doch im Rückblick…

AM: Also hier ist natürlich ganz klar, dass versucht wird, Angst vor Zuwanderung zu schüren. Politiker, die so etwas sagen, versuchen, die Gesellschaft zu spalten, weil sie…

JFB: …äh, Frau Mer…

AM: …weil sie einfach nicht die Chancen von Zuwanderung sehen wollen. Und dann machen sie auch noch einen auf Heulsuse, weil sie in die rechtsextreme Ecke gestellt werden, was natürlich…

JFB: …Frau Merkel…

AM: …was natürlich völlig berechtigt ist, weil hier gezielt gegen Migranten Stimmung gemacht wird. Sowas nenne ich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ganz typisch…

Ich hatte immer darauf gewartet, dass mich mal ein Journalist drauf anspricht, aber da das nie passierte, habe ich es völlig vergessen

JFB: …Frau Bundesk…

AM: …ganz typisch für die Populisten von der AfD oder gar NPD. Wer hat denn das gesagt?

JFB: Äh, das waren Sie, Frau Bundeskanzlerin, auf dem 17. Parteitag der CDU am 1. Dezember 2003 in Leipzig.

AM: Stimmt, ich erinnere mich! Ich hatte immer darauf gewartet, dass mich mal ein Journalist drauf anspricht. Da das aber nie passiert ist, habe ich es völlig vergessen. Was ist nur mit den Journalisten, die schon länger hier leben, los?

JFB: Aber was sagen Sie denn nun dazu?

AM: Was ich dazu sage? Nichts natürlich. Aber da Sie mich als erster danach gefragt haben, verrate ich Ihnen ein Geheimnis.

JFB: Wir sind gespannt!

Ich wollte schon vor zehn Jahre aufhören, hab meinen Rausschmiss immer wieder geradezu provoziert

AM: Ich bin schon seit 2010 amtsmüde!

JFB: Bitte??

AM: Ja, Sie haben richtig gehört. Ich wollte schon vor zehn Jahren aufhören, aber man hat mir dann ständig die Birne vollgelabert, ich müsse Verantwortung für das Land übernehmen und könne die Partei nicht hängen lassen usw. Verantwortung, pfff! Also habe ich versucht, meinen Rausschmiss zu provozieren.

JFB: Sie haben WAS???

AM: Ja, das müsste doch gerade Ihnen, den Medien, die mich ständig kritisieren, einleuchten. Ich habe versucht, mich so stümperhaft zu verhalten, dass man mich loswerden will. Freiwillig zu gehen, war ja nicht drin.

Im Mai 2010 bei der Eurorettung war die erste Gelegenheit. Da habe ich über Nacht mal eben deutsche Bürgschaften in Höhe von 211 Milliarden zugesagt, was ja fast zwei Drittel eine Bundeshaushalts entsprach hi, hi. Ich dachte, die ziehen mich sofort aus dem Verkehr und ich kann in Ruhestand gehen.

JFB: (ringt um Fassung): Und dann?

AM: Ja nix war! Hat keinen interessiert, die haben mir alle auf die Schulter geklopft. Mutige Entscheidung Angela, und so. Ich hab’s dann nochmal mit dem Schäuble probiert. Er solle den Medien hoch und heilig versprechen, dass die Rettungsschirme auslaufen. Und hinterher haben wir dann gesagt: April, April, aber sie werden natürlich durch andere ersetzt, hi, hi. Ich meine, mehr Bürgerverarschung geht nun wirklich nicht. Meine Hoffnung war, dass der Schäuble und die CDU dann ausflippen und an meinem Stuhl sägen – aber Pustekuchen. So musste ich halt weitermachen.

Nach Fukushima hab ich es wieder versucht, dachte: Jetzt müssen sie mich doch endlich rausschmeißen

JFB: (mit offenen Mund): Und wie ging es dann weiter?

AM: Ja, die nächste Gelegenheit war dann 2011 Fukushima. Ich dachte wieder, wenn ich eine völlig irrationale Entscheidung mit einer hanebüchenen Begründung treffe, tauscht die CDU mich aus. Habe damals lange überlegt, was sich am dümmsten anhört. Schließlich habe ich mich entschieden, so zu tun, als würde ich völlig aus dem Bauch heraus handeln (äfft sich selbst nach) „Ich habe nach Fukushima nochmal neu nachgedacht und beschlossen, dass wir die Atomkraftwerke abschalten müssen.“ Ich dachte, den Leuten fällt die Kinnlade herunter.

JFB: (fällt die Kinnlade herunter): Sie wussten, dass das Schwachsinn war?

AM: Wollen Sie meine Intelligenz beleidigen? Natürlich. Ich bitte Sie! Ich bin Physikerin. Wo soll denn bei uns ein Tsunami herkommen? Aus dem Rhein? (lacht laut, kriegt sich gar nicht mehr ein)

JFB: (kriegt sich dagegen langsam wieder ein): Und dann waren Sie völlig platt, als es wieder keinerlei Widerstand gab?

AM: So ist es. Und zwar weder in meiner Partei, noch in den Medien. Ich dachte: Was ist mit diesem Land los.

Als ich Gröhe das Deutschlandfähnchen wegnahm, wollte ich die Patrioten in der CDU provozieren, aber die gründeten dann ja gleich eine eigene Partei

JFB: Und dann?

AM: In den folgenden Jahren war es dann mangels Gelegenheit schwierig, die ganz großen Böcke zu schießen. Gut, ich habe versucht die Patrioten in der Partei zu provozieren, als ich Gröhe das Deutschlandfähnchen auf offener Bühne wegnahm, aber die haben ja dann dummerweise eine eigene Partei gegründet, statt mich zu stürzen. Dann hab ich natürlich die Energiewende weiter gegen die Wand fahren lassen. Aber das hat niemanden interessiert. Immer wieder hieß es, ich müsse weitermachen, sie hätten keinen anderen. Unvorstellbar nicht?

Also musste ich mich weiter durchwursteln. Richtig gut wurde es dann erst wieder ab 2014, als wir Hinweise auf eine drohende Flüchtlingswelle bekamen. Die habe ich dann alle demonstrativ ignoriert und auf die Rebellion der Law-and-Order-Fraktion in der CDU gehofft. Aber es kam wieder nichts.

JFB: Und dann kam der September 2015.

Endlich hatte ich auch meine Grenzöffnung!

AM: Genau. Da hatte ich dann zwiespältige Gefühle. Einerseits wollte ich immer noch aufhören. Aber andererseits dachte ich, wenn ich mich schon so lang durchschleppe, wäre das die Gelegenheit zu Helmut Kohl aufzuschließen.

JFB: Zu Kohl aufschließen? Ich verstehe nicht ganz…

AM: Denken Sie doch mal nach! Was verbinden Sie mit Helmut Kohl?

JFB: Wiedervereinigung?

AM: Genau! Und was ging der voraus?

JFB: Mauerfall und…

AM: Ja?

JFB: Grenzöffnung – oh mein Gott, das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder?

AM: Mein vollster Ernst! Versetzten Sie sich doch mal in meine Lage. Kohl hatte den 30. September 1989, als Genscher in der deutschen Botschaft in Prag den berühmten Satz sagte: „dass ihre Ausreise genehmigt wurde“ usw. Und er hat den 9. November 89 mit dem Mauerfall und der Grenzöffnung. Und was hatte ICH 2015? Ne schweineteure Eurorettung und `ne verkorkste Energiewende. Und dann kam da im September dieser Anruf von der Botschaft in Budapest. Gut, Prag wäre mir natürlich lieber gewesen, weil Kohl ja auch Prag hatte. Aber druff gepfiffen, habe ich gedacht! Holt Sie alle rein! Jetzt habe auch ich meine Ausreise und meine Grenzöffnung. Grenzöffnung! Verstehen Sie!? Und der Kohl hat das ja noch mitbekommen. Das war das beste überhaupt!

Die ham es tatsächlich fertiggebracht, das angerichtete Chaos zur heroischen Tat zu verklären

JFB: Ich glaub, mir wird schlecht…

AM: Und nach dem Gesellenstück – habe ich gedacht – kann die CDU wirklich nicht mehr anders. Da MÜSSEN sie dich absägen. Dann hab ich auch meine Grenzöffnung und kann endlich in den Ruhestand. Aber wieder nix. Die ham es tatsächlich fertiggebracht, das angerichtete Chaos zur heroischen Tat zu verklären.

JFB: Aber Frau Merkel, Sie hätten doch wenigstens nach ein paar Wochen wieder zum geregelten Grenzverkehr zurückkehren können. Warum halten Sie die Grenzen bis heute offen?

AM: Sie haben mir offenbar nicht zugehört. Hat denn Kohl seine Grenzöffnung rückgängig gemacht?!?

JFB: Entschuldigung, mein Fehler.

AM: Schon okay. Ich bin ja auch irgendwie froh, dass ich das alles mal jemandem erzählen kann. Als dann die ganzen Menschenmassen ins Land strömten und ich immer noch im Amt war, habe ich versucht noch einen draufzusetzen. Was wäre die größte Stümperei, die man in dieser Situation machen könnte? – habe ich mich gefragt. Und die Antwort war: Etwas, das die kritische Situation weiter verschärft. Dazu müsste ich mich maximal unprofessionell verhalten. Und das habe ich dann gemacht. Ich habe die Flüchtlingsheime besucht, was ja, für sich genommen, noch völlig in Ordnung war. Aber dann habe ich mit allen möglichen Leuten dort Selfies gemacht und parallel dazu in Welt hinausposaunt, das Grundrecht auf Asyl kenne keine Obergrenze. Das war ein Spaß! Aber genützt hat es wieder nichts.

Solche Lutscher wie in der CDU hab ich sonst nirgendwo kennengelernt, irgendwann hab ich mich vor meiner eigenen Partei geekelt, hatte mich aber so an das Kanzleramt gewöhnt

JFB: Wie hat ihre Partei, die CDU, reagiert.

AM: Ich muss ja schon sagen: Solche Lutscher wie in der CDU hab ich sonst nirgendwo kennengelernt. Besonders die Männer. Dagegen ist ja sogar Anton Hofreiter ein Ausbund an Maskulinität! Gegen die CDU waren die Blockparteien der DDR ja revolutionäre Zellen! Für den Mist, den ich gebaut habe, wäre Erich Honecker schon drei Mal vom Politbüro nach Chile verbannt worden. Und hier: Toll Angela, du bist unsere Beste, Angela, Angie wir lieben Dich… Waren die denn alle gaga? Wie mir das zum Hals raushing!

JFB: Und wie ging es dann weiter?

AM: Naja, es wurde noch schlimmer. Beim Parteitag im November habe ich 11 Minuten stehenden Applaus dafür bekommen, dass ich mit meiner Flüchtlingspolitik das Land gespalten und die AfD vor dem Untergang bewahrt habe. Da war dann der Punkt erreicht, wo ich jeglichen Respekt vor der Union verloren habe. Wissen Sie, das ist wie in einer Partnerschaft. Wenn einer sich pausenlos vor dem anderen erniedrigt, verliert man am Ende die Achtung. Das war auch der wirkliche Grund, warum ich dann 2018 nicht mehr für den Parteivorsitz kandidiert habe. Es war der reine Ekel. Andererseits hatte ich mich so an das Kanzleramt gewöhnt, dass ich auch nicht mehr weg wollte.

Ich war wie eine Süchtige, die immer weiter machte, um zu sehen, wie weit sie noch gehen kann

JFB: Sie haben aber trotzdem mit Ihrer Strategie weitergemacht.

AM: Ja, ich hatte mich ebenfalls so daran gewöhnt, Mist zu bauen und dann zu schauen, ob ich endlich rausgeschmissen werden, dass ich damit nicht mehr aufhören konnte. Mir war zwar inzwischen klar geworden, dass ich den Rauswurf so niemals erreiche, aber es war wie eine Sucht. Immer der Kitzel: Wie weit kannst Du gehen?

JFB: Dann kam im Dezember 2016 das Attentat vom Breitscheidplatz.

AM: Spätestens da musste es ja jedem, der bis drei zählen kann, klar sein, dass meine Politik der offenen Grenzen eine Katastrophe war. Aber kein einziger bekannter Journalist hat das wirklich thematisiert und alle haben mich gegen die wenigen Angriffe verteidigt, wie die Löwen. Mich hat das inzwischen allerdings schon fast nicht mehr überrascht. Trotzdem habe ich aus Gewohnheit versucht, dem Ganzen sozusagen noch die Krone aufzusetzen.

JFB: Was hatten Sie sich diesmal überlegt?

AM: Ich dachte, wenn ich mit Unfähigkeit keine Reaktion provozieren kann, versuche ich es mal mit fiesem Verhalten und habe dann den Angehörigen der Opfer ein Jahr lang die kalte Schulter gezeigt. Das war natürlich gemein, aber Sie müssen auch meine Situation sehen. Ich war wie eine Süchtige.

JFB: Und die Reaktionen?

AM: Es hat praktisch niemanden interessiert. Wirklich erschreckend!

Ach, der Horst (lacht laut)

JFB: Dann kam es 2018 zum Schlagabtausch mit Innenminister Seehofer. Er wollte Asylsuchenden, die bereits registriert sind, an der Grenze zurückweisen lassen.

AM: Ja, der Horst (lacht). Aber das ging natürlich nicht, wegen Kohl. Sie wissen ja!

JFB: Selbstverständlich!

AM: Sie lernen schnell! Vielleicht sollten Sie in die CDU eintreten.

JFB: Ich werde darüber nachdenken, sobald ich bei mir einen Hang zum Masochismus entdecke und kein passendes SM-Studio finde. – Aber wie war nun die Geschichte mit Seehofer?

AM: Ja, wie gesagt, ich hatte auch bei ihm die Hoffnung aufgegeben endlich geschasst zu werden. Aber ich habe ihn natürlich trotzdem vollständig auflaufen lassen – aus Gewohnheit. Und dann bin ich nach Spanien gefahren und habe großspurig angekündigt ein „wirkungsgleiches bilaterales Abkommen“ zu verhandeln. Der Sanchez hat mir unter vier Augen allerdings gleich gesagt, das mit der Flüchtlingsrücknahme könne ich mir komplett abschminken. Schließlich wäre es meine Idee gewesen, halb Afrika nach Europa einzuladen und er wolle schließlich wiedergewählt werden und sei nicht bescheuert.

JFB: Klare Ansage.

In Deutschland machen ja die Kabarettisten hauptsächlich Witze über die Opposition, weniger über die Regierung

AM: Ja. Das hat mir imponiert! Endlich mal ein richtiger Mann! Nicht wie diese Schlaffis in meiner Umgebung. Dieser Sanchez, ich muss ihn bald mal wieder zu mir einladen… Naja, wir haben dann zusammen Sangria getrunken und nach dem vierten Glas, als wir beide schon ziemlich knülle waren, kam mir dann die Idee mit der deutsch-österreichischen Grenze. „Pedro, habe ich zu ihm gesagt, und wenn wir in das Abkommen schreiben, dass die in Spanien registrierten Flüchtlinge nur zurückgeschickt werden, wenn sie über Österreich nach Deutschland einreisen?“ Er hat einen Lachanfall bekommen und mich sofort damit angesteckt. Wir haben gelacht, bis uns die Bäuche weh taten.

JFB: Das Abkommen wurde ja dann aber genau so unterzeichnet.

AM (lacht): Ja, der Pedro konnte es nicht fassen, als ich ihm erklärte, dass ich das ernst meine. „Bist du sicher, dass du das unterschreiben willst, Angela, hat er zu mir gesagt, in Spanien würde ich für so ein schwachsinniges Abkommen mindestens ein Jahr lang in jeder Kabarettsendung durch den Kakao gezogen werden.“ Er war richtig besorgt um mich, der Pedro. Ich habe ihm dann erklärt, dass das in Deutschland anders ist, weil die Kabarettisten bei uns hauptsächlich Witze über die Opposition machen und weniger über die Regierung. Fand er ziemlich schräg.

Fällt Ihnen sonst noch etwas zu Deutschland ein? – Hmm, Nö

JFB: Tatsächlich wurde das Abkommen auch in der Presse ja kaum kritisch hinterfragt.

AM: Ja, lustig, nicht wahr. Ach, ich könnte noch stundenlang weitererzählen, zum Beispiel als ich dem Seibert gesagt habe, er müsse jetzt vor der Presse erzählen, dass wir mehrere glaubhafte Videobeweise über Hetzjagden in Chemnitz hätten, hi, hi. Der hat erst mal trocken geschluckt, aber es ziemlich professionell durchgezogen, muss man ihm lassen. Aber im Grunde eben auch ein Kriecher – im Gegensatz zu Pedro Sanchez.

JFB: Frau Bundeskanzlerin, wir kommen langsam zum Ende des Interviews. Ich wollte Sie noch etwas zum 30. Nationalfeiertag fragen.

AM: Von welchem Land denn?

JFB: Deutschland.

AM: Ach so, natürlich.

JFB: Frau Merkel, im gerade zu Ende gegangenen Jahr jährte sich die Deutsche Einheit zum 30. Mal – und das an der Schwelle zum dritten Jahrzehnt im dritten Jahrtausend. Also die Gelegenheit für einen Großauftritt der Bundeskanzlerin, für ein visionäres politisches Vermächtnis für Deutschland und das deutsche Volk, die Gelegenheit auch, Mut zu machen und die großen Linien Ihrer Politik in die Zukunft weiter zu zeichnen. Sie haben dazu in der Weltmetropole Kiel im Oktober ja auch eine ihrer gewohnt spektakulären Reden gehalten. Vielleicht beschreiben Sie für unsere Leser noch einmal kurz, mit welchen Visionen Sie in unserem Land Aufbruchstimmung im vierten Jahrzehnt der Einheit verbreiten wollen.

AM: Ja, also, äh, meine zentrale Idee war ja, dass die Wiedervereinigung ein fortwährender Prozess ist, der irgendwie alle Bundesländer etwas angeht… oder so…

JFB:

AM: …und dass man also mit Begeisterung und so an diesem Prozess mitwirkt, irgendwie, verstehen Sie?

JFB: Ja, verstehe. Grandios! Fällt Ihnen sonst noch etwas zu Deutschland ein?

AM: Nö.

JFB: Frau Bundeskanzlerin, wie danken Ihnen für dieses außergewöhnlich offene Gespräch.

AM: Mir hat das ja selbst gut getan, mir endlich mal alles von der Seele zu sprechen.

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Das Interview führte Axel Stöcker für JFB.

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Zum Autor: Axel Stöcker, Jg. 1967, hat Mathematik und Chemie studiert und ist Gymnasiallehrer. Auf seinem Blog, die-grossen-fragen.com, arbeitet er sich an den großen Fragen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie ab. Doch auch politische Verwerfungen stacheln ihn gelegentlich zu Kommentaren und Satiren an.

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