SPD zieht an schwächelnden Grünen vorbei, Union fällt weiter

Von Jürgen Fritz, So. 22. Aug 2021, Titelbild: © JFB

Fünf Wochen vor der Bundestagswahl spitzt sich die Lage von CDU/CSU immer mehr zu. Vor gut einem Jahr noch bei knapp 40 Prozent, fällt die Union im Wahl-O-Matrix-Mittel nun sogar unter 24 Prozent, Tendenz weiter fallend. Aber auch für die Grünen geht es seit dreieinhalb Monaten immer nur in eine Richtung: nach unten. Der große Profiteur hierbei ist die SPD, die erstmals seit gut dreieinhalb Jahren auf über 20 Prozent steigt.

CDU/CSU fallen auf einen Tiefpunkt, die Grünen bleiben im Abwärtstrend und die SPD erreicht den höchsten Wert seit Januar 2018

Der Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung der letzten Monate und speziell der letzten vier Wochen liegt, wie ich gestern hier ausführlich erläuterte, in der Auswahl der Kanzlerkandidaten. Hier haben sich sowohl die CDU als auch die Grünen völlig vergriffen und das rächt sich nun massiv. Damit helfen die Union und die Grünen zugleich der SPD, die seit Jahren nur noch dahin dümpelte, bundesweit zeitweise auf unter 15 Prozent gefallen war, vor zwei, drei Jahren sogar unter 13 Prozent. Nun erlebt die SPD bedingt durch massive Abwanderungen von Union und den Grünen einen wahren Aufschwung und steigt erstmals seit Januar 2018 wieder auf über 20 Prozent (20,5).

Damit überholt die SPD auch erstmals seit fast drei Jahren die Grünen, welche von ihrem Hoch Anfang Mai von ca. 26 Prozent auf nun gut 18 Prozent fallen. Auch hier hält, wie bei CDU/CSU der Negativtrend weiter an und es dürfte die nächsten Tage noch weiter nach unten gehen. Die FDP liegt dagegen seit nunmehr vier Monaten über zehn Prozent, hat sich im zweistelligen Bereich nicht nur stabilisiert, sondern erreicht aktuell sogar für sie sehr gute 12 Prozent. Stabilisiert hat sich auch die AfD, die ihren Abwärtstrend schon seit etwa 16 Monaten stoppen konnte und sich seither um die Zehn-Prozent-Marke bewegt. Im Moment liegt sie sogar bei 11 Prozent. Einen Tiefpunkt erreicht dagegen die SED-Folgepartei Die Linke, welche die letzten Wochen unter 7 Prozent gefallen ist. Alle anderen Parteien zusammen (Kleinparteien bzw. Sonstige) kämen aktuell auf knapp 8 Prozent. Hier das Ganze über Überblick.

So würde Deutschland fünf Wochen vor der Bundestagswahl votieren

Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute, die – bezogen auf den mittleren Tag der Befragung – in den letzten drei Wochen repräsentative Erhebungen durchführten. Aktuell liegen neun Umfragen von acht verschiedenen großen Meinungsforschungs-Instituten vor, die diese Kriterien erfüllen. INSA veröffentlich inzwischen jede Woche zwei verschiedene Erhebungen, einmal eine reine Online-Befragung von ca 2.000 bis 2.100 Personen und einmal eine Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von ca. 1.200 bis 2.000 Personen. Aufgeführt ist für jede Partei der niedrigste und der höchste Wert dieser neun einbezogenen Befragungen (immer nur die aktuellste) sowie fettgedruckt das arithmetische Wahl-O-Matrix-Mittel aller neun Werte.

  1. CDU/CSU: 2227,5 % ==> 23,8 %
  2. SPD: 19 – 22 % ==> 20,5 %
  3. GRÜNE: 17 – 20 % ==> 18,1 %
  4. FDP: 11 – 13 % ==> 12,0 %
  5. AfD: 1012 % ==> 11,0 %
  6. LINKE: 67,5 % ==> 6,9 %
  7. Sonstige: 6 – 9,5 % ==> 7,7 %
2021-08-22

(c) JFB

Erläuterung: Diese Werte sind so zu verstehen, dass es für jede Partei bzw. für jede Bundestagsfraktion ein Fenster gibt, innerhalb dessen sie derzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läge. Die aufgeführten Zahlen stellen die Mitte dieses Fensters dar. Kleine Abweichungen von dieser Fenster-Mitte von ein bis zwei Prozent sind also jeweils in beide Richtungen möglich, bei größeren Parteien auch drei Prozent oder etwas mehr, wobei die Wahrscheinlichkeit, je weiter man sich von der Mitte des Fensters weg bewegt, immer mehr abnimmt und zwar drastisch. Abweichungen von deutlich über fünf oder gar zehn Prozent sind daher nahezu ausgeschlossen. Dies läge weit außerhalb des Fensters.

Dabei sind diese Angaben selbstverständlich keine Zukunftsprognosen, wie die Wähler in elf Wochen votieren werden, sondern wie sie heute votieren würden (empirische Erfassung der Gegenwart).

Derzeit deutet alles auf ein kommendes Dreierbündnis hin

Veränderungen der letzten fünf Wochen

Gegenüber dem 18.07.2021 (kurz nach der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW) haben sich die Wahl-O-Matrix-Werte wie folgt verändert:

  1. SPD: + 4,4 %
  2. AfD: + 0,6 %
  3. FDP: + 0,6 %
  4. Sonstige: + 0,3 %
  5. LINKE: – 0,1 %
  6. GRÜNE: – 1,0 %
  7. CDU/CSU: – 4,8 %

Die Union hat also in den letzten fünf Wochen fast fünf Punkte verloren, die SPD dagegen vier bis fünf dazugewonnen. Bei ca. 7,7 Prozent für sonstige Parteien, die an der Fünfprozent-Hürde scheitern werden, würden ca. 46,2 Prozent der Zweitstimmen für eine Mehrheit der Sitze im Bundestag ausreichen.

Mögliche Regierungskoalitionen

Damit wären zunächst einmal rein rechnerisch folgende Regierungskoalitionen möglich:

  1. Schwarz–RotGelb (Deutschland-Koalition): 56,3 %
  2. Schwarz–GrünGelb (Jamaika-Koalition): 53,9 %
  3. RotGrünGelb (rote Ampel): 50,6 %
  4. RotGrünDunkelrot: 45,5 %
  5. Schwarz–Rot (bisherige Regierungskoalition): 44,3 %
  6. Schwarz–Grün: 41,9 %
  7. GrünRot: 38,6 %
  8. Schwarz–Gelb: 35,8 %

Schwarz-Grün, die lange Zeit eine klare Mehrheit hatten, teilweise von über 56 Prozent, liegen nun also unter 42 Prozent. Die Chancen für ein solches Zweierbündnis (drei Parteien, zwei Fraktionen) werden von Woche zu Woche geringer, da beide Parteien sich in einem massiven Abwärtstrend befinden. Auch die bisherige Regierung aus Schwarz-Rot hätte derzeit keine Mehrheit. Andere Zweier-Konstellationen erreichen nicht mal 40 Prozent. Es spricht also vieles dafür, dass wir Ende des Jahres ein Dreierbündnis bekommen werden. Hierfür gibt es drei realistische Möglichkeiten:

  • eine sogenannten Deutschland-Koalition bestehend aus drei Fraktionen bzw. vier Parteien: CDU/CSU, SPD und FDP oder
  • eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grüne und FDP oder
  • einer Ampel-Koalition (jetzt nicht mehr grüne, sondern rote Ampel, also mit einem SPD-Kanzler): SPD, Grüne und FDP.

Die Konstellation nach der Bundestagswahl wird auf jeden Fall sehr diffizil und für sehr viele Wähler enttäuschend sein

Eine Deutschland-Koalition (CDU/CSU + SPD + FDP), derzeit bei über 56 Prozent, schien bislang deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die SPD kein Interesse haben wird, schon wieder ein Zweckbündnis mit der Union unter einem CDU-Kanzler einzugehen und dann – nun sogar im Zangengriff zwischen CDU/CSU und FDP – womöglich noch mehr verzwergt zu werden. Dies könnte sich allerdings in dem Moment ändern, wenn die SPD bei der Bundestagswahl vor der Union landen wird. Dann könnte nämlich sie den Kanzler stellen in einer solchen Deutschland-Koalition mit Union und FDP, was die Sache deutlich interessanter machen würde. Allerdings bekäme die SPD dann wohl sehr massive Probleme mit der Parteibasis und den Linksradikalen innerhalb der Partei, wie Esken, Kühnert etc. Denn diese würden dann wohl Sturm laufen und die Frage aufwerfen, warum man nicht a) mit den Grünen und der FDP oder b) mit den Grünen und der Linkspartei eine Koalition bildet. Insofern bleibt eine Deutschlandkoalition eher unwahrscheinlich., wenngleich dies Scholz wohl lieber wäre als Rot-Grün-Dunkelrot.

Eine Jamaika-Koaliton, derzeit bei knapp 54 Prozent, wäre auch mit einer sehr schwachen Union möglich. Wenn die SPD aber sehr gut abschneiden sollte bei der Wahl und CDU/CSU sehr schwach, könnte dies den Druck auf die FDP erhöhen, stattdessen in eine Ampel-Koalition, derzeit 50 bis 51 Prozent, einzutreten, weil man dann argumentieren wird, dass die Union mit den höchsten Verlusten der klare Wahlverlierer sei, während die SPD in den letzten Monaten enorm zugelegt habe.

Die FDP dürfte sehr wenig Interesse haben, Annalena Baerbock in einer Ampel-Koalition, zur Bundeskanzlerin zu machen. Falls die SPD aber stärker sein sollte als die Grünen, wonach im Moment alles aussieht, dann sähe die Sache etwas anders aus. Mit einem SPD-Kanzler Scholz könnte sich die FDP unter Umständen arrangieren und dann mit SPD und Grünen, quasi dem gegnerischen Lager, ein Dreierbündnis eingehen, wenngleich dies die FDP gegenüber ihren Wählern in eine sehr schwierige Situation brächte, da viele hier sicherlich nicht Rot-Grün mit einem Anhängsel FDP möchten.

Außerdem besteht die große Gefahr, dass es zu Rot-Grün-Dunkelrot kommen könnte, die derzeit bei ca. 45,5 Prozent stehen, also nur 0,7 Prozent von einer Mehrheit im Parlament entfernt. SPD und Grüne hätten dann also, wenn Rot-Grün-Dunkelrot noch ein klein wenig zulegen kann, noch eine Auswahlmöglichkeit, falls die FDP nicht bereit sein sollte, in eine rote Ampel einzutreten. Dies würde wiederum den Druck auf die FDP erhöhen, weil man dann argumentieren kann, dass ohne die FDP noch Schlimmeres droht für Deutschland. Der FDP könnte also eine sehr wichtige Funktion zukommen nach der Wahl und dies könnte sie zugleich in eine äußerst diffizile Lage bringen. Fest steht wohl schon jetzt, dass sehr viele Wähler nach der Bundestagswahl enttäuscht sein werden von der Partei, die sie wählten, weil diese eine Koalition eingehen muss oder wird, die sie gar nicht wollten. Und die Chancen, dass es für ein Zweierbündnis reichen wird, nach dem 26. September, sind sehr gering.

Die Erhebungen dieser Institute wurden von Wahl-O-Matrix für die Gesamtübersicht ausgewertet

Die neun Umfragen, welche ausgewertet wurden, waren (Kriterium 1: bezogen auf den mittleren Tag der Befragung nicht älter als drei Wochen, Kriterium 2: von jedem Institut immer nur die jeweils aktuellste, sofern nicht verschiedene Erhebungsmethoden vorlagen, ansonsten von jeder Erhebungsmethode die jeweils aktuellste):

  • Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 11.08.2021, telefonische Befragung von 1.252 zufällig ausgewählten Personen,
  • Allensbach (FAZ), mittlerer Tag der Befragung: 11.08.2021, persönlich-mündliche Befragung von 1.018 nach Quotenvorgaben ausgewählten Personen,
  • Forsa (RTL/ntv-Trendbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 13.08.2021, telefonische Befragung von 2.501  zufällig ausgewählten Personen,
  • Kantar/Emnid (FOCUS), mittlerer Tag der Befragung: 14.08.2021, telefonische Befragung von 1.920 zufällig ausgewählten Personen,
  • INSA (BILD), mittlerer Tag der Befragung: 14./15.08.2021, internetbasierte Befragung von 2.080 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
  • Civey (SPIEGEL), mittlerer Tag der Befragung: 14./15.08.2021, netzwerkbasierte Panel-Rekrutierung + Teilnehmerverifizierung + quotierte Stichprobe unverzerrter Antworten + Echtzeitgewichtung, Stichprobe: 10.117 Befragte,
  • Wahlkreis-Prognose, mittlerer Tag der Befragung: 15./16.08.2021, Mixed-Methode aus zufallsbasierter Telefonbefragung (Dual Frame) und milieubasierter Online-Befragung von 2.005 Personen,
  • Infratest dimap (ARD-DeutschlandTrend), mittlerer Tag der Befragung: 17./18..08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.219 Personen,
  • INSA (BILD am Sonntag), mittlerer Tag der Befragung: 18.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.352 Personen.

Wahl-O-Matrix, Deutschlands führendes Meta-Analyse-Tool (von JFB gegründet), das mit seiner Prognose bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wie auch schon bei der NRW-Wahl, mit 0,76 Prozent mittlerer Abweichung erneut näher am Ergebnis lag als sämtliche Umfrageinstitute (in Rheinland-Pfalz am drittnächsten, bei der EU-Wahl ebenfalls am drittnächsten und bei der Bundestagswahl am zweitnächsten) hat damit eine sehr breite Datenbasis von insgesamt 23.464 Befragten.

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