Von Jürgen Fritz, So. 15. Aug 2021, Titelbild: © JFB
Sechs Wochen vor der Bundestagswahl verdüstert sich das Bild für CDU/CSU immer mehr. Lagen diese im Juni 2020 noch bei fast 40 Prozent und vor einem Monat noch bei knapp 30, so fällt die Union nun im Wahl-O-Matrix-Mittel aller Institute sogar unter 25 Prozent. Profitieren können davon aber nicht die Grünen, sondern immer mehr die SPD, welche die Grünen jetzt fast eingeholt hat.
Laschet und Baerbock fallen seit vielen Wochen immer tiefer, Scholz profitiert von der immensen Schwäche seiner Kontrahenten
Der Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung der letzten Monate und speziell der letzten vier Wochen dürfte in den jeweiligen Spitzenkandidaten zu suchen sein. Während Olaf Scholz ganz anders als seine Partei als Kanzlerkandidat keine schlechte Figur macht, vor allem im Vergleich zu seinen beiden Kontrahenten, ziehen diese ihre Parteien zunehmend mit nach unten. Ich habe in den letzten Monaten mehrfach erläutert und aufgezeigt, wie gering das Ansehen von Armin Laschet (CDU) und von Annalena Baerbock (Die Grünen) ist, zuletzt hier nochmals ausführlich. Dabei setzt sich der Trend fort und scheint sich sogar noch zu verstärken, dass die Personen das Ansehen ihrer Parteien stark beeinflussen. Kurzum: Laschet zieht die gesamte Union massiv nach unten und Baerbock, welche die Grünen bereits maßgeblich von fast 27 auf knapp über 19 Prozent herunter gezogen hat, schafft es nicht, dass ihre Partei von dieser enormen Schwäche der Union profitiert und wenigstens wieder über 20 Prozent kommt. Stattdessen ist die SPD der lachende Dritte, der gar nicht sehr viel zu tun braucht und von den reihenweisen Patzern von Laschet und Baerbock deutlich profitiert.
Laut Forsa (RTL/ntv-Trendbarometer vom 11.08.2021, Befragung vom 03.08. bis 09.08.2021) wollen nur noch 12 Prozent der Wahlberechtigten Laschet als Kanzler (– 3) und nur 16 Prozent Baerbock (– 2, absoluter Tiefpunkt), während die Zustimmungswerte von Scholz deutlich angestiegen sind auf jetzt 26 Prozent (+5).

RTL/ntv-Trendbarometer vom 11.08.2021 (Befragung vom 03.08. bis 09.08.2021)
Laut Civey (SPIEGEL) sind 51 Prozent dafür, dass der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder Armin Laschet als Unionskanzlerkandidat ersetzt. Bei den CDU/CSU-Anhängern sind es sogar 70 Prozent.

SPIEGEL-Screenshot
Und bei Forschungsgruppe Wahlen (ZDF Politbarometer vom 13.08.2021, Befragung vom 10.08. bis 12.08.2021) stürzen bei der Frage „Wen hätten Sie am liebsten als Bundeskanler/in“, wenn nur die drei Kanzlerkandidaten zur Auswahl gestellt werden, sowohl Laschet als auch Baerbock auf den niedrigsten Stand, nämlich Laschet auf 21 Prozent (– 8) und Baerbock auf 16 Prozent (– 4). Scholz dagegen steigt auch hier weiter auf jetzt 44 Prozent (+ 10). Das heißt, Laschet und Baerbock kommen zusammen auf deutlich weniger Stimmen als Scholz alleine: 37-44 Prozent.

ZDF Politbarometer-Screenshot
Das Verrückte dabei ist, dass die CDU (gegen ihre Schwesterpartei CSU) und die Grünen ausgerechnet die beiden als Kanzlerkandidaten nominiert hat, welche von den zehn wichtigsten Politikern in Deutschland mit Abstand das geringste Ansehen haben und nicht Söder (CSU) und Habeck (Die Grünen), die ein ähnlich hohes Ansehen genießen wie Scholz:

Wahlen.de-Screenshot
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt in der Kanzlerfrage ganz aktuell (Samstagabend, 14.08.2021, Befragung vom 09.08. bis 13.08.2021) INSA. Auch hier kommen Laschet und Baerbock zusammen auf weniger Stimmen als Scholz alleine: 28-29 Prozent. Laschet kann sich minimal auf 15 Prozent verbessern (+1), Baerbock bleibt mit 13 Prozent Letzte.

Wahlen.de-Screenshot
Und diese miserable Performance von Laschet und Baerbock und das zumindest passable Auftreten von Scholz wirkt sich natürlich auch auf die Zustimmung zu den Parteien der drei Kanzlerkandidaten aus.
So würde Deutschland sechs Wochen vor der Bundestagswahl votieren
Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute, die – bezogen auf den mittleren Tag der Befragung – in den letzten drei Wochen repräsentative Erhebungen durchführten. Aktuell liegen acht Umfragen von sieben verschiedenen großen Meinungsforschungs-Instituten vor, die diese Kriterien erfüllen. INSA veröffentlich inzwischen jede Woche zwei verschiedene Erhebungen, einmal eine reine Online-Befragung von ca 2.000 bis 2.100 Personen und einmal eine Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von ca. 1.200 bis 2.000 Personen. Aufgeführt ist für jede Partei der niedrigste und der höchste Wert dieser acht einbezogenen Befragungen (immer nur die aktuellste) sowie fettgedruckt das arithmetische Wahl-O-Matrix-Mittel aller acht Werte.
- CDU/CSU: 22 – 27 % ==> 24,9 %
- GRÜNE: 17,5 – 21 % ==> 19,3 %
- SPD: 17,5 – 20 % ==> 18,6 %
- FDP: 10 – 12,5 % ==> 11,7 %
- AfD: 10 – 11,5 % ==> 10,8 %
- LINKE: 6 – 7 % ==> 6,8 %
- Sonstige: 7 – 9 % ==> 7,9 %

(c) JFB
Erläuterung: Diese Werte sind so zu verstehen, dass es für jede Partei bzw. für jede Bundestagsfraktion ein Fenster gibt, innerhalb dessen sie derzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läge. Die aufgeführten Zahlen stellen die Mitte dieses Fensters dar. Kleine Abweichungen von dieser Fenster-Mitte von ein bis zwei Prozent sind also jeweils in beide Richtungen möglich, bei größeren Parteien auch drei Prozent oder etwas mehr, wobei die Wahrscheinlichkeit, je weiter man sich von der Mitte des Fensters weg bewegt, immer mehr abnimmt und zwar drastisch. Abweichungen von deutlich über fünf oder gar zehn Prozent sind daher nahezu ausgeschlossen. Dies läge weit außerhalb des Fensters.
Dabei sind diese Angaben selbstverständlich keine Zukunftsprognosen, wie die Wähler in elf Wochen votieren werden, sondern wie sie heute votieren würden (empirische Erfassung der Gegenwart).
Schwarz-Grün hat keine Mehrheit mehr
Veränderungen der letzten drei bis vier Wochen
Gegenüber dem 18.07.2021 haben sich die Wahl-O-Matrix-Werte wie folgt verändert:
- SPD: + 2,5 %
- Sonstige: + 0,5 %
- AfD: + 0,4 %
- FDP: + 0,3 %
- GRÜNE: + 0,2 %
- LINKE: – 0,2 %
- CDU/CSU: – 3,7 %
Bei ca. 7,9 Prozent für sonstige Parteien, die an der Fünfprozent-Hürde scheitern werden, würden ca. 46,1 Prozent der Zweitstimmen für eine Mehrheit der Sitze im Bundestag ausreichen. Damit wären zunächst einmal rein rechnerisch folgende Regierungskoalitionen möglich:
- Schwarz–Grün–Gelb (Jamaika): 55,9 %
- Schwarz–Rot–Gelb (Deutschland-Koalition): 55,2 %
- Grün–Rot–Gelb (Ampel): 49,6 %
- Grün–Rot–Dunkelrot: 44,7 %
- Schwarz–Grün: 44,2 %
- Schwarz–Rot (bisherige Regierungskoalition): 43,5 %
- Grün–Rot: 37,9 %
- Schwarz–Gelb: 36,6 %
Damit hat also Schwarz-Grün mit ca. 44,2 Prozent keine Mehrheit mehr. Es ist genau das eingetreten, was ich bereits am 18. Juli angedeutet hatte. Eine Mehrheit der Sitze im Bundestag wäre nur noch mit einer Dreierkombination möglich, sei es
- Jamaika (vier Parteien: CDU, CSU, Grüne, FDP),
- einer sogenannten Deutschland-Koalition (CDU, CSU, SPD, FDP) oder
- einer Ampel-Koalition (Grüne, SPD, FDP).
Es wird immer brenzliger für CDU/CSU
Eine Deutschland-Koalition (CDU/CSU + SPD + FDP) scheint deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die SPD kein Interesse haben wird, schon wieder ein Zweckbündnis mit der Union einzugehen und dann – nun sogar im Zangengriff zwischen CDU/CSU und FDP – womöglich noch mehr verzwergt zu werden. Sie sehnt sich offensichtlich danach, endlich wieder in die Opposition gehen zu können, wenn sie schon nicht selbst den Kanzler stellen kann. Die Aussichten darauf, selbst die Regierung innerhalb einer Ampel-Koalition (rote statt grüne Ampel) anzuführen, werden nun aber dank der Schwäche der grünen Kanzlerkandidatin von Woche zu Woche besser.
Grün-Rot-Gelb oder Rot-Grün-Gelb, also eine Ampel-Koalition, hätte im Moment mit ca. 49,6 Prozent eine recht klare Parlaments-Mehrheit (bereits um die 46,1 Prozent der Stimmen würden reichen). Es stellt sich allerdings weiter die Frage, ob die FDP an so einer Koalition Interesse haben wird, wenn die Grünen stärker sind als die SPD. Denn die FDP wird kaum Annalena Baerbock zur Kanzlerin machen wollen, wenn sie dagegen auch mit der CDU/CSU und den Grünen eine Jamaika-Koalition bilden kann. Das ist offensichtlich auch das Ziel der FDP, wie Christian Lindner Ende Juli sehr deutlich machte.
Sollte die SPD aber vor den Grünen liegen, dann böte sich für die FDP eine rote Ampel mit Olaf Scholz als Kanzler als zweite Option neben Jamaika an. Dies könnte jetzt allmählich immer gefährlicher werden für die Union, denn dass die FDP diesen Sprung hin zu einer SPD-geführten Regierung macht, erscheint deutlich weniger unwahrscheinlich.
Fazit: Es wird nun immer brenzliger für CDU/CSU. Sollten sie noch weiter fallen und die SPD noch weiter steigen, könnte die Union doch noch auf den Oppositionsbänken landen. Außerdem besteht die Gefahr, dass bei einer immer stärker werdenden SPD auch Rot-Grün-Dunkelrot eine Option werden könnte.
Die Erhebungen dieser Institute wurden von Wahl-O-Matrix für die Gesamtübersicht ausgewertet
Die acht Umfragen, welche ausgewertet wurden, waren (Kriterium 1: bezogen auf den mittleren Tag der Befragung nicht älter als drei Wochen, Kriterium 2: von jedem Institut immer nur die jeweils aktuellste, sofern nicht verschiedene Erhebungsmethoden vorlagen, ansonsten von jeder Erhebungsmethode die jeweils aktuellste):
- Ipsos, mittlerer Tag der Befragung: 26.07.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 2.002 Personen,
- Infratest dimap (ARD-DeutschlandTrend), mittlerer Tag der Befragung: 03.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.312 Personen,
- Forsa (RTL/ntv-Trendbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 06.08.2021, telefonische Befragung von 2.509 zufällig ausgewählten Personen,
- Kantar (FOCUS), mittlerer Tag der Befragung: 07.08.2021, telefonische Befragung von 1.446 zufällig ausgewählten Personen,
- INSA (BILD), mittlerer Tag der Befragung: 07./08.08.2021, internetbasierte Befragung von 2.118 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
- Civey (SPIEGEL), mittlerer Tag der Befragung: 07./08.08.2021, netzwerkbasierte Panel-Rekrutierung + Teilnehmerverifizierung + quotierte Stichprobe unverzerrter Antworten + Echtzeitgewichtung, Stichprobe: 10.116 Befragte,
- Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 11.08.2021, telefonische Befragung von 1.252 zufällig ausgewählten Personen,
- INSA (BILD am Sonntag), mittlerer Tag der Befragung: 11.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.450 Personen.
Wahl-O-Matrix, Deutschlands führendes Meta-Analyse-Tool (von JFB gegründet), das mit seiner Prognose bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wie auch schon bei der NRW-Wahl, mit 0,76 Prozent mittlerer Abweichung erneut näher am Ergebnis lag als sämtliche Umfrageinstitute (in Rheinland-Pfalz am drittnächsten, bei der EU-Wahl ebenfalls am drittnächsten und bei der Bundestagswahl am zweitnächsten) hat damit eine sehr breite Datenbasis von insgesamt 22.205 Befragten.
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