Schwarz-Grün hat keine Mehrheit mehr

Von Jürgen Fritz, Mi. 11. Aug 2021, Titelbild: © JFB

Sechseinhalb Wochen noch bis zur Bundestagswahl. Seit Ende 2018 deutete alles auf eine kommende schwarz-grüne Koalition hin, hatten CDU/CSU und Grüne zusammen fast immer eine klare Mehrheit von zeitweise über 56 Prozent. Doch nun ziehen die beiden Kanzlerkandidaten von CDU und den Grünen, Armin Laschet und Annalena Baerbock, ihre Parteien so weit nach unten, dass Schwarz-Grün nur noch bei ca. 45 Prozent liegt.

Laschet und Baerbock fallen seit vielen Wochen immer tiefer, Scholz profitiert von der immensen Schwäche seiner Kontrahenten

Sämtliche Umfragen zeigen seit vielen Wochen, wie unzufrieden die Bevölkerung mit den beiden Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Annalena Baerbock ist, für wenig sie diese beiden geeignet halten, Deutschland als Regierungschef/in zu führen. Bei Infratest dimap (ARD) kamen Laschet und Baerbock Anfang August (Erhebung: 02.-04.08.2021, Veröffentlichung am 05.08.2021) gerade noch auf 20 (– 8) bzw. 16 Prozent (–2), Scholz dagegen auf nun 35 Prozent (+6):

2021-08-05-Deutschlandtrend

ARD-Screenshot

Bei INSA kam Laschet in der K-Frage am 06.08.2021 nur auf 14 Prozent, nur gut halb so viel wie Scholz. Hier lag Baerbock sogar noch hinter Laschet auf dem letzten Platz mit nur 13 Prozent:

2021-08-07-INSA

Wahlen.de-Screenshot

Forsa: Nur noch 12 Prozent der Wahlberechtigten wollen Laschet als Kanzler und nur 16 Prozent Baerbock (absoluter Tiefpunkt)

Heute veröffentliche nunt das RTL/ntv-Trendbarometer neue Zahlen, erhoben von Forsa, und diese sind nur das Ende einer langen Reiche. Demnach käme Armin Laschet in der Kanzlerfrage, wenn die Bürger den Regierungschef direkt wählen dürften, gerade noch auf 12 Prozent, stürzt damit von Woche zu Woche immer weiter ab.

Ähnliches gilt für Annalena Baerbock, die im RTL/ntv-Trendbarometer mit jetzt nur 16 Prozent einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Nicht mal jeder Achte würde Laschet wählen, nicht mal jeder Sechste Baerbock.

Ganz anders sieht es dagegen beim Kandidaten der SPD aus. Olaf Scholz käme aktuelle auf 26 Prozent (+5). Mehr als jeder Vierte würde also Scholz zum Bundeskanzler wählen, wenn er nur diese drei Kandidaten zur Auswahl hätte. Das zeigt, dass die SPD mit der Auswahl ihres Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl auf jeden Fall keinen Fehler machte, ganz im Gegensatz zu CDU/CSU und den Grünen.

K-Frage-Laschet-Baerbock-Scholz

RTL/ntv-Trendbarometer-Screenshot

Nicht mal 4 von 10 Unions-Anhängern würden Laschet wählen

Besonders schockierend dabei: Nur 39 Prozent der Unions-Anhänger würden derzeit den CDU-Chef zum Kanzler wählen, nicht einmal 4 von 10. Und von den Unions-Wählern von 2017 würden sogar nur 24 Prozent Laschet ihre Stimme geben, nicht mal jeder Vierte der ehemaligen CDU/CSU-Wähler.

Zum Vergleich: Von den SPD-Anhängern würden immerhin 72 Prozent Scholz wählen. Auch das ist zwar nicht sehr viel, aber immerhin deutlich mehr als 39 Prozent. Selbst die extrem schwache Kandidatin der Grünen könnte zumindest eine knappe Mehrheit von 59 Prozent der Grünen-Anhänger hinter sich bringen. Auch das ist natürlich extrem wenig, aber immerhin noch 20 Punkte mehr als Laschet bei den CDU/CSU-Anhängern.

Noch deutlicher wird die katastrophale Entwicklung der Union und ihres Kandidaten, wenn wir uns den Verlauf der Forsa-Erhebungen bezüglich der K-Frage ansehen. Während es für Laschet und Baerbock immer weiter nach unten geht, kann Scholz seit vielen Wochen immer mehr zulegen und liegt nur 10 Punkte vor Baerbock. Laschet kommt nunmehr nicht mal auf halb so hohe Werte wie Scholz.

K-Frage-Entwicklung

RTL/ntv-Trendbarometer-Screenshot

Söder käme in der Kanzlerfrage auf 40 Prozent, doppelt so viel wie Scholz und drei- bis viermal so viel wie Baerbock

Ganz anders sähe des dagegen mit einem Unions-Kanzlerkandidaten Markus Söder aus. Hätten die Wahlberechtigten die Möglichkeit, den Bundeskanzler direkt zu bestimmen und hätten die Auswahl zwischen Baerbock, Scholz und Söder, so käme der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident mit 40 Prozent auf doppelt so hohe Werte wie Scholz und drei- bis viermal so viel Zustimmung wie Baerbock. Söder könnte also ganz anders als Laschet und Baerbock sogar Stimmen von den Wählern anderer Parteien auf sich ziehen, während die beiden zuvor Genannten nicht einmal die Wähler der eigenen Parteien für sich gewinnen könnten.

27 Prozent der Wähler anderer Parteien als der Union können sich vorstellen, Söder zum Kanzler zu wählen:

  • 44 Prozent der FDP-Wähler,
  • 39 Prozent der Unentschlossenen und
  • 55 Prozent der Unions-Wähler von 2017, die derzeit nicht mehr CDU oder CSU wählen wollen.
Baerbock-Scholz-Söder

RTL/ntv-Trendbarometer-Screenshot

59 Prozent der CDU- und 64 Prozent der CSU-Anhänger fänden es richtig, wenn Laschet die Kanzlerkandidatur Söder überlassen würde

Auch bei der Frage nach der Verantwortung für die schlechten Werte von CDU/CSU haben die Bürger eine ganz klare Auffassung und sagen: Nein, daran ist nicht primär Markus Söder schuld, sondern der CDU-Vorsitzende und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. 68 Prozent der Wahlberechtigten sind dieser Auffassung, unter den Anhängern der CDU sehen sogar 80 Prozent die Verantwortung bei Laschet (nur 8 Prozent bei Söder) und bei den CSU-Anhängern sind es sogar 90 Prozent, die primär Laschet für die schlechte Performance der Union verantwortlich machen.

verantwortlich für Umfragetief der Union

RTL/ntv-Trendbarometer-Screenshot

Damit stellt sich die Frage: Wünschen sich denn die Wähler, dass Armin Laschet als Kanzlerkandidat gegen Markus Söder ausgetauscht wird, der ja explizit sagte und auch darum kämpfte, der gemeinsame Kandidat von CDU und CSU zu werden? Die Antwortet lautet: Ja, das wünsche sie sich. Nur gut jeder dritte Wahlberechtigte (35 Prozent) fände es gut, wenn die Union an Laschet festhielte, 50 Prozent sprechen sich dagegen für einen Austausch des Kandidaten aus:

Laschet auswechseln

RTL/ntv-Trendbarometer-Screenshot

Selbst bei den Wahlberechtigten aus Nordrhein-Westfalen, Laschets eigenem Heimat-Bundesland, wo er seit 2017 als Ministerpräsident regiert, finden 49 Prozent, Laschet solle sich zurückziehen (nur 36 Prozent meinen, er sollte weitermachen). Noch deutlicher sieht es bei den Unionswählern aus: 59 Prozent der CDU-Anhänger und 64 Prozent der CSU-Anhänger fänden es richtig, wenn Laschet die Kanzlerkandidatur Söder überlassen würde.

Civey: 70 Prozent der Unions-Anhänger

Zu ähnlichen Zahlen kommt Civey in der heute im SPIEGEL veröffentlichen Umfrage. Demnach sagen 51 Prozent aller Wahlberechtigten, dass sie es richtig fänden, wenn Markus Söder Armin Laschet als Unionskanzlerkandidat ersetzen würde:

Söder führt

SPIEGEL-Screenshot

Noch deutlicher fällt das Votum bei den CDU/CSU-Anhängern aus. Hier sind sogar 70 Prozent für eine Auswechslung des Kanzlerkandidaten der Union durch Markus Söder:

Laschet unbeliebt bei Unions-Wählern

SPIEGEL-Screenshot

Und diese Zahlen, diese Zufriedenheit respektive Unzufriedenheit mit den Spitzenkandidaten hat natürlich auch Einfluss auf die Zustimmungswerte der Parteien.

So würde Deutschland sechseinhalb Wochen vor der Bundestagswahl votieren

Angegeben ist für jede Partei der Wahl-O-Matrix-Mittelwert aller Institute, die – bezogen auf den mittleren Tag der Befragung – in den letzten drei Wochen repräsentative Erhebungen durchführten. Aktuell liegen zehn Umfragen von neun verschiedenen großen Meinungsforschungs-Instituten vor, die diese Kriterien erfüllen. INSA veröffentlich inzwischen jede Woche zwei verschiedene Erhebungen, einmal eine reine Online-Befragung von ca 2.000 bis 2.100 Personen und einmal eine Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von ca. 1.200 bis 2.000 Personen. Aufgeführt ist für jede Partei der niedrigste und der höchste Wert dieser neun einbezogenen Befragungen (immer nur die aktuellste) sowie fettgedruckt das arithmetische Wahl-O-Matrix-Mittel aller sieben Werte.

  1. CDU/CSU: 22 – 30 % ==> 26,0 %
  2. GRÜNE: 16 – 21 % ==> 19,1 %
  3. SPD: 1519 % ==> 17,5 %
  4. FDP: 1012,5 % ==> 11,7 %
  5. AfD: 1012 % ==> 10,8 %
  6. LINKE: 68 % ==> 6,9 %
  7. Sonstige: 7 – 9 % ==> 8,0 %
2021-08-11

(c) JFB

Erläuterung: Diese Werte sind so zu verstehen, dass es für jede Partei bzw. für jede Bundestagsfraktion ein Fenster gibt, innerhalb dessen sie derzeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit läge. Die aufgeführten Zahlen stellen die Mitte dieses Fensters dar. Kleine Abweichungen von dieser Fenster-Mitte von ein bis zwei Prozent sind also jeweils in beide Richtungen möglich, bei größeren Parteien auch drei Prozent oder etwas mehr, wobei die Wahrscheinlichkeit, je weiter man sich von der Mitte des Fensters weg bewegt, immer mehr abnimmt und zwar drastisch. Abweichungen von deutlich über fünf oder gar zehn Prozent sind daher nahezu ausgeschlossen. Dies läge weit außerhalb des Fensters.

Dabei sind diese Angaben selbstverständlich keine Zukunftsprognosen, wie die Wähler in elf Wochen votieren werden, sondern wie sie heute votieren würden (empirische Erfassung der Gegenwart).

Schwarz-Grün hat keine Mehrheit mehr

Veränderungen der letzten drei bis vier Wochen

Gegenüber dem 18.07.2021 haben sich die Wahl-O-Matrix-Werte wie folgt verändert:

  1. SPD: + 1,4 %
  2. Sonstige: + 0,6 %
  3. AfD: + 0,4 %
  4. FDP: + 0,3 %
  5. GRÜNE:
  6. LINKE: – 0,1 %
  7. CDU/CSU: – 2,6 %

Bei ca. 8 Prozent für sonstige Parteien, die an der Fünfprozent-Hürde scheitern werden, würden ca. 46,1 Prozent der Zweitstimmen für eine Mehrheit der Sitze im Bundestag ausreichen. Damit wären zunächst einmal rein rechnerisch folgende Regierungskoalitionen möglich:

  1. Schwarz–GrünGelb (Jamaika): 56,8 %
  2. Schwarz–RotGelb (Deutschland-Koalition): 55,2 %
  3. GrünRotGelb (grüne Ampel): 48,3 %
  4. Schwarz–Grün: 45,1 %
  5. Schwarz–Rot (bisherige Regierungskoalition): 43,5 %
  6. GrünRotDunkelrot: 43,5 %
  7. Schwarz–Gelb: 37,7 %
  8. GrünRot: 36,6 %

Damit hat also Schwarz-Grün mit ca. 45,1 Prozent keine Mehrheit mehr. Es ist genau das eingetreten, was ich bereits am 18. Juli angedeutet hatte. Eine Mehrheit der Sitze im Bundestag wäre nur noch mit einer Dreierkombination möglich, sei es Jamaika (vier Parteien: CDU, CSU, Grüne, FDP), einer sogenannten Deutschland-Koalition (CDU, CSU, SPD, FDP) oder einer grünen Ampel ((Grüne, SPD, FDP).

Vieles deutet auf eine Jamaika-Koalition hin, welche den Einfluss sowohl der Union, vor allem aber der Grünen schwächen würde

Eine Deutschland-Koalition (CDU/CSU + SPD + FDP) scheint deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die SPD kein Interesse haben wird, schon wieder ein Zweckbündnis mit der Union einzugehen und dann – nun sogar im Zangengriff zwischen CDU/CSU und FDP – womöglich noch mehr verzwergt zu werden. Sie sehnt sich offensichtlich danach, endlich wieder in die Opposition gehen zu können, wenn sie schon nicht selbst den Kanzler stellen kann. Und die Aussichten darauf, selbst die Regierung anzuführen, sind trotzt der passablen Zustimmungswerte ihres Spitzenkandidaten mit ca. 17,5 Prozent für die Partei doch eher gering.

Grün-Rot-Gelb, eine grüne Ampel, hätte im Moment mit ca. 48,3 Prozent eventuell knapp eine Parlaments-Mehrheit, aber die FDP wird an so einer Koalition wenig Interesse haben, Annalena Baerbock zur Kanzlerin zu machen, wenn sie dagegen auch mit der CDU/CSU und den Grünen eine Jamaika-Koalition bilden kann. Das ist offensichtlich das Ziel der FDP, wie Christian Lindner Ende Juli sehr deutlich machte.

Insofern deutet momentan alles auf eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, Grüne und FDP hin. Die Schwäche der Union hätte somit auch Nachteile für die Grünen, die dann nicht eine von drei Parteien (drei Fraktionen) in der Bundesregierung wären, sondern nur eine von vieren (drei Fraktionen), was ihre Position schwächen würde.

Die Erhebungen dieser Institute wurden von Wahl-O-Matrix für die Gesamtübersicht ausgewertet

Die neun Umfragen, welche ausgewertet wurden, waren (Kriterium 1: bezogen auf den mittleren Tag der Befragung nicht älter als drei Wochen, Kriterium 2: von jedem Institut immer nur die jeweils aktuellste, sofern nicht verschiedene Erhebungsmethoden vorlagen, ansonsten von jeder Erhebungsmethode die jeweils aktuellste):

  • GMS, mittlerer Tag der Befragung: 24.07.2021, telefonische Befragung von 1.003  zufällig ausgewählten Personen,
  • YouGov, mittlerer Tag der Befragung: 24./25.07.2021, internetbasierte Befragung von 1.748 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
  • Ipsos, mittlerer Tag der Befragung: 26.07.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 2.002 Personen,
  • Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 28.07.2021, telefonische Befragung von 1.268 zufällig ausgewählten Personen,
  • Infratest dimap (ARD-DeutschlandTrend), mittlerer Tag der Befragung: 03.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 1.312 Personen,
  • INSA (BILD am Sonntag), mittlerer Tag der Befragung: 04.08.2021, Mix–Befragung per Telefon und per Online-Panel von 2.002 Personen
  • Forsa (RTL/ntv-Trendbarometer), mittlerer Tag der Befragung: 06.08.2021, telefonische Befragung von 2.509  zufällig ausgewählten Personen,
  • Kantar (FOCUS), mittlerer Tag der Befragung: 07.08.2021, telefonische Befragung von 1.446 zufällig ausgewählten Personen,
  • INSA (BILD), mittlerer Tag der Befragung: 07./08.08.2021, internetbasierte Befragung von 2.118 gezielt ausgewählten Mitgliedern einer Personengruppe (Befragten-Pool),
  • Civey (SPIEGEL), mittlerer Tag der Befragung: 07./08.08.2021, netzwerkbasierte Panel-Rekrutierung + Teilnehmerverifizierung + quotierte Stichprobe unverzerrter Antworten + Echtzeitgewichtung, Stichprobe: 10.116 Befragte.

Wahl-O-Matrix, Deutschlands führendes Meta-Analyse-Tool (von JFB gegründet), das mit seiner Prognose bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, wie auch schon bei der NRW-Wahl, mit 0,76 Prozent mittlerer Abweichung erneut näher am Ergebnis lag als sämtliche Umfrageinstitute (in Rheinland-Pfalz am drittnächsten, bei der EU-Wahl ebenfalls am drittnächsten und bei der Bundestagswahl am zweitnächsten) hat damit eine sehr breite Datenbasis von insgesamt 25.524 Befragten.

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