Manifest der Initiative Humanismus: für Menschen gegen Dogmen

Von Initiative Humanismus, Fr. 26. Jun 2020, Titelbild: Pixabay, CC0 Public Domain

„Während wir technologisch im 21. Jahrhundert stehen, sind unsere Weltbilder noch von Jahrtausende alten Legenden geprägt. Diese Kombination von höchstem technischen Know-how und naivstem Kinderglauben könnte auf Dauer fatale Konsequenzen haben. Wir verhalten uns wie Fünfjährige, denen die Verantwortung über einen Jumbojet übertragen wurde“, schrieb Michael Schmidt-Salomon 2005 in seinem Manifest des evolutionären Humanismus im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung. Der rationale Glaube an die Wissenschaft dürfe nicht mit Wissenschaftsgläubigkeit verwechselt werden und jenseits von Fundamentalismus und Beliebigkeit müsse eine Leitkultur „Humanismus und Aufklärung“ entwickelt werden, so Schmidt-Salomon. Eine weiteres Manifest wurde von der Gruppe Initiative Humanismus verfasst. Dieses soll hier vorgestellt werden.

Vorwort

Dieses Manifest ist keinesfalls als Handlungsanleitung im Sinne einer To-do-Liste zu verstehen, da dies als Zwang empfunden werden könnte. Ein Humanist würde sich niemals autoritativen Geboten unterwerfen, da er als Individuum selbst entscheidet, was für ihn wichtig und richtig ist. Das Manifest ist daher eine knappe Beschreibung und Darstellung dessen, was humanistische Lebensauffassung beinhaltet, so dass sich auch Außenstehende, die nicht selten falsche Vorstellungen vom Humanismus haben, informieren und gegebenenfalls diese Grundauffassungen ganz oder teilweise für ihr eigenes Leben adaptieren können.

1. Dem Menschen Mensch sein

Humanisten sind auf der ständigen Suche nach Antworten auf die Frage: Wie kann der Mensch dem Menschen Mensch sein? Sie bauen dabei auf die natürliche, durch die Evolution entwickelte Ethik, die in allen Kulturen in mehr oder weniger großem Umfang vorgefunden wird, und lehnen es ab, sich auf dogmatische religiöse Anweisungen oder politische Ideologien zu berufen. Ihr Wegweiser sind vielmehr Vernunft und Wissenschaft.

2. Die Menschenrechte gelten ausnahmslos für alle Menschen

Humanisten respektieren ihr Gegenüber als ebenso empfindenden und Rechte beanspruchenden Menschen, unabhängig von dessen weltanschaulicher Überzeugung. Sie  gehen davon aus, dass Andersdenkende dieselbe Toleranz entgegenbringen und nicht versuchen, sie mit missionarischem Eifer oder gar mit Gewalt von ihren Einstellungen abzubringen. Gegen Intoleranz darf es allerdings keine Toleranz geben. Humanisten respektieren alle Mitmenschen unabhängig von deren biologischen Merkmalen oder sexuellen Orientierungen.

3. Tiere sind fühlende Mitlebewesen

Humanisten akzeptieren auch die nichtmenschlichen Wesen der sie umgebenden Natur, die ebenso mit Empfinden für Schmerz und Freude am Wohlbefinden ausgestattet sind, so dass Humanisten sich verpflichtet fühlen, sie so behutsam wie möglich zu behandeln. Der Mensch ist weder das „Ebenbild Gottes“ noch die „Krone der Schöpfung“, sondern eine evolutionär entstandene Art unter vielen. Aufgrund seiner Intelligenz verfügt er über mehr Macht als die anderen Tierarten. Daraus folgt allerdings nicht, dass das Wohl und Leid derselben weniger zählte, denn physische und geistige Schwächen sind kein Abwertungsgrund.

4. Sozialkompetenzen machen den Menschen zum Menschen

Humanisten wissen, dass die grundlegenden sozialen Kompetenzen des Menschen – wie Hilfsbereitschaft, Verantwortungsgefühl, Kooperationsfähigkeit und Altruismus– sowohl eine genetische wie auch darüber hinaus eine hormonelle Basis haben. Sie sind deshalb in ihren materiellen Grundlagen wissenschaftlich erforschbar, begründbar und kulturell weiter entwickelbar. Das gilt ebenso auch für die am wenigsten sozialen Eigenschaften des Menschen wie die Fähigkeiten zu lügen, zu betrügen, Bosheiten und Verbrechen zu begehen.

5. „Gut“ und „Böse“ haben keine metaphysischen Bezugspunkte

Humanisten lehnen den Anspruch der Religionen auf ein Moralmonopol ab. Humanisten vertreten eine säkulare, das heißt auf Vernunftgründen basierende Ethik. Die Annahme „Ohne Gott sei alles erlaubt“ ist genauso ein Trugschluss wie die Annahme, „Mit Gott sei alles moralisch.“ Ersteres wird durch die Wissenschaft und die Lebenspraxis von Millionen Menschen widerlegt, letzteres wird durch die Religionsgeschichte und die jüngere Vergangenheit so offensichtlich Lügen gestraft, dass auf Beispiele hier verzichtet werden kann. Bemerkenswert ist: Überwiegend nichtreligiöse Gesellschaften wie zum Beispiel Schweden sind auffällig häufig wesentlich menschenfreundlicher gestaltet in ihren Sozialsystemen als eher religiöse Gesellschaften wie zum Beispiel die USA.

6. Der Mensch ist das Maß aller Dinge

Für Humanisten ist der Mensch ein selbstbestimmtes und zugleich soziales Wesen, das sich frei macht von metaphysischen Moralvorstellungen einer nur behaupteten Instanz über ihm, und das sich in seinen moralisch-ethischen Entscheidungen unmittelbar an den Interessen und Bedürfnissen der Mitmenschen orientiert. Interessenkonflikte zwischen Menschen werden nach den Kriterien „fair“ und „unfair“ gelöst, bei der Bewertung wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen ist allein die Frage maßgeblich, ob diese der langfristigen Verbesserung der Lebensqualität des Menschen dienen, nicht jedoch, ob damit ein religiöses Gesetz verletzt wird.

7. Religion und Weltanschauung sind Privatsache

Humanisten gründen ihre Anschauungen ganz wesentlich auf ein wissenschaftlich ausgerichtetes Bild von der Welt und lehnen es daher konsequent ab, selbsternannten Priester- oder Schamanenkasten mit ihren metaphysischen Orientierungen zu folgen. Eine solche Einstellung verlangt einen religiös neutralen Staat, der die weltanschaulichen Ansichten seiner Bürger weitestgehend als Privatsache betrachtet und der keine Religionsgemeinschaft bevorzugt oder gar finanziell unterstützt.

8. Keine religiöse Indoktrination an Schulen

Humanisten leben ihr humanistisches Weltbild als Leitbild, aber ohne missionarischen Eifer. Sie lehnen aus diesem Grunde auch indoktrinierenden Unterricht an Schulen ab, wie er derzeit als Religionsunterricht im Kindesalter und teilweise als religiös interpretierter Biologieunterricht angeboten wird, weil ein solcher Unterricht eher spaltet statt zu einen. Auf diese Weise wird Abneigung und im schlimmsten Falle Hass auf den Andersgläubigen erzeugt, wo eigentlich ein friedliches Miteinander in einer kulturell zunehmend vielfältiger werdenden Welt angesagt wäre. Manche Humanisten treten deshalb für die flächendeckende Einrichtung eines Unterrichtsfachs ein, in dem Werte und Normen vermittelt werden sollen. Andere lehnen diese Art der Vermittlung ab und bevorzugen die Nutzung des auszubauenden Geschichts- oder Philosophieunterrichts zum Vergleich unterschiedlicher weltanschaulicher Positionen

9. Wissenschaftsorientiertes Denken ist ergebnisoffen

Humanisten fühlen sich der Vernunft und der Wissenschaft verpflichtet, die sie als tragende Säulen ihrer Weltanschauung auffassen. Neue Fakten aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse verändern laufend unser Verständnis von der Welt und vom Menschen und damit unser Weltbild. Da Humanisten keine absoluten Wahrheiten vertreten, sind deshalb immer wieder Anpassungen an die sich verändernden Gegebenheiten vorzunehmen. Überkommene religiöse und starre ideologische Lehrsätze und Doktrinen haben in diesem Weltbild keinen Platz.

10. Der Mensch bestimmt den Sinn seines Lebens

Humanisten gehen davon aus, dass ihnen höchstwahrscheinlich nur dieses eine Leben gegeben ist, in dem sie ihre Vorstellungen und Wünsche verwirklichen können. Kennzeichen humanistischer Lebensweise ist daher eine strikte Diesseitsorientierung bei der Verwirklichung der eigenen Vorstellungen und Wünsche. Humanisten haben das Ziel, ein erfülltes und möglichst glücklich verlaufendes Leben zu führen und setzen sich dafür ein, dass dies auch möglichst vielen Mitmenschen gelingt. Es ist Sache des einzelnen Menschen, seinem Leben einen persönlich gewählten Sinn zu geben, von Religionen oder weltlichen Ideologien vorgefertigte Sinngebungen werden abgelehnt.

11. Selbstbestimmung ist zentrales Lebensprinzip

Humanisten nehmen Einschränkungen der Freiheit des Individuums nur in dem Ausmaß hin, wie sie der Aufrechterhaltung eines friedlichen Nebeneinanders in der Gesellschaft dienen. Diesem Ziel entgegenwirkende gesellschaftliche oder politische Strömungen lehnen sie mit Entschiedenheit ab. Die Idee des liberalen, religiös neutralen Rechtsstaates kommt humanistischer Auffassung am weitesten entgegen. Das heißt, jedem Menschen ist so viel persönliche Entfaltungsmöglichkeit zu gewähren wie ohne Einschränkung des Mitmenschen möglich ist.

12. Ohne Meinungsfreiheit verkümmern die Menschenrechte

Humanisten bewerten das Recht auf freie Meinungsäußerung als einen sehr hohen Wert im Rahmen der Allgemeinen Menschenrechte (gesellschaftlich betrachtet sogar als den höchsten). Wird die Meinungsfreiheit beschädigt, leiden alsbald alle anderen Menschenrechte unter Auszehrung oder Verzerrung. Einschränkungen der Meinungsfreiheit lehnen sie deshalb weitestgehend ab. Für das menschliche Zusammenleben schädliche Äußerungen jenseits des Ziels der Informierung oder Äußerung von Meinungen – wie beispielsweise Aufrufe zur Gewalt – sind davon jedoch nicht betroffen.

Nachwort

Humanisten immunisieren sich nicht gegen Kritik. Im Gegenteil: ehrliche und konstruktive Kritik wird als Geschenk empfunden, die ganz allgemein der Verbesserung der Lebenssituation des Menschen dienen kann. Deshalb sind wir dankbar für Vorschläge, die zu einem späteren Zeitpunkt der weiteren Präzisierung und gegebenenfalls Ergänzung unserer Auffassungen dienen könnten.

Verabschiedet von der Facebook-Gruppe Initiative Humanismus am 15. März 2012.

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Das Manifest des Humanismus erschien zuerst auf WISSEN BLOGGT und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Blogbetreibers Frank Berghaus.

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