Von Herwig Schafberg, Di. 25. Feb 2020, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons
Es ist erst wenige Monate her, dass ein geistig durchgeknallter Rassist in Halle zwei Menschen erschoss, die als nichtjüdische Deutsche gar keinen Platz in seinem antisemitischen Feindbild hatten, aber als Opfer herhalten mussten, nachdem es ihm nicht gelungen war, jüdische Besucher einer Synagoge umzubringen. Der Irre war noch nicht vor Gericht gestellt, als dieser Tage ein anderer mutmaßlicher Psychopath in Hanau neun Menschen erschoss, die zum größten Teil in sein Beuteschema passten; es war jedoch nur ein Zufall, dass zur Tatzeit nicht auch Deutsche und insofern Menschen am Tatort waren, um deren Rettung vor dem Untergang es ihm ging, wenn man seinem Manifest glauben mag. Herwig Schafberg beleuchtet den rechten, aber auch den linken Hass.
Ein Menschlichkeitstest, den AKK und Röttgen nicht bestanden haben
Doch wenn es um Opfer geht, nehmen es Mordlüsterne gleich welcher Weltanschauung oder Religion nicht so genau, wie wir schon vorher erleben und erleiden mussten, wenn sich „rechtgläubige“ Muslime im Kampf gegen „Ungläubige“ wähnten und wahllos auf ihre Opfer einstachen oder schlugen, mit Bomben zerfetzten oder mit Trucks niederwalzten, ohne sich darum zu kümmern, ob sie auch Muslime trafen. Nach solchen Anschlägen wird gerne gesagt, dass diese „uns alle betreffen“.
Wenn das kein leeres Wort sein soll, darf in dem Kontext bedacht werden, dass wir alle – gleich welcher Herkunft und Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung – von solchen Anschlägen getroffen werden können; denn der Zufall der Begegnung auf einem Weihnachtsmarkt, in einem Konzert oder einer Gaststätte kennt keine Opferhierarchie.
Nach jedem Anschlag könne man sich selbst einem „Menschlichkeitstest“ unterziehen, schrieb der deutsch-arabische Politologe Hamed Abdel-Samad nach den Mordanschlägen in Hanau:
„Sind seine Gedanken in erster Linie bei den Opfern, ist er auf dem richtigen Weg. Denkt er nur an den Täter, dann hat er ein kleines Problem. Wünscht er sich, dass der Täter aus einer bestimmten Ecke kommt, die er hasst, dann ist er nicht mehr zu retten!“
Wollte man demgemäß das Verhalten von Politikern, Journalisten und sonstigen Meinungsmachern nach den Morden in Halle testen, hätte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer den Test nicht bestanden; denn sie ließ zwar ihre „Gedanken vor allem an die Opfer gehen“, wie sie eilig versicherte, aber erst nachdem sie voreilig verkündet hatte: „Auch wenn wir die Hintergründe noch nicht genau wissen, sehen wir schon, dass es ein rechtsextremes Motiv gab“. Und sie fügte hinzu, „dass sich die CDU von der AfD abgrenzen müsse.“ So sahen das auch politische Weggefährten diesseits und jenseits der christdemokratischen Parteigrenzen. Norbert Röttgen will ebenfalls „das Gift bekämpfen, das von der AfD und anderen in unsere Gesellschaft getragen wird.“
Wenn Höcke von „wohltemperierten Grausamkeiten“ spricht ist es nicht das Gleiche, wie wenn Sloterdijk das tut
Soweit die Mehrheitsverhältnisse in der AfD es noch zulassen, wäre die AfD gut beraten, sich nicht damit zu begnügen, Meuchelmorde wie in Halle und Hanau zu verurteilen, sondern sich auch von all denen in den eigenen Reihen zu trennen, die gegen Muslime sowie andere Menschen nichtdeutscher Herkunft und gegen Juden hetzen, falls die Partei ihrer politischen Mitverantwortung gerecht werden will. Vielleicht tragen ja die Verluste der AfD bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft zu einem innerparteilichen Läuterungsprozess bei.
Meine Kritik an Führungspersönlichkeiten der AfD richtet sich übrigens nicht so sehr gegen Alice Weidel und ihre Äußerungen im Bundestag über „Kopftuchmädchen, Messermänner und andere Taugenichtse“. Falls sie die „Kopftuchmädchen“ in ihre Charakterisierung als „Taugenichtse“ einbezog, war das unangemessen. Doch falls sich diese Bemerkung nur auf die „Messermänner“ bezog, ist mir das zu harmlos; denn Messermänner gleich welcher Herkunft sind nicht bloß „Taugenichste“, sondern Schädlinge und gehören dementsprechend scharf ins Visier der Legislative, Exekutive und Jurisdiktion.
Ich denke eher an Leute vom Schlage eines Björn Höcke, der sich wie ein reinkarnierter Herkules aufspielt, wenn er den „Saustall ausmisten“ will, zu dem die multiethnische sowie -kulturelle Gesellschaft in Deutschland verkommen sei, und sich in dem Zusammenhang für „wohltemperierte Grausamkeiten“ ausspricht. Für mich ist es ein Unterschied, ob ein Agitator wie Höcke den Staatsphilosophen Machiavelli mit solchen Worten zitiert und damit möglicherweise manch einen seiner Gefolgsleute zu voreiliger Grausamkeit animiert, oder ob ein Gelehrter wie Peter Sloterdijk diese Worte zitiert und zum Nachdenken über gesellschaftliche Entwicklungen animiert. Doch es würde mich nicht wundern, wenn Sloterdijk aus der Sicht neojakobinischer Tugendwächter zu den „anderen“ gehört, die „Gift in unsere Gesellschaft“ tragen.
Wenn die all die Böhmermanns und Augsteins wild und völlig undifferenziert um sich schlagen
Wollte man den Tugendwächter Jan Böhmermann ernst nehmen, gehört zu diesen „anderen“ auch sein Kollege Dieter Nuhr, dem er schon vor Hanau „in die Fresse hauen“ lassen wollte; denn Nuhr ist nicht wie Böhmermann, sondern ein „anderer“ Mann, der Institutionen wie beispielsweise den Islam ins Visier nimmt und insofern nicht „politisch korrekt“ ist, aber im Unterschied zum Erstgenannten nicht „andere“ Personen mit Namen und Gesicht im Internet an den Pranger stellt.
Solche Anprangerungen kennt man ansonsten von Rechts-, aber auch von Linksradikalen wie beispielsweise Jakob Augstein, der sich in seiner Zeitung zu der Behauptung verstieg:
„Die Wegbereiter der Gewalt haben Namen und Adresse: Sarrazin, Broder, Tichy, und andere, die die Verrohung des Diskurses vorangetrieben haben. Zuerst kommen die Worte, dann die Taten. Das ist bei den Rechtsterroristen so wie bei den Islamisten.“
Es ist beruhigend, dass Helmut Schmidt tot ist und keine Hausbesuche linksradikaler „Antifaschisten“ befürchten muss; denn er äußerte sich nachweislich ebenso kritisch über die Masseneinwanderung von Muslimen wie Thilo Sarrazin. Und dass Augstein seinen Kollegen Henryk M. Broder als „Wegbereiter der Gewalt“ diffamierte, war vielleicht Rache, nachdem der „Wegbereiter“ Broder den Jakobiner Augstein als Antisemit verdächtigt hatte.
Wer mit dem Finger auf andere zeige, solle nicht übersehen, dass er zugleich mit drei Fingern auf sich selbst zeige, mahnte Gustav Heinemann während der Studentenunruhen 1968. Ich weiß nicht, ob der Jakobiner Augstein zu selbstkritischen Reflexionen fähig und bereit ist. Er war damals schon lediglich der kleine Sohn des großen Rudolf Augstein, als der sozialdemokratische Bundesjustizminister Gustav Heinemann seine Mahnung aussprach. Das war in der Zeit, als die Sozialdemokraten mit Willy Brandt einen Vorsitzenden hatten, dessen Name wohl nicht in Vergessenheit gerät wie die Namen der Dutzend, die während der letzten Jahre in schneller werdenden Folge den Parteivorsitz übernahmen und wieder verloren.
Für linksradikale Antifaschisten fängt Faschismus schon in den Reihen der SPD an
Zu Brandts Zeit als Bundeskanzler bekämpfte man Linksradikale mit dem sogenannten Radikalenerlass, der nicht einmal einem Lokomotivführer den Dienst im staatlichen Bahnbetrieb gestattete, falls er Mitglied der DKP war, als gäbe es Grund zur Sorge, dass der Staat sonst vom rechten Weg abkommen könnte. Allerdings öffnete Willy Brandt seine Partei für den Beitritt von Kritikern, die seinerzeit von vielen alten Genossen für linksradikal gehalten wurden, und verhinderte mit dem Radikalenerlass keineswegs, dass Intellektuelle von links außen auf dem „Marsch durch die Institutionen“ es in hohe Partei- und Staatsämter schafften. Von denen macht sich mancher wie Ralf Stegner heute Gedanken, wie man gewissermaßen mit einem neuen Radikalenerlass AfD-Mitglieder vom Öffentlichen Dienst fern halten und insoweit einen „antifaschistische Schutzwall“ neuen Typs bauen kann, um zu verhindern, dass der Staat auf den rechten Weg zurückgeführt wird.
„Keinen Millimeter nach rechts“ hieß die Parole, die Herbert Grönemeyer vor einiger Zeit auf einem Konzert ausgab und sich damit in eine lange Traditionslinie von „Rock gegen Rechts“ und Demos „gegen Rechts“ stellte.
Doch soweit Leute sich überhaupt um eine Begriffsklärung bemühen, wird die Frage, was „rechts“ ist, wo es anfängt und wie weit es vertretbar ist, heute ebenso von der jeweiligen Warte des Betrachters aus beantwortet wie vor 50 Jahren die Frage, wenn es um links ging. War damals aus der Sicht manch eines Christdemokraten jeder Sozialdemokrat und für diesen wiederum jeder, der links von der SPD stand, im Verdacht, ein Wegbereiter des Kommunismus zu sein, so muss heute jeder, der verdächtigt wird, rechts von Merkels nach links geöffneter CDU zu stehen, damit rechnen, für einen Wegbereiter des Faschismus gehalten zu werden. Und für linksradikale Antifaschisten fängt nach alter stalinistischer Tradition der (Sozial-)Faschismus schon in den Reihen der SPD an.
Die unmäßige Überdehnung des Rassismusbegriffs, die sogar Islamkritik als rassistisch diffamiert
Ähnlich willkürlich geht es heute zu, wenn es um die Einschätzung von „Rassismus“ geht. Während rassistische Ideologen sich zumeist auf „Rassenlehren“ berufen und Besonnene der alten Denkschule ihre Kritik auf diese pseudowissenschaftlichen Lehren ausrichten, hat die antirassistisch ideologisierte Empörungsbranche eine neue geistige Mode hervorgebracht, nach der im Zweifelsfalle alles zur Stigmatisierung als „rassistisch“ erlaubt ist, was nicht das Gütesiegel dieser Branche erhält. Und diese antirassistischen Neojakobiner scheuen nicht einmal davor zurück, die Sprachregelungen des Ajatollah Khomeini zu übernehmen, denen zufolge Islamkritik als Zeichen von Islamophobie und als rassistisch einzuschätzen ist.
Merken denn Antirassisten von heute nicht, dass sie mit ihrer unmäßigen Überdehnung des Begriffs „Rassismus“ am Ende zu einer Abnutzung und damit auch zu einer Verharmlosung dieses Begriffes beitragen? Es würde mich nicht wundern, wenn es irgendwann einem Kompliment gleichkäme, von manchen Leuten „Rassist“ genannt zu werden. Das sollte man aber nicht auf die leichte Schulter nehmen, solange Antirassisten wild entschlossen mit dem Ziel unterwegs sind, „Rassismus“ zu kriminalisieren und die Meinungsfreiheit demgemäß einzuschränken: „Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. So ist es auf Demo-Plakaten, Facebookseiten und anderen Foren lesen.
Doch „Rassismus“ ist, wie Hannah Ahrendt schrieb, „keine tatsächliche Gegebenheit, sondern eine zur Ideologie entartete Meinung, und die Taten, zu denen er führt, sind keine bloßen Reflexe, sondern Willensakte, die sich logisch aus gewissen pseudowisschaftlichen Theorien ergeben…“ Ich fürchte, diese sowie andere Einsichten Hannah Arendts sind vielen Antirassisten ebenso wenig zu vermitteln wie echten Rassisten.
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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.
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