Von Jürgen Fritz, Sa. 05. Feb 2022, Titelbild: YouTube-Screenshot
Der Sozialismus sei „genau die Religion, die das Christentum überwinden“ müsse, schrieb Antonio Gramsci, der vielleicht wichtigste Vordenker des Kulturmarxismus, Mitbegründer und Vorsitzender der kommunistischen Partei Italiens, schon 1915. Doch der Neomarxismus wendet sich nicht nur gegen das Christentum, sondern auch gegen die freiheitliche, menschenrechtsbasierte Demokratie.
Vom Marxismus zum Neo-/Kulturmarxismus
Einer der Unterschiede zwischen klassischem Marxismus und Neomarxismus besteht darin, dass Letztere nicht mehr auf das Proletariat, nicht mehr auf die Arbeiterschaft setzen, um ihre Weltanschauung durchzusetzen, sondern auf die Intellektuellen, nachdem sie gemerkt haben, dass das Proletariat gar nicht gewillt war, die von ihnen erhoffte historische Rolle als “revolutionäres Subjekt” zu spielen. Das Paradebeispiel des marxistisch-kommunistischen Intellektuellen ist Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924), ein im Zarenreich studierter Jurist und marxistischer Theoretiker, der zum Begründer der Sowjetunion wurde.
Die Aufgabe der Intellektuellen ist es dabei, nicht einen gewaltsamen Umsturz herbeizuführen, ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass ein kultureller Wandel stattfindet, dass die Menschen systematisch umerzogen werden. Und das nicht über Bildung und eine Erziehung zur Mündigkeit, zur Emanzipation, zur Befreiung von Fremdleitung, sondern durch permanente Indoktrination, Manipulation und dem Abtrainieren der Mündigkeit.
Das Ziel echter Erziehung im Gegensatz zur Abrichtung ist immer die Offenheit im Ergebnis. Echte Erziehung will nicht eine bestimmte, schon vorgegebene Weltanschauung in die Seelen der Kinder und Jugendlichen hineinstopfen, sondern will sie dazu befähigen, ihr Welt- und Menschenbild frei zu entwickeln über Bekanntmachen mit der Tradition und deren kritischer Reflexion, um so zu helfen, die eigene Urteilskompetenz allmählich zu entwickeln. Genau das wollen Marxisten wie Neo- oder Kulturmarxisten nicht. Sie haben keine offene, sondern eine geschlossene Weltanschauung, die die jungen Menschen auf jeden Fall übernehmen sollen.
Und Antonio Gramsci machte vor über hundert Jahren schon deutlich, wie diese permanente Indoktrination geschehen müsse:
„… durch Infiltration von Schulen, Universitäten, Kirchen und Medien …, wodurch das gesellschaftliche Bewusstsein transformiert wird.“

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Und Gramsci beschrieb auch das Ziel, die anzuwendende Taktik und die Rolle der Intellektuellen in diesem Kulturkrieg:
„Das Ziel der kommunistischen Herrschaft (Umsturz der privaten Eigentumsgesellschaft) bleibt bestehen, aber die Taktik muss sich wandeln vom Frontalangriff als ‚Bewegungskrieg‘ (Russische Revolution) zum ‚Stellungskrieg‘, indem die Kommunisten ihre ‚Schützengräben‘ behaupten und ihre Position ausbauen.
Die Rolle der Intellektuellen bei diesem Kampf ist die Unterwanderung der Zivilgesellschaft mit dem Ziel, die ‚ideologische Hegemonie‘ zu gewinnen mittels ‚Überredung‘ (Indoktrination, JFB) anstelle von direktem Zwang und Gewalt.“

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Denn wenn erst einmal die kulturelle Hegemonie gewonnen ist, dann kann alles kontrolliert und unterdrückt werden, was dem marxistisch-sozialistisch-kommunistischen Ziel im Wege steht.
Auf dem Weg zur Machtübernahme müssten zunächst die alten Kulturträger, insbesondere das Christentum beseitigt oder entscheidend geschwächt und selbst unterwandert werden, heute quasi alles und jeder. Das heißt, wir haben es hier mit einem langanhaltenden Kampf zu tun, der auf Jahrhunderte angelegt ist. Jedes andere Weltbild soll letztlich zerstört oder dem Neomarxismus einverleibt werden, aber dann innerhalb dessen Grundaxiome und Vorgaben, ganz ähnlich wie es zuvor die christlichen Anführer mit allen anderen gemacht haben.
Das Ziel dieser Bewegung ist eine Weltregierung, in der die neomarxistischen Intellektuellen das Sagen haben und alles bestimmen, alles kontrollieren, vor allem die Massenmedien, die Schulen, die Hochschulen , auch die Kirchen, mit denen sie sich inzwischen arrangiert haben, sofern diese sich den Neomarxisten unterwerfen, und die gesamte Erziehung und Bildung. Hier sehen wir einen zweiten wichtigen Unterschied zwischen klassischem Marxismus und Neo- oder Kulturmarxismus.
Marx ging davon aus, dass das Sein, insbesondere die Produktionsverhältnisse, das Kapital, das Eigentum an Produktionsmitteln etc. das Bewusstsein bestimme. Dies war einer der vielen Fehler der Theorie von Marx. Dies haben die Neomarxisten erkannt und versuchen nun, das Sein über das Bewusstsein der Menschen zu verändern. Diese Gedanken finden wir schon bei dem Kommunisten Antonio Gramsci (1891-1937), dann bei der sogenannten Neuen Linken, die das weiterführten, insbesondere das 1923 in Frankfurt am Main gegründete Institut für Sozialforschung, auch Kritische Theorie genannt, mit seinen frühen Protagonisten Max Horkheimer (1895-1973), Theodor W. Adorno (1903-1969), Herbert Marcuse (1898-1979) und später Jürgen Habermas (*1929).

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Die Neomarxisten werden die gesamte westliche Kultur zerstören
Das aber heißt, die Neomarxisten werden die gesamte westliche Kultur zerstören. Während sie sich bei den schlimmsten und mächtigsten autoritären, verbrecherischen und menschenrechtsfeindlichen Systemen in China und Russland meist nicht trauen, sich mit diesen anzulegen, und bei anderen, wie dem Iran, erstaunliches Entgegenkommen an den Tag legen, bekämpfen sie im Inneren alles und jeden, der ihrer neomarxistisch-sozialistischen Ideologie widerspricht und deren totaler Durchsetzung im Wege steht, bis hin zur Vernichtung der ökonomischen und gesellschaftlichen Existenz.
Cancel Culture ist dabei ein extremer Euphemismus. Worum es geht, ist die totale Unterdrückung jeglicher Kritik, die das eigene Fundament berühren könnte (Fundamentalismus), das heißt die Bekämpfung des Menschenrechtes auf freie Meinungsäußerung. Ja selbst Gedanken, die nicht öffentlich geäußert werden, werden bekämpft. Man versucht, die Menschen nicht per Vernunft, Diskurs und Argumenten, mit sachlicher Information und Bildung, sondern mit Gewalt sogar innerlich umzuformen (Gehirnwäsche, derzeit besonders aggressiv durchgeführt über den Genderismus).
Das heißt, die Neomarxisten agieren selbst ebenfalls menschenrechtsavers und gegen die freiheitliche Demokratie, gegen unsere Verfassung, gegen das Grundgesetz gerichtet, welches sie überhaupt nicht verstehen, weil sie jeden Text durch ihre ideologische Brille lesen und ihre hochgradig gewaltaffine, menschenrechtsaverse Weltanschauung in jeden Satz hineinprojizieren statt sich zu bemühen, den Sinn des Textes zu erfassen (Kunst der Hermeneutik), so zum Beispiel bei dem Schlüsselbegriff der Menschenwürde, den sie materialistisch umdeuten, der aber etwas Geistiges, etwas Einzigartiges ausdrückt.
Durch ihre Rigidität, die auf einen neuen Totalitarismus hinarbeitet, treiben die Neomarxisten immer mehr Menschen, die sich davon angewidert fühlen und, wenn der Ekel immer größer wird, davon einfach weg wollen, ohne genau hinzuschauen, wo sie sich hinbewegen – denn jedes Weg ist ja auch immer auch ein Hin – in den Rechtsextremismus und in die Arme aller möglichen noch aufklärungsfeindlicheren Scharlatane und Spinner und spalten die Gesellschaft immer tiefer und immer unversöhnlicher.
In Deutschland wurde so die AfD geschaffen, die inzwischen anstellen kann, was sie will, und trotzdem nicht mehr unter 9 bis 12 Prozent der Wählerstimmen fällt, die also rund ein Zehntel der Wähler bereits fest im Griff hat. In den USA wurde so das Phänomen Trump möglich, in dessen Arme die Neomarxisten weit über 40 Prozent der Wähler trieben. Inzwischen scheinen große Teile der republikanischen Partei verloren, die in den Radikalismus und Extremismus abdriften.
Aber genau das ist Grundprinzip des vielfach widerlegten Marxismus wie des Neomarxismus: die Spaltung jeder Gesellschaft in Klassen und Gruppen, die sich feindlich gegenüberstehen und die sich permanent gegenseitig bekämpfen, wobei immer einer Gruppe die Rolle des universalen Sündenbocks zugeschrieben wird, in den alles Böse hinein projiziert wird, so dass man – insbesondere auch für die schlichteren Gemüter, die sich mit feineren, differenzierteren Gedanken schwer tun – ein klares Feindbild hat, um so die eigenen Reihen zu schließen und alle in der eigenen Gruppe auf einen Punkt auszurichten (Konformismus).
Das heißt, bei allem pseudointellektuellen Getue ist diese ganze Weltanschauung in ihrem Kern ein zutiefst primitive, welche die Schuld für eigenes Versagen wie für Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten, die es natürlich in jeder Gesellschaft immer zuhauf gibt, immer einer Gruppe zuschiebt. So werden permanent Hass und Rachegelüste geschürt, die dann von den neomarxistischen Kommunisten und Sozialisten quasi bankenmäßig verwaltet und gesteuert werden. Peter Sloterdijk hat dies in Zorn und Zeit wohl am besten beschrieben. Am 31. August 1918 verkündeten die Bolschewisten in der Prawda, ihrem Sprachrohr: „Die Hymne der Arbeiterklasse wird von nun an das Lied des Hasses und der Rache sein!“
Peter Sloterdijks Analyse des Linksfaschismus (neomarxistischen Faschismus)
Hierzu einige Zitate aus Sloterdijks glänzender Tiefenanalyse in Zorn und Zeit, 2006, Suhrkamp Taschenbuch, 3. Aufl. 2013:
„… zur Funktion der Linksparteien (genauer: marxistischer und neomarxistischer Parteien, jf) gehört, den Thymos der Benachteiligten zu organisieren.“ (Seite 221)
„Schon 1918 hatte Lenin sich zu dem Dogma bekannt, der Kampf gegen die Barbarei dürfe vor barbarischen Methoden nicht zurückschrecken.“ (S. 227)
„Als erste explizite Aufhebung des fünften Gebotes ‚Du sollst nicht töten‘ führte die Leninsche Lehre von der Notwendigkeit revolutionärer Brutalität zum offenen, obschon noch als provisorisch ausgegebenen Bruch mit der jüdischen, christlichen und zivilen Moraltradition des alten Europa.“ (S. 228)
„Aus der Logik des Zwischenreichs zwischen Klassengesellschaft und Kommunismus folgte zwingend das Handlungsmuster der ‚Säuberung‘.“ (S. 228)
„In Lenins unmittelbarer Nähe wurden Thesen formuliert wie diese: Bei einem so zahlreichen Volk wie dem russischen dürfe man ohne weiteres ein Zehntel opfern, wenn man mit dem Rest erfolgreich weiterarbeiten könne.“ (S. 229) – Die Nationalsozialisten planten, elf Millionen Juden in ganz Europa auszumerzen, mehr als die Hälfte (sechs Millionen) ihres Ziels hatten sie bis 1945 erreicht. Die Bolschewiken waren bereit, alleine in Russland ca. 10 bis 15 Millionen Menschen umzubringen oder auch mehr, wenn das dem angestrebten Ziel dienen würde.
„Lenins Direktiven vom Spätherbst 1917 an lösten die ersten authentisch faschistischen Initiativen des 20. Jahrhunderts aus. Ihnen gegenüber konnten Mussolini und dessen Klone sich nur noch epigonal verhalten.“ (S. 231)
„Am linksfaschistischen Original leninscher Prägung kamen die Merkmale des neuen politischen Stils … in endgültiger Prägnanz zum Vorschein. Unter ihnen sind zu nennen:
- die latent oder manifest monologische Konzeption der Beziehung zwischen dem Führer und den Geführten;
- die mobilisatorische Daueragitation der ‚Gesellschaft‘;
- die Übertragung des militärischen Habitus auf die ökonomische Produktion;
- der rigorose Zentralismus der Führungsstäbe;
- der Kult der Militanz als Lebensform;
- der asketische Kollektivismus;
- der Haß gegen die liberalen Verkehrsformen;
- der Zwangsenthusiasmus zugunsten der revolutionären Sache;
- die Monopolisierung des öffentlichen Raumes durch Parteipropaganda;
- die umfassende Ablehnung bürgerlicher Kultur und Zivilität;
- die Unterwerfung der Wissenschaften unter das Gesetz der Parteilichkeit;
- die Verächtlichmachung pazifistischer Ideale;
- das Mißtrauen gegen Individualismus, Kosmopolitismus und Pluralismus;
- die ständige Ausspitzelung der eigenen Gefolgschaft;
- der exterministische Modus des Umgangs mit dem politischen Gegner und schließlich
- die von der jakobinischen terreur abgelesene Neigung zum kurzen Prozeß, bei dem die Anklage den Schuldspruch einschließt.“ (S. 231 f.)
„An der Spitze dieser Liste faschismustypischer Merkmale steht die ausdrückliche Außerkraftsetzung des fünften Gebotes, und sei es nur für die Dauer einer ‚Übergangszeit‘ bis zur Ausmerzung des Klassenfeindes …“. (S. 232)
Beide Bewegungen arbeiteten also anders als unser Grundgesetz, das ohne die kantische Moralphilosophie, insbesondere den kategorischen Imperativ und den Würdebegriff kaum zu verstehen ist, mit einem teleologischen Ethikansatz: Der (in ihren Augen gute) Zweck heiligt die Mittel und hier eben alle Mittel.
„Die späteren faschistischen Bewegungen auf dem nationalistischen Flügel … brauchten nur die Kriegserklärung an den Klassenfeind durch die an den Volks- oder Rassefeind zu ersetzen, um das Leninsche Modell auf die nationalen Bewegungen Mittel- und Südeuropas übertragbar zu machen.“ (S. 234)
„Die versteinerten Zahlenkolonnen der Statistik sagen aus, daß im 20. Jahrhundert auf eine Tötung im Namen der Rasse zwei bis drei Tötungen im Namen der Klasse entfallen.“ (S. 234)
„Ähnlichkeiten zwischen den kommunistischen und den faschistischen Bewegungen werden im Lichte der psychopolitischen Analyse leicht begreiflich. In beiden Fällen liegen Zornkörperbildungen vor, die das Niveau von Großbanken erreichen. Faschismus ist Sozialismus in einem Land – ohne daß internationale Ergänzungen intendiert wären. Setzt man den Akzent auf den Kollektivismus der Front und den Egalitarismus der Produktion, ergibt sich die Feststellung, Faschismus ist Sozialismus ohne Proletariat beziehungsweise Egalitarismus auf völkischer Basis. Sein modus operandi ist die Einschmelzung der Bevölkerung in eine thymotisch mobilisierte Meute, die sich durch Anspruch auf Größe im Nationalkollektiv geeint wähnt.“ (S. 235)
„Im übrigen geschah, was geschehen mußte. Es konnte nicht ausbleiben, daß die beiden Großunternehmen auf dem Feld der politischen Zornbewirtschaftung sich irgendwann gegenseitig als Konkurrenten identifizierten. Kaum hatten sie sich reziprok ins Visier genommen, erklärten sie den Kampf gegen die jeweils andere Seite zu ihrem vorrangigen Daseinsgrund. Der Antibolschewismus der faschistischen Bewegungen und der Antifaschismus der Komintern verschränkten sich quasi a priori ineinander.“ (S. 236)
„Die Radikalen vom rechten Flügel hatten das Exempel des linken Konkurrenten vor Augen, als sie begannen, seine Erfolgsformeln zu kopieren. Beunruhigend bleibt für die faschistischen Führer, daß der östliche Rivale im empfindlichsten Punkt der neuen Politik, bei den Großtötungsaktionen, einen nur schwer einholbaren Vorsprung besaß.“ (S. 236)
„Tatsächlich gingen von Stalins Direktiven gegen die rechtsradikalen Bewegungen Europas fast unwiderstehliche moralische Zwänge aus. Indem der Führer der Bolschewisten sich vor der Welt als Garant des Widerstands gegen Nazideutschland präsentierte, legte er Hitlergegnern jeder Couleur den ‚Antifaschismus‘ als die einzige moralisch vertretbare Option der Epoche auf – und immunisierte auf diese Weise die Sowjetunion gegen ihre Kritiker von innen wie von außen. Diese mußten fürchten, als Profaschisten denunziert zu werden, sobald sie die geringsten Einwände gegen Stalins Politik erhoben. Wie berechtigt diese Befürchtung war, bewies die von Stalin gelenkte Propaganda, wenn sie Trotzki (dem 1940 auf Geheiß von Stalin von einem sowjetischen Agenten im mexikanischen Exil mit einem Hammer der Schädel eingeschlagen wurde, JFB) und Hitler in einem Atemzug nannte …“ (S. 237)
„Seit Lenins ‚Dekreten über den Roten Terror‘ vom 5. September 1918 waren Geiselnahmen und Massenerschießungen von ‚revolutionsfeindlichen Elementen‘ zur revolutionären Pflicht erklärt worden. Allein im Jahr 1919 soll es zu einer halben Million Erschießungen gekommen sein. (…) Im August 1918 hatte Lenin … Telegramme in des ganze Land versandt, in denen er Massenhängungen von widerstrebenden Bauern forderte – ‚macht es so, daß das Volk auf hundert Werst (1 Werst = knapp 1,07 km, JFB) sieht und erzittert‘.“ (S. 237 f.)
„Die Hinrichtungsstatistiken der Historiker geben in ungerührten Zahlen Auskunft darüber, daß unter Lenins Herrschaft (und unter Stalin wurde es ja noch schlimmer, ebenso in China unter Mao, jf) Woche für Woche mehr Menschen ohne Prozeß liquidiert wurden als während der Zarenherrschaft aufgrund von Prozessen in einem Jahrhundert.“ (S. 239)
„Mit dieser Operation begann das dunkelste Kapitel in der schattenreichen Geschichte revolutionärer Zorngeschäfte. Wir sprechen von der mutwilligen Umlenkung des ‚Massenzorns‘ gegen die wohlhabenderen Bauern der Sowejtunion, namentlich in der Ukraine, die unter dem Namen Kulaken eine traurige Berühmtheit erlangten. Sie bilden noch immer das größte Genozidopferkollektiv der Menschheitsgeschichte – zugleich eine Gruppe von Opfern, die sich gegen das Vergessen des ihnen angetanen Unrechts am wenigsten wehren kann.“ (S. 252)
(…) als Stalin um 1930 das Rad zu einer reinen Kommandowirtschaft zurückdrehte … rückte die ‚Vernichtung des Bauerntums als Klasse‘ auf der revolutionären Agenda ganz nach oben. (…) Die ‚Dekulakisierung‘ der frühen dreißiger Jahre, die allein im Hungerwinter 1932-1933 bis zu acht Millionen Menschen das Leben gekostet hat, bedeutete eine psychopolitische Zäsur im Gebaren der Zornbankleitung. (…) In Stalins Kulakenpolitik ab 1930 … setzten sich die dunklen Seiten des populären Thymos, das Ressentiment, der Neid, das Erniedrigungsbedürfnis in bezug auf scheinbar oder wirklich Bessergestellte als maßgebliche Triebkräfte in der Geschäftsordnung des revolutionären Unternehmens durch. (…) In ihrem Verlauf wurde die ‚Klasse‘ der Halbverhungerten gegen die ‚Klasse‘ der sich so eben noch Ernährenden ins Gefecht geschickt … Als Kulak oder ‚Großbauer‘ galt, wer genug erzeugte, um die eigene Familie und einige Hilfsarbeiter zu ernähren – mit gelegentlichen Überschüssen, die auf den Wochenmärkten oder im städtischen Handel zum Verkauf kommen konnten.“ (S. 253 ff.)
„Nachdem Stalin die Kulaken in den Rang einer ‚Klasse‘ erhoben und dieser das Prädikat ‚konterrevolutionär‘ aufgeprägt hatte, war diese, stellvertretend für die kaum vorhandene und schnell ausgelöschte Bourgeoisie, über Nacht zur Liquidierung freigegeben.“ (S. 255)
„Hier ist wohlgemerkt nicht nur von terminologischen Finessen die Rede. Wer nach Stalin und Mao weiter von Klassen spricht, machte eine Aussage über die Täter- und die Opfergruppe in einem potentiellen oder aktuellen (Klassen-)Genozid. (…) Wer ihn (den Klassenbegriff, JFB) affirmativ, und eo ipso performativ, benutzt, trifft letztlich eine Aussage darüber, wer wen unter welchem Vorwand auszulöschen berechtigt sein soll. Noch hat das Publikum nicht zur Kenntnis genommen, wieweit der Klassismus vor dem Rassismus rangiert, was die Freisetzung genozidaler Energien im 20. Jahrhundert anging.“ (S. 256)
„Die ingeniöse Selbstdarstellung des Linksfaschismus (genauer: des neomarxistischen Faschismus, JFB) als Antifaschismus wurde im gesamten Einflussbereich des Stalinismus und darüber hinaus in der Neuen Linken zum vorherrschenden Sprachspiel der Nachkriegszeit … Man sagt nicht zu viel, wenn man die Flucht der radikalen Linken (der Neomarxisten, JFB) in den ‚Antifaschismus‘ als das erfolgreichste sprachpolitische Manöver des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Daß es die Quelle hochwillkommener Konfusionen war und blieb, versteht sich aus den Prämissen.
Die Fortführung des Spiels durch die westliche Linke nach 1945 geschah vor allem aus dem Bedürfnis nach einer umfassenden Selbstamnestie. Diesem Imperativ blieben die sogenannte Aufarbeitung der Vergangenheit und die Suche nach den ‚Quellen‘ des Faschismus untergeordnet – wobei der Rückgang auf Lenins initialen Beitrag von Anfang an durch ein Denkverbot blockiert war.“ (S. 258 f.)
„Eine höhere moralische Mathematik wurde erfunden, nach welcher als unschuldig zu gelten hat, wer beweisen kann, daß ein anderer krimineller war als er selbst. Dank solcher Rechnungen avancierte Hitler für viele zum Retter des Gewissens. (…) Die kluge Umverteilung der Schande hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Man brachte es tatsächlich so weit, fast jede Kritik am Kommunismus als ‚Antikommunismus‘ und diesen als eine Fortsetzung des Faschismus mit liberalen Mitteln zu denunzieren. Wenn es nach 1945 tatsächlich keine offenen Exfaschisten gab, so fehlte es nicht an Paläostalinisten, Exkommunisten, alternativen Kommunisten und radikalen Unschuldigen von den äußersten Flügeln, die den Kopf so hoch trugen, als wären die Verbrechen Lenins, Stalins, Maos, Ceaușescus, Pol Pots und anderer kommunistischer Führer auf dem Planeten Pluto begangen worden. (…) Dieselben Menschen, die aus guten Gründen zu stolz sind für die Wirklichkeit …, sind manchmal aus weniger guten Gründen zu stolz für die Wahrheit.“ (S. 260)
Fazit
Fassen wir zusammen. 1. Die Quelle des Faschismus ist der Neomarxismus. Jener trat zum ersten Mal in der Geschichte als Linksfaschismus, genauer: neomarxistischer Faschismus auf. 2. Der Rechtsfaschismus, der – das sei zugestanden – nochmals eine Stufe widerlicher ist, ist zumeist eine Reaktion auf den neomarxistischen Faschismus. Die Neomarxisten treiben Menschen, die freilich schon latent eine gewisse Neigung dazu haben müssen, regelrecht in den Rechtsextremismus, was die Neomarxisten wiederum brauchen, denn sie können ja nicht ohne den Klassenfeind auskommen, da ihre gesamte Ideologie darauf aufbaut und der Sündenbock niemals wegfallen darf.
3. Der Neomarximus zerreißt damit jede Gesellschaft, zerstört jede Kultur, weil er die Gesellschaft permanent in „Klassen“ aufspaltet und die eine gegen die andere aufhetzt, um so immer einen Sündenbock für alle Missstände und jegliche Unzufriedenheit zu generieren. Diese Unzufriedenheit wird dann auf die zu bekämpfende „Klasse“ um- und damit abgeleitet, was für die Angehörigen der „guten Klasse“ eine psychische Entlastung bedeutet, die sie dankbar aufnehmen, weil einem anderen die Schuld zu geben vielen angenehmer ist als kritische Selbstreflexion zu betreiben, die womöglich Dinge zu Tage fördern könnte, die erst einmal schmerzhaft sind.
Zugleich wird mit dem „Klassenfeind“ ein Feindbild geliefert, das bekämpft werden kann, womit der eigenen Existenz ein tieferer Lebenssinn vermittelt wird. Wer sich mitten im Kampf befindet, hat keine Gelegenheit, in eine existentielle Lebenskrise zu verfallen. Nebenbei verdienen neomarxistische Politiker, die sich an die Spitze dieser Bewegung setzen, damit oft über ihr gesamtes Dasein ihren Lebensunterhalt, so dass sie oft gar keinen Beruf mehr erlernen müssen, teilweise damit sogar zum Millionär werden, ausschließlich aus dem Geld, das anderen mit staatlicher Gewalt weggenommen wurde.
Das Gegenüber wird dabei in der marxistischen wie in der neomarxistischen Ideologie nicht primär als Mensch mit unveräußerlichen Rechten und unveräußerlicher Würde (der Fähigkeit zur Vernunft, zur Moralität und Selbstbestimmung durch innere Einsicht) gesehen, sondern als Angehöriger einer „guten“ oder einer „schlechten“ Klasse respektive Gruppe, wobei der Einzelne sich über die Zugehörigkeit zu dieser Klasse/Gruppe definiert (Amanda Gorman: Weiße dürfen meine Texte nicht übersetzen) und nicht über seine individuellen Handlungen und sein individuelles Inneres, sein Wissen, seine Erfahrungen, seine Gedanken, seine Kompetenzen, seine Überzeugungen, seine Haltungen, seine Prinzipien und seinen Charakter.
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